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Donnerstag, 29. Oktober 2015

Léo Malet









 






SPIEGEL ONLINE Forum



18.08.2006



Léo Malet? Überführte die hard-boiled-Tradition à la Hammett und Chandler ins Nachkriegs-Paris, in dem die Stöckelabsätze nur so klackern, und Nestor Burma, Malets main man, kommt in bester film noir-Tradition vor allem durch dieses Geräusch in seine Bredouillen. Malet trieb sich, bevor er Burma erfand, bei Anarchisten und Surrealisten herum, was sich in seinem Stil vor allem dann bemerkbar macht, wenn Burma mal wieder eins auf die Rübe bekommen hat und langsam wieder zu sich kommt. Jeder Fall spielt in einem anderen Pariser Arrondissement, und die deutschen Taschenbuchausgaben der "Neuen Geheimnisse von Paris" (der Burma-Zyklus) enthalten "Nachgänge", die im heutigen Paris Spurensuche betreiben. Wer Paris liebt, wird bei Malet viel von dem finden, was er an Paris liebt. Melancholisch, sarkastisch, sehr charmant, nicht gerade Weltliteratur, aber ideal für den Zug nach Paris. Die Legende sagt, daß die Schreibmaschine, auf der Malet tippte, früher Trotzkis Sekretär gehört hat. Auch gut.







23.05.2008



Aus Malets Autobiographie:
"Leute, die meine Bücher gern lesen, und Kritiker sagen, daß meine Krimis eine besondere 'Atmosphäre' hätten. Ein wenig wie bei Simenon, obwohl es nicht dasselbe ist – die ganze Simenon-Palette mit dem mit feinen Strichen gezeichneten Dekor. Simenon hat den Nebel für sich beansprucht, seine Bewunderer sagen fast, daß er ihm gehöre. Rühren Sie den Nebel nicht an! Simenon hat dieses Dekor an sich gerissen und spricht mit der ihm eigenen Sensibilität darüber. Ich habe dasselbe gemacht. Meine Sensibilität ist vielleicht nicht dieselbe. Simenon hat den Nebel nicht erfunden, ich habe Paris nicht erfunden."

Aber Malet sagt, er schrieb nicht mehr, als er merkte, daß Beton ihn nicht inspiriert. Im Grunde ein durch "die Fassade, hinter der sich etwas verbirgt" angeregter Autor, der verstummte, als er auch die hinter Beton agierenden Zeitgenossen nicht mehr zu verstehen glaubte. Und natürlich durch und durch Fetischist, zweites Movens seiner Inspiration.




















Zitate aus: Léo Malet, Stoff für viele Leben. Autobiographie, Edition Nautilus Verlag, Hamburg 1990





Von meiner Mutter bleibt mir nur eine einzige Erinnerung, welche die Psychoanalytiker sicher interessieren wird. Es war kurz vor ihrem Tod, sie war erst 21. Der Arzt hatte ihr eben eine Spritze gegeben und schloß seinen Koffer. Ich kam ins Zimmer. Es saßen ein paar Leute da, sie sagten nichts und nickten mit dem Kopf, wie in einem Alptraum. Meine Mutter lag auf dem Bauch, ihr Hintern war nackt und auf der weißen Rundung perlte ein Blutstropfen. Dieses Bild ist mir geblieben. An meinen Vater kann ich mich überhaupt nicht erinnern.






Vom Katechismusunterricht bleibt mir eine genaue und ziemlich seltsame Erinnerung: Der Priester erzählte uns die Geschichte einer Dame, die gewisse kleine Sünden beichtete. Jedesmal, wenn sie eine Sünde zugab, kroch eine kleine Schlange aus ihrem Mund, fiel auf den Boden und wand sich. Plötzlich aber erschien zwischen den Lippen der Beichtenden der Kopf einer Riesenschlange: eine große Sünde, die sie zu beichten anfing. Sie wollte aber mit ihrem Bekenntnis nicht ganz heraus und schluckte die Schlange wieder. Sofort stürzten sich die kleinen Schlangen, die neben den Füßen des Beichtvaters lagen, auf die Frau und hopp! verschwanden sie wieder im Körper der Sünderin. Ich konnte mir die Szene sehr plastisch vorstellen. Es war fast wie eine Collage von Max Ernst. Die ganze Geschichte hatte eine erotische Seite. Das Bild einer Schlange, die aus dem Mund einer Frau kommt, ist verdächtig; es müßte vielleicht einmal analysiert werden.






In meinen Büchern töten sich alle gegenseitig, ich kann aber keinem Zwerg etwas antun.






Ich bin immer schon gern zu Fuß gegangen und in Paris war das etwas Besonderes. Man sah erstaunliche Dinge. Zum Beispiel einen Epilepsieanfall auf dem Boulevard Sébastopol um 2 Uhr morgens, Leute, die von irgendwoher kamen und gafften, Nutten, kleine Gauner und ein Kranker, den es immer stärker schüttelte, der stöhnte und sabberte. Wie Zabel in "Hafen im Nebel" sagt: "Man sieht seltsame Dinge zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens". Ich wurde auch Zeuge von Razzien im Montmartre, wo die Polizisten auf ihren Fahrrädern aus allen Straßen auf den Place Pigalle kamen und die Leute vor sich herstießen. Oder in Barbès, wo die Mädchen mit hochgezogenen Röcken davonliefen, verfolgt von der Sitte und Polizisten in Uniform.






Auch in meinem Zusammenhang hat man von anarchistischem Puritanismus gesprochen. Man irrt sich, muß ich leider sagen. Ich bin kein Puritaner, ich finde nur, daß es Sachen gibt, die man nur zu zweit gut machen kann, nicht zu dritt oder zu viert.






"Er ist tot, der große Ameisenbär, der große schwarze Stern, die Sonnenblume, der Himmelsstürmer, der große Lichtträger, die große Fackel; leuchtend wie eine verirrte Haarsträhne einer verliebten Frau, die große Fackel dieser Jahrhundertwende mit ihren Gewitterstürmen des Denkens. Er ist in Fantomas' Spital, Lariboisière, gestorben, wo Philippe Daudet am Samstag, dem 24. November 1923, gegen halb fünf Uhr nachmittags, sterbend in einem Taxi aufgefunden, eingeliefert worden war ... Man kann noch lange behaupten, die Revolution sei nicht das Werk des einzelnen, ohne bestimmte Menschen aber gibt es keine Revolution. Schlaft in Frieden, liebe Leute, feiert die 70 Jahre von Elsa, hört dem monotonen Aragon zu, schaut fern, die große Sonnenblume liegt in ihrem Sarg. Von nun an ist alles erlaubt."

Ich schrieb diesen Nachruf, nachdem ich vom Begräbnis André Bretons 1966 nach Hause kam.






Man könnte doch ausgefallene Szenarien aus der französischen Geschichte schreiben. Schon allein die Königin Margot wäre eine wahre Fundgrube. Sie war eines Tages mit ihrem Liebhaber im Bett, als ihr Bruder, Heinrich III. von Navarra, ins Zimmer stürzte und den Liebhaber mit Hilfe eines Dolchs aus ihr herauszog. Der bedauernswerte Mann verlor sein Blut gleichzeitig mit seinem Sperma.






[Über seinen Roman "Das Leben ist zum Kotzen]:

Mit Hilfe von Träumen und persönlichen Erinnerungen, mit vielleicht verfehlten Interpretationen des Verhaltens großer Krimineller habe ich versucht, einen gewaltigen und brutalen Schrei nach Liebe auszustoßen, denn dieses Buch ist letztlich ein Roman über Liebe und Leidenschaft, eine verzweifelte Suche nach dem affektiven Absoluten, zwischen den Zeilen steht das allmächtige Bild der Frau, die wie eine Kaiserin, Haare und Augen leuchtend vom tödlichen Widerschein des Goldes, ihre mörderisch hohen Absätze in die Brust ihres Opfers bohrt. Aus diesem Grund wäre es mir unangenehm, wenn man diesen Roman wegen bestimmter heikler Passagen mit der jetzt so beliebten Supermarkt-Erotik verwechseln würde. "Das Leben ist zum Kotzen" ist etwas anderes.






Ich habe "archäologische" Romane geschrieben. Wissen Sie, wie das ist, wenn Ihnen jemand sagt, daß es eine Straße, die Sie kannten, nicht mehr gibt?

Überall, oder fast überall, stehen nun diese Scheißhaufen aus Stahl, Glas und Beton. Blinde Fenster, die nie geöffnet werden, hinter denen man nur mit Mühe lebendige Wesen vermutet.

Von der Mitte der Grenelle-Brücke, die abgerissen und den Normen des Autoverkehrs angepaßt wiederaufgebaut wurde, etwa in der Nähe des Ortes, an dem Lady Betham, die Mätresse von Fantômas, in der Nacht den verhängnisvollen Fiaker anhalten ließ, sehe ich diese neuen Tempel des Jahres 2000. Ich weine nicht über das Verschwinden der Citroën-Fabrik, aber ich muß an dieses ganze Netz von verschwundenen kleinen Straßen denken, an dieses mythische Labyrinth des Volksromans, wo Theseus schließlich dem Minotaurus begegnete, der ihn mit dem ganzen Viertel zugleich auffraß.






Für ein Buch von 200 Seiten benötigte ich mindestens 800 maschinengeschriebene Seiten. Ich feilte immer aus, war nie zufrieden. Wegen eines durchgestrichenen Wortes schrieb ich die ganze Seite nochmal. Ich habe später erfahren, daß Dashiell Hammett dieselbe Manie hatte.






Ich weiß nicht warum, aber wenn ich ans Wort "Ende" kam, war es immer fünf Uhr morgens.