Ein Film, den ich bedingungslos liebe und daher jeden
berechtigten Einwand als unberechtigt ablehne, ist "Gorky Park" von
Michael Apted, 1983 - Joanna Pacula hinreißend zwischen einer Riege von
Ultra-Professionellen wie William Hurt, Lee Marvin, Brian Dennehy, Ian Bannen
und Ian McDiarmid als Professor Andrejew, der Chefinspektor Renko (Hurt)
erstmal auf den Kopf zusagt, daß er ihn nicht gerade an den ihm bekannten Papa
Renko erinnere: "Ihr Zygomaticus ist ja auch von ganz anderer
Beschaffenheit und Elastizität!" - Eigentlich spricht er in diesem Moment
überhaupt nur mit dem Kopf.
SPIEGEL ONLINE Forum
10.10.2006
Gwynplaine:
Gorky Park (1983) von Michael Apted. Ein kalter Thriller
in kalter Umgebung. Morbid, faszinierend, ich kann's immer wieder gucken. Vor
allem die Gesichtsrekonstruktion durch den Pathologen: sind die Toten doch noch
lebendig?!?
Wahrscheinlich habe ich
tatsächlich keinen Film häufiger gesehen als diesen. Obwohl "Moskau"
tatsächlich Helsinki ist, und jeder Bewohner Helsinkis, der den Film sieht,
sich wahrscheinlich ins Fäustchen lacht, gelingt dem Film eine atemberaubende
Authentizität.
Es war ja zu der Zeit, in der "Gorky Park" entstand, nicht üblich, "communist
Russia" auch nur annähernd sympathisierend zu zeigen. Apted aber gelingt
das Kunststück, daß man am liebsten selber in Renkos Schrottkarre sitzen würde,
die natürlich gerade wieder streikt, als er die durch den Schnee
stapfende Irina mitnehmen will. Weil zwischen Schnee, Kälte, Schäbigkeit,
Mißtrauen, ständigem Auf-der-Hut-Sein, vor dem System, vor der Skrupellosigkeit
von Geschäftemachern, nichts so bedeutend ist wie ein vorsichtig vertrauender
Blick aus schönen traurigen Augen, die sonst keinem mehr vertrauen.
William Hurt war nie
besser (in my eyes), Lee Marvin ist unfaßbar in seiner faszinierenden
Widerlichkeit hier, diese glatte, höfliche, aber immer zweideutige
Konversation, die er als Fassade durchhält, bis er beim Showdown schon durch
die Art, wie er mit der Knarre in der Hand dasteht und "Renko!" knurrt,
seinen unvergeßlichen Abgang aus der Filmgeschichte vorbereitet (und die Zobel
in den Käfigen knurren zurück); Brian Dennehy als Kirwill, dieser Trumm, der
als US-Cop in Moskau aufkreuzt, weil sein idealistischer Bruder zu den drei
Toten im Gorky Park gehört, und von der stiernackigen Naivität, mit der er die
Szene (inklusive Renko) zunächst im Alleingang aufmischen will, zu der quasi
viereckigen Verläßlichkeit in der Zusammenarbeit mit Renko gelangt - großartige
Schauspieler, alle in Hochform, selbst die Zahnreihe von Ian Bannen ist bei
Iamskoys letztem Grinsen in Hochform.
Abgetrennte Köpfe im
Kühlschrank hier, da die verhaltene Zärtlichkeit, die schon in den Worten
liegt, wenn Renko in seiner kruden Küche mit den Tellern in der Hand sagt:
"Das war sehr gut, Irina...", und Irina antwortet: "Borschtsch
kann jeder kochen..." - irgendwie ist die Wärme in der Kälte das "Je
ne sais quoi" dieses Films für mich.
Klasse auch die Musik:
die Art, wie James Horners Soundtrack durch den Tschaikowsky-Walzer knallt,
macht die Stimmung klar: auf alles gefaßt sein hier.
[Aus einem Brief, 2022]
Und dann stirbt auch
noch William Hurt. Gorky Park, einer meiner 111. Aber ich mochte sein
Schauspiel generell, weil es auf so zurückgenommene Weise unvorhersehbar
war. Sein Lächeln war ein Mona Lisa-Lächeln, konnte tausend Dinge
bedeuten. Und ein Teil von ihm schien immer auf einem anderen Planeten
zu sein, aber er war freundlich genug, trotzdem mit uns zu
kommunizieren.