Rest in Peace, Ray.







Antirat zieht um:
-> Das Cabinet des Christian Erdmann





Dienstag, 29. Januar 2019

Nietzsche III












SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"
Juli 2009 





Aljoscha der Idiot. 
Zitat von hans-werner degen:
Der Logik folgen heißt, dass ein Rädchen des Denkens folgerichtig ins andere greift... und das kann man bei Nietzsche nicht sagen... 

So wie es "logisch" ist, daß aus der Rede vom "Übermenschen" bei Nietzsche, die Sie vermutlich ähnlich krude verstehen wie Nietzsches Rede von der "Lust" oder Nietzsches Rede vom "Willen zur Macht", folgt, daß es auch "Untermenschen" gibt, nicht wahr?

Zeigen Sie mir eine Stelle, in der Nietzsche von "Untermenschen" redet. Tip: es gibt genau eine. Und wenn Sie es schaffen, auch diese Passage "logisch" und "logosgemäß" so zu verstehen, wie Nietzsche zur Nazizeit verstanden wurde, machen wir eine Schießbude auf. Drei Treffer gewinnen das Goldene Kalb.

"Herrschen? Meinen Typus Andern aufnöthigen? Gräßlich! Ist mein Glück nicht gerade das Anschauen vieler Anderer?" (N.)





hans-werner degen. 
Wenn es Übermenschen gibt, muß es Untermenschen geben... sonst wäre das Über... sinnlos und leer. Verwende ich einen solchen Begriff, muß jedem klar sein, dass es da noch etwas anderes geben muß... und der Gegensatz von Über... ist Unter...





Aljoscha der Idiot. 
Fakt ist, daß das Wort bei Nietzsche nur einmal, und zwar in einem völlig anderen Zusammenhang, auftaucht. Sie können Nietzsche jederzeit redlich kritisieren, aber doch bitte nicht derart oberflächlich. Im einem der Links, die Sie gestern anbrachten, hieß es wieder mal (yawn): "Für Nietzsche wäre er wohl die Verkörperung des Übermenschen gewesen." Nein, wäre er nicht, da können Sie Gift drauf nehmen.

Im übrigen beweisen Sie gerade, wie wir nicht nur Gott, sondern auch die Logik nicht loswerden, solange wir an die Grammatik glauben. Leider ist auch da nicht alles so eindeutig. Denn natürlich ist ein Über ohne ein Unter konzipiert worden, als reines Heraus aus dem Bestehenden. Es gibt in der menschlichen Sprache "das Übernatürliche", wo wäre "das Unternatürliche"?

Noch was zu gestern: Hermeneutik ist nicht Identifikation, auch da verfahren Sie nicht redlich, nicht "logosgemäß". Nietzsche-Interpretation macht einen nicht zum "Nietzsche-Jünger".


Zitat von hans-werner degen:
Zu jedem Wort, das einen Bezug auf Variabilität enthält, gibts einen Gegensatz. Und zu dem arischen Übermenschen gabs schnell den semitischen Untermenschen. Und ich halte ... Nietzsche nicht für so blöd, dass er diesen Gegensatz nicht gekannt hätte.

Was heißt denn um Gottes Willen "nicht so blöd, diesen Gegensatz nicht gekannt zu haben"? Welchen? Den von den Nazis konstruierten, zugespitzten, fatalen und letalen? Wie soll er denn den gekannt haben? Bei Nietzsche selbst gibt es zig Äußerungen zu "arisch" und "semitisch", in vielerlei Färbung, mit einem erkennbaren Wandel der Konnotationen, als Gegensätze, als Nichtgegensätze. Weder hat Nietzsche bei "arisch" an eine "deutsche Herrenrasse" gedacht, noch war er antisemitisch; er war erklärter Anti-Antisemit, sein Bruch mit Wagner ging nicht zuletzt auf dessen extremen Antisemitismus zurück. Wollen Sie behaupten, Nietzsche hätte seinen Antisemitismus nur mit Synonymen bemäntelt? Der späte Nietzsche hat "Rassenmischung" als "Quell großer Kultur" befürwortet. Die einschlägigen Passagen bei Nietzsche lassen mindestens erkennen, wie fern Nietzsche dem stand, was Wagner oder Hitler aus Gobineau folgerten. Und Sie haben jede einzelne Passage Nietzsches, in der er von "Rasse" spricht, überhaupt erst einmal daraufhin zu untersuchen, ob er da überhaupt den Begriff im Sinne der gebräuchlichen "Rassentheorie" verwendet, das ist nämlich beileibe nicht immer der Fall.

Pieseln Sie Nietzsche ans Bein, aber tun Sie es richtig. Kaufen Sie sich das Buch, das Sie gestern verlinkt haben. Taureck wird es freuen, und Sie haben ein Beispiel dafür, wie eine differenzierte Kritik an Nietzsche aussehen kann. Taureck ist übrigens auch nicht immer auf dem richtigen Dampfer, meinem Verständnis nach, aber wer ist das schon. Die Zeit, in der man Nietzsche mit in kindischer Hartnäckigkeit wiederholten Empörungen diskreditieren kann, ist jedenfalls lange vorbei, dafür hat akribische wissenschaftliche Arbeit doch nun wirklich in breiter Front gesorgt. Wenn Sie bei "Alle Lust will Ewigkeit" nicht weiterkommen als bis zu masturbierenden Pennälern, mag das nur embarrassing sein. Wenn Sie aber partout und hartnäckig den "Willen zur Macht" auch so verstehen wollten, wie es zur Nazizeit geschah, wäre das indes ein Problem. Aber nur das Ihre.





oliver twist aka maga. 
Zitat von Aljoscha der Idiot: 
Was heißt denn um Gottes Willen "nicht so blöd, diesen Gegensatz nicht gekannt zu haben"? Welchen? Den von den Nazis konstruierten, zugespitzten, fatalen und letalen? Wie soll er denn den gekannt haben? Bei Nietzsche selbst gibt es zig Äußerungen zu "arisch" und "semitisch", in vielerlei Färbung, mit einem erkennbaren Wandel der Konnotationen, als Gegensätze, als Nichtgegensätze. Weder hat Nietzsche bei "arisch" an eine "deutsche Herrenrasse" gedacht, noch war er antisemitisch; er war erklärter Anti-Antisemit, sein Bruch mit Wagner ging nicht zuletzt auf dessen extremen Antisemitismus zurück. ...

Mit dem "Alle Lust will Ewigkeit" habe ich keine Probleme. Man kann den Satz in zweierlei Hinsicht deuten. Und Nietzsche hat mit dem Denken Gobineaus, Wagners und Chamberlains nichts gemein. Man sollte aber nicht vergessen, dass der ursprünglich dem Rassendenken fremdstehende Mussolini - noch Mitte der 30er Jahre machte er sich lustig über den Hitlerschen Rassenwahn - stark vom Denken Nietzsches beeinflusst worden ist. Der Übermensch, der ja nur Übermensch sein kann, wenn andere keine Übermenschen sind, hat zwar nicht den Amoralismus in der Politik begründet - der ist so alt wie der Mensch selbst -, er hat ihn aber zu etwas Erstrebenswerten gemacht und ihm seine philosophische Rechtfertigung gegeben. Es gibt tausend Gründe dafür, wenn man nach seinem Lieblingsphilosophen - meiner ist Aristoteles - gefragt wird, nicht Nietzsche zu nennen.

PS: Kennen Sie Hitchcocks Film Rope, zu deutsch Cocktail für eine Leiche? 





BerSie.
Das ist wahr! Meiner ist Bertrand Russell. Leider verstand der nichts von Logik und wurde vermutlich schon von Thomas von Aquin widerlegt - vielleicht ist das der Grund für meine Sinnkrise!?

Was hat "Rope" mit Nietzsche zu tun? Das Motiv der beiden Mörder war wohl so etwas wie spätpubertärer Größenwahn. War übrigens ein Experiment - der Film. Hitch wollte den "echtzeitmäßig" in einem Take aufnehmen. Ging allerdings damals noch nicht, da die Länge der Filmrollen nur eine knappe halbe Stunde erlaubte...
Aber das hat nichts mit Nietzsche zu tun! ;)





Aljoscha der Idiot. 
@maga
Es gibt tausend Gründe dafür, überhaupt keinen "Lieblingsphilosophen" zu haben, weil sie alle wertvoll sind. Sicher kenne ich "Rope", guter Film, aber wie BerSie sich auch schon wunderte – ist von Nietzsches "Übermensch"-Idee so weit entfernt wie "Rope" von Hitchcocks bestem Film. Nein, weiter. :)


Zitat von BerSie:
Das ist wahr! Meiner ist Bertrand Russell.
Sehr gut! Der hat seine amerikanische Professur verloren, weil seine Schriften, wie ein Vertreter der Anklage vor Gericht erklärte, als "wollüstig, libidinös, lüstern, unkeusch, erotoman, aphrodisisch, respektlos, unwahr und bar jeglicher Moral" zu betrachten seien. Also wen das nicht reizt. :)


Zitat von hans-werner degen:
Ich habe Nietzsche nicht haftbar gemacht, nur gezeigt, dass diese Interpretation möglich und daher zulässig ist.
Ihre Interpretation des "Übermenschen" jedenfalls ist aus Nietzsche heraus nicht zulässig. Daß Nietzsche nicht von "Untermenschen" spricht, daß er kein Antisemit war, daß Sie in # 17401 beim Zitieren meines Beitrags das Nietzsche-Zitat, das Ihnen nicht in den Kram paßt, und es ist nur eines von vielen möglichen, vielsagenderweise weggelassen haben, nämlich: "Herrschen? Meinen Typus Andern aufnöthigen? Gräßlich! Ist mein Glück nicht gerade das Anschauen vieler Anderer?", all das ist gar nicht so relevant. Entscheidend ist Ihre falsche Sicht auf Nietzsches Begriff "Übermensch" selbst.

In # 17403 habe ich Ihnen einen Hinweis dazu gegeben:

"Denn natürlich ist ein Über ohne ein Unter konzipiert worden, als reines Heraus aus dem Bestehenden. Es gibt in der menschlichen Sprache 'das Übernatürliche', wo wäre 'das Unternatürliche'?"

Das "reine Heraus aus dem Bestehenden", darum geht es. Dazu bedarf es keines "Untermenschen", dazu bedarf es nur des bisherigen Menschen. Der Über-Mensch ist nicht Herr über andere, er ist Herr über sich selbst. Jeder Versuch, aus Nietzsches Begriff des Übermenschen irgendeine Idee von Gewaltausübung über andere abzuleiten, ist barer Unsinn. Wenn Sie sich da auf eine Stufe mit den Nazis stellen wollen, tun Sie das, aber machen Sie Ihre Motive klar.

Freut mich, daß Sie Taureck so schätzen. Ich werde Ihnen mal aus Taurecks "Nietzsche-ABC" referieren, was da zum "Übermenschen" zu lesen ist.

"Um alles über Nietzsche zu sagen, könnte man bemerken, daß er mehr Bilder benutzt und schafft als irgendein anderer Denker. ... Bild ist auch der 'Übermensch', ein Wort, das Nietzsche zum Beispiel in Goethes Faust finden konnte, wo Faust von dem Erdgeist mit diesem Titel ironisch angeredet wird. ... 'Übermensch', ins Griechische übersetzt, könnte 'Hyper-Anthropos' oder auch 'Meta-Anthropos' heißen. Bei Lukian ist hyperánthropos tatsächlich belegt. ... 'Hyper-Anthropos' käme etwa ... einer höheren biologischen Evolutionsstufe jenseits der neuronalen Komplexität des Menschen (gleich). 'Meta-Anthropos' dagegen meint einen Menschentypus, der in der Lage ist, alles Menschliche zum Gegenstand zu machen."

Taureck schreibt weiter, es gehe Nietzsche nicht um den Hyper-Anthropos, "... sondern um die reflektierende Gestalt des 'Meta-Anthropos'. Der Übermensch ist für Nietzsche primär ein Mensch, der über den Menschen Bescheid weiß und kraft dieses Wissens die Grenzen des bisherigen Menschen überschritten hat."

Der Übermensch ist ein Selbst-Schöpfer, der keinen Dogmen mehr hinterherlaufen muß, fähig, das Leben ohne vorgegebenen Sinn zu bejahen.





hans-werner degen.
Und warum hat er das nicht geschrieben, wenn er es gemeint hat? Und grundsätzlich: gerade Taureck nennt Nietzsche den protofaschistischsten Denker in der Ahnenliste des Faschismus.





ray05.
My Nietzsche 
Wilamowitz' bekannte Kennzeichnung Nietzsches als "Prophet einer irreligiösen Religion und einer unphilosophischen Philosophie" ist so paradox wie zutreffend. Nietzsches Selbstauskunft: "Ich bin ein Immoralist"; ich ergänze à la Wilamowitz: Er ist ein moralischer Immoralist.

Nun, was bedeutet es denn, wenn Nietzsche konstatiert: "Gott ist tot. Wir haben ihn umgebracht." Er bezeichnet damit den Kulminationspunkt menschlicher Dekadenz, das low level life, das nur noch nach Instanzen und "Gerechtigkeit" blökt, die Lebensarmut und -schwäche, die sich im Wunsch nach den Imperativen umfassender "Moral" oder "Tugend", von selbstgebasteltem "Recht" und "Gesetz" offenbart und ohne deren Verabreichung in immer höheren Dosen keine Lebensäußerung mehr möglich scheint. Nietzsche ist nicht nur der "Antichrist", er ist auch der Platon-Umkehrer.

Tja, die Erkenntnis, das "logosgemäß" gültig zu Formulierende, beisst sich mit schöner Regelmäßigkeit selbst in den Schwanz, sagt Nietzsche, die von ihr behauptete "Wahrheit" ist nichts weiter als eine Komödie. Der Primat logosgeleiteter "Wissenschaft" geht nicht zufällig Hand in Hand mit der schleichenden Entmündigung Gottes. Erst schickt man ihn in die Kurzarbeit, dahin, wo er nur noch "gut" oder "gütig" zu sein braucht, dann verbannt man ihn in die Sphäre des Imaginären, schließlich entsorgt man ihn vollends, und kann sich - befreit - so ganz der menschlichen Erkenntniskomödie hingeben: Selbstgerecht moralisierend und halbsenil vor sublimer Geistesschwäche.

Fort mit der "Sklavenmoral", lasst uns dem Leben zurückgeben, was des Lebens ist, höchste Zeit für die Umkehr, sagt Nietzsche, für die "Umwertung aller Werte"! Gott werden wir nicht mehr zum Leben erwecken können; ihn als ausgestopften Popanz vor uns her zu tragen, kommt nicht in Frage, das überlassen wir den Kirchen. Nein, WIR als Menschen ohne Gott werden unsere Lebenshülle zurücktragen müssen, freilich noch hinter Plato zurück, weil dessen Sokrates schließlich als Erster mit dem Unfug anfing, den Logos über den Ausdruck zu stellen, die Kunst zu diskreditieren, indem er die Leinwände mit Tugend- und Erkenntnissuppe vollspritzte.

Es ist moralischer, sich hin- und dranzugeben, als sich zu bewahren, sagt Nietzsche mit Clawdia Chauchat; ja, berstend vollgepackt soll es sein, das Leben, mit lustvoller Intensität und intensiver Lust wechselwirkend zwischen den zwei Lebenssäulen (Werten) des Ekstatischen, Gefährlichen, bejahend Hingebenden und des Abmessenden, Gestaltenden, die "fröhliche Wissenschaft" Betreibenden. Was sei nun das Ergebnis dieser Wechselwirkung, deren höchster Ausdruck, die höchste Moral, die höchste Erkenntnis, die "Wahrheit"? Eben: Die Kunst. Künstlerisches Leben, lebendige Kunst.

Ist zu lau. Eher: Ästhetisches Leben. Leben als Gesamtkunstwerk.





KLMO. 
Eine sehr schöne kompakte Zusammenfassung.
Über die Sklavenmoral bzw. die daraus resultierende Immoral Nietzsches braucht man nicht viel zu referieren. Nietzsche: "Es gibt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine moralische Auslegung von Phänomenen..." (Die Natur kennt keine Moral, nur der Mensch, der sie definiert und auslegt.)

Nietzsche stellt, und dies berechtigt, alles in Frage, er ist ein Zerstörer, er bricht die alten morbiden Gemäuer bis zu ihren Fundamenten nieder. Und hier beginnt die Stunde des Übermenschen, der versucht, auf diesen alten Fundamenten ein neues Gebäude zu errichten.

Vom Grundtenor her habe ich Nietzsche sehr gut verstanden, besonders auch was das Christentum anbelangt. Was machte ein Peter Abaelard, der in einem Kloster verstarb, anderes, indem er in seiner Schrift "Sic et Non" (Ja und Nein) 158 Widersprüche der Kirchenväter zusammenfasste und diesen 1800 Zitate von Streitfragen hinzufügte. Die Verurteilung durch das Konzil zu Sens erwog ihn, den Ländern der Christenheit den Rücken zu kehren und zu den Heiden zu gehen, um dort in Ruhe und Frieden unter den Feinden Christi christlich zu leben! Nietzsche setzt doch nur bei Abaelard nach 800 Jahren wieder an, nur radikaler, konsequenter.

Die Gottesfrage und das Christentum muss bei Nietzsche differenziert werden, deren Unterscheidung Christen oft nicht gelingt. "Wir haben Ihn getötet" heißt nichts anderes, dass menschliche Bilder zerstört werden, da sie letztendlich in die Irre und in einen Götzendienst führen. (Siehe erstes Gebot – klassisches Beispiel, wenn auch hier Nietzsche von den "Umkehrungen aller Werte im Christentum" spricht.)

In einem Punkt bin ich mir nicht sicher: ob man bei Nietzsche von einem reinen Atheisten sprechen kann, womöglich will er auch hier nur alte Fundamente zerstören. Auch hier ist Nietzsche nachvollziehbar. Seine Intentionen gehen eher hin zu einem Deismus, der allerdings mit dem Christentum nichts mehr zu tun hat.

Man lese nur seine Verse:

Noch einmal, eh' ich weiterziehe
Und meine Blicke vorwärts sende,
Heb' ich vereinsamt meine Hände
Zu Dir empor, zu dem ich fliehe,
Dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
Daß allezeit
Mich Deine Stimme wieder riefe.

Darauf erglüht tief eingeschrieben
Das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
Auch bis zur Stunde bin geblieben:
Sein bin ich – und ich fühl' die Schlingen,
Die mich im Kampf darniederziehn
Und, mag ich fliehn,
Mich doch zu seinem Dienste zwingen.

Ich will dich kennen, Unbekannter,
Du tief in meine Seele Greifender,
Mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
Du Unfaßbarer, mir Verwandter!
Ich will Dich kennen, selbst Dir dienen.





Aljoscha der Idiot. 
@ ray / KLMO: "Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank!" (Hrubesch). :)

Der dominierend ästhetische Zug von Nietzsches Denken enthält ja den anti-ideologischen Duktus auch rücksichtslos in der Form: Wille zum System = Mangel an Rechtschaffenheit. Der Dorn in der Seite der Nietzsche-Ablehner ist ja nicht nur, daß er allen Schmock wegtritt mit dem Ruf, die alten Lebenskrücken seien ohnehin marod. Es ist auch die Schwierigkeit, dem interdisziplinären Seiltanz Nietzsches überhaupt zu folgen: die Form seiner Experimentalphilosophie selbst ist künstlerisch. Von ihm "logische" Stringenz zu erwarten bedeutet doch schon, nicht nachzuvollziehen, wie er neben Moralkritik und Religionskritik auch Rationalitätskritik betreibt, Kritik an der rationalen Vernunftanmaßung. Kunst / Kultur / Kultivieren / Selbstkultivierung als lebensdienliche Alternative zur "Wahrheit": DIE Wahrheit als absoluten Maßstab der Erkenntnisse gibt es nicht. Der Intellekt ist Erzeuger von Illusion. Wahrheit ist eine Lüge, die interessehalber von einer Allgemeinheit aufrechterhalten wird. Für Nietzsche ist "Wahrheit" ein bewegliches Heer von Metaphern, bestenfalls kann er "die" Wahrheit als die Illusion fassen, von der man vorsätzlich vergessen hat, daß sie eine ist. Wirklichkeit wird sprachlich konstituiert, in der Konstitution findet jene Produktivität statt, die Nietzsche ästhetisch nennt.

Leben, gelingendes Leben, ist ein Erfolg der Kunst. Von diesem Gedanken hat Nietzsche niemals gelassen. Produktivität am Grunde aller Wirklichkeit: Nietzsche siedelt das Künstlerische auf denkbar elementarer Stufe an, wenn er schon mentale Prozesse als künstlerische Leistung faßt. Die Wirklichkeit selbst wird so zum Gesamtkunstwerk, als Konglomerat erzeugter Bedeutungen. Es gibt keine Wirklichkeit außer der, die wir uns mittels kognitiv-produktivem Enthusiasmus erschaffen. Aber das ist nur der Ausgangspunkt: der Übermensch ist ja eben der, der den durchschauten Konstruktionen eigene entgegensetzt.

Der zugleich gelassene und ausgelassene Immoralismus, der sich bei Nietzsche im Lauf seines Schreibens als Ideal ausprägt, ist immer vor dem Grundgedanken Nietzsches zu sehen: das größte Kunstwerk ist eine Welt, die sich aushalten läßt. Und der in dieser Hinsicht "Starke", weil Schöpferische, Selbstbestimmte, Freie, ist nicht ohne moral sense, im Gegenteil: im "Werde, was du bist" ist von Anfang an ein praktischer Vektor, ein fließender Übergang von Ästhetik zu Ethik. Was Nietzsche ablehnt, ist das aggressiv organisierte Ressentiment, das ein schlechtes Gewissen andreht, die Moral als Vampirismus.

Und, ja, unschätzbar der Gedanke, einen fundamentalästhetischen Grundtrieb aufzulösen in zwei sich gegenseitig herausfordernde Komplementärtriebe, deren Wechselspiel an allem teilhat. Immer ist Sichhin- und drangeben und Sichbewahren zugleich - nur selten zu gleichen Teilen. :)





Edda Sörensen.
An ray / Aljoscha:

Der Aufenthalt auf Sardinien ist Euch anscheinend wirklich bestens bekommen, um nun mit solch wunderbar zu lesenden, wahrhaftigen Gedanken zu Nietzsches Intentionen das Forum zu bereichern. Deshalb trage ich es Euch nicht nach, dass Ihr mit dem Hubschrauber nach Rom und dort Firstclass weiter auf die McCoy-Islands geflogen seid, das Geld der Vatikanbank abgehoben und eine Yacht gechartert habt, mit der Ihr nun mit Euren Ladys eine Kreuzfahrt rund um die Jungferninseln macht. Eine wunderbare Zeit voll brillianter Gedankengänge wünscht Euch
Edda















Montag, 28. Januar 2019

Nietzsche II / Sardonisches Tagebuch







SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"
Juli 2009 





hans-werner degen. 
Bei all seinen Werken muß man fragen wieweit er krank war...
Oder wie Tucho ihn für einen Masochist halten.
Gerade im zitierten Gedicht: Alle Lust will Ewigkeit... das ist der Traum des masturbierenden Pennälers...





ray05. 
Ich denke, Sie sehen das Bild der "Lust", die "tiefe Ewigkeit" will, sehr einseitig sexuell konnotiert. Dabei gibt's ja so viele Dinge, auf die sich "Lust" richten und beziehen kann (...) Wenn Sie nun aber gedanklich "die Lust" von ihrer Ausrichtung und Bezogenheit auf "Objekte" wieder befreien - die "Eierschalen" zertrümmern, wie Malewitsch sagen würde -, dann haben Sie "die Lust" wieder mit sich selbst als Lust zur Deckung gebracht und die Lust kann sich wieder selbst als Lust identifizieren und denken. Das mit sich selbst IDENTISCHE, das EINE, dessen Schau Platon empfiehlt, kann nun gar nicht mehr anders, als "ewig" sein und "Ewigkeit" wollen, da sie nur als "Ewiges" denkbar ist [und sich selbst nur als Ewiges, als Totalität, denkt].

Genau darum ging es Gottfried Benn in dem von KLMO zitierten Brief an Wellershof. Und deshalb habe ich das berühmte Lied aus dem "Zarathustra" als Antwort [oder Hinweis] zitiert.





hans-werner degen. 
Seh ich anders.
Lust trägt immer den Moment der Ewigkeit in sich, zumal im Moment ihrer Erfüllung... aber sie verlangt keine Ewigkeit, denn im Moment ihrer Ewigkeit würde sie die Lust an der Lust verlieren, denn dann würde letztlich der Moment der Nicht-Lust zur begehrten Lust.





ray05. 
Nun, es ist ja gerade die Abwesenheit von Lust, die Benn als "Gemähre, nichtswürdiges Vorwölben von Süchten und Verschleiern und Sesselgemurmel" beschreibt, und es ist ihre Anwesenheit als das "Andere", "in der Tiefe" Ruhelose und Unsichtbare, die es trotzdem zu schauen gilt. Es ist das unsichtbare Anwesende, das uns "gemacht" hat, jene Lust, deren "Erfüllung", wie Sie sagen, tatsächlich im Unendlichen liegt. Bis dahin werden wir das sein, was wir seit Menschengedenken immer waren: Strebende, Denkende, Irrende, Hoffende, Arbeitende, Erfahrende, "Entbergende", SICH-SORGENDE und WOLLENDE.





Aljoscha der Idiot. 
Zitat von ray05: 
Wenn Sie nun aber gedanklich "die Lust" von ihrer Ausrichtung und Bezogenheit auf "Objekte" wieder befreien - ... 

"Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
Sagtet ihr jemals Ja zu einer Lust? O, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt, - ..." (Zarathustra)

Wille zur Macht = Selbstbejahung des Lebens = Lust. Alle Höhen und Abgründe des Lebens in sich einschließend. Augenblick der absoluten Selbstbejahung des Lebens: die Welt wird TIEF, wenn künstliche begriffliche Unterscheidungen zusammenbrechen. ETWAS wollen ist ALLES wollen, weil: alles verkettet, verfädelt, verliebt. Lust will Ewigkeit = in jedem wachen Augenblick ist zugleich Vergänglichkeit und die Zeitlosigkeit der Erfüllung. Entweder das, oder man ist ein trüber Gast auf der dunklen Erde. "Alle Lust will Ewigkeit" ist nicht der Traum des masturbierenden Pennälers, sondern Transkription einer Zeile aus einem poetry slam der DNA. :) 





hans-werner degen. 
Schwärmerei à la Nietzsche ... Tucho sah ihn und seine Jünger wohl richtig! Das Nietzsche Problem ist nicht die Falschheit seiner Ideen, sondern die perfekte Sprache, in der sie vorgetragen werden. Seine Sprache ist so perfekt dass man in ihren Bann kommt ungeachtet der falschen Erkenntnis...





Edda Sörensen. 
Oh Mensch gib acht: Herr Degen, was Sie hier so von sich geben, beginnt nun, nach Bücherverbrennung zu riechen. Ihr Deutschlehrer hat ganze Arbeit geleistet, fragt sich nur welche.





hans-werner degen. 
Über Nietzsches Faschismus lässt sich trefflich streiten... aber seine Aphorismen sind Beweis für und gegen alles. Und das heißt letzten Endes: Er war des klaren, logosgemäßen, verständlichen Ausdruckes nicht mächtig. Hitler und Goebbels verstanden ihn in ihrem Sinn und nutzten seine Ideen und Sprache.





Edda Sörensen. 
Aber Sie meinen dessen mächtig zu sein? Über Ihre Art die Dinge zu sehen, kann man letztlich nur herzlich lachen. Jetzt ist wohl Nietzsche für das 3. Reich verantwortlich? Wohl genauso, wie der Erfinder der Fackel für die Nazi-Fackelzüge verantwortlich ist?

Vielleicht sollten Sie mal wieder einen Blick in die Unzeitgemässen Betrachtungen aus Nietzsches Nachlass, insbesondere das Kapitel über die Bildungsphilister werfen - vielleicht geht Ihnen ja doch noch ein Licht auf - insbesondere über Ihren Deutschlehrer.





Aljoscha der Idiot. 
Edda, den Autor des Buches, zu dem Degens erster Link in # 17336 führt, Taureck, kenne ich persönlich. Der würde, wenn er sowas wie "(Nietzsche) war des klaren, logosgemäßen, verständlichen Ausdruckes nicht mächtig" läse, umgehend seinen Lehrstuhl umtreten und nach Italien auswandern wollen. 





hans-werner degen. 
Nun ... man kann einem Autor nicht einerseits die Zweideutigkeit seines Werkes um die Ohren hauen und andererseits die Klarheit seiner Gedanken um die Ohren hauen... Von Plato bis in die Moderne sehen wir ein ziemlich eindeutiges Gedankenwerk der Philosophen, aus dem nur Nietzsche herausfällt...





ray05. 
Luschtig wieder, Schappoh ... :)





Edda Sörensen. 
Zitat von Aljoscha der Idiot: 
Edda, den Autor des Buches, zu dem Degens erster Link in # 17336 führt, Taureck, kenne ich persönlich. Der würde, wenn er sowas wie "(Nietzsche) war des klaren, logosgemäßen, verständlichen Ausdruckes nicht mächtig" läse, umgehend seinen Lehrstuhl umtreten und nach Italien auswandern wollen. 

Wollen wir ihn informieren? Vielleicht nimmt er uns ja mit :o) 





Aljoscha der Idiot. 
Vorsicht: "nach Italien auswandern" heißt nicht, daß er da irgendwo an EINEM Ort bleibt. Der hat ein Wohnmobil. :) 





Edda Sörensen. 
In der Tat, da wirds eng mit 3 Schreibtischen. Und ich wollte auch noch Ray und BerSie mit auf die Reise nehmen, wegen der göttlichen Komödie. Na gut, ein andermal, und besser organisiert :o) 





BerSie. 
Ja... danke! Puuh... jetzt könnte ich glatt ein leidendes Pferd umarmen! ;) 





Edda Sörensen. 
Das könnte ja Wunder bewirken, das Pferd gewinnt dann den grossen Preis von Longchamp und wir ziehen gen Italien. Das Pferd kommt natürlich auch mit. 





ray05.
Macht also mindestens 5 Schreibtische. Aus Platzgründen übereinander montiert, freilich. Da bekommt der Begriff "Philosophenturm" eine ganz neue Bedeutung ... :) 





Aljoscha der Idiot. 
Zitat von Edda Sörensen: 
 In der Tat, da wirds eng mit 3 Schreibtischen. Und ich wollte auch noch Ray und BerSie mit auf die Reise nehmen, wegen der göttlichen Komödie. Na gut, ein andermal, und besser organisiert :o) 

BerSie verschlampt immer alles. Jetzt sucht er nebenan seine Bruckner-CD. Alles verschlampt der. Gibt auch ein "Nietzsche-ABC" von Taureck. Mit BerSie würden wir da auch irgendwas verschlampen. "Nietzsche-ABD". "BerSie, wo ist das verdammte C?". Nee, mit dem fahr' ich nicht. :) 





Edda Sörensen. 
BerSie umarmt doch das Pferd, das dann aus Dankbarkeit den grossen Preis von Longchamp gewinnt und mit dem Preisgeld bekommen wir locker einen Landsitz auf Sardinien mit 4 Meter Schreibtischen, da darf der doch ab und an was verschlampen. 





Aljoscha der Idiot. 
Also shön, ich übe mih in Kompromißbereitshaft. Aber ih warne Euh, es gibt auh ein "Mahiavelli-AB" von Taurek. Und das sieht shon ziemlih sheiße aus dann. 





Volker Paul. 
Würde ein zweites Wohnmobil die Lage vielleicht entspannen? Ich könnte da aushelfen. Allerdings: hat das andere eine Hängerkupplung? Meines jedenfalls nicht und der Anhänger mit den Musikern muss doch auch noch mit. 





Aljoscha der Idiot. 
Wenn wir schon beim Philosophieren Turmform annehmen wie die Bremer Stadtmusikanten, können wir auch selbst Musik machen. Schlage vor, als erstes studieren wir "Stand Up Comedy" von der letzten U2-Platte ein. Aus gegebenem Anlaß brüllen wir am Grabmal des Unbekannten Masturbierenden Pennälers "Stop helping God across the road like a little old Lady" gen Trier. 





Volker Paul. 
Ok, gute Idee. Ich kann Klarinette anbieten ... Du singst? 





ray05. 
Sardonisches Tagebuch:
TAG 1
Organisatorisches. Elefanten schmücken, den Bücherbus einparken (Edda!), den Professor suchen (Aljoscha!), die Band ausnüchtern (alle!). Turm steht, Internetverbindung auch. Erster Streit: Wer darf oben sitzen. Kompromiss: Wer oben sitzt, muss dann auch die Elefanten und Musiker im Auge behalten. Die Band kann keinen Jazz, stelle ich fest, ich will sie heimschicken; sie sagen mir, Judas Priest habe noch keiner heimgeschickt. Auf ganz Sardonien gibt es keinen einzigen Piraten, den BerSie vergessen könnte. Außerdem hat er Volkers Klarinette verlegt. Aller Anfang ist schwer, bzw. ambivalent, wie Aljoscha sagt. Ich dreh mir erstmal eine. Wo ist eigentlich der Tabak?





Edda Sörensen. 
Den Bücherbus hab ich ohne Schrammen eingeparkt und stieg dann auf die Leiter, um dem Elefanten eine Hibiskusblüte aufs Ohrwaschl zu malen. Der hielt andächtig still, weil ich den weichsten Pinsel benützte, das mag er gern, von weichen Pinseln unter sardischer Sonne gestreichelt zu werden. Doch dann wurde er unruhig: ein Brummen, ein Hubschrauber der Vatikanflotte landet direkt neben dem Philosophenturm und heraus springt ein in rot-lila Kutte gehüllter Degen, stürmt den Bücherbus und schon fliegen die Nietzsche-Bände, darunter auch ein Tabakpäckchen, in hohem Bogen raus. Aljoscha, geistesgegenwärtig wie immer, fängt alles auf, wirft Dir mit einem gezielten Seitenpass den Tabak direkt in die Hände und wir alle zusammen werfen den Degen ins Mittelmeer. Den Hubschrauber behalten wir.





Aljoscha der Idiot. 
Nachmittag. Gewehrschüsse. Mein Vorschlag, nachzuschauen, ob es nicht vielleicht Brigitte Bardot und Jeanne Moreau sein könnten beim Beginn der Sardonischen Revolution, stieß auf taube Ohren. Morgen geplant: Hain durchwandern und über Geschwbl philosophieren. Hoffentlich kann ich überhaupt gehen, da Edda mir doch sehr heftig auf die Zehen stieg. Muß unbedingt KLMO schreiben, daß ich mir Gracqs "Das Ufer der Syrten" unter den Nagel gerissen habe. 





BerSie. 
2. Tag
Persönliche Notizen
Uffh! Brauche Ruhe! Aljoscha referiert den ganzen Tag über Nietzsche und U2 und Edda zerstampft sardische Gebirgsmulche für eine Reptilien-Pastete. Habe mich mit Volkers Klarinetten-Chillum zum Chillen in eine küstennahe Cannabisplantage zurückgezogen. Guter Stoff... sehe Gespenster. Armer Ray; aber soll er die Elefanten doch selber waschen... war ja seine Idee! Werde versuchen, Berlusconi in seiner Villa Certosa mit meinem Tele in flagranti zu erwischen um den Urlaub zu finanzieren.





Edda Sörensen. 
Das Rezept für die Salbe, mit der man blaue Flecken auf grossen Zehen heilen kann, gab mir heut nachmittag eine alte Sardin, die hier um die Ecke die Gärtnerei betreibt. Man suche von der Sonne ausgetrocknete Gebirgsmulche, zerstampfe und verarbeite sie dann mit Olivenöl zu einer Paste. BerSie dachte wohl, das sei das Abendessen und suchte mit Volker im Schlepptau das Weite. Aljoscha liegt nun bandagiert in der Hängematte und sinniert über die Lethargie der Zivilisation nach, und wenn er morgen noch nicht fit ist für die Hainwanderung, dann darf er auf dem Elefanten reiten. Derweilen übt die Band, bereits vom Rotwein beflügelt, im Schatten des Philosophenturms, den bisher noch keiner betreten hat. 





ray05. 
Einer in diesem Verein muß das "irden Praktische" übernehmen. Ich konstruiere den P-Turm um in ein Paternostersystem. Obwohl jetzt jeder jedem viermal in der Minute direkt gegenübersitzt, schreiben wir uns aus Gewohnheit weiterhin E-Mails. Für Eddas bunte Hibiskuselefanten flattern die ersten Angebote rein. Das Bistum Trier braucht neue Wunder und ist gewillt, eine Million für die Tiere zu bezahlen; allerdings soll die Finanzierung über die Vatikanbank erfolgen. Ich sage zu, unter der Bedingung, dass Trier einen Treiber schickt und die Transportkosten übernimmt. Sie sagen zu, sie wüssten schon jemanden.
Die Band sitzt im Bücherbus - ich habe ihnen die Lektüre von "Gitarren zu Pflugscharen" empfohlen.





Edda Sörensen. 
Gut gemacht, Ray - jetzt können wir nur hoffen, dass die Vatikanbank nicht noch vor der Auszahlung Wind davon bekommt, dass wir ihren Hubschrauber gekapert haben. Aber wenn man bedenkt, wie lang es gedauert hat, bis der Papst erfuhr, was die Lefebvre-Bruderschaft so alles anstellte, dann brauchen wir uns diesbezüglich ja keine Sorgen zu machen. Aljoscha liegt noch immer mit seinem bandagierten Zeh in der Hängematte, wirkt jedoch schon ziemlich geheilt, denn er sucht bereits mit dem Feldstecher die Gegend nach den bildhübschen, weiss gekleideten Revoluzzerinnen ab, die beide Maria heissen. 





Aljoscha der Idiot. 
Nacht. Schön hier. Bißchen Palaver, als ich ankündigte, mit dem Helikopter Flugblätter für die Dorfbevölkerung abwerfen zu wollen. Was denn draufstehe. Ich sagte, der Text laute: "Sardonier! Wir wollen keinen Gott mehr, der die Ordnung der Natur stört, der der Vater der Verwirrung ist, der den Menschen in dem Augenblick bewegt, in dem der Mensch Greueltaten begeht; ein solcher Gott läßt uns vor Empörung erschaudern, und wir verbannen ihn für alle Zeiten in die Vergessenheit, aus der der niederträchtige Robespierre ihn wieder hervorholen wollte!" BerSie murmelte was von Sly & Robbie, aber Ray meinte, er könne Sardonisch, und, naja, so fanden sie raus, daß ich den Marias mitteilte, ich hätte ihre Stellungen am Supramonte entdeckt und daß ich bereit wäre, sie am Steineichenwald zu treffen. Edda muß was in die Reptilien-Pastete getan haben, das mir dann während des Fluges das Gefühl gab, ein Sardonischer Scheibenzüngler zu sein. Über Funk hätte ich dann auch immer nur "Jibbi, Jibbi" gequakt. Wo die Flugblätter jetzt gelandet sind, weiß ich auch nicht. Blöd. Kurz vor Mitternacht spielten wir noch die lustige Leichensynode nach. Da mein Zeh wieder schmerzte, spielte ich den exhumierten Papst Formosus.