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Donnerstag, 24. Februar 2022

Mark Lanegan, Hamburg 12.11.2013















Die altpersische Hölle ist leicht zu erreichen: man geht ein Stückchen auf des Messers Schneide und fällt dann kopfüber.

Aus dem 7. Jahrhundert vor Christus stammt die altpersische Vorstellung, daß die Seele nach einem Jenseitsgericht von einem Mädchen und zwei Hunden zu einem Gestade gebracht wird; um auf die andere Seite zu gelangen, in das himmlische Reich, muß eine Brücke überschritten werden. Diese Brücke ist wie ein Schwert beschaffen; schmal wie die Schneide eines Schwertes. Die Seele des Gerechten fällt nicht von der Schneide. Die Seele des Ungerechten aber gelangt nur bis zu dem Punkt, an dem die Schwertbrücke am höchsten ist, von dort aus fällt sie in die Hölle, mannigfaltigen Qualen entgegen.

Zarathustra variierte diese Vorstellung. Die Seele, die beim Tod den Körper verläßt, ist weiterhin der Empfindung und der Bewegung fähig, so lehrte Zoroaster. Sie verweilt drei Tage in der Nähe des Leichnams. Am vierten Tag bricht sie zum Gerichtstermin auf, begleitet von einer Schar aus guten Geistern und bösen Dämonen.

Sie erscheint vor drei Richtern, die ihre Taten auf die Goldwaage legen. Wenn entschieden ist, ob die guten oder die bösen Taten überwiegen, steht ihr der Gang über die Brücke der scharfen Schneide bevor. Die Seele, die leicht über die Schneide kommt, verstärkt die Kraft des Guten im Reich des Ahura Mazda. Die böse Seele aber wird von den Dämonen aus dem Gleichgewicht gebracht und fällt in die immerwährende Finsternis der Hölle. Oder wird, nach anderer Version, vom Anblick der Mißgestalt ihrer eigenen dâenâ, ihrer eigenen gestaltgewordenen Bosheit, so erschreckt, daß sie fällt. Die Hölle hat den Namen "Haus der Lüge".

1989 erschien ein Stück der Einstürzenden Neubauten mit dem Titel "Haus der Lüge". Blixa Bargeld dürfte keine Beschreibung der persischen Hölle intendiert haben: sein "Haus der Lüge" hat zwar wie die Hölle mehrere Geschosse, ist aber eher Vision des gesamten Weltenbaus. Im obersten Geschoß begeht Gott Selbstmord: "Gott hat sich erschossen / Ein Dachgeschoß wird ausgebaut". Platz für die Willensfreiheit oder die Mächte des Bösen. Eben weil das "oder" zwischen "Willensfreiheit" und "Macht des Bösen" zu oft durch ein Gleichheitszeichen ersetzbar schien, hat man die Hölle erfunden. Bargeld versetzt sich nach ganz unten, in die höllische Unterkellerung: "Untergeschoß / Dies ist ein Keller / Hier lebe ich / Dies hier ist dunkel, feucht und angenehm (...) Dies hier ist ein Schoß." Die sardonische Stimme könnte Swedenborgs Ansicht bestätigen, daß die Bösen im Genuß des Bösen leben.

Jedenfalls bestätigt sie den Schoß als den Ort, der Gott gefährlich wird.

"Ich hatte einen alten Onkel, welcher durchaus geradlinig dachte. Er stellte mich einmal auf der Straße und fragte: 'Weißt du, womit der Teufel die Seelen in der Hölle plagt?' Ich verneinte, worauf er sagte: 'Er läßt sie warten.'" (C.G. Jung)

"Der Höllenhund sitzt ihm im Nacken", titelte die Berliner Zeitung im März 2012, als "Blues Funeral" erschienen war - heute, November 2013, bereits das vor-vorletzte Album von Mark Lanegan. Man könnte dagegenhalten, daß vielmehr Mark Lanegan dem Höllenhund im Genick sitzt. Immer dem Drachenschwanz nach. Zwei echte Hunde soll er besitzen (remember: ein Mädchen und zwei Hunde), aber alle Fakten zu Mark Lanegan wirken seltsam unwirklich. (So auch seine Vorliebe für das Basketball-Team der L. A. Clippers, ein Team im Schatten der Lakers, das es selten in die Play-offs schafft).

Die Hölle als postmortaler Aufenthaltsort ist ausgetauscht gegen die Idee: wenn wir nicht mehr in die Hölle kommen, kann die Hölle immer noch zu uns kommen. Ob als Privateigentum oder als zwischenmenschliche: die Hölle ist noch heiß. Brennend aktuell sozusagen. Hing früher das Seelenheil von der Frage ab: wie vermeide ich die Hölle?, so plagt den Privathöllenbewohner von heute vor allem die Frage: wie komme ich aus ihr wieder heraus?
Die Hölle ist von einem Ort zu einem Zustand geworden.

Und Mark Lanegan ist von einem Mann zu einem Mythos geworden. Das Mysterium steht ihm besser als Fakten, weil die übernatürliche Tiefe seiner Stimme - und damit meine ich nicht nur "Lanegan's subterranean rumble of a voice, sounding like it's been dragged through the fires of hell more than once", sondern vor allem die Intensität, die quality of being deep - buchstäblich den Abstand zwischen Himmel und Hölle öffnet. Weil sie den Raum zwischen Fegefeuer und Erlösung bebildert mit mythischer Dringlichkeit. 

"They're riding, they're riding / a hellhound down the hill / They're sinking, they're sinking / into the ocean, beautiful and still." - Harborview Hospital 

Weil sie einem gehört, der Höllenqualen ausgestanden hat. Weil sie einem gehört, der das Licht gesehen hat. 

"Greg Dulli and Mark Lanegan", schrieb pitchfork.com 2008, "are two of the most intimidating dudes in rock'n'roll, their lengthy discographies littered with bad drugs, bad women, and the violence (physical, emotional, and spiritual) that surrounds these bad situations." 

Im subterranen Mojo Club ist "When Your Number Isn't Up" das erste Stück. Es war auch 2010 im Uebel & Gefährlich das erste Stück. Vielleicht eine Art Fetisch, mit diesem Song zu beginnen. Du hättest schwören können, daß deine Nummer aufgerufen war. The blood running warm. Overdue to follow. But you're still above the ground. Also ist noch Zeit auf des Messers Schneide. Immer dem Drachenschwanz nach. Muß der Weg sein zu einer sister of mercy, zur Sphinx. Muß. 

Mark Lanegan trägt jetzt eine Brille. Auch so ein Trick. Im Mojo Club stehen Stuhlreihen, und wir sitzen in der ersten Reihe. Schuhgröße 48 oder so. Zwischen Songs wischt er mit diesen Schuhen manchmal über den Boden, als würde er Glut austreten da unten. Sehr weit unten. Zwei brillante Gitarristen: Jeff Fielder aus Seattle, den Lanegan durch Isobel Campbell traf (auf "Imitations" ist Fielder zusammen mit Mark Johnson auf 10 der 12 Stücke zu hören), und Duke Garwood, der als special guest zuvor ein Solo-Set spielte, unfaßbar brillant und bad-ass. Zuweilen steuert Garwood auch eine Art Saxofon-drone bei. Vor Garwood war noch der Belgier Frederic Lyenn Jacques aufgetreten, bei Lanegans Set am Bass, auch schon 2012 in Lanegans Tourband. Veredelt wird der Abend noch durch zwei Streicher, die gelegentlich zu dezenter Percussion wechseln: Jonas Pap am Cello und Sietse van Gorkom, Violinist von Lady Dandelion. 

"The Cherry Tree Carol" von Lanegans "Dark Mark Does Christmas 2012"-EP, dann "One Way Street", dann "The Gravedigger's Song" und "Phantasmagoria Blues" von "Blues Funeral".
"I have given to you Jane / A torn and tattered love / But do you hear the tolling bells / That ring down from above / I thought I'd rule like Charlemagne / But I've become corrupt / Now I crawl the promenade / To fill my empty cup". Wie die Dinge so gehen, immer dem Drachenschwanz nach: das Album Phantasmagoria von The Damned gab dem Song seinen Namen: "That's a favourite record of mine." Von mir zufällig auch. Das Mädchen auf dem Cover von Phantasmagoria ist heute übrigens Missus Nick. Susie Bick, verheiratet mit Nick Cave. Da wir beim Herzerwärmenden sind, man höre, was Lanegan über den großen, großen, großen John Cale sagt (dessen "I'm Not The Loving Kind" er auf "Imitations" covert): 

"He's been one of my heroes since I was a kid. I love all his records and all his different directions. If there's anyone if I sort of used their career as a guidepost, it would be him because he just does exactly what he wants. It's always interesting. It's always great. He's probably my favorite artist of all time." 

Es folgen fünf Songs aus dem Schwarzen Nachtisch, den Lanegan vor einigen Monaten mit Duke Garwood servierte - "War Memorial", "Mescalito", "Cold Molly", "Driver" und "Pentacostal". Magische Intensität, die einen doch sehr ehrfürchtigen Enthusiasmus auslöst. Falls Sie es nicht wußten: enthousiasmós heißt des Gottes voll.

Dann die "Imitations", die keine sind: "Pretty Colors", "Mack The Knife", "You Only Live Twice" ("the grandeur and drama of the Bond theme replaced by a delicate weariness") und das herzzerreißende "Solitaire", der Neil Sedaka-Song, den auch Andy Williams sang; alles, was jemals cheesy war an diesem Song, ist verflogen, Austreibung der Dämonen schließlich auch eine Spezialität von Lanegans Stimme.

Aus dem Nichts dann "Satellite Of Love", ohne Ankündigung, wozu auch, wer nicht weiß, daß dies ein Song von Lou Reed und ein Salut an ihn ist, der wird auch alles andere nicht wissen, nie. Yours Truly ist den Tränen nah.

Erst recht, als wir mit "One Hundred Days" -> mein Heiligstes betreten. 

"There is no morphine, I'm only sleeping / There is no crime to dreams like this". Wer nicht auf die Knie sinkt, wenn der große, große, große Chris Goss bei Lanegan auf diesem Refrain landet, well, ich werde nicht verraten, in welche altpersische Hölle das führt. "Mirrored" und "On Jesus' Program", für die Zugabe steht Lanegan nur mit Fielder auf der Bühne - ein furioses "Halo Of Ashes".

Keine Ahnung, wie Lanegan durch die Menge an den Merch-Stand gekommen ist. Vermutlich auf übernatürliche Weise. Jedenfalls sitzt er irgendwann da und schreibt seinen rätselhaften Schriftzug auf irdische Produkte.

"Hello!" sage ich.
"Hey man!" sagt er, einer der "most intimidating dudes in rock'n'roll". 
"Wonderful, thank you!" sage ich.
"Pleasure!" sagt er.
And shakes my hand, -> a second time. 


"Und, wie war es?", fragte die Mama im Kindergarten mich heute, aber sie meinte Nick Cave. Ich erzählte ihr, daß ich gestern Mark Lanegan die Hand gegeben habe. Frieda, her 7 year old girl, fragte, ob das Glück bringt. Ich sagte, ja, bestimmt. Frieda und ich gaben uns die Hand, und ich sagte, "Jetzt geht das Glück durch meine Hand in deine Hand." Sie sagte: "Aber dann hast du kein Glück mehr!" Ich sagte: "Ich geb dir mein Glück."

I'll find some more, irgendwo auf des Messers Schneide.







Today's Best Song Ever:







It comes to line the road with scarlet flowers
Creatures begin to stir in a rush
Through summer days that last a thousand hours
'Til nighttime drops down in a hush

A choir brightly sing
Shine like an heirloom ring

Within the tomb that has the light interred
In time will she release her prisoner
No sound at all the cold is swallowing
The rise and fall of some black hooded thing

A solitary bird
Hides beneath its wing

'Til ivy paints the wall with green again
And all God's creatures start to crawl
From when the harvest moon is vanishing
A lonely crow begins to call

A solitary sun
Sleeps above it all

















(erstveröffentlicht / first published: 11/2013)





Sonntag, 24. Mai 2020

Lockdown Postcard #3













ANIMALS STRIKE CURIOUS POSES / THEY FEEL THE HEAT, THE HEAT BETWEEN ME AND YOU. Was für ein Bild. Eine der phantastischsten Zeilen von Prince und eine meiner liebsten. Jemand, der es wissen muß, sagte mal, als "When Doves Cry" erschienen war, mußten alle anderen zurück in den Proberaum und ganz von vorn anfangen, weil Prince das Vokabular komplett verändert hatte. "Once you heard that song, everything you did was outdated." WHY DO WE SCREAM AT EACH OTHER. HOW CAN YOU JUST LEAVE ME STANDING ALONE IN A WORLD THAT'S SO COLD. Haunting. 
Kristin Scott Thomas, eine der Besten, hatte noch 2003, auf Anfrage von BBC Radio 4, "Girls And Boys" aus "Under The Cherry Moon" unter ihren 8 Desert Island Discs. In einem Video so scheißcool auf dem Teppich reinkommen, 5 bad-ass-Töne auf dem Saxofon blasen und scheißcool weitergehen, das darf man auch nur bei Prince. Ich war auch immer ein großer Fan der Armbewegungen von Susannah Melvoin.






Absolutely hell yes, Sometimes It Snows In April, how can you not love this, ich weiß es doch auch nicht. Nothing compares 2 him. Nach "The Gold Experience" verlor ich den Faden, aber Riff/Groove/Beat/Twang/Sleaze/Scheiß von "Endorphinmachine" trugen mich 100 Jahre.







Kenne Szenen aus "Sliding Doors", weil Sie im Adventskalender. Gut, daß Sie mich erinnern, I remember I found it intriguing. Tausend Dank für Bebilderung aus The Hollywood Bowl. Jeordie kann ReevespetergabrielRICKYGERVAVISGABRELS schlecht in den 90ern mit The Cure gesehen haben, aber mein Gott, Zeit. Einstein. Bergson. "Quarantäne mit Kunst" pretty good. Ja, Geduldsfäden reißen. Gerade hatten wir "Kunst systemrelevant" gerufen, da erschien ENDLICH der erste Artikel [ -> hier, im Stern], der sich fragt, was zur Hölle los ist mit einer Welt, die Kunst und Kultur für verzichtbar hält.

"Was ist eigentlich, wenn nächstes Jahr ein neues Virus mutiert?" You name it & auch mein Gedanke, als der Shutdown uns stillegte. Wir können nicht jedes Mal, wenn so ein Virus auftaucht, den ganzen Planeten herunterfahren. Viren sind flexible Fucker, das nächste kommt bestimmt, und das nächste, und das nächste. Wenn aber das nächste gekommen ist und das nächste und das nächste, dann sind die, die jetzt aufhören wollen, die Schwächsten zu schützen, ihrerseits alt. Werden die dann hochherzig den Platz räumen? Alles, was Sie sagen, ist richtig, und erforderte Dringliches. Natürlich haben Sie auch damit recht, man fragt die Alten gar nicht, und wenn jemand sein Beatmungsgerät einem Jüngeren zur Verfügung stellt und dann verstirbt wie dieser italienische Priester, dann kann man nur schweigen. Es ist nur, daß ich denke, alle Überlegungen müssen von der Wertschätzung jedes einzelnen ausgehen. Ich versuche auch, mir zu sagen, wir müssen nachsichtig mit uns sein, wir können nicht alles sofort richtig entscheiden. Wir werden auch lernen, was alles falsch war. Then again, wie Sie sagen, so viele andere brennende Themen ignoriert, so viel Essentielles derart an den Rand gedrängt, daß man sich fragt, wem das wohl gerade recht kommt. Manchmal denkt man, es ist ein gigantischer alchemistischer Prozeß, alles wird umgeschmolzen, es wird nie wieder so sein wie vorher. Und manchmal denkt man, pfft, daß gerade unser kollektives Hirn neu kalibriert wird, kann man doch seiner Oma erzählen. Am Telefon wenigstens. In den dunklen Monaten April und Mai.






Nicht ganz so dunkel wird der Mai, weil so um den 8. "Straight Songs Of Sorrow" von Mark Lanegan erscheinen soll. "Skeleton Key" und "Bleed All Over" waren schon mal episch. Der Mann weiß einfach nicht mehr, wie man unterhalb von "göttlich" arbeitet. Songs, denen man anhören wird, wie durchs Schreiben an seiner Autobiographie die Büchse der Pandora wieder aufging.






Hätte gern diesen Film gesehen mit Kristen Stewart als Jean Seberg. Miss Stewart war mir bislang herzlich egal, aber auf den Plakaten sah sie intriguing aus als Jean Seberg, die ich schon immer faszinierend fand, und der Film ist dann einfach abgesoffen. Alle Konzerte, für die wir Tickets hatten, jetzt auf 2021 verschoben. 2021 wird die größte Party seit Princes 1999. Well, maybe not. Aber "Lockdown is over" wären magische Worte.

Lockdown Track # 13. NOW IT'S OVER, BYE BYE. IT'S OVER, BYE BYE. IT'S OVER, BYE BYE. YEAH, YOU MADE IT, JUST BY THE SKIN OF YOUR TEETH. PERFECTION IS OVER (THE RAVE IS OVER). SHEFFIELD IS OVER. THE FEAR IS OVER. GUILT IS OVER (PLEASE LEAVE THE BUILDING QUIETLY). SOUL IS OVER. BERGERAC IS OVER. THE HANGOVER IS OVER. MEN ARE OVER. WOMEN ARE OVER. CHOLESTEROL IS OVER. TAPERS ARE OVER. THE BREAKDOWN IS OVER. IRONY IS OVER. BYE BYE.




















So, hier sind wir nun, eigentlich schon nach dem Lockdown, aber unter dem Rettungsschirm, hinter den Masken. Verschwörungstheorien alle gehört und gelesen? Gut, dann wieder vergessen. "Wahnsinn". Das sagte mein Vater oft an seinen letzten Tagen. Glücklicherweise regt sich doch noch Protest. Menschen können und wollen nicht mehr alles glauben, alles mitmachen. Ob es hilft? Heute gab es eine verstörende Sendung im Öffentlich-Rechtlichen, letzte Versuche, uns noch ein wenig Angst einzuprügeln. Eine Dame war dabei, die vernunftsbezogene Wünsche an die Zukunft hatte, dass man doch mit der gleichen Vernunft und Sorgfalt die Klimarettung angehen könnte und müsste. Sie meinte vermutlich den Gehorsam und die Angst. Aber es käme das Gleiche heraus. Schön wäre es.

In den Krankenhäusern ist man noch nicht wieder in der Normalität zurück. Station geschlossen, vermutlich bis Ende September. Oder bis Herr Spahn den Rettungsschirm vorzeitig schließt. Auf der Warteliste Patienten, die es zuhause nicht mehr aushalten. Egal.









Sind Sie auch noch da? Wie gut, dass es Musik gibt. Mark Lanegan, neu. Einstürzende Neubauten, neu. Live auch verschoben. Karten hat die Mademoiselle. Freut sich. Kennt schon wieder fast alles auswendig, die ganze Berlin-Abrechnung Herrn Bargelds. :)

"Alles auf einmal, alle auf einmal". Zusammenfassung der letzten Woche, die auf eine vollkommen ungewisse Zeit folgte. Ungewissheit ist schlimm, zermürbend. Dann innerhalb einer Woche Umzug planen und durchführen, gleichzeitig eine andere Baustelle einrichten. Fragen Sie lieber nicht. Freitag um 16 Uhr Licht aus und abschließen, vermutlich bis Oktober. Komisches Gefühl. Sind auf der Privatstation einquartiert. Kann hier leider nicht zu sehr ins Detail gehen, wir nennen es einfach Kuriositätenkabinett. Welten treffen aufeinander. Naja.








Ich kann gar nicht sagen, dass ich so sehr mit den Neubauten mitschwinge, aber ich erliege der Fülle dieses Menschen Bargeld. Der Präsenz, wie es so schön heißt. :) Deep. :) Ich neige zur Albernheit, seit Überforderung übermannte. Wie gut, dass man in Britannien NIE den Humor verliert.








Walliams und Lucas haben alles selbst gebastelt. Behaupten sie. :) Stephen Fry gab einen Lord, chatting with His Royal Highness. Hilarious! "Thought Germans were meant to be punctual." Die ersten drei Minuten bitte:








Well, by the way, in England hält der Lockdown noch an. Wir könnten uns aber auch ab sofort Postkarten von unter dem Rettungsschirm schreiben. Oder Spahns noSparcards. Ganz wie Sie wünschen. Habe vermutlich einen Slow Down Summer vor mir.
Tbc...














Habe starke Indizien dafür, daß ich noch da bin. Letzten Telekom-Spot called "Ihr macht das Beste aus dem Besten Netz" allerdings nur durch 1 Meter 50 Abstand zu mir selbst knapp überlebt. Bilder leerer Innenstädte, spontan gestellte Interaktionen von Menschen im Lockdown, pseudonachdenkliche Stimme "Um so wichtiger, daß wir genau jetzt Wege finden, um uns miteinander zu verbinden und miteinander verbunden zu bleiben. Blick nach vorn." Und dann ein Stück ultrarepräsentativer deutscher Popmusik, in der anschwiemelnden Diktion völliger Talentlosigkeit und versuppter Einfallslosigkeit, die hierzulande als Coolness gilt. Mußte nachforschen, wer das ist. Das also ist Max Herre. "Blick nach vorn". Macht mich aggressiv, dieser Max Herre. Ernstlich aggressiv. VOR DIE TÜR ODER WAS. :)

"3, 2, 1... snap... you're back in the room!" :) Verschwörungstheorien zur Kenntnis genommen und auf SPON eine hinzugefügt: "So, Xavier Naidoo hat Atlantis entdeckt, na und, ich habe entdeckt, daß Tsunamis von den Rülpsern gigantischer Oktopusse verursacht werden." Eine der Schwierigkeiten bei vernunftsbezogenen Wünschen für die Zukunft ist ja, daß sich auch Un- oder Gegenvernunft immer als Vernunft ausgeben. Viele glauben, Corona als Alibi nutzen zu können, um auf die Agenda zu setzen, was schon lange ihr Plan war, einige möchten einen fließenden Übergang von Lockdown zu Prohibition. Was urplötzlich möglich ist, erstaunt die Akteure vermutlich selbst. Der Regenwald wird in Corona-Zeiten in noch dramatischerem Tempo zerstört, u.a. weil Polizei, Ranger und Nichtregierungsorganisationen weniger kontrollieren können. Gleichzeitig kann eine Großstadt wie Brüssel gerade die Innenstadt in Nullkommanichts als autofrei anvisieren und in revolutionärer Geschwindigkeit Radwege bauen.

Ich fahre ja schon immer Fahrrad statt Auto, und wir reisen schon immer mit dem Zug und nicht mit dem Flugzeug, blöde Strategie, falls es Prämien gibt für Umstieg. :) Station geschlossen for summer? Unbelievable. Aber wirklich kaum glaublich, daß es so kommt. Slowdown Summer Special? Yes, gladly, so oder so.

"Wahnsinn." Dieses eine Wort, das Ihr Vater an seinen letzen Tagen nur noch hatte für eine immer überwältigendere Ungläubigkeit, für den Wahnsinn der Welt, und für den Wahnsinn, sie verlassen zu müssen. 

Mein Vater sagte zuletzt immer, ganz römisch: in was für Zeiten leben wir. Das Runde muß wieder ins Eckige, mit zigtausend Pappkameraden auf der Tribüne fühlt man sich nicht so allein, sagte einer, aber wenn es Sexpuppen sind, wird der Verein bestraft. Nun ja, es sind eben auch Zeiten freudloser Political Correctness, was ja auch Lisa Eckhart zu spüren bekam. Ja, sicher, sie ist Antisemitin. Sie glaubt auch wirklich selbst, daß die Erektion des schwarzen Glieds alle 7 Liter Blut braucht, über die ein Mensch verfügt.
Was für Zeiten, in denen Mißversteher aus so offensichtlichen Gründen das Offensichtliche mißachten. Lisa Eckhart greift all das auf, was jeder halbwegs intelligente Mensch als Un- bis Schwachsinn erkennen muß, und überspitzt es ins komplett Absurde. Aber es war klar, daß eine Frau, die mit ihrem Aussehen so provoziert und so schamlos ihren Esprit verspritzt, irgendwann nicht mehr ungestraft davonkommt.

So, kennt schon wieder alles auswendig, die Mademoiselle, und hat Tickets. Makelloses Vorgehen. :) Wir sahen die Einstürzenden Neubauten im Mai 2000 auf Kampnagel, es war höchste Zeit, da schon "1/2 Mensch" Aljoscha begleitete. 3 Thoughts & some of my favourites: -> here 

"Alles in Allem", ich meine, also bitte: "Unter der Grenze hängt ein Lichtfraß / Hinten trägt er ein zweites Gesicht." Gibt es nicht auch einen deutschen Literaturnobelpreis? Spiegel-Artikel meinte: "Man sieht ihn meist ernst schauend". Ich meinte: ja, natürlich. Schön schon auch, wenn man dann Zeuge wird, wie er sich auf der Bühne als Bad Seed quasi nicht mehr einkriegt, weil Nick Cave bei "The Singer" statt "I pass a million houses" mal "I pass a million trousers" sang. In Interviews kann und darf er das Wort ergreifen wie der legitime Nachfolger Goethes, schön schon auch, wie der Geheimrat grummelnd leidet am brutalen Unverständnis, wenn es gerade wieder penetriert. Der trickreiche Schattenspieler operiert mit beiden Händen zwei Marionetten: Gut und Nicht so gut. Ich meine, also bitte.

Walliams, Lucas und die Props hilarious. Favorit: "I've got through hundreds of boxes of tissues!" - "Oh you cried, Sebastian?" - "Yeah... that too...". "Herauszusimplifizieren", brillante Wortschöpfung von Herrn Nuhr. 13 Ellen sind 17 Otzen und 64 Gaschunken?

Derzeit unverzichtbar: Johnny Depp und Jeff Beck covern "Isolation" von John Lennon. Jeff Beck, Sie wissen schon, hier in "Blow-Up", Michelangelo Antonioni 1966, mit David Hemmings und Vanessa Redgrave, und mit den Yardbirds in der kurzen Phase, in der Jeff Beck und Jimmy Page in der Band Gitarre spielten.










Daß Johnny Depp ganz großartig singen kann, weiß man ja seit Sweeney Todd und den Hollywood Vampires. I DON'T EXPECT YOU TO UNDERSTAND / AFTER YOU'VE CAUSED SO MUCH PAIN / BUT THEN AGAIN YOU'RE NOT TO BLAME / YOU'RE JUST A HUMAN, A VICTIM OF THE INSANE. Zugleich an "Mit dem Virus kam der Wahnsinn" und an Amber Heard gerichtet, nehme ich an. Und die Gitarre, damn. Jeff Beck ist 75.











Dieser Mann wird heute 79. Ich entdeckte ihn mit 19, jetzt bin ich 119. Knochenhart und furchterregend groß, und das phantastische Cover, dieser Schatten, ich meine, also bitte, das ist doch?











Josh Homme sieht müde aus und traurig. Brody und er lassen sich scheiden. Sein Blick auf das, was bleibt, scheint ein anderer. But really, was ist so verdammt komisch.











"Straight Songs Of Sorrow" ist eine Stunde Verdammnis, Tod und Seelenrettung, mit John Paul Jones von Led Zeppelin am Mellotron auf "Ballad Of A Dying Rover" (Lanegan: "When you get John Paul Jones to play on something you wrote, you can basically retire after that."). In den 90ern hat Lanegan einige Konzerte für Johnny Cash eröffnet.

"Aber das Johnny Cash-Angebot konnte ich nicht absagen, weil er der Lieblingssänger meines Vaters war. Er hat mich nie auf der Bühne gesehen, weil er 40 Jahre in Alaska gelebt hat. Von dort kommt man nicht so gut weg. Ich habe dann für den Auftritt eine Band aus ein paar Freunden zusammengestellt. Irgendwann am Abend bemerkte ich Johnny Cash, wie er an der Seite der Bühne stand. Dort blieb er die ganze Zeit und als wir fertig waren, schüttelte er mir die Hand und machte mir ein Kompliment für meinen Gesang. Ein paar Jahre später traf ich ihn in Los Angeles, wo er die zweite 'American Recordings' mit Rick Rubin und all diesen Leuten aufnahm. Ich war zufällig zu der Zeit auch in diesem Studio. Beim Vorbeischauen fragte er mich, ob ich ein wenig Zeit hätte, er wolle mir etwas zeigen. Später nahm er mich dann in seinem Auto mit und irgendwann sitzen wir bei ihm zuhause und er machte uns Sandwiches."

Auf "This Game Of Love" klingen Lanegan und Herzensdame Shelley Brien, als hätten sie die ganze Nacht "If I Were A Carpenter" gehört, und als hätte Johnny Cash nochmal Sandwiches gemacht.