Aljoscha dachte, die Winter gehen nicht rückwärts. Und dann dachte er an nichts mehr."
Lockruf des Goldes
Fernsehfilm in vier Teilen von 1975
Regie: Wolfgang Staudte w/ Serge Nicolaescu
4. Teil: „Vierauge“
Christine Kaufmann als Labiskwee
Tagebuch 31.12.1990
... der 4. Teil von "Lockruf des Goldes" mit Christine Kaufmann als Labiskwee – diese Musik von Hans Posegga, die wehmütige Trompete – Labiskwee, den Fluß hinab treibend... wie viel daran hängt, Gott, wie viel.
26.09.2010
Christian Erdmann:
Der große Emmerich Schäffer, wo ist er heute!?
Mugridge in "Der Seewolf" und Joe Hines in "Lockruf des Goldes", ganz groß sein "Du bist ein Dieb! Ein Dieb, ein Dieb!"-Cabin Fever-Anfall, als er meint, Elam Harnish klaut ihm den Zucker. :)
"Lockruf des Goldes" und "Die Schatzinsel" habe ich mittlerweile als DVD, dieses Jahr ist der "Seewolf" dran, mittlerweile ist klar, das ist nicht primär Nostalgie, die Vierteiler bis Mitte der Siebziger sind zeitlos gut, mit soviel Verve und Einsatz gemacht, kleinere Ungeschicklichkeiten verzeiht man da längst, gehören integral zum Reiz. Von wegen "Einsatz", erinnert jemand zufällig die Szene aus "Lockruf des Goldes", in der Elam Harnish, wiewohl mit einem Seil gesichert, von diesem über eine Schlucht gelegten Baumstamm fällt? Rüdiger Bahr ist da tatsächlich abgestürzt, sie haben die Szene drin gelassen, so lief das damals.
Jetzt aber Tür 4: unerschrocken bleiben, Kulturschock. Das Boot der Labiskwee, wenn Sie sich erinnern? "Immer sah er diesem Boot nach, das mit grauenhafter Langsamkeit, wie in einem Traum, das schöne Mädchen in der Ewigkeit verschwinden ließ." Im Adventskalender vor 2 Jahren schrieb ich Ihnen schon von diesen ZDF-Weihnachtsvierteilern, Die Schatzinsel, Lederstrumpf, Der Seewolf, Lockruf des Goldes. Wir spielten die nach, und weiter, in unserer Straße, als wir Kinder waren, todernste Rollenspiele bis zum Ende des Winters. Einmal kam der spätere Pjotr zu Besuch und baute in einem der vielen Gebüsche, die zum Stammesgebiet gehörten, mit ungekannter Virtuosität ein Indianerzelt, indem er geduldig Zweige krümmte und verflocht, ohne einen einzigen zu brechen. Unvergeßlich. Unnötig zu sagen, daß ich Chingachgook faszinierender fand als Lederstrumpf. Der, der die Stille sah.
Später dann, als "Lockruf des Goldes" einmal wiederholt wurde, war mir zwar schon klar, daß dieser Vierteiler vergleichsweise clumsy in der Erzählweise ist, but I got nothing but fond affections even for that; "Nun halten Sie doch endlich mal die Schnauze, ich hau jetzt hier Löcher" z.B. gehört noch immer zum Standardrepertoire im Alltagsdiskurs. Teil 4, "Vierauge", kann ich praktisch auswendig. Jede Bewegung von Christine Kaufmann so unbeschreiblich vertraut, daß eine ganz bestimmte gar im Roman auftauchte. "Die Frau machte eine sonderbare Bewegung mit dem Kopf, ein nicht ausgesprochenes Wort betonend."
Mitte der 90er fand ich den Soundtrack als CD, und die Musik von Hans Posegga zu der Szene mit dem flußabwärts treibenden Boot beschwört mir noch immer meine ganze Wehmut und Sehnsucht herauf, die Labiskwee mir damals in die Seele setzte.
Die Titelmelodie mit der Trompete von Georg Rötzer, über diesem dramatischen, unerbittlichen Rhythmus, in dem das ewige Sichweiterschleppen im Schnee anklingt, diese 100-Meilen-vor-dir-Weite, jedes Melodiestück dabei mit Doppelecho in die Unendlichkeit verlängert: ganz groß.
Fand zudem immer, daß das Stück "Home Is Far From Here" von Crime & The City Solution in der ersten Minute seltsamerweise auch erstmal eine Labiskwee den Fluß hinuntertreiben läßt.
Catherine:
Aber das ist ja wunderschön! Habe jetzt nur die ersten Minuten vom Lockruf gesehen und einige Szenen mit Christine Kaufmann, als erstes aufgefallen: die Synchronstimme vom main man. Die ist so vertraut aus so vielen Sendungen. Die ganze Geschichte wirkt so angenehm von Anfang an, dass ich wünschte, ich könnte ein paar Tage mit einer simplen, doch ausreichend schweren Sinusitis oder ähnlichem das Bett hüten müssen dürfen, um ganz zu schauen. Hach, das wär was. Dazu noch den ersten Schnee vorm Fenster und die schon früher erwähnten fliegenden Tiere über laublosen Bäumen.
Ausreichend schwere Sinusitis, nun machen Sie mal keine Sachen, bin aber entzückt, daß Sie so wohlwollend reagieren! Überhaupt die Stimmen, mit denen man aufgewachsen ist, nicht wahr? Vermitteln immer noch so ein Zuhause-Gefühl bei Filmen. Der Erzähler hier ist Claus Biederstaedt. Als ich klein war, verwechselte meine Maman immer Claus Biederstaedt und Erik Schumann. Und als sie mit mir mal im Tierpark war, spazierte einer der beiden auch da herum, bzw. folgte uns, bzw. ihr, und sie erklärte mir, das sei ein bekannter Schauspieler. Biederstaedt. Oder Schumann. :)
Rüdiger Bahr spricht Rüdiger Bahr, oh well, den meisten wohl bekannt als deutsche Stimme von Al Bundy. "Lockruf des Goldes" bekam damals keine guten Kritiken, Bahr mußte immer den dummen Vergleich mit "Seewolf" Raimund Harmstorf aushalten, die Art der Bearbeitung mißfiel, der Erzähler erzähle zuviel. Die Off-Stimme wirkt ja nun auch manchmal antiquiert, aber zur Hölle damit, ich finde, das ist eines dieser Werke, die gerade mit ihren inneren Katastrophen absolute Meisterwerke sind.
Wehmut is the key. Then, now. Wehmut ist eine Freundin Aljoschas, like a person, sie schlingt ihre Arme um ihn. Und: "Darum war Wehmut wie eine Silberschlange. Wegen eines wehmütigen 5jährigen Jungen." She was always there, in a positive way, and I want to know more about her. Sie hat mir immer geholfen, mich im Bedeutenden zu halten. Labiskwee, Lockruf des Goldes - same thing.
Aus einem Brief , 2013
Die andere Seite von "abberufen" ist "entsandt".
Aljoscha denkt an Labiskwee in einem Moment, in dem er fürchtet, daß er SIE verloren hat in diesem Ritual - die Passage geht ja weiter mit: "Er beschloß, mit der nächsten Metro heimzufahren. Erst da nahm er es wahr, das grüne Leuchten IHRES Mantels." SIE ist da, war immer da, in a way… in anderen Gestalten. Labiskwee war eine dieser Wehmütigmachenden, denen Aljoscha deep inside immer näher war als dem, was ihn umgab - bis die Eine erschien, die all das in sich vereinte, diese Sehnsucht nach dem Ganz Anderen, das er vor Leda nicht in Worte fassen kann… oder will.
Oliver Kellner, Ulf Marek: Seewolf & Co, Berlin 1999, 134:
"Die Dreharbeiten in Rumänien begannen im Oktober 1974 und sollten acht Monate andauern. Die beeindruckenden Aufnahmen entstanden an verschiedenen Plätzen in den Karpaten, dort vor allem im Retezat-Gebirge, aber auch bei Hirsova [Hârsova] an der Donau (Rumänien), 75 Kilometer nordwestlich von Constanza. In den Karpaten entstanden auch die Aufnahmen vom unbeschreiblichen Zug über den Chilkoot-Paß, der haargenau den Ereignissen aus dem Jahre 1898, als das Goldfieber in Alaska den Menschen den Verstand raubte, nachgestellt wurde."
Rüdiger Bahr war schon vier Wochen vor Drehbeginn in Rumänien, um zusammen mit Serge Nicolaescu, dem rumänischen Co-Regisseur, in den Bergen herumzuklettern und Drehorte auszusuchen.
"Sie müssen sich vorstellen, daß diese Chilcoot-Paß-Szene hoch oben in den Bergen gedreht wurde. Um dort hinaufzugelangen, gab es keine andere Möglichkeit, als Hubschrauber einzusetzen oder aber die Leute mit der Gondel nach oben zu befördern. Nun handelte es sich aber nicht um einige wenige Personen, sondern um beinahe 10.000 Statisten. Die mußten alle mit dieser Gondel, die nur 12-14 Personen fasste, tagelang nach oben geschafft werden, so daß dort ganz realistisch ein Zeltlager entstand. So wurde diese unglaubliche Menge an Statisten mit Hunden und Material nach oben geschafft - wer einmal oben war, blieb dort. Wir hatten das Glück, daß wir abends hinunter und morgens wieder hinaufgebracht wurden. Die anderen lebten da oben in den Zelten - das war Wahnsinn. Bei eisiger Kälte haben sie sich Lagerfeuer gemacht, wirklich so, wie es sich in Alaska abgespielt haben muß. Heutzutage kann man sich das gar nicht mehr vorstellen." (Rüdiger Bahr, ebd., 140 ff.)
Marc Hairapetian im Gespräch mit Rüdiger Bahr am 30. Juli 2017 im Berliner Hollywood Media Hotel für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM:
Hairapetian: Die Musik von Hans Posegga, die mit ihrem synthetischen, stapfenden Rhythmus die Goldsucher symbolisiert, während das von Georg Rötzer gespielte Trompetensolo mit Echoeffekt den "Lockruf" intoniert, zieht einen auf hypnotische Weise ins abenteuerliche Geschehen. Kann man bei aller formalen Qualität, die den Mehrteiler auszeichnete, sagen, dass man als Schauspieler bei dieser Produktion auch an seine körperlichen Grenzen ging?
Rüdiger Bahr: Absolut! Ich war damals genauso verrückt wie Nicolaescu. Der hat dem Kameramann die Kamera weggerissen und die gefährlichen Sachen selbst gedreht. Ich habe, blöd wie ich damals gewesen bin, die ganzen Stunts wie das Balancieren über die Schlucht auch ohne Double gemacht. Dabei war es gar nicht nötig. Wir hatten hervorragende Stuntmen. Die rumänischen Kaskadeure galten damals als die besten der Welt. Doch ich hatte diesen merkwürdigen Ehrgeiz. - Noch ein Satz zum Soundtrack von Posegga: Der war natürlich fantastisch. Fast noch besser als beim "Seewolf". Mit minimalen Mitteln erreichte er maximale Wirkung!
Hairapetian: Besonders berührend ist die letzte Episode "Vierauge", bei der Elam und die von der im letzten Jahr verstorbenen Christine Kaufmann gespielte weiße Häuptlingstochter Labiskwee vor ihrem aufgebrachten Vater fliehen und sich auf eine an körperlichen wie seelischen Torturen reiche Irrfahrt begeben, die alles in den Schatten stellt, was Elam bisher ertragen hat.
Rüdiger Bahr: Es war aber auch bei den Dreharbeiten eine Art "struggle of life". Sie müssen sich vorstellen: Wir waren in Rumänien zur Zeit von Nicolae Ceausescu. Wir konnten uns nicht einfach waschen, wenn wir vorher im Dreck lagen, weil die Duschen im Hotel nicht funktionierten. Wir mussten zu irgendeiner Kaserne fahren, wo sich Soldaten befanden, und duschten uns dort. Oder Sie bestellten eine Flasche Wasser und da schwammen Fliegen drin - in der geschlossenen Flasche! Solche Dinge passierten ununterbrochen. Wir drehten ja nur selten im Studio Bukarest. Fast alles spielte draußen - in der Wildnis des geografischen Dreiecks Schwarzmeer-Karpaten-Eisernes-Tor. Durch diese Umstände konnte sich keiner ein Stargehabe leisten. Es ging darum: Kriege ich etwas zu essen? Wie weit müssen wir noch laufen? Außerdem war Christine ein Vollprofi. Das sind immer die, die am leichtesten zu handlen sind. Sie sind schwierig im Privatleben, aber in der Arbeit perfekt.
In diesem Jahr mußte man, also ich, gleich um drei Damen trauern, die zu gewissen Zeiten meines jungen Lebens unbeschreiblichen Eindruck auf mich machten. Christine Kaufmann, Karin Dor - und Christine Keeler. Yes. Verstand noch nichts, aber daß Schönheit Weltreiche zu Fall bringt, verstand ich.
"Ugliness hates beauty" sagt Kirk Douglas als Major Steve Garrett in "Town Without Pity" / "Stadt ohne Mitleid" von 1961. Ein Satz, der erstaunlich viel erklärt, aus einem Film, in dem die 16jährige Christine Kaufmann Karin Steinhof spielt, Opfer eines gang rape durch US-Soldaten - eine zutiefst berührende, bewegende Darstellung. Auf imdb heißt es in einer Rezension gar: "This is undoubtedly Kirk Douglas' finest performance (…) But rookie actress Christine Kaufmann completely steals the show in what must have been a very difficult performance. She deserved an Oscar, not just a second-rate Golden Globe."
Barbara Rütting: The ugly made a fine case against the beautiful today, didn't they?
Kirk Douglas: They generally do.
Der Titelsong von Gene Pitney - When these little minds tear you in two:
Eine Version des Films auf YT, für starke Nerven: Town Without Pity, 1961
Facebook 28.05.2021
Christian Erdmann:
Für ihre Darstellung der Karin in "Town Without Pity" / "Stadt ohne Mitleid" (1961) bekam Christine Kaufmann den Golden Globe als beste Nachwuchsschauspielerin. Der Film ist deprimierend, absolut scheußlich, aber großartig. Zugleich hoffnungslos dated und traurig aktuell. Kirk Douglas in Hochform und Robert Blake irgendwo auf seinem seltsamen Weg zwischen den Kleinen Strolchen und dem Mystery Man in "Lost Highway".
Monika Cate:
Kann mich noch gut an "Stadt ohne Mitleid" erinnern, ich war 14 als ich ihn sah und er hat mich tagelang beschäftigt.
Christian Erdmann:
Das kann ich mir vorstellen! Painful to watch. Wirklich beeindruckende Performance von Kirk Douglas, der von Sympathie und Mitleid für das Mädchen erfüllt ist und sie dann doch vor Gericht brutal in Stücke reißt und im Grunde nochmals vergewaltigt. Nicht wenige seiner Fans haben Douglas offenbar den Film sehr übelgenommen. – Sollte klar sein, daß ich sehr verschossen war in Christine Kaufmann nach dem ZDF-Vierteiler. Und es irgendwie auch immer blieb, aber leider wird selten gewürdigt, daß sie als Schauspielerin wirklich bemerkenswerte Dinge tat, sometimes.
Bewegend auch, wie Kirk Douglas mit seinen 100 Jahren noch von zärtlicher Erinnerung an sie erfüllt war und wie bestürzt er reagierte, als er hörte, daß sie dem Tod nah war.
29.05.2021
Monika Cate:
Ja, ist mir schon seit Spiegel Forum Zeiten klar, dass du verschossen warst in Christine Kaufmann! Und sehr verständlich. ❤️ Leider hab ich den "Lockruf des Goldes" Vierteiler nie gesehen.
Christian Erdmann:
Kam damals nach dem Smash Hit "Der Seewolf" nicht so gut weg bei der Kritik, mir egal. Die halbe Stunde ihrer Flucht ist im Grunde das, was mich nicht mehr losließ, seit ich 16 war. Beide, Christine Kaufmann und Rüdiger Bahr, haben enorme Strapazen auf sich genommen, Dreharbeiten unter harschen Bedingungen in Rumänien, Rüdiger Bahr fällt tatsächlich selbst von Baumstamm in einer dieser Szenen am Anfang.
03.06.2021
Monika Cate:
Hatte heute Abend Zeit und Lust und bin noch ganz erschöpft von den Strapazen, welche die beiden durchlebten...und kann mir lebhaft vorstellen, warum diese 30 Minuten solch einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben! Ihre hoffnungslose Reise in eine imaginäre Welt, die in diesem Boot endet, einfach ins Unendliche verschwindend. Danke dir ❤️
Christian Erdmann:
Oh! Wie schön, daß Du es Dir angesehen hast. Meine Liebe zu diesem Teil 4 ist natürlich pure Idiosynkrasie, hochnotpersönliches Verfallensein, etwas daran hat die adoleszente Faszination einfach überdauert… ich hab ja im Roman angedeutet, was. :) Ja, das beschreibst Du traurig schön, "ihre hoffnungslose Reise in eine imaginäre Welt". – Objektiv betrachtet sicher voller *flaws*, dieser Vierteiler, aber ich mag diesen altmodischen Stil, mit der Erzählerstimme etc. Und die Musik von Hans Posegga ist phantastisch.