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Donnerstag, 9. Juli 2020

Barbey d'Aurevilly













SPIEGEL ONLINE Forum

"Literatur – Was lohnt es noch, zu lesen?"

08/2010



BerSie:
Schon einen Roman von Jim Thompson gelesen? :) 



Noch nicht, lese gerade die "Diabolischen Geschichten" von Jules A. Barbey d'Aurevilly. Allzu diabolisch wirken sie nicht mehr, fasziniert "von dem Ungeheuerlichen an ihnen" frönt Barbey der Faszination an mysteriösen Frauenfiguren - die hoheitsvolle Teilnahmslosigkeit eines Mädchens namens Albertine in der Geschichte "Der rote Vorhang", umschlagend in die "unglaubwürdige Kaltblütigkeit" und "gelassene Selbstbeherrschung beim Tun des Ungeheuren" ... oder Hauteclaire Stassin, Tochter des "Aufspießers", die in Erscheinung tritt, als sie vor dem berühmten Käfig im Jardin des Plantes eine Pantherin mit ihrem Handschuh reizt: "Aha!" flüsterte der Doktor mir ins Ohr. "Pantherin wider Pantherin!"

Barbey selbst bleibt auch mysteriös, ständig scheint er verborgenen Beweggründen nachzuspüren, aber man weiß nie, ob er sie eigentlich gefunden hat. Am Ende bleibt, wie so oft, Bewunderung für und Genuß an der Sprache und ihren Möglichkeiten, Barbey hat Sprachkünstler wie Proust und Henry James zu beeindrucken und zu inspirieren gewußt.

Manchmal bizarr, immer interessant. Seine Essays und Aphorismensammlungen haben offenbar einen etwas dubiosen Ruf begründet, der in D durch die Veröffentlichungen bei Matthes & Seitz ggf. Korrekturen erfahren darf - Fundstück:

"Von dieser Sammlung von Aphorismen geht etwas Bezwingendes aus: Man liest, hält inne. Betrachtet Ideen wie kostbare Bilder, darin eröffnen sich neue Welten, glasklar. Es gelang ihm vortrefflich, die Menschen zu schockieren, nur eines blieb ihm, zum Glück, verwehrt: 'Das schönste Schicksal: Genie haben und unbekannt sein.'" (Susanne Mayer, Zeit, 3. April 2008)

Bei Matthes & Seitz finden sich zwei Aussagen zu Barbey:

"Seine Bizarrerien waren nie gemein. Er war exzentrisch und hatte doch ein ausgeglichenes Naturell. (...) Barbey d'Aurevillys Stil hat mich stets verblüfft. Er ist ungestüm, feinsinnig und brutal. (...) Er betonte bei jeder Gelegenheit seinen Glauben, bekannte ihn aber am liebsten durch Lästerung." (Anatol France in seinem Nachruf)

"Die ambivalente Poetik des Jules Barbey d'Aurevilly besteht aus der skeptischen Ferne zum politischen Menschen einerseits und der fiebrigen Neugier auf Abgründe des kreatürlichen und spirituellen Menschen andererseits. Aber gerade in diesem zweiten Punkt liegt die ungeheure Modernität Barbeys." (Neue Zürcher Zeitung, November 2008)

Aber ich nähere mich "A Hell Of A Woman" an, versprochen. :)






d'extraits admirables




Das Wachen eines menschlichen Wesens - und sei es auch nur ein Wachtposten -, wenn alle andern Lebewesen in jene Betäubung versunken sind, wie sie der erschöpften Kreatur eigen ist, hat stets etwas Ehrfurchtgebietendes. Aber daß man nicht weiß, warum irgend jemand hinter den geschlossenen Vorhängen eines Fensters wacht, wo die Lampe von Leben und Denken kündet, gesellt zu der Poesie des Traumes die Poesie der Wirklichkeit. Ich jedenfalls habe niemals in einer Stadt, durch die ich fuhr, ein zur Nachtzeit erleuchtetes Fenster sehen können, ohne an diesen Lichtrahmen eine ganze Welt von Gedanken zu heften, ohne zu meinen, hinter jenen Vorhängen geschähen Liebkosungen und Tragödien...


Der Mund öffnete sich ein wenig... doch die schwarzen, die unergründlich schwarzen Augen, deren lange Wimpern fast an die meinen rührten, schlossen sich keineswegs, sie zuckten nicht einmal; aber in ihrer Tiefe, wie über Albertes Mund, sah ich den Wahnsinn huschen!


Ich begriff das Glück derer, die sich verbergen. Ich begriff den Genuß eines Geheimnisses zu zweit, das, auch wenn keinerlei Hoffnung auf Gelingen besteht, unverbesserliche Verschworene schafft.


"Ah! Ich bin Ihnen nicht deutlich genug?" fragte Ravila mit einem Anflug von Spott. "Ja, sie war brünett, das heißt: ihr Haar war schwarzbraun bis tiefschwarz wie spiegelndes Ebenholz: nie wieder habe ich dergleichen sich wollüstig über einem Frauenkopf wölben sehen; doch ihre Gesichtsfarbe war die einer Blonden - und es kommt auf die Gesichtsfarbe und nicht auf die des Haares an, wenn man entscheiden will, ob eine Frau dunkel oder blond sei", fügte der große Beobachter hinzu, der die Frauen nicht nur studiert hatte, um ihre Bildnisse zu entwerfen. - "Sie war eine Blonde mit schwarzem Haar."


"Sie war wie eine Löwin unbekannter Gattung, die da meint, Klauen zu haben, und die, wenn sie sie brauchen will, erkennt, daß sie nichts als unbewaffnete Samtpfötchen hat. Sie versuchte mit Samt zu kratzen."


Was ihre Augen betrifft, so konnte ich sie nicht beurteilen, da sie starr auf die Pantherin gerichtet waren, auf die dadurch zweifellos ein magnetischer und ihr unangenehmer Einfluß ausgeübt wurde; denn obwohl sie an sich schon reglos dalag, schien sie noch desto tiefer in starre Unbeweglichkeit zu versinken, je länger die Frau, die hergekommen war, um sie sich anzuschauen, sie anstarrte; und - wie alle Katzen angesichts eines sie blendenden Lichtes - ließ die Pantherin, ohne den Kopf auch nur um Haaresbreite zu bewegen, ohne daß die feinen Spitzen ihrer Schnurrhaare auch nur gebebt hätten, nachdem sie eine Zeitlang geblinzelt hatte, langsam die beiden grünen Augensterne hinter den Kulissen der Lider verschwinden. Das Tier schloß sich ab gegen alles.


"Aha!" flüsterte der Doktor mir ins Ohr. "Pantherin wider Pantherin! Aber die Seide ist stärker als der Samt!"


Und er hatte richtig gesehen, der Doktor! Schwarz, geschmeidig, von ebenso starkem Gliederbau, ebenso königlicher Haltung; die Dame, die Unbekannte, war in ihrer Art genauso schön und von einem noch beunruhigenderen Zauber erfüllt, sie war eine menschliche Pantherin, die vor der tierischen Pantherin stand und ihr überlegen war; und das hatte das Tier sicherlich gespürt, als es die Augen schloß. Aber die Frau begnügte sich nicht mit diesem Triumph, sofern es einer war. Es fehlte ihr an Edelmut. Sie wollte, daß die Rivalin sehe, wer sie demütigte, und daß sie die Augen wieder öffne, um es zu sehen. Daher nestelte sie stumm das Dutzend Knöpfe ihres violetten Handschuhs auf, der ihren herrlichen Unterarm voll zur Geltung brachte, steckte waghalsig die Hand zwischen zwei Käfigstäben hindurch und schlug mit dem Handschuh die Pantherin auf das Maul, die nur eine einzige Bewegung machte... aber was für eine Bewegung! ... und zuschnappte, blitzschnell! ... Ein Aufschrei gellte aus der Gruppe: wir alle hatten nichts anders gemeint, als daß die Hand verloren sei: aber nur der Handschuh war es. Die Pantherin hatte ihn verschlungen.


Ich hatte bereits gemerkt, daß glückliche Menschen ernst zu sein pflegen.


Die Liebe beherrschte alles, erfüllte alles, tötete alles in ihnen, das Moralgefühl und das Gewissen - wie ihr es nennt; und wenn ich sie mir ansah, diese beiden Glücklichen, dann begriff ich den Ernst im Scherzwort meines alten Freundes Broussais, wenn er vom Gewissen behauptete: 'Seit dreißig Jahren stehe ich am Seziertisch, und nicht einmal das Ohr dieses Tierchens habe ich entdeckt'.


"Ach!" entgegnete Doktor Torty. "Sie meinen, da sei die Fehlstelle, die Rache des Schicksals, und das, was Sie die göttliche Vergeltung oder Gerechtigkeit nennen? Nein, sie haben niemals Kinder gehabt. Erinnern Sie sich? Einmal war mir eingefallen, daß sie nie welche haben würden. Sie lieben sich zu leidenschaftlich ... Das Feuer, das verzehrt und vernichtet, bringt nichts hervor."


An einem Abend des vergangenen Sommers war ich bei der Baronin de Mascranny, einer jener Pariserinnen, die den Geist, wie er früher gepflegt wurde, über alles schätzen und dem wenigen, was heutzutage noch davon übrig ist, beide Flügel - einer würde genügen - ihrer Salontür öffnen. Hat sich der Geist nicht unlängst in eine anspruchsvolle Bestie verwandelt, die den Namen "Intelligenz" führt?


Von Romanen sprechen bedeutet dasselbe, als erzähle jedermann aus seinem eigenen Leben.


Was man nicht weiß, verstärkt den Eindruck dessen, was man weiß, um vieles.


"Ich bin überzeugt, daß für gewisse Seelen im Betrügen Genuß liegt. Es liegt eine furchtbare, aber berauschende Glückseligkeit in dem Gedanken, daß man lügt und betrügt; in dem Gedanken, daß einzig man selbst um sich weiß und daß man der Gesellschaft eine Komödie vorspielt, durch die sie genarrt wird und deren Inszenierungskosten man durch alle Wollüste der Verachtung wieder hereinholt."


"Wenn die Worte 'teuflisch' oder 'göttlich' zur Bezeichnung der Intensität der Genüsse gebraucht werden, so drücken sie das gleiche aus, nämlich Empfindungen, die ans Übernatürliche grenzen."


"Das eben ist die Phantastik des Wirklichen", sagte ernst der Arzt.


Sie glichen jener Neapolitanerin, die zu sagen pflegte, ihr Sorbet sei zwar gut, aber er würde ihr noch besser schmecken, wenn sein Genuß eine Sünde wäre.


Ganz allgemein kann man sagen, daß alle Herrenessen, bei denen nicht der harmonische Geist einer Hausherrin den Vorsitz führt, bei denen nicht der beschwichtigende Einfluß einer ihre Anmut verschwendenden Frau sich wie ein Zauberstab auf die plumpen Eitelkeiten, die herausgeschrienen Ansprüche, den blutigen und blöden Zorn auswirkt, wozu sich selbst Leute von Geist hinreißen lassen, wenn Männer unter sich bei Tisch sitzen - daß fast alle Herrenessen eine schreckliche Ansammlung von Persönlichkeiten sind, und dazu neigen, auszugehen wie das Gelage der Lapithen und Kentauren, an dem wahrscheinlich ebenfalls keine Frau teilgenommen hat. Der Egoismus, der "nicht zu verbannende" Egoismus, den unter liebenswürdigen Formen zu verhüllen die Kunst der Gesellschaft ausmacht, stemmt nur zu bald die Ellbogen auf den Tisch und wartet darauf, sie einem über kurz oder lang in die Rippen zu stoßen.


... und selbst am Rande des offenen Grabes sind sie stets bereit, ihre Schnauzen in den Fraß der Selbstgefälligkeit zu stecken!


In wahrhaft starken Persönlichkeiten lebt etwas, und sei es auch nur ein Atom, das sich der Umwelt entzieht und ihrem allmächtigen Wirken Widerstand leistet.


Sicherlich hatte eben jener Teufel in einem Wahnsinnsanfall auch Rosalba geschaffen [...] Rosalba war genauso schamhaft, wie sie wollüstig war, und das Sonderbare ist, daß sie beides gleichzeitig war.


Man wurde ihrer nicht überdrüssig. In das Gefühl, das seine Grenzen hat, wie die Philosophen in ihrem infamen Kauderwelsch sagen, brachte sie das Unbegrenzte, das Unendliche! Nein, wenn ich von ihr gegangen bin, so ist es aus einer Art moralischen Ekels heraus geschehen, aus Stolz, was mich, aus Verachtung, was sie betrifft, sie, die mich auf dem Höhepunkt ihrer wahnwitzigsten Liebesbezeigungen nie dahin gebracht hat, zu glauben, daß sie mich liebe...


Sahen diese Atheisten endlich ein, daß, wenn die Kirche einzig dazu da wäre, Herzen zu empfangen - tote oder lebendige -, mit denen man nichts mehr anzufangen wüßte: daß das bereits etwas hinlänglich Schönes wäre?


Die übersteigerte Zivilisation beraubt das Verbrechen seiner erschreckenden Romantik und gestattet dem Schriftsteller nicht, sie ihm wieder zu verleihen. Das wäre zu gräßlich, sagen die Seelen, die alles, selbst das Grauenhafte, verniedlichen wollen.


Tressignies, der der Meinung war, sie werde in die Rue de la Chausée-d'Antin einbiegen, die im Glanze ihrer tausend Gaslampen strahlte, gewahrte zu seiner Überraschung, daß dieser gespreizt einherschreitende Kurtisanenluxus, diese schamlose Hoffart einer von sich selbst und ihren Seidenkleidern berauschten Dirne, sich in die Rue Basse-du-Rempart verlor, die damals der Schandfleck des Boulevards war!


Und Mesnilgrand schnippte ein Stück Orangenschale auf das Sims, gerade über den Kopf des Volksrepräsentanten Le Carpentier hinweg, der den des Königs hatte abschlagen lassen.


Sie war so radikal wie nur möglich verschwunden.













(erstveröffentlicht / first published 27.06.2011)

Fotos und Bearbeitung C.E.