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Samstag, 2. April 2016

Schleswig Erdmann



















SPIEGEL ONLINE Forum "CDs der Woche - und Ihre Favoriten?"

Juni 2008 




Mit den Red Hot Chili Peppers allerdings kannst Du mich jagen, Navarro war da auch todunglücklich. Public Image Ltd. waren gut mit Jah Wobble, dann mit "Flowers Of Romance" und dann nochmal mit dem Album genannt "Album", mit einer der seltsamsten Musikerbrigaden ever, Steve Vai, Ginger Baker, Ryuichi Sakamoto, Bill Laswell.











Kuechenchef: 
Zitat von Aljoscha der Idiot
Public Image Ltd. waren gut mit Jah Wobble, dann mit "Flowers Of Romance" und dann nochmal mit dem Album genannt "Album" ...

Oh, ich mag PIL aber auch für "The Order Of Death" aus "This Is What You Want... This Is What You Get". Auf dem Album damals kaum wahrgenommen, und dann hat sich der Song 6 Jahre später im Abspann von M.A.R.K. 13 regelrecht in mein Hirn gefressen.










Ah, ja, genau, verstreut gab es noch einiges, "The Order Of Death", "Seattle" von "Happy?" hat ein Ehrenplätzchen, aber schon auch aus PIL-externen Gründen, dann war da das seltsame "Live"-Album "Paris au Printemps", wo überhaupt keine Zuschauer zu hören waren, zwischendrin Lydon aber mal zischte "I'll walk off this fucking stage if you keep spitting", und ich besaß auch mal eine Single, A-Seite weiß ich nicht mehr, die B-Seite hieß "Question Mark", eine Art Rumba-Riff, das von Kid Creole & The Coconuts hätte geklaut sein können, endlos auf einem verzerrten Synthesizer wiederholt, dazu laute elektronische Schepperdrums and Lydons stetige Aufforderung "Remember that!", als ob Bowie und Eno zu "Heroes"-Zeiten erstmal die Maschinen anwerfen und dann die Reglerknöpfe abbrechen.











easystreets:
Den Navarro find ich allerdings gruselig eitel.











Ich mag ihn. Hatte mit "Trust No One" schon alles richtig gemacht, auch in .o Selbstanalyse. Gott, der Mann hat meine Initialen auf die Brust tätowiert.
























easystreets:
Man darf die Fassade nicht fürs Innere verwechseln. Daher mag ich ihn letztlich auch. Das One Hot Minute-Album ist zwar ein Bruch im pepperschen Sound, aber ein guter. Es spricht ja für ihn, dass er das Album so mitgestaltet hat. Navarro ist eher ein kontrollierter Spieler. So insgesamt gesehen sind das - wie bei Manson auch, oder auch Osbourne, oder Kiss, oder, oder - Phantasie-Karrieren. An sich ja ein Phänomen, dass so etwas möglich ist. Im rauhen deutsch-europäischen Alltag undenkbar so eine Biographie oder Lebenseinrichtung. Stell Dir vor, Navarro würde nach Hamburg, Berlin, Köln oder München ziehen. Er würde eingehen wie eine Wespe in der Mikrowelle - und das Bild einmal bewußt gewählt. Das ist insgesamt das Trügerische bei der amerikanischen medialen Sozialisierung, dass sie ja kaum hinüberzuretten ist in ein Erwachsenenleben - und laß das mit 25 beginnen.










Halb halb. So sehr einem the US of A in jeder Hinsicht auf den Geist gehen können, es kultiviert sich ja dort noch eine Art "strangeness", die hier im Konformitätsdschungel längst exorziert wäre - wenn Du das meintest, geb ich Dir recht. "Phantasiekarriere" ist daher nicht das rechte Wort, finde ich - die leben das ja durch. Die "strangeness" kann zwar jederzeit umkippen dorthin, wo "Texas Chainsaw Massacre" fast als Doku durchgeht, aber es lebt sich halt anders, wenn ein paar Kilometer hinter New Orleans der Sumpf beginnt. Ob du Presley heißt oder Jeordie White, du kannst dir einen "spiritual advisor" zu Hause halten, wenn du Lust hast. - Fängt ja schon mit den Namen an. "Tennessee Williams" klingt einfach besser als "Schleswig Erdmann". :)

Navarro selbst - bei der letzten Jane's Addiction Tour zählte ich die Schweißperlchen rund ums CE - ist ein freundlicher und wahrscheinlich schüchterner kleiner Junge. Ist Dir als SPON-Generalastrologen noch nicht aufgefallen, daß es am 7.6. gleich mehrere Musikalgenies gibt, die a) recht klein sind und b) gern den Oberkörper freihalten? Neben Navarro noch Prince. Fast fragt man sich: wie groß war Paul Gauguin und was machte er eigentlich so?










easystreets:
Zitat von Aljoscha der Idiot
Halb halb. [...] Fängt ja schon mit den Namen an. "Tennessee Williams" klingt einfach besser als "Schleswig Erdmann". :)

Sag ich doch: Meister der Sätze. Bleiben mir fast nur die Schrotschüsse (Mit meinem Nachnamen und einem "Preussen" davor könnt ich mich bei einer Militärkapelle bewerben.) Bei den Amis gibt es für Autos (von dem was ich weiß) keinen TÜV! Für Kinder-Namensgebungen kaum bis keine Regelungen - Du kannst Dein Kind auch Glattrohrkanone, April Joy oder Beautiful Snow nennen.

Zitat von Aljoscha der Idiot
Navarro selbst - bei der letzten Jane's Addiction Tour zählte ich die Schweißperlchen rund ums CE - ist ein freundlicher und wahrscheinlich schüchterner kleiner Junge.  

Manson auch. Würde ich mich fragen, ob es zwischen dem Hauptcharakter und dem Alter Ego eigentlich einen Ausgleich gibt, oder ob es schlicht der Stilisierung bedarf, um in seiner Traum- und Phantasiewelt bleiben zu können und "hinüberzuretten", und um "nichts von dem zu verlieren, das mir was bedeutet"?










dj1204: 
Zitat von Aljoscha der Idiot 
"Tennessee Williams" klingt einfach besser als "Schleswig Erdmann". :)

Das sehe ich jetzt wiederum ganz anders. "Schleswig Erdmann" klingt tausendmal geheimnisvoller und mystischer als "Tennessee Williams" - vielleicht sollte man unter dem Namen mal eine Musikerkarriere versuchen? Deutsche Namen können an sich wesentlich klangvoller und schöner daherkommen als englische. Meine Favoriten sind immer noch Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder, das sind doch noch mal Namen! Also, germanistische Minderwertigkeitsgefühle ausschalten und sich einen Namen wie Wackenroder oder auch Clemens Brentano auf der Zunge zergehen lassen, Herr Erdmann.










Es lag ein grinsendes Cheshirekätzchen hinter meinem Satz. :) Aber wenig zu rütteln gibt's an der, wie Cassirer sagen würde, symbolischen Prägnanz, mit der sich gerade die Amis ihr Musik-Englisch aufladen können, das haben wir so nicht, nimm einfach nur mal den Term Mystery Train. Liegt an vielen Dingen, von der Wucht der Sprache der King James-Bibel (Luther ist einfach labberig dagegen) über den ganzen metaphorisch imprägnierten Duktus der Schwarzen bis hin zum Phänomen, daß dort ein Ausdruck für Sex zu dem Wort für Musik werden konnte. Einzelne Worte (- rollin' -) rollen mit einem freight train an Bezugsebenen an, und sie rollen auch ganz anders durch einen Text. Da hat easystreets schon recht – die Kraft der Evokation ist immens. Oder das Wort trash – auf Deutsch würden die Raveonettes bei Oskar in der Sesamstraßentonne steckenbleiben, keine symbolische Prägnanz. :)













easystreets: 
Zitat von Aljoscha der Idiot
Halb halb. So sehr einem the US of A in jeder Hinsicht auf den Geist gehen können, es kultiviert sich ja dort noch eine Art "strangeness", die hier im Konformitätsdschungel längst exorziert wäre - wenn Du das meintest, geb ich Dir recht. "Phantasiekarriere" ist daher nicht das rechte Wort, finde ich - die leben das ja durch.

Du hast das Thema schon intuitiv erfaßt. Ich tue mich mit Wertungen schwer, daher bin ich immer gerne überrascht, dass Du überhaupt Worte findest. Die US of A sind zu 90% der Konformitätsdschungel schlechthin. Europa ist das Vielreiche, nicht notwendigerweise die USA - oder sagen wir 'eben anders'. Die Phantasiekarrieren (Neverland von Michael Jackson mal genommen) sind schon welche, Plastikwelten nämlich. Aber so spricht der Preuße, der mit Backstein mauert. Die USA sind spirituell. Das machen die Natives, die sogenannten Indianer, auf deren Boden sich die Weißen angesiedelt haben, und es machen auch die Schwarzen aus mother of all countries, Afrika. Der Voodoo kommt aus dem Reich der Spiritualität. Nun, europäische Länder sind auch spirituell, ich würde sagen und sofern sie eine Mythologie haben. Die mythologische Spiritualität unterscheidet sich von der gelebten als die jenseitigere und in sich geschlossenere hingegen. 

Die können die Karrieren "durchleben", weil sie keine Gefahr fürs öffentliche Wohl darstellen und sich nicht einordnen müssen in eine ohnehin nicht vorhandene Struktur. Schockrocker wie Manson bringen zwar gerne die Fassade der amerikanischen Lebenseinrichtung ins Wanken, der Angriff wiederum nicht mehr meint, als auf die Angst hinzuweisen vor den verborgenen Welten, "den dunklen Voodoo-Energien" - mit denen allein sich nunmal nur weder Auto noch Brücke noch Haus noch Flugzeug bauen lassen. (Ich habe mich wahrscheinlich jetzt ins Sumpfland begeben und die Krokos werden sich auf mich stürzen). Ein großartiger Film, der mit "der anderen Seite" spielt und der den Auftakt für die Mystery-Serien gab, war seinerzeit Twin Peaks. Die Strangeness, von der Du sprichst, ist im Grunde der Raum, in der sich die Informationen mischen, wie bei einer Mischbatterie kaltes & warmes Wasser. In dem Raum entsteht auch der Humor (eines Landes), der, übersetzt, auch Mischung heißt.