Wenn, als du 10 warst, die große Schwester deines besten Freundes eines dieser Single-Sammelalben voller
Elvis-Platten hatte, war das eher von Übel, denn dieses Mädchen schwärmte auch
für Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich. Wenn ein paar Jahre später David
Bowie sagt, "Schöner Gigolo, armer Gigolo" war "meine 32
Elvis-Filme in einem", wirft auch das erst einmal einen Schatten. Aber du
und ich (Roy und Anita) stimmen ein: schön ist es, auf der Welt zu sein und
ständig die eigenen Vorurteile über den Haufen zu werfen.
Denn schon passiert
Folgendes: deine damalige Lieblingsband The Clash übernimmt für ihr epochales
"London Calling"-Album das Design des Elvis Presley-Debuts, und ihr
"Brand New Cadillac" öffnet schon mal das Tor zu dem Raum, in dem du
irgendwann feststellst, daß Gene Vincent nicht zu Unrecht ein Held Joe Strummers
war: man könnte meinen, auf "Git It" singe nicht Gene Vincent,
sondern Strummer. Und wenig später ist genau dieser Raum voll mit akustischen
(wie optischen) Aphrodisiaka, aufregendem Trash und einem Gitarrensound, den
eine Frau namens Poison Ivy Rorschach auf einer 1958er Gretsch und auf
Pfennigabsätzen produziert, während Herr Interior "Aloha From Hell"
hechelt... auf "A Date With Elvis" (The Cramps, 1986). Spätestens da
fällt nicht nur der Groschen: unzählige Koryphäen hatten irgendwann im Leben
ihr Date with Elvis, ihr Aha-Erlebnis. John Cale, "Heartbreak Hotel". Nick Cave, "In The Ghetto". Es scheint,
als hätten sehr viele sehr gute Musiker aus den Elvis-Songs die Untertöne
herausgehört und in einem alchemistischen Prozeß ihre Quintessenz destilliert,
nicht zuletzt Josh Homme von den Queens of the Stone Age – über den QOTSA-Song
"Little Sister":
"And I like the amalgam of imagery that it puts forward, that throwing a
little pebble at the girl's windows late at night, you know, trying to creep in
the back door, you know. And I also love the Elvis song Little Sister because I like the sort of sexual twist that's put on
by Little sister don't you do what your
big sister done."
Elvis' toter Zwillingsbruder, die Apokalypse (à la
John Lee Hooker) und The Second Coming Of Christ in Nick Caves
"Tupelo":
Looka yonder! Looka yonder! Looka yonder! A big black cloud come! A big black cloud come! Yeah come to Tupelo. Come to Tupelo. Yonder on the horizon Yonder on the horizon Stopped at the mighty river Stopped at the mighty river Sucked the damn thing dry Sucked the damn thing dry Tupelo, o Tupelo In a valley hides a town called Tupelo Well distant thunder rumble. Distant thunder rumble. Rumble hungry like the beast The beast it cometh, cometh down The beast it cometh, cometh down The beast it cometh, cometh down Wo wo wo-o-o Tupelo bound. Tupelo. Yeah Tupelo The beast it cometh, Tupelo bound! Why the hen won’t lay no egg Can’t get that cock to crow The nag is spooked and crazy O God help Tupelo! O God help Tupelo! Ya can say these streets are rivers Ya can call these rivers streets Ya can tell ya self ya dreaming buddy But no sleep runs this deep No, no sleep runs this deep No, no sleep runs this deep Women at their window Rain crashing on the pane Writing in the frost Tupelo’s shame. Tupelo’s shame. O God help Tupelo! O God help Tupelo! O go to sleep little children The sandman’s on his way O go to sleep little children The sandman’s on his way But the little children know They listen to the beating of their blood Listen to the beating of their blood The sandman’s mud! The sandman’s mud! And the black rain come down The black rain come down The black rain come down Water water everywhere Where no bird can fly no fish can swim No bird can fly no fish can swim No fish can swim Until the king is born! Until the king is born! In Tupelo! TIL THE KING IS BORN IN TUPELO! In a clap-board shack with a roof of tin Where the rain crashed down and leaked within A young mother frozen on a concrete floor With a bottle and a box and a cradle of straw Tupelo! O Tupelo! With a bottle and a box and a cradle of straw Well Saturday gives what Sunday steals And a child is born on his brother’s heels Come Sunday morn the first-born dead In a shoebox tied with a ribbon of red Tupelo! Oh Tupelo! In a shoebox buried with a ribbon of red O mama rock your little one slow Mama rock your baby Mama rock your little one slow God help Tupelo! God help Tupelo! Mama rock your lil one slow The little one will walk on Tupelo The little one will walk on Tupelo Black rain come down, black rain come down Tupelo! Yeah Tupelo! The king will walk on Tupelo And carry the burden of Tupelo Tupelo! O Tupelo! The king will walk on Tupelo! Tupelo! O Tupelo! He carried the burden outa Tupelo! You will reap just what you sow
"Das Bild der Zwillingstürme ist
ein Gleichnis für die amerikanische Selbstüberschätzung. Sie hatten keine
geistig reflektierbare Substanz. Elvis hatte einen tot geborenen
Zwillingsbruder und hat diesen nie gesehen. Dieser hatte für ihn also auch
keine geistig reflektierbare Substanz. Das passte zusammen. Am Schluss führe
ich das Bild von der Prärie
in die Lyrics ein, das ebenfalls der amerikanischen Mythologie zuzurechnen ist.
Es handelt also eigentlich alles von der amerikanischen Mythologie."
Sagt der seinerseits
legendäre Scott Walker, der in "Jesse" auf "The Drift"
(2006) den jenseits von Gut und Böse einsamen Elvis Zwiesprache mit seinem toten
Zwillingsbruder halten läßt ("In times of loneliness and despair, Elvis
Presley would talk to his stillborn twin brother Jesse Garon Presley"),
die Twin Towers stürzen ein und The King konstatiert: "I'm the only one
left alive."
Wer weiß.
Für starke Nerven:
Es sind also gerade die Größten, die den Mythos weiterspinnen, und alle suchen immer noch die Nacht, durch die Elvis' Stimme hallt.
31.08.2007
Rainer Helmbrecht:
Wenn
ich die Lebensgeschichte von Einstein richtig im Gedächtnis habe, dann hätte er
sich von Marilyn Monroe angezogen gefühlt und da ist dann wieder die gemeinsame
Linie.
Christian Erdmann:
Es gibt einen Film von Nicolas Roeg ("Insignificance"),
der Einstein und Marilyn Monroe (sowie Joe DiMaggio und McCarthy) in einem New
Yorker Hotelzimmer zusammenführt. Sehr schönes, sehr bewegendes Portrait der
Monroe durch Theresa Russell, die einige wichtige Ergänzungen zur
Relativitätstheorie vorzubringen hat. Und wenn man da als männliches Genie der
Frau nicht zuhört, fällt man in den Brunnen, das ist seit Thales so.
Letztlich aber auch
eine Geschichte über die Einsamkeit, womit wir wieder bei Elvis wären. Wir
sind, wie Bataille sagt, diskontinuierliche Wesen, Individuen, für die,
getrennt voneinander, der andere an sich schon ein unbegreifliches Abenteuer
ist - und wir sind voller Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität. Roeg hat
das in einem anderen Film ("Der Mann, der vom Himmel fiel", mit David
Bowie) in, eben, einen Mann, der vom Himmel fiel, projiziert, aber wer von uns
fühlt sich nicht manchmal, als sei er gerade auf die Erde gefallen.
Elvis' Einsamkeit in seiner letzten Nacht hingegen sprengt das Vorstellbare. Bela B nennt ihn den "Jesus Christus der Musikgeschichte".
"Ich komme aus der Punkszene und hielt Elvis eigentlich eine ganze Weile für Spießerkram. Bis ich in Berlin Nick Cave hörte, der eine Coverversion von Elvis' 'In The Ghetto' aufgenommen hatte ..."
Nick Caves Version habe ich ja schon erwähnt, auch als Indiz dafür, wie es die Größten selbst sind, die den Mythos weitertragen. Es gibt also zwei Traditionslinien - diese, und den Elvis-Imitator von der Imbißbude.
01.09.2007 Meadow:
Was haben die ewig kreischenden Stones mit Elvis zu tun?
Christian Erdmann:
The
Gospel According to Keith, pt. 1468
"When
I heard Heartbreak Hotel, I knew what I wanted to do in life. It was as plain
as day. All I wanted to do in the world was to be able to play and sound like
that. Everyone else wanted to be Elvis, I wanted to be Scotty [Moore]."
Meadow:
Was wollen Sie mir mit dieser Antwort sagen? Nur weil die Stones mal über Elvis gesprochen haben, widerlegt das nicht, dass sie mit ihm nichts zu tun haben.
Christian Erdmann:
*seufz* ... Scotty Moore war Gitarrist für Elvis Presley. Meadow:
LOL :-) Bin ich Jesus, dass ich alles weiss? Christian Erdmann:
Das können nur Sie selbst entscheiden. :)
03.09.2007
Christian Erdmann:
Was Elvis
statt Las Vegas hätte tun können? Keine Ahnung. Als junger Sex God konnte er nicht mehr in Erscheinung treten, haufenweise
persönliche Probleme, ein Mann voll der inneren Leere, ausgesaugt von
Parasiten. Musik war das Vehikel für IHN. Und als ER anfing, sich äußerlich zu verändern, hinabzuschauen in ein Publikum, das
zunehmend blauhaarig wurde – was hätte er tun können? Losgehen und sagen:
entschuldigt mich für eine Weile, ich schreibe jetzt bedeutungsvolle Songs über
mein Leben? Warum nicht? Aber er war primär Interpret und Entertainer, und die
Lücke zwischen dem, worüber er sang, und dem, was er war, wurde immer größer.
Gwynplaine:
Hallo Christian
Das kommt darauf an, welches Material er gerade in den Fingern hatte. Wenn er
in späten Jahren "That's Allright, Mama" intonierte, dann sichtlich
ohne Vergnügen oder Inspiration; das war nicht mehr er. Auf der anderen Seite
machte er mit seiner Interpretation Tony Joe Whites Swamprock "Polk Salad
Annie" zum Klassiker. Das alte Rock'n'Roll-Zeug brachte er nur noch fürs
Publikum, das dieses erwartete. Trotzdem waren da noch genug substantielle und
inspirierte Songs, die einem "adult" Elvis und dem mit ihm gealterten
Publikum würdig waren. Wenn man mal recherchiert, was Elvis im Laufe seines
Lebens alles gesungen hat, kann man über diese Vielseitigkeit nur staunen.
Lebte er heute noch, er könnte Metallica singen, oder was weiß ich.
Elvis wurde verkannt, immer. Er wurde immer an dem gemessen, was er in den
50ern für ein paar Jahre mal war und das führt zu einer falschen
Erwartungshaltung - sicher: wenn ich selbst ehrlich bin, gehören die Sun
Sessions zu den Aufnahmen, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde.
Interessant in diesem Zusammenhang ist dies: Elvis, der "Rebell",
liebte Dean Martin, Sinatra, all das Popzeug, und bei seinen ersten Auditions
bei Sun sang er solche Sachen auch. Er liebte Gospel. Er war also im Grunde nie
der reine Rock'n'Roller, er war immer schon breit gefächert. Und wenn es nicht
immerzu geheißen hätte: King hier und Rock'n'Roll dort, hätte es ihm vielleicht
auch nichts ausgemacht, ein bißchen dicker zu sein. Wer weiß?
Für alle, die ihn in seiner Las Vegas Phase verschmähen: einfach mal das Kostüm
wegdenken und nur auf die Musik hören. Ach, dieser Personenkult ist ein Elend,
aber "that's the way it is", wie mit dem Mann, der Liberty Valance
erschoß, wir drucken die Legende.
Eine Platte fehlt jedenfalls in der Rock- und Popgeschichte: Elvis sings Dylan.
Einen Song gibt es da ja. Ich hätte da noch ein paar
Vorschläge für ein Phantomprojekt:
Tangled Up In Blue
I Believe In You
Precious Angel
My Back Pages
Queen Jane Approximately
It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry
Just Like A Woman
Noch jemand Vorschläge?
Christian Erdmann:
Hallo J,
really saying something! "Elvis
wurde verkannt, immer" würde ich hinzufügen: auch von sich selbst
womöglich. Irgendwas an seinem Selbstrespekt muß ihm jedenfalls irgendwann
verlustig gegangen sein. Aber ich verschmähe den Vegas-Elvis gar nicht, nicht
falsch verstehen; wo er was wie gemacht hat, ist mir eigentlich egal, am Ende
bleibt nur, was er wie gemacht hat – der Song, die Interpretation, die Stimme.
Ich füge Deiner Dylan-Songauswahl mal "Baby Stop Crying" von "Street Legal" hinzu, großartiges, unverständlich verschmähtes Dylan-Album, das man seltsamerweise ja auch sein "Vegas"-Album genannt hat, das aber hoffentlich noch wiederentdeckt wird.
Elvis' Dylan-Album endet spooky – mit "Not Dark
Yet" von "Time Out Of Mind"... It's not dark yet, but it's
getting there.
Dylan-Zitate für die off-topic-Seufzer:
"When I first heard Elvis' voice I just knew that I wasn't going to work for anybody; and nobody was going to be my boss... Hearing him for the first time was like busting out of jail."
"Elvis recorded a song of mine, that's the one recording I treasure most."
06.09.2007 IsArenas:
Zu
"meiner" Zeit (70er und 80er) galt Bill Haley als cool und Elvis als
Langeweiler.
Christian Erdmann:
Nana.
Wenn Sie The Cramps kennen, wissen Sie, daß das so nicht stimmt. Überdies
erschien Anfang der 90er, und zwar sehr Anfang der 90er, ein 2-CD-Tribute,
betitelt "The Last Temptation Of Elvis". Auf dem finden Sie unter
anderem Robert Plant, Bruce Springsteen, The Pogues, Ian Mc Culloch (von Echo
& The Bunnymen), The Jesus And Mary Chain, Lemmy (Motörhead), Steve Albini,
Aaron Neville, The Primitives, Les Negresses Vertes aus
Frankreich, sowie die gottgleichen Lux & Ivy (The Cramps) höchstdarselbst.
Sie sehen, in welchen Ecken Elvis nuff
respect genoß (was ja das Interview mit Bela B schon indizierte), während
Bill Haley da doch eher als altbacken galt. Haley hat einfach nicht diese
mythische Überhöhung, die nicht nur eine Frage der Geschichte ist: sie läuft,
wenn man genau hinhört, schon auf vielen Elvis-Songs quasi auf einer Tonspur
mit, als Echo aus der Zukunft.
09.09.2007
Christian Erdmann:
Zum Bill Haley / Elvis Presley-Streit...
Jesus ist ja immer noch Christus, weil er zu einem bestimmten Zeitpunkt
auftauchte, an dem er bestimmte Dinge tat, die in einer bestimmten historischen
Konstellation bedeutsam wurden... und dann gab es eine Menge Leute, die unter
sich verschiebenden historischen Bedingungen seine Botschaft weitertrugen. Zum
einen wird Elvis also deshalb immer "The King" bleiben, weil er zu
einem bestimmten Zeitpunkt auftauchte, an dem er bestimmte Dinge tat, die in
einer bestimmten historischen Konstellation bedeutsam wurden, und weil es dann
eine Menge Leute gab, die unter sich verschiebenden historischen Bedingungen
seine Botschaft weitertrugen. Weitere Parallele: das Ausbleiben der Parusie,
trotz aller Elvis-"Erscheinungen". :)
In welche Konstellation Elvis hineinbrach, verdeutlicht vielleicht das Zitat
der Rektorin einer Schule in London von 1956: "Ich muß mit einem Jungen
namens Elvis Presley reden, weil er in jedes Pult der Schule seinen Namen
geritzt hat."
Oder die Tatsache, daß selbst Scotty Moore 1954 Elvis nach einer ziemlich
schwülen Aufnahme von "Blue Moon Of Kentucky" einen Nigger nannte.
Oder das Zitat von Butch Hancock über Elvis' Auftritt in der Ed Sullivan Show
1956: "Das war der Tanz, den alle vergessen hatten. Dieser Tanz war so
stark, daß eine ganze Zivilisation nötig gewesen war, um ihn vergessen zu
machen; und es dauerte zehn Sekunden, ihn wieder ins Gedächtnis zu rufen."
In dieser ganzen Geschichte ist Bill Haley Johannes der Täufer... mehr nicht.
Ihm fehlte die Aura des Erlösers. Elvis war sexy auf eine – seinerzeit –
durchaus androgyne Art, die Art, wie er die Oberlippe auf einer Seite hochzog,
war gleichzeitig knuddelig und inszenierte doch den – erotisch – zu allem
fähigen Gesetzesbrecher. Einem Bill Haley
hätte keine Maria Magdalena die Füße gesalbt.
Das andere ist die Frage, was die Elvis-Songs tatsächlich heute noch,
musikalisch, zu bieten haben. Und da bleibt nun einmal in erster Linie seine
Stimme. Man kann bewundern, mit welcher ultracoolen Professionalität seine
Musiker ans Werk gehen oder welchen Drive
sie haben und wie sich dieser Drive erklärt, meinetwegen. Man muß sich aber
schon einer recht eigenartigen Resistenz befleißigen, um nicht anzuerkennen,
daß sich Screamin' Jay Hawkins nie wegen Bill Haleys Stimme an die Rezeption
eines schäbigen Hotels in Memphis gesetzt hätte, in Jarmuschs Film
"Mystery Train" - aus dem Radio hallt "Blue Moon" durch die
Nacht. Es ist aber auch letztlich genau die Musik, über die man Elvis wieder
aus dem oberflächlichlichen Ikonen-Status rausholen muß.
Muffin Man:
Zitat von Aljoscha der Idiot
In dieser ganzen Geschichte ist Bill Haley Johannes der Täufer...mehr
nicht. Ihm fehlte die Aura des Erlösers.
Es gibt Tage, an denen kann ich nur staunen, wie treffend Sie bestimmte Sachverhalte darzustellen vermögen! Chapeau!
Gwynplaine:
Oh Mann, "Blue Moon" ist so magisch, dass sich mir alle Haare
aufstellen, wenn ich nur daran denke!
Was Bill Haley betrifft: ich hörte die Band stets gerne, guter "Drive"
- aber keine Magie, keine Erotik, keine Suggestivkraft.
Christian Erdmann:
Unglaublich.
Ein Killer. Weiß nicht, wer den Song außer Billie Holiday noch vor Elvis
gesungen hat, aber was Presley daraus gemacht hat, ist überirdisch... oder
besser, anderweltlich. "Eerie", wie der Angloamerikaner sagt.
Wer danach nicht glaubt, daß die Südstaatengeister ganz leis die Saiten zupfen,
der glaubt's halt nie mehr. :)
Gwynplaine:
... wer dieses sanfte Vibrieren und geisterhafte
Schweben von Elvis' Stimme nicht wahrnimmt, muss gleichgültig oder taub sein.
Dieses Lied läßt Welten im Kopf entstehen. Der gute Jarmusch hat's gewußt. Für
mich einer der Kandidaten für die Insel.
26.07.2008 dj1204:
Hm
- ich dachte, hier geht's um Elvis? Bin aber auch neu hier im Thread. Na ja,
der beste bei den Stones war jedenfalls Mick Taylor...
Christian Erdmann:
Elvis hab
ich vor ca. 60 Seiten durch. :) Das Zusammenspiel von Taylor und Richards war
phantastisch, musikalisch klar die beste Zeit der Band, was soll man sagen. Zur
Zeit meiner Sozialisationsphase auf diesem Planeten waren sie mir halt näher
als die Beatles, womit nichts gegen die Beatles gesagt ist. "Die Beatles
mag ich nicht", da kann man ja gleich sagen "Musik mag ich
nicht", "Der Kosmos nervt" oder "Ich atme so ungern".
Peter-Freimann:
Ein ganz großartiger Kommentar, lieber Aljoscha, ja mit dieser
Einstellung lässt es sich leben in unserem Kosmos, atmen sogar!
Führe hier schon länger eine sorgfältige Punkteliste, Sie haben den Cramps Ihre
Reverenz erwiesen, sind hierzulande einer der ganz raren Popweisen, die die
unverwüstliche Songqualität von "Er ist wieder da" (Marion Maerz)
diagnostizieren können, nur meine spärlich bemessene Zeit verhindert es, hier
lobend Ihre ganze Verdienstliste einzubringen.
Mal sehen, wenn in der Popwelt wieder eine Reich-Ranicki-Stelle frei wird, ich
werde mich Ihrer Rezensionen bestimmt wohlwollend erinnern.
Christian Erdmann:
Erinnere
mich, daß Sie die Cramps schätzen, das wird uns über alle zukünftigen
Differenzen hinweghelfen, Idiotenehrenwort :), wer die liebt, kann keinen
geistigen Muggel-Ort bewohnen. Mit "A Date With Elvis" wären wir ja
auch wieder ganz hart am Thema, und ich muß gestehen, die Cramps haben mir den
Weg zu Elvis freigeschossen. Na dann, derzeitiger Elvis-Favorit: eine
Live-Version von "See See Rider" mit dem hysterischsten aller
Mädchenchöre.
loeweneule:
Elvis'
Version von "Fever" habe ich stets als sehr angenehm empfunden.
Sparsamste Begleitung; und das Ding swingt sehr schön.
Christian Erdmann:
Schön schwül. Der Song muß ja leicht krank klingen,
Elvis kriegt's hin.
Und: so wie David Lynch mal die unterschwellige
Perversion aus dem Song "Blue Velvet" herausgeholt hat, so sind die
Cramps die aus dem ganzen Elvis herausgeholte Perversion.
27.07.2008
Christian Erdmann: [Scott Walker - Jesse]
"I
read in an interview that those two guitar chords throughout the song are the
same opening chords as "Jailhouse Rock" by Elvis Presley, just
downtuned 8 steps or so and played on a baritone guitar. It makes sense, seeing
as the song is apparently supposed to be a conversation about 9/11 between
Elvis and his brother Jesse. That said, music never made me truly frightened
until this song."
Einer der Elvis-Momente ist ja sein rechter Arm hier bei seinem
"Comeback Special" 1968, während der Anzug von innen ziemlich heiß wird:
Mal sehen, ob ich auf den Knien in die Küche rutschen
kann.
28.07.2008 ramakushna:
Und
ich denke, er wird allgemein in seiner Relevanz überschätzt.
Christian Erdmann:
Überschätzt wird vielmehr die Relevanz von Äußerungen, nach denen Elvis in seiner Relevanz überschätzt wird. :) Irgendwann ist jeder der Großen mal bei Elvis gelandet, egal in welcher Ecke sie arbeiten, einer wie Josh Homme, der mit den Queens of the Stone Age schweren, zähen, hypnotischen, gewittrigen, furiosen und neuerdings auf "Era Vulgaris" auch schrägen, stacheligen, vertrackten, Glühbirnen kaputtschießenden Desert-Rock macht, oder ein torch singer vor dem Herrn wie Marc Almond. Im Booklet von "Fantastic Star" versammelt Almond seine Idole:
"Elvis, Bolan, Joe Meek, Thunders, Fury, Johnny Ray, Morrison, Dietrich,
Garland and De Sade."
Gemeinsamer Nenner: "We want sex to bleed into the music." (Josh Homme). Den
Sex-blutet-in-die-Musik-Kanal hat Elvis nun mal ziemlich weit geöffnet, da
gibt's nichts.
Auf ihrem vorerst letzten Elaborat "Fiends Of Dope Island"
erneuern The Cramps im Song "Elvis Fucking Christ" ihre Idee von der
Theodizee:
"Well, the devil gave us Elvis / Drugs, sex and rock'n'roll / Greenbacks,
fuzz and feedback / Demonseed and banshee hole." Ooh la LA. Extrapoliert
findet sich da jedenfalls der Gedanke, den ich gestern, am Gottruhetag, schon
andeutete: am Grund alles Bösen, aller Perversion, allen zwietrachtstiftenden
Aufruhrs gab der Teufel Elvis diesen schwülen, kranken (im spezifischen Sinne
von "sick"), perversen Unterton. Wer's nicht hört, für den muß Elvis
vermutlich ein Hype bleiben. Experten wie die Cramps werden indes schon wissen,
warum sie nicht "the devil gave us Jerry Lee" singen. Die Sache ist,
daß es völlig egal ist, was Elvis singt, seine Stimme klingt immer wie: voll
der wüstesten Phantasien. Da kann der Text noch so harmlos sein. Ist er aber
auch nicht immer. Josh Homme zufolge ist der Queens of the Stone Age-Song
"Little Sister" tatsächlich von "the sort of sexual twist"
in "Little Sister" von Elvis Presley inspiriert. Dann noch den einen
Mundwinkel leicht nach oben ziehen, und schon wirkt Elvis wie einer, der sich,
wie Robert Mitchum in "Night of the Hunter", mit seinem Gott auf das
geeinigt hat, was gut für ihn ist. Und auch für dich, girl. Reap all the wages
of sin, sagt diese Stimme. Und dann, der Todesstoß, hat diese Stimme dieses
fälschlich als "Schmachten" gedeutete Leiden an den Freuden der
Ausschweifung, und mißversteh das nicht, girl: sie will, diese Stimme, daß
genau du von diesem Leiden erlöst. Sie will, daß du ihr den Weg zeigst zwischen
bible belt und garter belt. Sie will eine laszive Heilige, diese Stimme, die am
Rande des Exzeß stöckelnde Unschuld, und du weißt, du machst das schon, girl.