Sergio Larrain, geboren am 5.11.1931 in Santiago de
Chile, gestorben am 7.2.2012. Aus wohlhabender Familie, arbeitet in einem Café,
um das Geld zusammenzubringen für seine erste gebrauchte Leica, die sein
Schicksal als Vagabund besiegelt. Ab 1954 als freier Fotograf unterwegs, Straßenszenen
aus Santiago, aus Andendörfern, oder aus Valparaiso, der Stadt, die er "die
schönste der Dichtungen" nennt. In den 1950ern reist er auch durch die
europäischen Metropolen und den mittleren Osten, 1958 bringt ihn ein Stipendium
nach Großbritannien, die Bilder, die dort entstehen, vor allem in London,
faszinieren Henri Cartier-Bresson, der Larrain nach Paris einlädt. Ab 1959
arbeitet Larrain zunächst assoziiert, seit 1961 als Mitglied für
Cartier-Bressons Agentur Magnum Photos.
Er fotografiert Reportagen über den Algerienkrieg oder, als Mission Impossible, über den von
Interpol gesuchten sizilianischen Mafiaboss Giuseppe Russo, dem Larrain
monatelang auf den Fersen ist, bis er ihn in Caltanissetta ausfindig macht. Der
zurückhaltende Larrain fühlt sich der journalistischen Auftragsarbeit jedoch fremd,
1963 geht er zurück nach Chile. 1966 erscheint ein Fotoband über das Haus von
Pablo Neruda, der Poet selbst schreibt den Text dafür. Von Neruda stammt auch
der Text für das Buchprojekt "Valparaiso", darin das surrealistisch
anmutende Foto der beiden Mädchen auf der Treppe in der Mittagssonne
("Bavestrello-Passage, Valparaiso, Chile, 1952").
Beeinflußt vom bolivianischen Mystiker Oscar Ichazo zieht sich Larrain in ein kontemplatives Leben zurück, studiert Religionen, Kalligraphie, Malerei, Yoga, Meditation, lebt ein zunehmend isoliertes Leben in den Bergen von Tulahuén im Norden Chiles. Er schreibt Briefe über den traurigen Zustand der Menschheit, in den 1980ern schickt er zuweilen Fotos von Objekten, vornehmlich aus seinem Haus, mit der Post an Freunde, hat die Fotografie aber aufgegeben wie Rimbaud die Poesie, desillusioniert von einer Welt, in der die Reinheit zerschellt; einer, der die Fotografie zu sehr liebte, um sie zur Karriere zu machen.
Larrain hat zu Lebzeiten nur vier Buchprojekte veröffentlicht, professionell kaum mehr als 10 Jahre gearbeitet, lehnte in späteren Jahren die Idee von Retrospektiven ab. "He was unique", sagt Agnès Sire, Directrice der Fondation Henri Cartier-Bresson, "he was really a free man."
Eines
Nachmittags in den 1950ern macht Larrain in Paris Aufnahmen bei Notre-Dame, erst
beim Entwickeln des Films bemerkt er, daß er dabei auch ein Liebespaar fotografiert hat. Die Episode inspiriert Julio Cortázar zu seiner
Geschichte "Las Babas del Diablo" (1959), die wiederum Ausgangspunkt
ist für den Film "Blow-Up" von Michelangelo Antonioni.
"Ich habe begriffen, daß Fotografie wie jeder künstlerische
Ausdruck im tiefsten Innern zu suchen ist. Das perfekte Foto ist eine Art
Wunder, es scheint in einem Lichtblitz auf - Thema, Form und perfekter
Seelenzustand -, beinahe zufällig drückt man auf den Auslöser und das Wunder
geschieht." - Sergio Larrain, 1960