Auf "To
Sheila" von "Adore" ist dieser Mittelteil, der Schlagzeugloop
hört auf, die Gitarre wird abgelöst durch dieses einsame Banjo, das traurig vor
sich hin spielt zu: Lately I just can't seem to believe / Discard my friends to
change the scenery / It meant the world to hold a bruising faith / But now it's
just a matter of grace. Und Corgan schafft es, daß man sich fühlt
wie dieses Banjo.
"Adore" ist ein Sesam-öffne-dich. In die Platte kann
man so tief fallen wie in keine andere der Smashing Pumpkins. Bei einem
englischen Journalisten las ich mal, es gab eine Flut von Bands, die
versuchten, Nirvana zu kopieren, aber keine, die versuchte, die Smashing
Pumpkins zu kopieren. Geht auch nicht. Unkopierbar.
"Rhinoceros" würde ich wählen wegen "She knows. And she knows, she
knows, she knows." Und auch wegen des Videos. In den 90ern fiel
D'Arcy gar nicht groß auf. Heute hege ich eine D'Arcy-Obsession. D'Arcy, die im
Video am Tisch sitzt und mit diesem Pingpong-Ball spielt, die Szenen laufen
rückwärts in leichter Zeitlupe. Pure Magie. Später filmt sich die Band selbst
im Hyde Park. Damals wirkte D'Arcy wie eine Elfe mit ihren langen blonden
Haaren, am Ende sitzt sie neben Corgan und Chamberlin auf einer Bank oder einer
Mauer, und man sieht ihre Strumpfhalter. So ist sie durch den Hyde Park
gegangen. Corgan und Chamberlin mit ihren Sonnenbrillen wie Lou Reed und John
Cale bei Velvet Underground, und es wird einem klar, daß D'Arcy wie Nico
irgendeiner Tragik entgegengeht.
Ein Song wie "Rhinoceros", der mit seiner traurigen,
erhabenen Schönheit immer noch euphorisch machen kann, läßt auch schlagartig
klar werden, wie tief die Latte heute meistens liegt.
(Aus: "13 Fragen an Christian Erdmann", netskater.net)
03.06.2007
Jimmy Chamberlins Schlagzeug klingt, als wären zwei
Schlagzeuger am Werk, und er scheint kaum einen Muskel zu bewegen.
15.01.2008
Nanana. Corgan mag die Scorpions, aber er ist nun mal ein
unermüdlicher Förderer der Erniedrigten und Beleidigten, schon in seiner Jugend
hat er sich stets schützend vor seinen behinderten Halbbruder gestellt, er hat
eine genuine Zuneigung zu einer gewissen Art von clumsiness, die er offenbar an sich selbst verspürt ("I'm a
Pisces, and Pisces have this weird inability to be completely spontaneous. We're
too conscious of our actions. I've always been way too sensible for my own
good."), und er ist natürlich eine wandelnde Jukebox, aber seine
musikalischen Erweckungserlebnisse sahen nach eigener Aussage doch anders aus:
"Eight years old, I put on the Black Sabbath record, and my life is
forever changed. It sounded so fucking heavy. It rattled the bones. I wanted
that feeling. With Bauhaus and The Cure, it was the ability to create a mood
and an atmosphere."
18.04.2008
Für die Beschreibung all der Feinheiten, die die Smashing Pumpkins
unkopierbar machen, braucht man einen Homer.
30.04.2008
"Zeitgeist" hatte vier gute Stücke, eines davon
("United States") stieß einen sozusagen von hinten ins Beweismaterial
für Ihro Unermeßlichkeit Corgan, und blies einem auch noch die Schädeldecke
weg, seitdem fällt der Regen mir direkt aufs Hirn.
Würde so gern verstehen, was D'Arcy im "Rhinoceros"-Video mit diesem
Pingpongball macht.
dj1204:
Aber was mich im Laufe der Jahre immer mehr
stört, ist diese grenzenlose Humorlosigkeit von Billy und Konsorten. Ob dieser
Mensch überhaupt irgendwann mal lacht?
Du kennst die DVD mit den Videos der Smashing Pumpkins nicht,
non?
Abgesehen davon trat James Iha später, während seiner Zeit bei A Perfect
Circle, durchaus als Possenreißer in Erscheinung. Genauer, als Erzähler von
Witzen, deren Pointe niemand so recht verstand. Im Laufe der Tour machten die
anderen Bandmitglieder daraus ein Bühnenritual – Iha muß einen kryptischen Witz
erzählen.
Iha war auf undurchschaubare asiatische Weise komisch, und Corgan auf Charlie
Brown-Weise, die ziemlich smarte D'Arcy hat darunter schwer gelitten, was
wiederum auch komisch war. Sie hat mal erzählt, Billy und Jimmy hätten dieses bad pun game, aus dem auch der Titel
"Mellon Collie and the Infinite Sadness" entstanden ist. "It's
the bad pun game getting out of control. Embarrassing. Not
the name. The name's not really embarrassing. Just the game."
Und in einem Interview sagte sie mal, James hätte dies / das
gesagt und fügte hinzu: aber wer verstehe schon je, was James sagt.
Erhellend
dazu auch D'Arcys Satz: "Look at the name of the band. How can people
think we take everything so seriously when we're called the Smashing Pumpkins."
Bandintern herrschte also so eine Art Komik des Witzes,
der nicht zündet.
Okay,
genug davon.
25.04.2010
Zen-Übung # 53: bei Smashing Pumpkins-Songs einfach nur
darauf achten, was Jimmy Chamberlin da am Schlagzeug tut.
Kryoniker:
War Chamberlin jetzt der, der mal "frei und
umsonst" auf dem Spielbudenplatz ein Drumsolo spielte?
Nein, das war Kenny Aronoff. Chamberlin hat nur von
1996-1999 eine Auszeit verhängt bekommen, ansonsten war er permanenter Pumpkin.
Aber gutes Stichwort. Wo bisse denn hier? Ich bin alle Augen auf D'Arcy. :)
16.07.2010
Immer wenn man denkt, jetzt ist Corgan endgültig weg,
kommt er mit irgendeinem Kram zurück, der einem die Schuhe auszieht, oder
wenigstens die Schnürsenkel beider Schuhe zu einem mysteriösen Knoten
zusammenschlingt.
23.11.2010
Einer meiner Lieblingsgitarristen ist ja jeder, der neben
D'Arcy und ihrem Bass stehen durfte. Jetzt habe ich das Telefon-Interview
gehört, das einem das Herz bluten läßt, als sie, nach 10 Jahren Versteck,
plötzlich bei einer Radiostation in Chicago anrief, eine Frau am Rande von
irgendwas, die vor Verwirrung über den Kontakt mit der Welt nicht weiß, wo ihr
der Kopf steht. Fontane sagte mal, seine Frauenfiguren haben alle einen Knacks,
und nur das fasziniere ihn.
Gegen die 100-Stunden-Version von
"Transmission", die die Smashing Pumpkins 1998 in der Aula Magna Lissabon spielten (Track
18, Iha: "Prepare for the spaceship."),
ist dies, nun ja, ein blasser Schnappschuß. Aber die Sekunde zwischen 2:59 und
3:00 ist ein ganzer expressionistischer Film. Versteht das jemand? Schon gut.
:) Dear Santa, zu Weihnachten wünsche ich mir eine Radiostation in Chicago.
Damit ich die ganze Zeit aufs Telefon starren kann.
25.11.2010
... ich komm später, ich liege hier noch mit der DVD
("Smashing Pumpkins 1991-2000") in der Hand, als wäre ich Protagonist
in "The Lost Weekend" oder sowas. - Das hier hat was Magisches, auch
wenn es zuerst vielleicht gar nicht danach aussieht. Manche schreiben, sie
möchten es für ihre Beerdigung, manche können es gar nicht zuende hören, weil
es ihr Innerstes auflöst. Manche wissen, das Stück ist da, um plötzlich ganz
besondere Erinnerungen zu beschwören. Und darum ist es "a happy
song", auch wenn er "melancholisch" sagt. Der ist wie
freigelegte Zeit, in der alles bedeutend war und ist und wieder ist, der läßt
dich innehalten und für einen Moment die ganze seltsame Kontinuität sehen,
die...
Isn't it good daß an jedem Tag irgendwo auf dieser Welt
das hier in den Äther zieht.
"When
the song appears to have reached its climax and to fade out, something comes to
sustain the reduced guitar, looping. The previous dynamic, assertive riff comes
back in a reversed form, as if someone has responded to the cry. The riff
repeats in an alternation btwn the low pitch and the high pitch, as if an
eternal reflection between a son and his mother."
26.11.2010
Landete während meiner Suchtbefriedigung beim
Herabsteigen Daphnes in Bilbao, und was - D'Arcy
hat den gleichen ärmellosen Glitzerpullover wie der, den - naja, Juni,
Kleidermarkt. Trotz intensiven Verständnisses dafür, wie alles wieder
zusammenpaßt, bleibt mir ein Rätsel, wie sie damals, als sie Jimmy Chamberlin
zur Rehab schickten, ausgerechnet auf Kenny Aronoff kamen. In Bilbao hatte der
Mann jedenfalls eindeutig zuviel Tee in sich, bei "1979" kann sich
sogar D'Arcy ein mokantes Lächeln nicht
verkneifen, weil der einsetzt, als müßte der Song totgeprügelt werden.
02.01.2011
Weitere Highlights [2010] - Karen Elson, die
Gwen-Stefani-Puppe in Prag, die Erkenntnis, daß die Smashing Pumpkins doch die
beste Band aller Zeiten waren, der Twiggy-Bart.
07.01.2011
Ich nagel' das hier mal eben an die Tür: bei Hyperbeln
ist die Übertreibung als solche schon selbst das Korrektiv, das selbstironisch
die Befangenheit in der eigenen Perspektive eingesteht. :)
Dieses ganze Psychodrama der 4 wird langsam Teil meiner
eigenen Psyche.
Rio 1996, vor 1 Trilliarde Menschen. Billy und James schießen Bälle ins
Publikum. D'Arcy - "No more soccer balls!" - "Goooool!" -
"No, no that's not what I want to say." - sagt danke, fügt aber
hinzu, die Band fände es unangenehm, daß ein Zigarettenhersteller (Hollywood)
hier der Sponsor sei.
Vor X.Y.U. dann Billy: "The soccer balls were courtesy of the Hollywood
Cigarette Company, thank you." Und dann achte mal auf
D'Arcy.
D'Arcy war vorher schon angepißt, weil James "Boys Don't Cry" von The Cure anstimmte. D'Arcy ist oder war riesiger Fan von The Cure und redet ihm dazwischen, aber er singt ungerührt weiter.
24.02.2011
"The Smashing
Pumpkins, at this time, could only be described as gargantuan."
"Und D'Arcy, während
des gut 100minütigen Auftritts versunken in ihre eigene Welt, war für wenige
Minuten die wahrscheinlich schönste Frau der Welt. Umfangen von einem Hauch von
Bluse, Lippen und Augen blaßblau geschminkt, auf dem Kopf eine Art silberne
Badehaubenkrone, zupfte sie entrückt ihren Baß, arrogant und schüchtern
zugleich."
(intro.de über das Konzert auf der Hamburger Reeperbahn)
Ich entdeckte die Smashing
Pumpkins für mich ja erst 2000, zur Hölle. Obwohl wir 1993, als wir in
Gilleleje/DK waren, einmal eine "Berlingske Tidende" kauften. Und da
war ein Artikel über sie. Verstand nichts. Niemand versteht Dänisch. But those 4
faces made an impression, 'twas like a pact: one day we'll carry you off. Und die mysteriöse Fähigkeit von Smashing
Pumpkins-Songs, Räume freigelegter Zeit zu öffnen, läßt mich jetzt manchmal
meinen, ihre Gedankenatombeschleuniger waren für mich schon immer da.
Der letzte Song, den die Smashing Pumpkins vor dem breakup 2000 aufnahmen, mit Zusammenschnitten aus allen Videos.
-> Untitled
Eins der schönsten Videos aller Zeiten, weil man, wenn man den Regenschirm aufspannt und aus dem Luftgefährt springt, immer dem Mond entgegenspringt und Mächten, die einem helfen.
"The most beautiful girl in the world", zumindest am Abend des legendären Umsonstkonzerts der Pumpkins auf der Hamburger Reeperbahn. Wer dabei war, wird seinen Enkeln noch erzählen, wie 30 000 Menschen den Verkehr in St. Pauli lahm legten und die größte Rockband der 90er Jahre feierten. - Reiner Pfisterer
Und wenn man noch tausend Bilder von D'Arcy fände, auf allen ist sie umschlossen von Infinite Sadness. "Arrogant und schüchtern zugleich". Wenn sie lächelte, dann immer mit dem Vorwurf, daß jemand sie zum Lächeln brachte. Sie redet wie ein Killer aus Scham vor ihrem Charme.
"Sometimes I feel like I'm speaking Martian to people." - D'Arcy Wretzky
Praktisch alle Videos, in denen die Smashing Pumpkins sprechen, offenbaren etwas über die komplizierte Bandstruktur, immer am Rande der Dysfunktionalität, zugleich Matrix ungeheurer, unglaublicher Energien, von der Band ironisiert, so lange es ging, in "Vieuphoria" bringen die Smashing Pumpkins sich bekanntlich selbst zum Psychiater, in einer anderen Sequenz regiert D'Arcy über drei Plüschtiere, die die anderen Bandmitglieder repräsentieren, und geht den James-Hasen mit einer Plastik-Kettensäge an wie eine böse kleine Alice, im "Thirty Three"-Video erscheint sie tatsächlich als klassische Alice im Wunderland, mit viktorianischem Kinderkleid und weißen Strümpfen, zum Ballett mit dem Weißen Kaninchen.
Sie trifft Billy Corgan 1988 vor dem Avalon-Club in Chicago, wo sie in ein Streitgespräch geraten über die Band, die gerade gespielt hat: der schnippische Dialog, der seltsamerweise dazu führt, daß Corgan sie zum Vorspielen einlädt, enthält als Urszene die ganze mysteriöse Konstellation: Billy Corgan engagiert dieses rauflustige Mädchen mit dem wunderbaren Blondhaar, das von nun an immer so wirken wird, als ob sie Billy gar nicht mag, permanent not amused ist, unwillig zur Kooperation scheint und dem Streß nicht gewachsen - beim Vorspielen ist sie so bang und beklommen, daß sie ihren Bass nicht richtig spielen kann -, er engagiert sie mit ihrer faszinierenden Mischung aus badass und awkward, weil er weiß, daß er es muß.
Irgendwann, als die Smashing Pumpkins gargantuan sind, sagt Corgan: "There's a lot of chemistry in the band that the outside world could never witness. In our band, D'Arcy is the moral conscience - it's really hard to do something if D'Arcy thinks it's fucked."
Eine Aussage, die er 2011 erstaunlicherweise wiederholt. Erstaunlich, weil die todbringenden Pfeile, die Corgan über die Jahre der Trennung hinweg auf D'Arcy, James Iha, zuletzt sogar auf Jimmy Chamberlin abgeschossen hat, von niemals schließenden Wunden bei Corgan selbst künden, unstillbares geschwärztes Herzblut.
Anläßlich der Remasters von "Gish" und "Siamese Dream" erklärt Billy Corgan dann in einem Interview 2011: "D'Arcy was probably the person in the band with the highest taste. She had a very almost snobby taste about music. And it was D'Arcy who often times would say, no that's too cheesy, no that's too lame. And her opinion carried a lot of weight in the band."
Corgan wußte, daß D'Arcy das Mädchen ist, mit dem er jedes Pferd stehlen kann. Daß die Viererbande Corgan - Iha - D'Arcy - Chamberlin eine mystische Einheit war, die den Göttern das Feuer stehlen konnte. Daß sie bei allem Hickhack eine Vision mit ihm teilte. Und daß er bei allem Hickhack bedingungslos auf sie vertrauen konnte, daß sie ihm folgen würde von Méliès-Mond bis zu Porcelinas Unterwasserspielplatz:
"I'd say that's always been Billy's motto: 'Anything to serve a song'. Whatever it is to serve the song, you know. If he has me stand on my head while I'm playing the kazoo, so be it."
D'Arcy behauptet, sie habe ihre ältere Schwester einmal dadurch zur Unterwerfung gezwungen, daß sie Messer warf, und man glaubt es ihr. Ihr Weg von irritierter Reinheit zu zerstörtem Engel ist der traurigste seit Nico.
"There's a part of D'Arcy that wants to just walk off the stage." - James Iha comment after D'Arcy walked off the stage before "1979" during a concert
The face we choose to miss
Be it but for a day
As absent as a hundred years
When it has rode away
Emily Dickinson