Montag, 30. Mai 2011

004 - Horror als Grenzerfahrung: Etymologie







"Die Sprache ist Delphi."
(Novalis 1943, 597)


Einen Zustand, für den die Brockhaus-Enzyklopädie mit "Schauder, Grausen, Abscheu" gängige Umschreibungen liefert, wird schon die Intuition als Grenzsituation wahrnehmen. Mit der Sprache als Delphi und der Etymologie als Wahr-Sagung läßt sich die Intuition in einem wahrscheinlich für sie selbst erstaunlichen Maße verifizieren. Der Zusammenhang zwischen Horror und Grenze ist weder zufällig noch artifiziell. Er ist in der Sprache fixiert. 

Die Urbedeutung des lateinischen Verbs horrere ist "rauh sein" bzw. "von etw. rauh, uneben werden" (dann i.d.R. horrescere; Georges 1959, 3078 ff.). Nach Pokorny bedeutet horrere "rauh sein, starren; schaudern, sich entsetzen" (Pokorny 1959, 445). Als verbindlich gilt der Forschung die Zuordnung von horrere zum altindischen hársate bzw. hrsyati, "wird starr, sträubt sich, schaudert" (Walde/Hofmann 1965, 659), zu "skr. ghrsuh 'excité'" (Ernout/Meillet 1959, 300), zu "Sansc. hrish, to stand erect, to bristle" (Lewis/Short 1962, 864), zur Silbe HRS- "bristle, be glad" (Turner 1966, 818). Mayrhofer faßt als Verwandtes zusammen:

"hársate ist erregt, ist ungeduldig, freut sich (...) ('zu Berge stehen [der Haare, vor Freude oder Schreck], starren'), hrsyati freut sich (...) harsáy erregen, erfreuen (...) dazu ghrsúh, ghrsvi (...) Vgl. lat. Horrere starren, sich emporsträuben, schaudern (...) Der Anlaut hatte wohl primär Velar, da ghrsú-, ghrsvi- von hars- kaum zu trennen sind (...)" (Mayrhofer 1976, 583 ff.) 

Starren und Sichsträuben, Zu-Berge-Stehen der Haare und Schaudern indizieren also schreckhafte ebenso wie freudig-lustbetonte Erregung. Schon hier wird Horror kenntlich als psychophysischer Erregungszustand, in den die Ambivalenz konsequent eingelagert ist. Derselbe Reflex, ein unwillkürliches Erigieren, ist Symptom für ein Zurückschrecken wie für eine lustvolle Hinwendung. Der Hinweis von Mayrhofer, der hars- bzw. hrs- als Variationen von ghrs- ansieht, führt zu einer weiteren Spur:

"ghrstih, ghrsvih m.Eber (...) nicht sicher gedeutet. Am ehesten noch (als sexuelle Benennung – oder als 'Stacheltier'?) zu *ghers- 'starren, steif sein', ai. hársate : vgl. harsa- 'Geilheit, Steifwerden' (...) zur selben Wurzel auch gr. χοίρος Ferkel, χήρ Igel (...)" (Mayrhofer 1956, 361).

Die Konnotationen sind deutlich: während die Borsten- oder Stacheltiere eher die abwehrende Aufrichtung repräsentieren, richtet die "freudige Erregung" nicht nur Haare auf, sie bewirkt auch die Aufwärtsbewegung der sexuellen Erektion, also Hinwendung. Zeigte schon Grassmann (1873, 1679) ghrs- als ursprüngliche Form von hrs- , bestätigt Pokorny horrere als Ableitung von *ghers:

"ĝhers- und z.T. ĝher- 'starren' (s.auch 3.gher-); ĝhēr-s 'Stacheltier'. Ai. hársatē, hrsyati, 'wird starr, sträubt sich, schaudert, ist erregt, freut sich' (...) χοίρος (<*ĝhorios) 'Ferkel' (als Borstentier) (...) lat. horreo (...)" (Pokorny 1959, 445).

Darüberhinaus kann ghers- oder ghres- die Bedeutung von "Widerwille, Abscheu, Ekel" (ebd.) annehmen. So ergibt sich unter Einbeziehung indogermanischer bzw. altindischer Sprachschichten als die archaische Semantik des Horrors: etwas starrt empor oder wird starr, sträubt sich oder richtet sich auf; die Erektion verrät extreme innere Bewegung, ist Indiz lustvoller Erregung oder schreckhafter Abwehrreflex, gibt ebenso Wollust kund wie Widerwillen, gilt einem unbezwinglich Attraktiven oder Furchterregenden, einem so Schrecklichen wie Faszinierenden. Es verbinden sich (Empor)Starren und Aufgestacheltsein, Aufrichtung und Erregung, Aufragen und Aufregen. Der Horrorschauer produziert nun tatsächlich Rauheit: durch Kontraktion der an den Haarbälgen liegenden Muskeln richten die Haare sich auf, die Haut wird durch den Schauder "rauh"; die "Gänsehaut" ist eine Form der Erektion.

Rauheit ist Abweichung von glatter Oberfläche und Resultat von Erregung - indem sich durch Ragen, Starren, Sträuben und Aufrichtung Erhebung bildet, indem sich das Erhabene bildet – auch in der Psyche: Horror ist quasi Erektion im Kopf. Rauheit ist gegenüber Glätte der unruhigere Zustand, genaugenommen ein Zustand zwischen Unruhe und äußerster Unruhe, je nach Rau[h]tiefe: diese technische Kenngröße (Rt) mißt den Abstand zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Punkt der Rauheit. Auch Horror hat seine Rau[h]tiefe.

Die in den tiefsten Sprachschichten bereits angelegte Ambivalenz macht deutlich, daß es im Zustand Horror nicht um lustvolle Erregung oder reflexhaften Schrecken geht, sondern um das Zugleich beider Reaktionen. Durch die Simultaneität von extremer Hinwendung und extremer Abwehr, von extremer Anziehung und extremer Abstoßung erweist sich Horror als eine Art dialektischer Magnetismus. Im Tierreich oder in sogenannt primitiven Menschheitskulturen demonstriert der erigierte Penis nicht nur "Geilheit" und damit Hinwendung, sondern ist auch Abwehr- und Drohgebärde – also Grenzmarkierung. Sexualität und Grenze, Erektion und Horror zeigen sich in dieser Geste innig verbunden. Auch zur Aufrichtung des Fells kommt es bei Tieren gerade auch dann, wenn Territoriumsgrenzen bedroht sind.

Eros ist ein In-die-Höhe-Bringer, der Aufragen und Aufregen in eins setzt. Das Wort Eros leitet sich ab aus der Silbe "er- : or- : r-", die als indogermanische "Bewegungssilbe" bekannt ist: "(...) 'sich in Bewegung setzen, erregen [auch seelisch (...) reizen]; in die Höhe bringen (Erhebung, hochwachsen)" (Pokorny 1959, 326). Sie entwickelt sich in die griechische Stammform ΟΡΩ, aus der sich Phänomene des Emporragens und Emporsteigens, des sich Erhebenden ableiten, so auch das griechische Wort für Berg, ὄρος. Ein Berg ist mitnichten etwas Statisches. Bei einem Berg handelt es sich um eine Seinserregung und um einen für erregtes Sein prädestinierten Platz. Gigantische, massive, in himmlische Lichtregionen emporragende Berge erschienen zu allen Zeiten wie ein Signum höherer Mächte, haben immer schon zu religiösen Vorstellungen inspiriert, galten als Wohnsitz der Götter und waren, als deren Offenbarungsorte, bevorzugte Kultstätten. Schon die Höhe und Himmelsnähe der Berge hatte den Charakter des Sakralen. Oft wurde der "heilige Berg" als Weltmittelpunkt angesehen. "Der Berg, den Gott zur Wohnung sich erkoren" (Psalm 67) ist eine die Wahrnehmung auf sich fixierende Erhebung, eine Rauheit im Erlebnisfeld, etwas wesentlich Dynamisches also, das aufragend erregt und im übrigen die freie Entfaltung begrenzt. Der Berg ist berggewordener Eros, das Aufragende schlechthin, seine Erhebung ist Erregung (der Ebene) und bewirkt (heilige) Erregung, die wiederum erhebt.

Fast identisch mit ὄρος, Berg, ist das dem lateinischen horror klanglich sehr ähnliche altgriechische Wort für Grenze, ὅρος (gesprochen etwa "horros"). Berg wie Grenze sind Formen einer im Wahrnehmungsfeld entstehenden Rauheit. Und das Entscheidende ist nun: wie es das Begrenzende des Berges gibt, so ist die Grenze eine Erhebung.

Der Zusammenhang läßt sich auch im Deutschen erahnen: die Schwelle heißt Schwelle, weil sie auch Schwellung ist, Erhebung. Das ahd. swella meint einen tragenden Balken, swelli kann Türschwelle bedeuten, Fußgestell oder Sockel. Das mhd. swellen bedeutet stauen, hemmen und ist Urform von "schwellen". Die stauende Schwelle (mhd. Swelle) bringt Wasser zum Anschwellen, ist aber als begrenzende Hemmschwelle zugleich selbst das Hervorgehobene. Vermutlich besteht auch (über *suel-) eine etymologische Verbindung zwischen Schwelle (als Grenze) und Säule (als Erhebung).

In Platons Nomoi ist die Rede vom Ζευς ‘ó ριος (842e), vom "grenzhüterischen Zeus" (Platon 1989, 208), dem als erstes Gesetz geweiht sei: niemand dürfe wissentlich einen Grenzstein verrücken. Die Grenze ist von jeher Heiliges und Heiligstes, von jeher gilt ihr erhöhte Wachsamkeit (Erregung), von jeher ist sie undenkbar ohne besondere Wächter und Hüter, und der höchste Gott der Griechen gilt auch als Schutzgott der Grenze, der das Antasten des Unantastbaren, die Verrückung des Sakrosankten verhindern soll: Grenzverletzung ist auch Frevel gegen das Göttliche. Und das eigentlich Unantastbare und Sakrosankte an der Grenze ist zunächst der sichtbar emporragende Grenzstein, die Grenzmarkierung als Erhebung und Erregung des zuvor Unimorphen, eine Erektion, die Horror – Rauheitmorphologisch produziert. Das Aufragen der Grenzmarkierung ist zugleich aber auch das reale Symbol der psychischen Erfahrung Grenze. Die Grenze ist Erregung (der morphé) und bewirkt Erregung (der psyché).

Für das Wort Horror gibt es in den lateinischen Texten drei Sinnkategorien: es beschreibt morphologisch Erregungszustände äußerer Formen und Formationen; es bezeichnet den Horrorschauer als physisches Phänomen (Aufrichten der Haare), es vermeldet psychologisch den extremen Erregungszustand der inneren Form – Horror als "innere Unebenheit". Im Grunde besteht aber jedes Horror-Erlebnis in Durchdringung dieser drei Ebenen, und was diese ständige Durchdringung bewirkt, ist das Phänomen oder die Erfahrung Grenze. Was den Horrorschauer auslöst, ist stets eine Art von "Rauheit" in der Wahrnehmung, eine "Erektion" des Seins, Erhebung und Erregung des "Natürlichen", ein plötzliches aufregendes Aufragen im Begegnenden, das den Charakter einer Grenzmarkierung hat. Es ist eine empfundene, erlebte Grenze, die Horror auslöst; etwas, das sich in Wahrnehmung und Bewußtsein bedrohlich aufrichtet, unabhängig davon, wie sichtbar, präsent oder existent es tatsächlich ist. Der physische Horror – der Schauder – veräußerlicht den Erregungszustand der inneren Form, der wiederum durch eine Art von "Seinserregung" evoziert ist: in der Begegnung mit dieser "an-schwellenden" Rauheit im Erlebnisfeld wird eine Grenze zugleich fühlbar und bedroht, an dieser Grenze kommt es zum "Erstarrtsein in höchster Aufregung", zum Zugleich von Attraktion und Repulsion, von Faszination und Fluchtimpuls.

Tatsächlich bedeutet ὅρος  ursprünglich das sichtbar Aufragende und Aufgerichtete: Grenzstein, Grenzzeichen, Grenzpfahl, Grenzsäule, Grenzstelen an heiligem Gebiet, Marksteine auf gepfändetem Land. J.H.H. Schmidt zufolge ist die anschaulich emporragende Grenzmarkierung als sinnliche Urbedeutung von ὅρος  zu verstehen: bei Homer findet sich οὔρος "in der Bedeutung eines Grenzsteines, in der nachhomerischen Sprache ὅρος in der Bedeutung Grenze, und zwar immer mit der Anschauung, nicht dass hiermit alles zu ende sei (...) sondern dass dahinter noch ein anderes Gebiet beginne." (Schmidt 1969, 507 ff.). 

ὅρος beschreibt nichts, über das man nicht hinausgehen könnte, sondern setzt ein Anderes, Jenseitiges, warnt also vor der Überschreitung, dem Übertritt in das fremde Gebiet. Dieser warnende Charakter der Grenzmarkierung verbindet den Grenzübertritt mit gesteigerter Erregung, die sich zumal dann als Horror zeigt, wenn die Grenzsetzung ein Heiligtum, ein geweihtes Areal abtrennt, wie etwa durch die Ableitung ρίζειν beschrieben, die dem religiösen Charakter der Grenzziehung galt, genauer dem Gott, "dessen Cultus man dadurch einführt, dass man ihm einen Bezirk absteckt und weiht" (Passow 1852, 525).

Während bei πέρας ein Endpunkt existiert, über den es kein Hinaus gibt, impliziert das durch ὅρος Bestimmte stets ein durch Bestimmung mitbestimmtes Anderes. Entsprechend bedeutete ὅρος später auch Definition (als Grenze eines Begriffes), ebenso Termin (als zeitliche Grenze); ὅρος grenzt ab in Diesseits und Jenseits.

Das Wort horrere geht, wie gesehen, zurück auf das altindische hársate bzw. hrsyati; das "etymologische Atom" dieser Bildungen ist die indogermanische Silbe gher- bzw. ĝher- , in der sich drei für den Horror-Kontext relevante Bedeutungsfelder auffinden lassen. Erstens:

"gher-, ghrē: ghrō (...) 'hervorstechen', von Pflanzentrieben oder -stacheln, Borsten, von Erderhebungen, Kanten usw. (...)" (Pokorny 1959, 440). Zu diesem Bedeutungsfeld, mit dem nach Pokorny horrere alliiert ist, gehört nun auch: "(...) slav. granj 'scharfe Ecke, Kante', z.B. in russ. granj f. 'Grenze; Markstein; Facette' (...)" (ebd.).

Die Erscheinung Grenze gehört also zur gher-Gruppe "hervorstechen, starren", die wiederum zu horrere führt. "Grenze" ist eines der wenigen Worte, die das Deutsche aus dem Slawischen übernommen hat: das mittelhochdeutsche graniza, graenizen, greniz stammt vom altpolnischen granica/granca, "Grenzzeichen, Grenzlinie". "Grenze" schrieb sich früher "Gränze", was die Nähe zur Granne offenbart:

"Granne f. 'borstenartige Spitze an Ähren, Gräsern', ahd. grana 'Barthaar, Schnurrbart' (8.Jhd.), mhd. gran(e) 'Spitze eines Haares, Barthaar, stachliges Haar, Ährenborste, Gräte', aengl. granu 'Schnurrbart', anord. gron 'Barthaar, Schnurrbart', auch 'Tanne' (eigentl. 'Nadel') sind verwandt mit den slaw. Formen aruss. granjъ 'Grenze, Grenzlinie', russ. gran‘ (гранъ) 'Grenze, Markstein, Abschnitt', tsch. hrana 'Grenze, Ecke'. apoln.poln. gran 'Ecke, Winkel, Grenze' (aus dessen Ableitung nhd. Grenze entlehnt ist). Sie alle führen (...) auf die Formen (...) der Wurzel ie. *gher-  'hervorstechen' (von Pflanzentrieben, Stacheln, Borsten, Erderhebungen, Kanten) (...)" (Pfeifer 1989, 595).

Das Wort horrere gilt bei den klassischen Autoren häufig dem Starren von Bart- oder Haupthaar oder beschreibt Phänomene wie das Emporstarren von Lanzenspitzen. Die ursprüngliche Bedeutung des russischen грань (Grenze) ist "wohl Spitze" (Vasmer 1953, 304) bzw. Spitze, spitzes Ende, spitzer Auslauf (vgl. Cyganenko 1970, 111 ff.).

Es bestätigt sich also durch die Urverwandtschaft von "Grenze" und "Spitze", wie die Grenze ursprünglich durch die aufgerichtete Grenzmarkierung repräsentiert wurde, durch eine Form der Erektion, die mit dem Symptom oder Phänomen Horror eng verwandt ist: es ließe sich auf psychologischer Ebene aber auch grundsätzlich vom Hervorstechen der Grenze sprechen. Umgekehrt gilt: an eine Grenze stößt, was auf die Spitze getrieben wird.

Ein zweiter Bedeutungskreis von gher- / ĝher- lautet:

"ĝher- 'greifen, fassen, umfassen, einfassen'; erweitert ĝher-dh (s.unten) : ĝhor-to-s 'eingezäunter Ort'. (...) gr. χóρτος m. 'eingelegter Platz, Hof, Weideplatz'; unsicher, ob hierher χορóς  'Tanzplatz, Chortanz' als ursprüngl. 'eingehegter Platz' (...) ĝherdh- und gherdh-  'umfassen, umzäunen, umgürten' (...) lat. hortus (...) Erweiterung von *ĝher- 'fassen'; ghordho-s 'Gehege' (...)“ (Pokorny 1959, 442 ff.).

Bezeichnet sind Akte des Einfassens und Einzäunens, also Akte des Abgrenzens. Wie die Grenzziehung an sich heiliger Akt ist, so gilt sie dem heiligen Ort und läßt den heiligen Raum entstehen: χóρτος meinte auch den abgegrenzten Platz um den Opferaltar. Neben dem unmittelbaren Zusammenhang von Horror und dem aufragend-hervorstechenden Charakter der Grenze gibt es einen ebenso unmittelbaren Zusammenhang von Horror und dem abgegrenzten heiligen Bezirk. Ein schönes Symbol dafür ist der von Horaz horridus (hier: struppig, stachelig, 'gestrüppig') genannte altitalische Waldgott Silvanus, der zugleich ein Grenzgott ist ('tutor finium', Epoden 2,22), ein Beschützer der Felder und der Grundstücksgrenzen. Silvanus genoß immense Verehrung: jedes Grundstück besaß einen eigenen Silvanus domesticus, und Kaiser Hadrian gab ein Medaillon heraus, das Silvanus beim Betreten eines heiligen Bezirkes (mit Tempel und Altarfeuer) zeigt.

Ein abgegrenzter Bezirk ist auch das horreum: die Etymologie des dem horror so verwandt scheinenden Wortes für "Vorratskammer, Scheune, Magazin, steinerner Speicher" gilt als "unbekannt" (Walde/Hofmann 1965, 659 ff.). Aber nach dem sakral abgegrenzten Raum ist die Vorratskammer in alter Zeit der heilige Raum schlechthin; so sehr, daß im alten Ägypten die Katze ihre Verehrung als heiliges Tier nicht zuletzt dadurch errang, daß sie die Kornvorräte gegen Mäuse und Schädlinge schützte und sogar darauf dressiert war, menschliche Diebe anzuspringen. Der japanische Ise-Schrein, das wichtigste Heiligtum des Shintoismus, ist ein Tempel, dessen Urform "eine einfache Waldhütte ist, der Getreidespeicher, das Zentrum einer agrarischen Gesellschaft. Der höhergelegene Fußboden sollte das Getreide vor Feuchtigkeit und Ratten schützen" (Paglia 1993, 155). Das lateinische Wort für den Getreidespeicher, horreum, verweist - wie das Wort horror - auf eine heilige Grenze. Dem würde entsprechen, daß Saturn im archaischen Rom sowohl als Wächter des aerarium, des Staatsschatzes, als auch des Aufgangs zum Jupiter Capitolinus, dem wichtigsten römischen Tempel galt, also ein Hüter von Schwelle, Grenze und Durchgang zum Heiligen war [1]; daß Saturnus aber, bevor er Kronos gleichgesetzt wurde, Varro zufolge ein altitalischer Gott der Aussaat und des Ackerbaus gewesen sein soll, mit Sichel (Erntegerät) dargestellt (und das Verb horrere auch die emporstarrende Saat bezeichnen konnte).

Was bedeutet nun der auf verborgenen Wegen der Sprache plötzlich so unmittelbar erscheinende  Zusammenhang der Worte horror und ὅρος für den Schrecken, der die Haare sträubt? Zum einen betont er die Korrespondenz jener äußeren "Erhebung" und "Seinserregung", die als Grenze wahrgenommen wird, mit einer physiologischen Reaktion der Aufrichtung ebenso wie mit extremer "psychischer Unebenheit"; zum anderen ließe sich aber auch sagen, daß der Schauer der "Gänsehaut" im Horror nur das Sekundärphänomen ist – gegenüber dem Erleben von "Grenzhaftigkeit".

James B. Twitchell stellt von der "rippling sensation" des Horrors fest, sie habe "self-defense as its biological purpose" (Twitchell 1987, 42). Gewiß ist die menschliche "Gänsehaut" des Horrors ein Rudiment tierischen Abwehrverhaltens, des Aufstellens von Fell oder Stacheln zum Schutz gegen eine plötzliche Bedrohung. Aber diese Reaktion wäre überflüssig, wenn nicht schon irgend etwas bewirkt hätte, daß das betreffende Lebewesen erstarrt ist. Irgendeine Art von Grenz-Erlebnis friert das Lebewesen ein, unterbricht seine Bewegung, wirkt intermittierend in seinen Lebensabläufen. Primär ist dieses Starrwerden, das ein Erstarren vor etwas ist; aus dieser Erstarrung entlädt sich der Schauer, und dieses Etwas hat den Charakter einer Grenze. Der Löwe begrenzt die freie Entfaltung der Hyäne, die Spinne begrenzt die freie Entfaltung des Phobikers.

Horror ist die abrupte Unterbrechung jeder Fort-Bewegung, zugleich aber auf ein Höchstmaß intensivierte innere Bewegung. Die Spinne ist die "ontologische Rauheit" in der Wahrnehmung des Phobikers, das aufgerichtete Grenzzeichen, die Erregung im zuvor Unimorphen, die Erhebung im "Normalen" und "Natürlichen", die ihn stocken, erstarren und zurückprallen läßt. Dann erst sträuben sich ihm die Haare vor dem Bedrohlichen, Anderen, Fremden, Unheimlichen. Horror entsteht also an der Grenze, auf der Grenze und durch die Grenze: Horror zu thematisieren heißt die Grenze zu thematisieren.

Aber der Horror auf der Stelle ist auch Horror auf der Schwelle, und es gibt noch eine dritte für diesen Zustand relevante Bedeutungsebene der Silbe gher-/ĝher-, die ursprünglich "eine heftige Gemütsbewegung überhaupt" (Walde/Hofmann 1965, 658) bezeichnete, nämlich:

"ĝher- 'begehren, gern haben' (...) Ai. háryati 'findet Gefallen, begehrt'; av. zara- m. 'Streben, Ziel'; gr. χαίρω (...) 'sich freuen' (...) χάρμα n. 'Freude, Vergnügen' (...) lat. horior,-iri 'antreiben, ermuntern' (...) Air. gor 'fromm', goire 'Frömmigkeit, Pietät' (...) ahd. ger 'begehrend', gerōn 'begehren' (...)" (Pokorny 1959, 440 ff.)

Hier bezeichnet die Silbe also angetriebenes, ermuntertes, in Streben übergehendes Begehren, und strebendes Begehren ist auch Aufrichtung, Erreichenwollen, Erektion (Eros als In-die-Höhe-Bringer, der Aufregen und Aufragen in eins setzt). Begehren ist Überschreitung, und Überschreitung gibt es erst, wenn eine Grenze fühlbar ist. Es gibt Begehren, weil es eine Grenze gibt, die Grenze zum Anderen, Begehrten. Und diese ĝher-Komponente ist in ihren Ableitungen auf bemerkenswerte Weise aufgeladen mit der den Horror konstituierenden Ambivalenz. Wie in der Typologie gezeigt, beschreibt das lateinische Wort horror zuvorderst den ehrfürchtigen Schrecken, das Erschauern vor dem Numinosen, die heilige Scheu, wie sie durch die ĝher-Ableitungen "fromm", "Frömmigkeit" angedeutet wird. Die religiöse Ehrfurcht steht – oder besteht - in der Ambivalenz der expandierenden Bewegung des Begehrens/Erreichenwollens und der hemmenden schreckhaften Erstarrung, und diese Ambivalenz wird ausgelöst durch ein spezifisches Grenz-Erlebnis.

Die hier betrachteten Dimensionen der indogermanischen Silbe gher-/ĝher-, auf die sich (über hársate/hrsyati) sowohl das Wort horror als auch die Erscheinung Grenze zurückführen lassen, nämlich: a) Begehren; b) Hervorstechen, Aufragen, von der Granne bis zur Grenze (bzw. ihren Markierungen); sowie c) abgegrenzter Raum, verweisen auf einen im Zustand Horror wirksamen Zusammenhang von Erhebung - begehrender, aber gehemmter Erregung - Begrenzung.

Von Anfang an also ist der psychophysische Erregungszustand Horror verbunden mit Ambivalenz und mit der Erfahrung einer Grenze: als Grenzerfahrung am Anderen, Fremden, Unheimlichen, Bedrohlichen; an einer empfundenen Grenze (etwa zum Numinosen, Übernatürlichen oder "Nicht-Natürlichen"), an einer konkreten Grenze (etwa zum heiligen, abgegrenzten Raum), oder an einer konkreten Grenze, die über Gebühr empfunden wird (die Spinne für den Phobiker).

Wohl die früheste rein menschliche Grenzerfahrung, die Horror auslöst, ist das Erschauern vor dem Numinosen, das ehrfürchtige Zurückschrecken vor dem Heiligen, die konsternierte Erregung auf der Schwelle zwischen "natürlich" und "übernatürlich", der Grenzgang zwischen Zurückweichen und fasziniertem, begehrendem Übertreten. Sehr früh lagert sich in die Sprache der ursprüngliche Bezug des Horrors auch zum heiligen Raum ein. Der Zustand Horror als Grenzerfahrung am numinos erlebten und abgegrenzten Bezirk führt zu Abgrenzung des Heiligen als einem - dem - genuinen Akt der Strukturierung menschlicher "Welt" überhaupt.

Horror läßt sich also zunächst beschreiben als Grenzerfahrung, als Begegnung an einer Grenze – mit dem, was durch seine Andersheit und Fremdheit bedroht, das verändernd und entfremdend wirken könnte, käme es zu der Zufügung, die durch diesen Einfluß, diesen Eindruck, diese konkrete Gefahr droht; der Horrorschauer, scheinbar eine Abwehrreaktion, enthält auch eine Komponente der begehrenden Hinwendung, und auf psychologischer Ebene gibt es eine analoge Ambivalenz. Bei einer Hyäne gilt die Fixierung und extreme Hinwendung auf den Löwen lediglich der drohenden Gefahr; erst im menschlichen Horror entfaltet diese Seite der Ambivalenz sich auch als begehrende Faszination. Für Hyäne wie Mensch gilt, daß Horror der eingefrorene Moment zwischen Hinwendung und Flucht ist. Etwas bedroht oder überschreitet im Zustand Horror die Grenze, die souveräne und "gesicherte" Wahrnehmung gewährleistet - oder aber der Wahrnehmungsvollzug begibt sich an die Grenze, hinter welcher die Realität oder die Einbildungskraft eine Zufügung bereithält, die einen Reflex der Repulsion ebenso provoziert wie die Lust, sich dieser Zufügung auszuliefern. Horror macht immobil, weil er aus kontradiktorischen Affekten besteht - Repulsion und Attraktion –, und weil das Bedrohliche zugleich etwas Verführerisches hat. Der Schrecken, der die Haare sträubt, erregt auf so ambivalente Weise, daß sich in ihm zuweilen auch noch anderes erhebt; von der sexuellen Erregung im Zusammenhang mit Furcht, Angst und Horror wird noch zu reden sein.

Im Altindischen gibt es Worte, die mit horror wie mit ὅρος über die genannten Verbindungen etymologisch wie semantisch korrespondieren, so ghoratā, "Schrecklichkeit / horribleness" (Mayrhofer 1956, 362) und ghoráh, "grausig, schrecklich, ehrfurchtgebietend / dreadful, horrible, awe-inspiring" (ebd.), bzw. "furchtbar, grausam, böse (...) unheimliche Gewalt, Zaubermacht" (Walde 1930, 636). Das attische òρρωδέω entspricht dem lateinischen horrere in der Bedeutung von fürchten, scheuen, schaudern; òρρωδία bedeutet Schrecken. Griechisches Pendant zum Horror ist φρίξ bzw. φρίκη; φρίσσω mit den Bedeutungen "1. Rauh oder starr sein, starren, emporstarren, emporstehen, sich emporsträuben (...) 2. (vor Kälte) schaudern, zusammenschauern (...) übertr. (vor Furcht) starr werden, schaudern, erschrecken, sich entsetzen" (Menge/Güthling 1910, 613) entspricht dem lateinischen horrere und kehrt wieder im französischen frissoner. Der frisson betont die physiologische Komponente, während horreur die psychologische Bandbreite des Horrors wiedergibt und ins Repulsive wendet: Grauen, Entsetzen, Abscheu, Greuel, das Schauerliche, Gräßliche. Das englische to bristle geht auf φρίσσω zurück, dessen indogermanische Wurzel wiederum die Grundsilbe bher- ist; "emporstehn, Kante, Borste" (Walde 1927, 201) bzw. "hervorstehn, eine Spitze oder scharfe Kante bilden; Kante, Ecke, Spitze" (Walde 1927, 162), ähnlich der Silbe gher-, die zum Phänomen Grenze leitet.

Für Pokorny unsicher, für Walde hingegen gesichert (Walde 1930, 603) ist der Anschluß von χορóς, Tanzplatz, Chortanz, als ursprünglich "eingehegter Platz" an ĝher- "greifen, fassen, umfassen, einfassen"; die etymologische Diskussion kreist letztlich darum, ob nun "Reigentanz" oder "Tanzplatz" die ursprüngliche Bedeutung von χορóς sei (vgl. Frisk 1970, 1112 ff.) Ein Streit um des Kaisers Bart, Tanzplatz und Reigen lassen sich nicht voneinander trennen, wenn mit dem Reigentanz der Tanzplatz entsteht, in ursprünglicher Einheit: durch χορενειν, Bilden des Reigens, Fassen der Hände, entsteht "Einfassung", der Tanzplatz, abgegrenzter Raum. Will sagen: bestimmte Arten von Erregung akzentuieren den Raum. Auch der Zusammenhang von Grenze und Horror bedeutet Strukturierung des Raums.














Literatur
Cyganenko, C. P.: Etimologičeskij slovar‘ russkogo jazyka, Kiev 1970.
Ernout, A. / Meillet, A.: Dictionnaire Etymologique de la Langue Latine, Paris 1959 (-60).
Frisk, H.: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Band II, Heidelberg 1970.
Georges, H. / Georges, K. E.: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Wörterbuch (10. Aufl.), 
Erster Band, Hannover 1959.
Grassmann, H.: Wörterbuch zum Rig-Veda, Leipzig 1873.
Horaz: Oden und Epoden, Zürich und München 1981.
Lewis, C. T. / Short, C.: A Latin Dictionary, Oxford 1962 (First Ed. 1879).
Mayrhofer, M.: Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen, Band I, Heidelberg 1956.
Mayrhofer, M.: Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen, Band III, Heidelberg 1976.
Menge, H. / Güthling, O.: Griechisch-Deutsches und Deutsch-Griechisches Hand- und Schulwörterbuch, Teil I, (Griechisch-Deutsch) 
von H. Menge, Berlin 1910.
Novalis, Die Enzyklopädie, VI. Abteilung, in: Briefe und Werke, Dritter Band, Die Fragmente, Berlin 1943.
Paglia, Camille: Der Krieg der Geschlechter. Sex, Kunst und Medienkultur, Berlin 1993.
Passow, F.: Handwörterbuch der Griechischen Sprache, Zweiter Band, Erste Abteilung, Leipzig 1852.
Pfeifer, W. (als Leiter eines "Autorenkollektivs"): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, A-G, Ostberlin 1989.
Platon: Sämtliche Werke 6, Hamburg 1989.
Pokorny, J.: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Band 1/1, Bern und München 1959.
Schmidt, J. H. H.: Synonymik der Griechischen Sprache, Vierter Band, Amsterdam 1969 (Erste Aufl. 1886).
Turner, R. L.: A Comparative Dictionary of the Indo-Arian Languages, London 1966.
Twitchell, James B.: Forbidden Partners: The Incest Taboo in Modern Culture, New York 1987.
Vasmer, M.: Russisches etymologisches Wörterbuch, Erster Band, Heidelberg 1953.
Walde, A.: Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen, 1. Band, hrsg. u. bearb. v. J. Pokorny, Berlin und Leipzig 1930.
Walde, A.: Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen, 2. Band, hrsg. u. bearb. v. J. Pokorny, Berlin und Leipzig 1927.
Walde, A. (bearb. Hofmann, J. B.): Lateinisches etymologisches Wörterbuch (4. Aufl.), Erster Band, Heidelberg 1965.




[1] Das Janusheiligtum repräsentierte als sakrale Konzentration alle Türen und Tore Roms. Der doppelgesichtige Janus war der Gott und Wächter des Durchgangs (der Name Janus hängt zusammen mit der lateinischen Bezeichnung der Tür, ianua.). Saturnus wurde schon in den Liedern der bis in das früheste Rom zurückreichenden Tanzpriesterschaft der Salii verehrt; der Sage nach ist Saturnus von Janus an der Stätte des späteren Rom aufgenommen worden. Janus und Saturnus sind custodes der Tür und der Schwelle.
















Sonntag, 29. Mai 2011

002 - Typologie des Horrors in der Antike







"Nur an seiner linken Schläfe hatten sich ein paar Haare aufgestellt aus irgendeinem alten Instinkt."
(Rilke 1938, 188)



In welchen Zusammenhängen das Wort Horror ursprünglich erschien und mit welchen Typen des Anderen es immer schon liiert ist, läßt sich mit einem synoptischen Schnellauf durch den Textkorpus der lateinischen Antike klären. Die Auswahl der Beispiele vermeidet nach Möglichkeit solche Fälle, in denen das Nomen horror bzw. verwandte Verben und Adjektive bereits in das rein Rhetorische oder Umgangssprachliche abgesunken sind; Authentizität des Horrors soll gewährleistet sein. 

Das Verb horrere bedeutet 1) starren, emporstarren, sich sträuben (als pt.pr.act. starrend, struppig, stachelig), 2) zittern, schaudern (vor Kälte oder Fieber), 3) erschauern, sich vor etwas scheuen oder entsetzen. Die semantische Spannweite des Wortes umfaßt Morphologisches, Physisches und Psychisches: sie betrifft a) die Erregung äußerer Formen und Formationen, b) eine körperliche Erregung, und ist c) Erregungszustand der "inneren Form".

Im morphologischen Sinne erscheint horrere zunächst in Schilderungen einer Natur, die den Eindruck des Rauhen, Abweisenden, Düsteren und Bedrohlichen erweckt, von der im Frost erstarrten Erde (Cicero, De Nat.Deor.2,19) über stachelstarrende Brombeerhecken (Vergil, Georg.3,315) bis zu den traurig emporstarrenden Stauden bitteren Wermuts, mit denen Ovid seine Gefühlslage im Exil metaphorisiert (Epist.ex Ponto 3,2,23). Vergil gibt mit dem Bild vom starrenden Dachstroh der Burg des Romulus einen Hinweis auf die primitive "Rauheit" nicht nur der Architektur (Aen.8,654).

Andernorts beschreibt Vergil das steile Aufragen der Felsklippen des Tetrica; Staiger übersetzt hier "grausige Felsen" (Vergil 1981, 203) und macht deutlich, wo wir uns befinden: im Bereich des Erhabenen. Schon die durch horrere beschriebene morphologische Erscheinung tendiert zur schauderhaften Wirkung. Das Erhabene erscheint bei Silius im Bild der eisumstarrten Berge, die den See umgeben, vor dem Iuno in Gestalt der Seegöttin dem Hannibal erscheint (4,741), oder in der Beschreibung – mirabile dictu – der Eisspitze des Vulkans Ätna (14,68). Erst recht herrscht die Stimmung des Schaurig-Erhabenen in den Regionen der Unterwelt: dort starren an den Bäumen schwarze Blätter, erschauernd in hoffnungsloser Düsternis (Seneca, Herc.Fur.689).

Ein morphologisches Phänomen mit schauriger Wirkung beschreibt der Autor des Hercules Oetaeus (vermutlich Seneca): das blutgetränkte Vlies, das Deianeira benutzt hat, um das Gewand des Herkules mit dem Blut des Kentauren Nessus zu bestreichen, starrt, dem Sonnenlicht ausgesetzt, plötzlich auf grauenvolle Weise stachelartig in die Höhe und läßt Flammen kräuseln (Herc.Oet.727); Deianeira hat eine fürchterliche Vorahnung, und tatsächlich wird das Gewand mit dem vermeintlichen Liebeszauber sich in die Haut des Herkules fressen.

Furchterregende Wirkung hat auch eine andere Art des Starrens. Auf Homer (Il.13,339) geht das Bild von der lanzenstarrenden Schlacht zurück; die lateinischen Autoren erheben zu Subjekten von horrere hier auch das lanzenstarrende Schlachtfeld (Vergil, Aen.11,602), die waffentragende Formation (Horaz, Sat.2,1,13) oder, wie in einem Fragment des Ennius, die Lanzen selbst. Ebenfalls homerisch ist das Bild von den Fluren, die von sprießender Saat starren (Il.23,599); Vergil verknüpft also zwei homerische Ideen, wenn er die schaurige eiserne Saat gezückter Klingen emporstarren läßt (Aen.7,526; 12,663). – Von ehernen Schuppen starrt Turnus, als er seinen Brustpanzer angelegt hat (Aen.11,488); auch hier soll die grauenerregende Gestalt bildlich werden. Die sichtbaren äußeren Formen evozieren in all diesen Szenen eine unheilschwangere Atmosphäre und antizipieren kommenden Schrecken. Erscheinung des Gemetzels ist dann der von Pfeilen und Wurfspießen starrende Brustpanzer des Hannibal (Silius 1,527); horrere steht hier aber ganz naturalistisch für die Darstellung eines Details. Es scheint, als könnte horrere nur vor der Schlacht das Grauen metaphorisieren; vor dem Waffengang fließen die Bedeutungen von horrere als "(Empor)Starren" und als Erschauern in einer Atmosphäre des Grauens ineinander. Das Grauen ist nicht das Blutvergießen selbst, sondern liegt in der Luft. 

Horrere beschreibt dann Bewegungen, die Unruhe und "Rauhwerden" der Natur verursachen, etwa das Aufwogen des Sturms (Ovid, Fast.1,495) oder aber, wie "plötzlich rauhe See zu gehen beginnt" (Cicero 1987, 85), Rauheit der Elemente also. Auch die bebende Erde (Statius, Theb.7,794) ist eine Erscheinung erregter morphé im Bereich der Natur. Ein Natureffekt, der schaudern macht, erscheint dreimal in Vergils Aeneis (1,165; 1,311; 3,230), wenn die Rede ist von zitternden und schaurigen, ominös sich bewegenden Schatten. In ihrem webenden Dunkel scheinen die Schatten ein unheimliches Eigenleben zu führen (Ovid übernimmt das Bild in Halieuticon 88). 

Physiologisch meint horrere das Erstarren "in frostigem Kittel" (Petronius 1948, 181), das Schaudern vor Kälte (Ovid, Ars Am.2,213). Wiederholt erscheint horrere, wenn ein physisches Aufragen im (mythologischen) Kontext des Übernatürlichen bzw. Monströsen steht und den Horror des Betrachters damit schon impliziert: Vergil (Aen.6,419) und Seneca (Herc.Fur.786) beschreiben mit horrere das erregte Züngeln der sich aufrichtenden Schlangen am Nacken des wütenden Höllenhundes Kerberos; von Schlangen starrt der von Megaera geführte Zug der Dienerinnen des Unterweltsgottes Dis (Seneca, Herc.Fur.101); starrenden Speerspitzen gleich ragen die Borsten des calydonischen Ebers (Ovid, Met.8,285); von aufgerichteten Borsten starrt auch der Leib des Polyphem (Ovid, Met.13,846). Drachenschuppen sträuben sich (Ovid, Heroides 12,101), und die Arme der Callisto, die in eine Bärin verwandelt wird, beginnen im Prozeß der Metamorphose von schwarzen Borsten zu starren (Ovid, Met.2,478). Ähnliches widerfährt Macareus, als Circe, wie es ihre Spezialität ist, aus ihm und seinen Gefährten Borstenvieh macht (Ovid, Met.14,279).

Häufig starrt ein struppiger Bart (z.B. Petronius, Sat.99); vor allem aber sträuben sich Haare – vor Entsetzen, so die weichen Locken Kassandras (Seneca, Agam.712), aus ehrfürchtigem Schrecken, so bei Aeacus, als die dem Jupiter heilige Eiche zu rauschen beginnt, ohne daß ein Windhauch die Zweige bewegt (Ovid, Met.7,631), oder bei der "besessenen" Orakelpriesterin, die in ihrer Erregung Apollon "empfängt" (Seneca, Oed.230). Ein Topos ist das gesträubte Haar auch an den Horror auslösenden Gestalten: Plinius d.J. beschreibt das wirr zu Berge stehende Haar eines Geistes (Briefe 7,27,5), Horaz das wüst starrende Haar der Sagana, einer Hexe (Epoden 5,27).

Im heute geläufigen psychologischen Sinne bezeichnet horrere den Schrecken, der buchstäblich erstarren läßt; paradigmatisch ruft Melaenis bei Plautus (Cist.551): Iam horret corpus, cor salit ("Wie mein Körper starr ist! Wie laut das Herz mir klopft!", Plautus 1971, 316). Der Schauer des Entsetzens sträubt zwar auch die Nackenhaare, aufgerauht ist hier aber vor allem die "innere Form". Bereits ein sehr frühes Zeugnis illustriert Horror als ambivalenten Zustand: in einem Fragment des Pacuvius spricht König Oeneus: Sed nescioquidnam est, animus mi horrescit, et gliscit gaudium ("But something it is – I know not what; my mind, it dreads – and joy swells up", Pacuvius 1967, 284 ff.). Zwar ist gliscit als Lustempfindung horrescit hinzuaddiert, doch eindeutig ergreifen die beiden Zustände gleichzeitig von Oeneus Besitz.

Immer schon wird Horror ausgelöst durch das Antizipieren oder die Nähe des Todes. Sogar Tiere, die doch ohne Intelligenz und Verstand seien, "erschaudern angesichts des Todesschreckens" (Cicero 1988, 341). Cicero zitiert hier Pacuvius, der horrescunt dabei als Reaktion auf den terrore mortis setzt, Horror also von Terror unterscheidet wie "Reflex" von "Übergriff". Falls Pacuvius andeuten wollte, daß auch beim Tier Horror eine elementare Reaktion darstellt, die nicht nur rein physiologischer Reflex auf Todesgefahr ist, dann hätte auch im Tierreich Ciceros Diktum zu gelten, nach dem der Tod nichts an sich habe, wovor man schaudern müsse (Tusc.2,2).

Seneca spickt vor allem seine grellen, exzessiven Tragödien mit Horror (allein die Verben horrere bzw. horrescere erscheinen über 70mal in seinem Oeuvre). Cicero äußert eigenen, genuinen Horror mitunter in seinen Briefen; in seinen Reden liebt er es, lediglich rhetorisch, aber rhetorisch effektiv und prozeßtaktisch zu erschauern (vgl.Phil.7,8; Quinct.92). Seneca und Cicero beweisen, daß man nahezu vor allem erschauern kann, womit beide jedoch in der Regel suggerieren, daß man es nicht sollte. "Welche Dummheit doch, vor dem Meer zu erschauern, wo du weißt, daß dich schon ein Tropfen töten kann!" (Seneca 1990, 158; Nat.Quaest.6,2,5). Es liegt sogar Gewinn darin, wenn uns widerfährt, wovor wir schaudern und zittern (Seneca, De Prov.3,2). Wie Cicero mahnt Seneca, vor dem Tod nicht zu erschauern (Epist.Mor.78,25); die korrumpierende Macht der Todesfurcht werde schwinden, sobald wir die Grenzen des Guten und des Übels erkannt haben. Der Tod ist weder ein Gut noch ein Übel, schon deshalb nicht, weil die Grenze der menschlichen Existenz mit den Grenzen von Gut und Übel identisch ist. Seneca nimmt an, daß wir den Tod fürchten, weil wir zurückschaudern vor dem Unbekannten (Epist.Mor.82,15). Vor dem Unbekannten erschauert - bei Apuleius - auch Psyche, als ein sanfter Ton ihr den noch inkognito bleibenden göttlichen Liebhaber – Amor – ankündigt (Met.5,4,4).

Neben dem Tod und dem Unbekannten läßt das Monströse schaudern: das monströse Wesen, der monströse Anblick, die monströse Tat; das, was Grenze und Maß des als "menschlich" Geltenden außer Kraft setzt und sprengt. Herkules, so Lukan (1,577), hatte die Unterwelt gesehen und erschauert doch vor Megaera als Ministerin des Zorns der Iuno. Vor dem Monster, dem Psyche ausgesetzt ist, erschauern sogar die Meeresfluten und die Stygische Nacht (Apuleius, Met.4,33,8). Aeneas faßt das Grauen, da er berichtet, wie die beiden Schlangenungeheuer, die Laokoon und seine Söhne angreifen, zischend und mit von Feuer und Blut rotbrennenden Augen über das Meer herangleiten (Vergil, Aen.2,204). Vor dem Schlangengezücht, das schwarzes Gift spritzt, schaudert das Volk der Garamanten (Silius 3,313), während der Strand von Cephaloedium bei Sturm die Ungeheuer fürchtet, die in der Tiefe des Meeres leben (Silius 14,253). In Senecas Tragödien, die vor Blut triefen, um die Verhängnisse der Leidenschaft evident zu machen, erschauern u.a. Achilles vor seiner eigenen Tat (Troj.241) und Oedipus, vom Orakel gewarnt, vor seiner Mutter (Oed.794); erschauern läßt auch das vielfache Heulen aus einem Leib, dem der Scylla (Med.353). Das Haus des Tantalus erschauert, wenn der auf die Erde zurückgekehrte Schattengeist des Tantalus es betritt (Thyest.104), und Theseus weiß: es gibt Taten, vor denen auch ein unerschütterlicher Sinn schaudert (Herc.Fur.651). Aeneas bekennt, die Erinnerung an Trojas Todeskampf und Fall voller Gram und Grauen zu scheuen (Vergil, Aen.2,12); Plinius d.J. erweist diesem Vergil-Vers Reverenz, als er ansetzt, den Vulkanausbruch zu schildern, bei dem sein Onkel starb: "Wenn gleich Schauer mich faßt und Entsetzen, will ich beginnen" (Plinius d.J. 1984, 339).

Die Amme, die gewahrt, wie Medea sich mit der Kraft zum Bösen füllt, um eine monströse Tat zu begehen, erschaudert (Seneca, Med.670), ebenso der Bote, der berichtet, wie Atreus aus Rache die Söhne seines Bruders Thyestes schlachtet, sie ausweidet und ihrem Vater zum Mahl vorsetzt (Thyest.639) – ein Geschehen, das sogar den Wächter der Unterwelt schaudern macht, wie Seneca den Schatten des Tantalus schon zu Beginn andeuten läßt (Thyest.16). Philomela, vergewaltigt von Tereus, dem Gemahl ihrer Schwester, zittert wie eine Taube, die mit blutverschmiertem Gefieder noch immer erbebt vor den gierigen Krallen, die sie zerfetzten (Ovid, Met.6,530). Philomela überkommt das kalte Grauen erneut, als sie, zerschunden und verstümmelt, mit ihrer rachedurstigen Schwester Prokne den Palast des Frevlers betritt (Ovid, Met.6,602). Alcyone schaudert, als sie mit düsterer Vorahnung das Schiff erblickt, mit dem ihr Gemahl Ceyx in See stechen und Schiffbruch erleiden wird (Ovid, Met.11,458). Der Räuberhauptmann Haemus behauptet a) sich von Menschenblut zu nähren und b), daß bei Nennung seines Namens ganze Provinzen erschaudern (Apuleius, Met.7,5,20). Schaudern machen das Treiben und die Totenblässe der Hexenweiber Canidia und Sagana (Horaz, Sat.1,8,45 u.1,8,26), ebenso der bevorstehende Inzest, den Myrrha mit ihrem Vater Cinyras begehen wird (Ovid, Met.10,460). Vor dem Machtexzeß, der ihm jetzt offen steht, schaudert Marcellus, als er vor Syrakus steht mit dem Bewußtsein: ein Wink von ihm, und die Stadt ist Staub (Silius 14,671). Perser und Meder erschauerten vor der Tat der Judith, die ihre schönsten Kleider anzog, sich schminkte und schmückte für den assyrischen Feldherrn Holophernes – und ihm dann den Kopf abschlug (Vulg.Judith 16,12).

Grauen lösen auch Naturerscheinungen aus: das erzürnte Meer (Horaz, Epoden 2,6), Blitze und Gewitter (Lukrez 6,261). Vor dem durch furchtbare Heiligkeit kultisch verehrten und tödlichen Giftdunst ausströmenden Avernus-See, früher Styx genannt, schauderten sogar die Vögel (Silius 12,122). Der Schauder vor dem Übernatürlichen ergreift jene Wachsoldaten, die bei Nacht Flammenschein auf Bergspitzen entdecken: ein Phänomen, das nicht von Menschenhand verursacht scheint (Silius 7,369).

Wer einen Schiffbruch erlitten hat, so Ovid, erzittert selbst vor ruhigem Meer (Ep.ex Ponto, 2,7,8). Seneca erklärt, daß junge, leicht verwundete Soldaten eher vor der Hand des Arztes schaudern als vor dem Schwert (Ad Helv.Matr.3,1). Vor dem Gespenst ihres Gemahls schaudert Tiburna, Gattin des Murrus, den sie sterben sah und dessen von Wunden zerrissene Leiche ihr bei Nacht erscheint, um das Wort an sie zu richten (Silius 2,568). Wer aber, heißt es bei Lukan (8,450), wollte vor dem leeren Gespenst eines Namens schaudern?

Die vielleicht zentrale Bedeutung von horrere ist das Erschauern in Ehrfurcht vor dem Numinosen, Göttlichen und Heiligen, das Erstarren vor den Gewaltigen und Gottgleichen. Bei Cicero findet sich bereits die kritische Anmerkung: wer glaubt, daß ein Gott ihn beobachtet, wird Tag und Nacht vor göttlicher Macht erzittern müssen (Acad.2,121). Cicero selbst schaudert eher vor Schachzügen Caesars (Attic.9,15,2), doch ebenso vor einem Triumph des Pompeius, als er Zeuge der Raffgier und der blutrünstigen Reden von dessen Männern wird (Ad Fam.7,3,2). Der Sprecher in De Oratore (2,188,5) erschauert stets vor Ehrfurcht, wenn der ergreifende Crassus vor Gericht auftritt. Um seinen Erzfeind Clodius zu schmähen, stellt Cicero rhetorischen Göttern die rhetorische Frage: dieser Frevler soll vor eurer Macht erbeben? (De Domo Sua 140). Andernorts (De Har.Resp.37) heißt es, niemand habe vor Clodius den geheimen Ritus der Opferschau zu entweihen gewagt; niemand, der davor nicht schaudernd zurückgewichen wäre. Nach der Entweihung eines Heiligtums sei noch jeder Frevler erschauert bei dem Versuch, die Götter zu versöhnen (De Domo Sua 140).

Seneca zeigt Cadmus erschauernd vor seltsamen Wundern (Oed.743) und Oedipus vor der Ungeheuerlichkeit des Schicksals (Oed.25); Odysseus wird von Horror ergriffen auch vor dem Nachfahr des Hektor (Troj.535), und in Octavia (Seneca zugeschrieben) gilt das Erschauern der gewalttätigen Macht eines gnadenlosen Gottes (Oct.818).

Ovid, der als Dichter, wie er sagt, ein besonderes Privileg habe, die Götter zu schauen, erfährt den heiligen Schauer bei einer Erscheinung Iunos (Fast.6,19). "Heilig erschauernd" (Vergil 1981, 170) wird Aeneas des Lethestroms gewahr (Aen.6,710). König Iarbas, der um Dido freit und erfährt, daß diese dem Aeneas in Liebe ergeben ist, ruft Jupiter, dem er Tempel und Altäre errichtet hat, entgegen: siehst Du dies, Erzeuger, oder schaudern wir umsonst vor Dir? (Aen.4,209). Ariadne erschauert beim Erscheinen des Bacchus (Ovid, Ars Am.1,553), und wer schaudert nicht sogar vor dem schlafenden Herkules? (Seneca, Herc.Fur.1155). Wer schaudert nicht schon vor dem schweigenden Zorn des Kaisers? (Ovid, Epist.ex Ponto 2,7,55). Erschauern auch vor den Söhnen des Aeneas, dem Geschlecht der Iulier (Ovid, Fast.1,717), vor dem Auge Hannibals (Livius 23,9,7), vor dessen bloßer Geburt (Silius 1,110), vor der Ankunft des Augustus (Vergil, Aen.6,799), aber – wie Tacitus vermerkt – nicht länger vor dem bloßen Namen Roms (Hist.4,62,3). Hannibal spricht zu seinen Soldaten: wie sollte mich vor den Göttern schaudern, da ich solche Männer habe? (Silius 17,317). Petronius läßt Eumolpos in seinem Bürgerkriegsgedicht von Pompeius sagen, daß vor dessen Triumphen selbst Jupiter erschauerte (Sat.123). In der Vulgata heißt es von Daniel, daß ihn schauderte angesichts seiner Vision von den vier Ungeheuern aus dem Meer, gedeutet als Folge von vier heidnischen Weltreichen vor dem Anbruch des ewigen messianischen Reiches (Dan.7,15).

Das von horrere abgeleitete Verbaladjektiv horrendus bringt die schiere Notwendigkeit des Erschauerns zum Ausdruck, zeigt an, was unausweichlich ein "zum Schaudern Bringendes" ist. Eine wiederholte Wendung z.B. bei Vergil ist horrendum dictu - grauenhaft, davon zu sprechen -, etwa von der todessehnsüchtigen Dido, die als Vision am weihrauchumwallten Altar heiligen Trank sich wandeln sieht zu eklig schwarzem Blut (Aen.4,454); oder davon, daß Euander den Erylus, dem drei Seelen innewohnten, dreimal töten mußte (Aen.8,565). Schaudererregend, auch dies faßt kaum die Sprache, ist das Wunderzeichen, das Aeneas widerfährt, als er Sträucher ausreißt, um einen Altar mit Zweigen zu kränzen; aus den gebrochenen Wurzeln quellen Eiter und schwärzliches Blut – das Blut des von Speeren getöteten Polydor, dessen Stimme Aeneas dann vernimmt (Aen.3,26). Ein Zeichen, das Grauenhaftes verkündet, ist die Vision vom flammenumlohten Haar der Lavinia beim Entzünden des Altarfeuers (Aen.7,78). Schauerlich und grausig nennt Vergil in der Aeneis auch die Rätsel, die aus der Höhle der Sibylla schallen, Wahrheiten in dunkle Worte hüllend (6,99), die schallende Stimme der Berecyntia  bzw. Kybele (9,112), den zum Sternengewölbe emporschallenden Schrei des Laokoon (2,222), das Zischen der Hydra (6,288), Charybdis (3,559), das Monstrum Polyphem (3,658) und die Schar der Zyklopen, die, ein jeder riesig wie der Vulkan Ätna, am Ufer steht, als Aeneas mit seinen Gefährten in See sticht (3,679). Charon, der Toten-Fährmann, setzt von einem schaudernden Ufer ab (6,37); eine Grotte des Grauens hingegen ist das Loch, das zu den dunstigen Höhlen des grimmigen Pluto führt (7,568). Grauenerregend fährt die Göttin Iuno nieder, um aus höllischem Dunkel die Unheilsfurie Allekto herbeizuholen (7,323). In Georgica (2,387) spricht Vergil von den grauenhaften Masken, die von den Ausonern beim Bacchusfest getragen werden.

Ein schauriges prodigium (Vorzeichen) in Gestalt einer aus ihrem Loch schießenden, grün-goldenen, hin zum Meer sich windenden Schlange beschreibt Silius (2,584). Horrendus kann die unheimliche Stille der Nacht sein (Silius 15,613) oder das Heulen des Windes als Ausdruck des Zorns der Iuno (Silius 9,499); horrendus war die schwarze Wolke beim Ausbruch des Vesuv (Plinius d.J. 6,20,9), horrendus ist die rasende Wut des Höllenhundes (Apuleius, Met.6,20,6), ebenso das Zischen des Protus in Gestalt einer schwarzgeschuppten Schlange (Silius 7,424). Zu dem von Ovid als horrendus Beschriebenen zählen: das dumpfe Rollen des Styx in der Unterwelt (Ibis 77), das Zischen des blauen, von Gift geschwollenen Drachen, den Cadmus erlegt (Met.3,38), das Antlitz der Gorgo Medusa (Met.4,782), der düstere Weg des Aeneas im Orkus (Met.14,122), das Getön der zu Ehren der Magna Mater Kybele gespielten Flöte (Fast.4,190), sowie das nächtliche Gekreisch der Striges (Fast.6,140).

Für Seneca schauderhaft ist das Antlitz der sich selbst im Zorn Entstellenden (De Ira 1,1,4); schauerlich läßt die Sphinx ihr Rätsel ertönen (Oed.98), schaurig ist das Gedröhn der Stimme des Kerberos (Herc.Fur.795), schreckliche Tiere haften am Leib der Scylla (Epist.Mor.92,9). Silius schildert als horrendus das furchtbare Zischen, das aus der Erde dringt, wenn die Tempelpriesterin die Unterweltsgöttin Proserpina anruft (1,95), und einen düsteren Sumpf über grauenhaften Erdspalten, der mit dem Acheron in Verbindung stehen soll (12,128). Tacitus beschreibt den schauderhaften Kult des Menschenopfers bei den Semnonen (Germ.39,1), Petronius einen schauerlichen Hain in den Alpen, aus dem fremdartige Stimmen ertönen (Sat.122). 

Horrendus findet sich vornehmlich dort, wo magisch-religiöser Horror ausgedrückt werden soll. Das Wort beschreibt auch, wie sich Schreckensschauer und Faszination mischen zu ehrfürchtigem Grusel. Statius verteilt diese Ambivalenz noch einmal auf zwei Worte (horrendum visu ac mirabile, Theb.6,892); Horaz münzt horrendus auf den schaurig-staunenswerten Namen Roms; Vergil zeigt Turnus von Camilla gebannt in heiligem Schauder (Aen.11,507). Frommen Schauer erregt auch die Sibylla (Aen.6,10); als Aeneas sich ihr nähert, wird er geschildert als pius. "Heiliger Schauer von Wäldern und alter Verehrung" (Vergil 1981, 183) umgibt die mächtige, von hundert Säulen getragene Königsburg des Picus (Aen.7,172). Auch die vox horrenda, die nach Livius (6,33,5) aus dem Tempel der Mater Matuta in Satricum schallt, verursacht ehrfürchtigen Schrecken. Lucius, der Protagonist der Metamorphosen des Apuleius, empfindet Horror als Mischung aus Schrecken und Faszination vor Anubis, dem schakalköpfigen Wanderer zwischen den Welten (11,11,2), und vor Proserpina mit ihrem nächtlichen Geheul (11,2,10). Der Hebräerbrief kehrt zu alttestamentarischer Gewalt zurück: schrecklich ist’s für den mutwilligen Sünder, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr.10,31); horrendus ist nach Hosea (6,10) die "Hurerei" des "falschen" Kultes; voller Grauen auch die Nacht der "ägyptischen Finsternis" mit dem schaurigen Feuerherd, der sich von selbst entzündet (Vulg.Sapientia 17,5).

Das Adjektiv horridus bezeichnet zunächst Formen äußerer Rauheit, doch kann jede Bedeutung – rauh, schroff, starrend, stachelig, struppig, zottig – auch "schaudern machen". So ist bei Tacitus Germanien das Land der starrenden Wälder (silvis horrida, Germ.5,1), oder der schaurigen? Wohl beides, und so wird auch ein Ort in der Aeneis doppeldeutig: "Schaurig starrt weithin der Wald" (Vergil 1988, 379). Der eisstarrende Bart des Atlas (Vergil, Aen.4,251) kann wahlweise als verwildert oder als schreckenerregend empfunden werden. Schaurig als kalt plus grausig sind bei Ovid die windumwehten Alpen (Amores 2,16,19) und der Nordwind Boreas, rauh vor Zorn (Met.6,685). 

Horridus beschreibt den rauhen, unwirtlichen Ort: Afrika (Ennius, Ann.fr.310), Spanien (Juvenal, Sat.8,116), Ägypten (Juvenal, Sat.15,44), Sizilien, das einstmals blühende, das Cicero so unkultiviert vorfand, daß er mitten in Sizilien Sizilien zu suchen begann (Verr.2; 3,47); Tomis, Ovids Verbannungsort (Epist.ex Ponto 1,3,84); den schauerlichen Berg (Apuleius, Met.4,6,5), den schroffen Felsen (Silius 17,274), die zerklüftete Erde (Silius 4,687).

Das starrende Haar mit Schlangengirlanden gerafft, so zeigt Lukan die verruchte Hexe Erictho (6,656). Das wilde Haar, oft von schreckenerregender Wirkung, gehört auch zu grauenvoller Majestät (Silius 6,426). Dornensträucher sind in dem Maße stachelig, wie der Waldgott Silvanus horridus ist (Horaz, Carm.3,29,22); ihre Fähigkeit metaphorisierend, jeder männlichen Erektion etwas abzugewinnen, behauptet die Priapuspriesterin Oenothea, sie könne rauhen, starrenden Felsen Wasser in nilgleicher Fülle entströmen lassen, wenn es ihr Wille ist (Petronius, Sat.134).

Zweitens bedeutet horridus eine innere Rauheit, die sich auf charakterliche Bildung, Lebensführung, Redeweise und Ausdrucksform bezieht. Cicero verwendet horridus positiv für das Schlichte und Ungekünstelt-Schmucklose, negativ für das abstoßend Ungehobelte. Horridus bedeutet auch rhetorische "Rauheit", oszillierend zwischen schnörkellos und ungeschlacht. Von Laelius Sapiens heißt es bei Cicero, er sei ungefügiger (schroffer, archaischer) als Scipio (Brut.83,6), von Gaius Licinius Macer, daß seine Rede nicht glänzend, aber auch nicht unkultiviert gewesen sei (Brut.238,6). Das Rauhe kann attraktiv sein (De Orat.3,98,8) oder in seiner Schroffheit abstoßend, wie die Reden und Lebensweise der Stoiker (De Finib. 4,78). Horaz nennt den Saturnier horridus, jenes alte Versmaß, in dem Naevius dichtete (Epist.2,1,157). Horridus wird hier ähnlich verhandelt wie der Begriff gothic im England des 17. und 18.Jahrhundert, mit der Bedeutung archaisch, barbarisch, unzivilisiert, ungeschmeidig, in Widerspruch stehend zu nüchterner Eleganz. Doch kein Gegenstand, so Cicero, könne derart unattraktiv und abstoßend sein, daß Redekunst ihn nicht zu Brillanz und Raffinement veredeln könne (De Orat.3,51,7).

Oft (z.B. Vergil, Aen.7,746; Horaz, Carm.4,5,26) beschreibt horridus "wilde" Völker oder "rauhe" Stämme, und wenn Deianeira eine "rauhe Leber" zu rühren sucht (Herc.Oet.574), gilt ihr Zauber dem Organ, das nach antiker Auffassung als Sitz der Affekte, zumal der sinnlichen Liebe und des Zornes galt. Auch virtus kann horrida sein (Silius 11,205); mit solch grauenerregend unbeugsamer, als Kardinaltugend geltender Tapferkeit steht Decius vor Hannibal.

Drittens erscheint auch horridus in der Bedeutung entsetzlich, schauderhaft, grausig. In Senecas Stücken erscheinen als horridus u.a. Charon, der die furchterfüllten Manen über den Unterweltsstrom fährt (Herc.Fur.764); Dis, der Unterweltsgott (Phaed.951), und die auffahrende, aufstachelnde Gewalt des Mars (Oed.89: "[...] should the bristling power of Mars rush on me", Seneca 1968, 435). Schaurige Wolken mögen die ganze Welt umhüllen, fordert Thyestes, als er erfährt, daß er bei einem Mahl seine eigenen Kinder verzehrt hat (Thyest.1078). Wilde, nie gekannte, grauenvolle Taten, vor denen Himmel und Erde erzittern sollen, ersinnt Medea (Med.45). Schreckliches kann die Erde erzeugen in ihrer Feindseligkeit (Herc.Fur.30). Der in grauenvoller Totenbeschwörung erscheinende, halbverweste Laius mit seinem über die Glieder ergossenen Blut (Oed.624) ist ebenso horridus wie die Schreckensfratze des Stierungeheuers, das sich aus dem Meer erhebt und die Pferde des Hippolytus in tödlichen Aufruhr versetzt (Phaed.1081). Der Dichter des Hercules Oetaeus fügt als horridus hinzu: den Tod (1948), Jupiter (550), Amor (580), den wilden Kentaur Nessus (921), den zerklüfteten Kaukasus, der gierigen Vögeln Schmaus bietet (1377), die von Herkules besiegten scheußlichen Untiere (1295). In den Naturwissenschaftlichen Untersuchungen erwähnt Seneca als horridus den blitzenden Himmel, wenn geradezu das Firmament herabbricht (6,32,4); die immerwährende, blitzdurchzuckte Nacht der Sintflut (3,27,10); die durch Sturm und Donner schauerlichen Nächte (5,18,7); unheimliches Wasser im Erdinneren, das für kein Geschöpf fließt (5,15,4), und die schaurig anzusehenden Mengen von Getier, die aus tiefer Erde plötzlich hervorbrechende Wassermassen mit sich führen (3,19,1). Zorn klingt, kreischt und knirscht für einen Feind der Affekte wie Seneca grausig (De Ira 3,3,6). Bei Petronius gilt horridus der Erinys (Sat.124), bei Martial einem entsetzlichen Geschwür (11,91,5), bei Horaz dem Stab, mit dem Merkur die Schattenbilder der Toten zur düsteren Schar geleitet (Carm.1,24,16) und der Höhle des Taenarus, einer Stätte der Unterwelt (Carm.1,34,10). Properz verfügt in einer Begräbnisanweisung als Grabinschrift einen Vers: Der da als rauhe/grausige Asche (horrida pulvis) liegt, war einst Sklave einer großen Liebe (2,13,35).

Caesar erinnert sich der schrecklichen blaugrünen Kriegsbemalung der Briten (Bell.Gall.5,14), vermutlich Tätowierungen. Von furchtbaren Kriegen kündet Vergil (Aen.7,41), das "grausige Kriegsgeschick" (Vergil 1988, 461) ruft Aeneas fort (11,96), grausig nennt Dido die Botschaften der Götter, die ihr Aeneas entreißen (4,378), schaurig wird der bluttriefende Kriegsdämon über seinen Waffen heulen, wenn hundert bronzene Knoten ihn bändigen (1,296). Ein grausiges Beginnen ist auch bei Silius der Krieg (1,630), mit grausigen Taten (12,387), gräßlichen Toden durch gräßliche Waffen (1,517; 4,180), erschreckenden Feinden (10,602) und entsetzlichen Schicksalen (6,313). Die im Tempel der Dido dargebrachten horrida sacra stehen Hannibal, der dort Römerhaß schwor, noch vor Augen (Silius 3,140). Horridus nennt Silius ferner den Styx (13,569), die aus Ungewißheit geborene schaurige Befürchtung (10,543) und das Blitzeschleudern des Götterkönigs (9,478).
Diminutiv zu horridus ist horridulus ("etwas rauh"); bei Plautus meint horridulus die erregt aufgerichteten, "starrenden" Brustspitzen (Pseudol.68).

Der dritten Bedeutung von horridus entspricht horribilis, als schauderhaft, entsetzlich, grausig, schrecklich. Horribilis nennt Lukrez die Götterfratzen, die am Himmel über den Unaufgeklärten drohen, (religiösen) Schauder auslösend (1,65) - für den Streiter wider den Aberglauben nurmehr Gruselpossen des Geisterglaubens. Unkenntnis, so wird Epikur bei Cicero bestätigt, läßt die schauerlichen Angstgebilde (horribiles formidines) des Aberglaubens wie der Todesfurcht entstehen (De Finib.1,63). Cicero verwendet die Horror-Terminologie denn auch eher in einer dem politischen und juristischen Tagesgeschäft angepaßten Rhetorik (vgl. Quinct.95, Scaur.22, Cluent.7 u.a.). Pragmatisch heißt es, für den Anfang einer Rede sei ein Scherz sehr vorteilhaft, oder aber, falls dies der Dignität des Falles widerspreche, etwas Schauderhaftes (De Inv.1,25,21). Hübsch auch der schauderhafte Scherz wie in Tusc.1,102: Theodoros von Kyrene, von König Lysimachos mit Kreuzigung bedroht, soll erwidert haben, mit derlei horribilia solle er andere bedrohen, ihm sei es gleich, ob er über oder unter der Erde verfaule. Zum gräßlichen Scheusal wird Catilina erklärt (Cat.1,11), ebenso ruchlos wie der Krieg, der durch ihn drohe (Cat.2,15). Auch Cicero kennt den Schauder vor dem Unheimlichen; in einem Brief an Atticus (8,9a,2) erscheint horribilis als Ehrfurcht einflößend, wenn es von Caesar heißt: "... horribili vigilantia, celeritate, diligentia est" (Cicero 1968, 76), dessen Eigenschaften also mit einer Mischung aus Schrecken und Bewunderung wahrgenommen werden. In der Vulgata bezeichnet horribilis wiederholt (z.B. Malach.1,14; Deut.4,34) die schreckliche Herrschaft Gottes, ebenso den großen und schrecklichen Tag des Herrn (Joel 3,4). Schrecklich wird des Schwertes Blitz über den Gottlosen fahren (Hiob 20,25).
Bei Petronius heißt horribilis das schauerliche, ehrfurchtgebietende Geheimnis, das Encolpius und sein Spießgeselle Ascyltus mitangesehen und geteilt haben und auf Bitten der Quartilla nicht preiszugeben schwören: Quartillas nächtlicher orgiastischer "Gottesdienst", der Geheimkult zu Ehren des Priapus (Sat.21).

Bilder des Grauens verfolgen Diomedes in Vergils Aeneis: das Kreisen und Kreischen der Gefährten, die in Vögel verwandelt wurden, weil sie Venus gereizt hatten (Aen.11,271). Vergil nennt horribilis ferner die Tiergestalten, in die Proteus sich wandelt (Georg.4,442), sowie die Formen, die Scylla an sich bemerkt (Ciris 80). Bei Sallust bezeichnet horribilis den schaurigen Lärm, der Mauren und Gaetuler aufschrecken läßt, als Marius alle Signale auf einmal blasen läßt (Bell.Iug.99,2), bei Catull den haarsträubend schauerlichen Klang der Flöten beim Dionysoszug (64,264). Catull spricht auch von den "horribiles Britannos" (Catull 1995, 24) am Rand der Welt.

Apuleius geht in der Apologia (61,1) auf den Vorwand ein, er habe zum Zwecke schändlichen Zaubers eine schaurig-gräßliche Holzpuppe angefertigt, die er verehre und "König" nenne. In der Apologia erscheint horribilis überdies als Beschreibung für das Abbild eines grausigen Leichnams (63,1), das ebenfalls die gegen Apuleius erhobene Anklage der Anwendung von Schadenszauber erhärten soll, sowie als Beiwort zu Magie überhaupt (47,3), die demnach ein gar schauriges Tun ist. Wie auch Kreon bestätigt, der Medea partout horribilis nennt (Seneca, Med.191). 

Horrifer (schaurig kalt, schauderhaft, eigtl.: "Schauder bringend") wird zunächst auf bestimmte Winde bezogen, seinerzeit noch mit Eigennamen versehen: auf Aquilo, den Nordnordost (Cicero, De Nat.Deor.2,111) und den Nordwind Boreas (Ovid, Met.1,65). Horrifer heißt bei Vergil die Aegis der zürnenden Pallas Athene (Aen.8,435), bei Ovid die Erinys (Met.1,725), bei Lukrez das Schreien, mit dem in der Frühzeit, da man nichts von Wundheilung wußte, schwer Verwundete das Jenseits herbeiriefen (5,996), bei Pacuvius das prodigium, das Wunderzeichen, das "Unnatürliche" überhaupt (fr.103). 

Horrificus (schauerlich) und horrificare ("rauh machen", Entsetzen erregen, schrecken) bezeichnen den äußeren Vorgang oder die innere Symptomatik des "Aufgewühltseins". Horrificus nennt Lukrez die "Abbilder" von Verstorbenen, die aus dem Schlaf schrecken (4,36), und den Dunst aus den Schlünden des Tartarus (3,1012). Schauerlich erscheint es Lukrez auch, wie das Bild der Großen Mutter durch die Lande getragen wird (2,609). Catull beschreibt durch horrificare, wie der Atem des Westwinds am Morgen den Schauder der Wellen erregt (64,270). Horrificus ist bei Vergil das grausige Gleiten und der Sturzflug der Harpyien (Aen.325), während horrificare zeigt, wie die Stimmen von Sehern aus vergangenen Zeiten Dido "schauern machen" (Aen.4,465). Horrificus bezieht Silius auf die greulichen Riten gewalttätiger Völker (2,501).

Diverse Komposita (horricomis, horripil[at]io) beziehen sich auf das gesträubte Haar; horrisonus dann, "schauerlich tönend" ist in Ciceros Übersetzung des Befreiten Prometheus von Aischylos das Dröhnen des Meeres (Tusc.2,23), bei Vergil das Kriegsgeschrei der Kämpfer (Aen.9,55). Schaurigen Klang wird, so Lukrez, der (wissenschaftlich absehbare) "Welteinsturz" haben, das Ende von Erde und Kosmos (5,109). Bei Silius gilt horrisonus dem halbtierischen Geheul, mit dem Crixus seinen Zorn steigert (4,278), dem Gebrüll eines von Speeren durchbohrten Elefanten (4,612), und dem entsetzlichen Krachen, mit dem der Himmel aufreißt (8,652) – eines der prodigia vor der Schlacht. Vergil beschreibt als horrisonus, wie sich das Tor zum Tartarus öffnet mit grauenhaft kreischender Angel, während Tisiphone hohnlachend die Peitsche schwingt (Aen.6,573).

Von den mit Präverbien gebildeten Komposita beschreibt inhorrere (inhorrescere) ein Erschauern, Erbeben und Erzittern wie das Aufwogen der Wasserfläche, das Erzittern des Meeres, das schwerer See vorausgeht ("inhorrescit mare", Pacuvius 1967, 294). Horaz (Carm.1,23,5) beschreibt mit inhorrere, wie "der kommende Frühling das zitternde Laub durchschauert" (Horaz 1981, 109); gelindeste Erschütterung auch in Ovids Schilderung vom Erzittern der Luft durch die Flügel des Amor (Epist.ex Ponto 3,3,9). Bei Tacitus erschauert Vitellius über die schweigende Leere verlassener Palastgemächer (Hist.3,84,4). Eine Geisterscheinung löst haarsträubenden Schauder aus in Hiob 4,15; Petronius zeigt Encolpius durchschauert von den Verheißungen der Oenothea (Sat.135) und läßt Trimalchio die Haare zu Berge stehen nach der beim Gastmahl erzählten Werwolfgeschichte (Sat.63) – in beiden Fällen zweifellos auch genußvoller Schrecken. 

Perhorrescere (selten perhorrere) markiert das Erschauern durch und durch. So schauderte die ganze Welt vor Grauen beim Mord an Caesar (Ovid, Met.1,203), so erbebt der Ätna unter dem Gebrüll des Polyphem (Met.13,877), so erzittert jeder König unter dem drohenden Auge Trajans (Plinius d.J., Paneg.17,3). Cicero verwendet perhorrescere eher selten in den Briefen und den philosophischen Schriften (hier: es sei fehlerhaft, vor der Auflösung des Natürlichen – dissolutionem naturae – zu erschauern, De Finib.5,31), dafür um so häufiger in den Reden: es dürfte ein in der rhetorischen Praxis höchst effektives Wort gewesen sein, etwa, wenn Cicero in den Reden gegen Verres genüßlich die Wendung wiederholt, nicht nur sein Geist sei erschüttert, sondern sein ganzer Körper erbebe. Um in der Rede für Caelius die skandalumwitterte Kronzeugin der Anklage, Clodia, zu diskreditieren, stellt Cicero den Verdacht in den Raum, diese habe einen Giftmord an ihrem Gatten begangen, und deklamiert: "Fürchtet sie sich nicht vor dem Hause selbst – es könnte laut zu reden beginnen -, erschaudert sie nicht vor den Wänden, ihren Mitwissern, und vor jener Nacht des Unheils und Jammers?" (Cicero 1980, 48). – Erschauern läßt bei Apuleius ein Wunderzeichen, das damit beginnt, daß die Erde sich spaltet und eine Blutfontäne emporschießt (Met.9,34,3); ein heiliger Schauer vor der Allmacht und Hoheit der Isis erfüllt die ganze Natur (Met.11,25,14). 

Exhorrere (exhorrescere) impliziert oft ein deutliches Scheuen und Zurückschrecken. So schaudert bei Apuleius der Sklave Myrmex vor der Schandtat zurück, Geld anzunehmen von Philesitherus, damit dieser zu Myrmex‘ Herrin gelangen kann (Met.9,19,1). Auch der Jüngling, der von seiner Stiefmutter begehrt wird, schaudert vor der Tat zurück (Met.10,4,2). Vitellius schaudert nicht zurück vor Leichenhaufen, abgeschlagenen Gliedern und dem Moder der Verwesung auf einem Schlachtfeld (Tacitus, Hist.2,70,4); Thisbes Erschauern, als sie den blutenden Pyramus findet, geht mit Zurückschrecken einher (Ovid, Met.4,135), und in der Vulgata spricht Hiob: halitum meum exhorruit uxor mea (Hiob 19,17) – "Mein Odem ist zuwider meinem Weibe". 

Abhorrere (selten abhorrescere) erscheint schon bei Plautus (Mercator 837: "Wie ist mir doch dies Attika zuwider!", Plautus 1971, 502) und bei Terenz (Abneigung gegen den Ehestand) als Ausdruck des Widerwillens. Cicero dann verwendet das Wort nachgerade exzessiv (über 80mal). Wiewohl er es falsch genannt hat, sich vor der Auflösung des Natürlichen zu entsetzen, räumt er doch die Omnipräsenz einer solchen Regung ein, was beweise, "daß die Natur vor ihrem Untergang ein Schaudern empfindet" (Cicero 1988, 341). Von widerwilligen Soldaten, die den Krieg scheuen, spricht Cicero in einem Brief an Atticus (7,13,2). Während Menschen wie Sokrates staatspolitisches Engagement ablehnten (De Orat.3,59,9), sträuben andere sich vor den Kunstlehren und wissenschaftlichen Systemen der Griechen (Acad.1,4); wer aber könne Aversion hegen oder Widerwillen empfinden gegen die Erforschung aller Dinge, die des Wissens wert sind (De Finib.3,37)? Über allen, die ihren Geist von der vernünftigen Einsicht abwenden (quorum mens abhorret a ratione) und die daher, in unerträglicher Spannung, herannahendes Übel fürchten, hänge Schrecken wie der Felsen über Tantalus (Tusc.4,35). Mehrfach (Sest.71; De Prov.Cons.43) erscheint bei Cicero die Frage, ob der große Caesar einer Sache abgeneigt sei; andernorts vermerkt Cicero, es sei natürlich, zu vermeiden, wogegen Auge und Ohr sich sträuben (De Off.1,128). In einem Brief (Ad Fam.7,3,2) wird daran erinnert, wie der Gedanke an Frieden dem Pompeius verhaßt war. In De Orat.2,185,5 geht es um jenen Redestil, dem es gelingt, das Tribunal so aufzuwühlen, daß es vor dem Berichteten wahren Abscheu empfinden kann. 

Abhorrere beschreibt stets einen Zustand des Nicht-Zusammen-Stimmens, ein Zuwiderlaufen, Nicht-im-Einklang-Sein und Sich-nicht-Fügen. Schlecht vertragen, so Cicero, habe sich die jüdische Religionsausübung mit römischem Brauch und Selbstverständnis (Flacc.69). Des öfteren (z.B. De Orat.1,224,7) taucht bei Cicero der Gedanke auf, Platon habe ein Staatsmodell konzipiert, das völlig im Kontrast steht zum Leben der Menschen, ihren Sitten und Gewohnheiten. Abweichen von der Sprache, die dem sensus communis nach als angemessen gilt, ist Kardinalsünde der Rhetorik (De Orat.1,12,9). Nichts, was der Mensch kraft einer einzelnen Tugend vollbringe, könne zu Menschenliebe, Gemeinschaft und Sozietät in Widerspruch stehen (De Finib.5,66). Keine Ruchlosigkeit aber ist unvereinbar mit Catilina (Catil.1,18). Wutausbrüche, Schmähungen und Beleidigungen wiederum vertragen sich nicht mit philosophischer Bildung, Lebensart und würdevollem Amt (Ad Quint.Frat.1,39).

Angezeigt ist also Inkongruenz und Disharmonie; zwischen das durch abhorrere grammatikalisch Verbundene, inhaltlich aber Getrennte und nicht Zusammenstimmende legt sich Fremdheit, "Rauheit", die den Reibungswiderstand erhöht: beschrieben ist Widerspruch, Widerstreben, Widerstand, Inkompatibilität. Ciceros Umgang mit dem Wort erweitert das Zurückschrecken um die moralische Komponente und entfernt abhorrere oft sehr weit von einem Ausgeliefertsein an die Erschütterung; eher sind es bewußte, souveräne Akte der Abgrenzung, aus Ablehnung und Abscheu erwachsen. Nicht selten finden sich in der Nähe von abhorrere (oder abhorrens) Begriffe wie consuetudo (Gewohnheit, Brauch, Sitte, Tradition); in solchen Fällen wird "abweichendes Verhalten" beschrieben. Und so verselbständigt sich abhorrens mit den Bedeutungen fremd, abweichend, unangemessen, unpassend, ungeeignet (etwa: der Stil des Diskurses der Stoiker sei für die Redekunst ungeeignet, weil dem gewöhnlichen Ohr zu fremd, De Orat.3,66,3).

Auch Seneca fordert von der Philosophie, daß sie nicht im Gegensatz stehen solle zu gängigen Verhaltensweisen (Epist.Mor.103,5). Zum Kern seiner Philosophie gehört die Ansicht, daß wir von Natur aus vor Verbrechen zurückscheuen und sie verabscheuen (Epist.Mor.97,15). Tacitus beschäftigt, daß Nero sich abgestoßen fühlte von seiner Gemahlin Octavia (Ann.13,12,2), Titus hingegen der Berenike nicht abgeneigt gewesen ist (Hist.2,2,1). Der bei Apuleius in einen Esel verwandelte Lucius soll gequält werden mit Speisen, die einem Esel besonders zuwider sind (Met.10,16,16); Lucius, kulinarisch semper idem, bedient sich munter.

"Quid, cedo, te obsecro tam abhorret hilaritudo?" fragt bei Plautus die Kurtisane Gymnasion ihre Gespielin Silenion (Cist.54); die englische Übersetzung: "Why are you and cheerfulness such strangers?" (Plautus 1917, 119) bringt das Moment des Fremden, Inkompatiblen und voneinander Abgegrenzten trefflich zur Geltung.

Das Wort horror selbst markiert wiederum morphologisch eine Rauheit, Unebenheit, Zerklüftetheit oder Schroffheit: das finstere Gekräusel, das den Meeresspiegel "rauht" (Lukan 5,564); die Starre des Eises (Petronius, Sat.123); den Ort horrender Einöde, wo wildes Getier heult, wo Gott Jakob (Israel) findet (Deut.32,10). Lukan (3,411) beschreibt als horror das raschelnde Erzittern des Laubes, das kein Windhauch bewegt, in jenem unheimlichen Hain vor Massilia, der als Stätte "barbarischen" Götterkultes den Soldaten Caesars Schrecken einjagt. Ebenso unheimlich ist der zitternde Schauer der Zweige, in denen gleichsam noch das Gefühl, das Leben der verwandelten Nymphe Lotis ist (Ovid, Met.9,345). Horror bezeichnet bei Lukrez das Erschauern der Erde, deren Beben noch nicht Ausbruch sucht und unterirdisch bleibt (6,593), sowie "der kreischenden Säge scharfgrelles Schauernmachen" (Lukrez 1986, 115): der Ton der Säge bestehe nicht aus glatten Atomen (die sich "melodisch formen" würden), sondern aus "rauhen" (2,411), die sich ergo zu einem unangenehmen Geräusch zusammensetzen. "Psychomorphologisch" heißt es bei der Totenbeschwörung in Senecas Oedipus, den ganzen Hain "schüttelte Entsetzen" (Seneca 1969, 71), bevor die Erde auseinanderklaffte und das Totenreich sich öffnete (Oed.576). 

Physiologisch beschreibt horror das Zu-Berge-Stehen der Haare (Statius, Theb.10,606), den Schüttelfrost (Seneca, Epist.Mor.74,33) bzw. den Fieberschauer (Cicero, Attic.12,6a,2). Horror als "Schauder, wenn man mit kaltem Wasser bespritzt wird" (Seneca 1976, 151), gilt Seneca als Exempel für Regungen, die nicht willentlich kontrollierbar und überwindbar sind und die sich nicht der Vernunft unterwerfen. – Als Erbeben des Körpers in Furcht (corporis horrore) erscheint horror z.B bei Plinius d.J. (Paneg.76,3), als Erbeben unter Tränen bei Properz (1,5,15). Der eisige Schauder indiziert dann psychologisch das Entsetzen und das Grauen – etwa vor dem Blutdurst der Tiere in der Arena (Plinius d.Ä.28,4). Das Grauen überkommt Aeneas beim Tod des Priamos, die Flammen Trojas vor Augen (Vergil, Aen.2,559), ebenso bei der Rückkehr in das dunkle, gefallene Troja, auf der Suche nach seiner Gemahlin Creusa (2,755) – Paglia nennt Vergils Schilderung des Falls von Troja "eine filmische Apokalypse, mit Flammen, die in den Nachthimmel lodern, während drunten Gewalt und Ruchlosigkeit toben" (Paglia 1995, 167) -, und in der bereits erwähnten Szene, in der Blut aus Zweigen tropft (3,29). Horror nennt Vergil dann auch den sich immer grauenhafter verdichtenden Schrecken des Schlachtfeldes (12,406). Silius schließt sich hier mit dem eisigen Grauen an, das Satricus erfüllt, als er erkennt, daß der eigene Sohn gegen ihn kämpft (9,122). Bei Ovid überläuft das kalte Grausen Achaemenides angesichts des Polyphem (Met.14,198) und Alkmene bei der Erinnerung an die Wehen, die Herkules ihr verursachte (Met.9,291). In horrorem wie vor einer Geisterscheinung liegt Encolpius da, nachdem er bei der schönen Circe "kraftlos" geworden ist, sich behext wähnt und sich um die entzückendste Wollust seines Lebens gebracht sieht (Petronius, Sat.128). Ein Traumgesicht des Schreckens befällt Pompeius (Lukan 3,9); den Schlaf der Schwester Didos, Anna Perenna, erfüllt ein schreckliches Traumbild mit Grauen: der tote Sychaeus, der dreimal vom Grab das Antlitz hebt und "seine" Dido ruft (Silius 8,121). Bei Statius ist horror ein Schauer, der den Tod ankündigt (Theb.9,862), Schauer unerklärlichen Entsetzens überfallen Thyestes als Vorahnung der ihm drohenden Katastrophe (Seneca, Thyest.949). Den Horror, den am Morgen nach der Schlacht das verlassene Feld auslöst (Theb.12,12), vergleicht Statius mit der Furcht von Tauben, die eine Schlange in Schrecken versetzt hat, und die noch lange danach gleichsam "den leeren Himmel" fürchten. Der Schauer, den die Stille und die Leere auslösen, ist also erstens mitverursacht durch das, was vor der Leere und der Stille war, und zweitens dadurch, daß in dieses Nichts das Wiedereindringen von etwas imaginiert wird.

Horror erfüllt Marus, als er an die hundert Ellen lange, monströse Schlange zurückdenkt, die am Bagradafluß in einer dunklen, unermeßlich sich in die Tiefe krümmenden Höhle hauste, im weiten Umkreis ausgewürgte Knochen (Silius 6,151). Marus schildert diesen schaurigen Ort, den er mit seinen Gefährten aufsuchte, noch nicht wissend um die Gefahr, doch plötzlich finden sie sich von Horror erfüllt: schon "da wir nahten, durchdrang ein geheimer Schauer die Glieder" (Silius 1855-57, 200), plötzlich ist das Grauen da als unaussprechlich kalte Furcht, als unbestimmte, aber todsichere Gewißheit, daß etwas nicht stimmt. Horror vor dem Unheimlichen par excellence.

Von großen Feldherren heißt es, sie seien der Schrecken eines Landes oder Volkes: Akron als Schrecken der Grenzen Roms (Properz 4,10,10), Scipio als Schrecken Karthagos (Lukrez 3,1034) sind personifizierter Horror; andererseits läuft auch dem großen Caesar vor der Überquerung des Rubicon bei einer nächtlichen Vision ein Schauer über die Glieder (Lukan 1,192).

Seneca "personifiziert" den Horror in Oed.591: Der Schrecken gellt neben der Erinye und der blinden Raserei (Furor). In Ciceros Ausruf "di immortales, qui me horror perfudit!" (Cicero 1968, 64) – angesichts der Frage, was nur geschehen werde – zeigt sich Horror als die erwartungsvolle Spannung, die buchstäblich zittern läßt; die englische Übersetzung von Bailey liefert dazu die durch Hitchcock zu kategorialer Würde erhobene Bedeutung: "Gods above, I am shivering all over with suspense" (Cicero 1968, 65).

Dann meint Horror aber auch den Freuden- oder Wonneschauer, wie er bei Statius den Adrastus überläuft (Theb.1,494), sowie, vor allem, den Ehrfurchtsschauer. Der Schauder vor dem Göttlichen ist nach Lukrez den Menschen immer noch eingepflanzt und läßt immer neue Heiligtümer, immer neue religiöse Riten entstehen (5,1165). Lukrez, der gegen abergläubische Götterfurcht Streitende, ist als Apostel Epikurs gleichwohl fähig zum Schauer vor dem Heiligen: bei dem Gedanken, wie durch Epikur die Natur und das Wesen aller Dinge sich ganz und gar enthüllt hätten, ergreift vor des Meisters Kraft und Größe den Jünger "göttliche Wonne" (divina voluptas) und "Schauer" (horror) zugleich (3,29; Lukrez 1986, 173). Ähnlich beschreibt Silius die Wirkung, die von Scipio ausging; wer ihn ansah, war "at once awed and pleased" (Silius 1961, 433), war von "süßem Schrecken" (Silius 1855-57, 297) erfüllt. Lust und (ehrfürchtiger) Schrecken werden also zur selben Zeit gefühlt; Petronius verwendet für diese Erfahrung nur das Wort horror, als er Encolpius in eine Bildergalerie führt (Sat.83); Encolpius befaßt sich mit den äußerst lebensnahen Versuchen des Protogenes (und er befaßt sie), und der horror, der ihn ergreift, ist ein Lust- und Wonneschauer, der den Zusammenhang zwischen Horror und diversen Formen der Erektion beweisen dürfte.

Ein Beispiel für den religiösen Ehrfurchtsschauer bei Vergil: "steil vor Entsetzen sträubt sich das Haar" (Vergil 1988, 149) des Aeneas, als Merkur ihn mahnt, nicht bei Dido in Karthago zu verweilen, sondern seine Bestimmung zu erfüllen (Aen.4,280). Der strenge Blick der Göttin Tugend löst ehrfürchtigen Schauder aus bei Statius (Theb.10,641). Statius beschreibt auch den Ort einer Totenbeschwörung: ein alter Hain, dessen Stille von horror erfüllt sei, von der Atmosphäre schauriger Ehrfurcht, durchdrungen von ahnungsvollem Entsetzen (Theb.4, 424), ein weiteres Musterbeispiel des unheimlichen Ortes. Der heilige Schauder ergreift bei Ovid den Paris, als Merkur, Venus, Pallas und Iuno erscheinen (Heroid.16,67); schon bei Plautus erschien horror als der ehrfürchtige Schrecken, der die Sklavin Bromia überkommt, als Jupiters Götterstimme erschallt (Amphit.1068). Furcht und Zittern ergreifen Eliphas ob seiner Nachtgesichte (Hiob 4,14); "Grauen durch Gesichte" auch in Hiob 7,14.

In aller Kürze zusammengefaßt ergeben sich als Spielarten des Horrors: 1) das (Er-)Starren, die Rauheit (der morphé), Phänomene des Sichsträubens und Emporragens; 2) der Fieber- und Kälteschauer. Dann, einen Erregungszustand der inneren Form verratend, als Schaudern im Affekt: 3) der Schauer des Entsetzens, Grauens, Schreckens, Ekels, Abscheus; 4) der Lust- und Freudeschauer; 5) der ehrfürchtige Schrecken, das Erschauern vor dem Numinosen, Göttlichen und Großen, die heilige Scheu.

Horror ist in den lateinischen Texten nicht nur da gegeben, wo auch das Wort horror ihn anzeigt. Sofern aber ein Wort aus der horror-Terminologie erkunden läßt, wo der psychophysische Erregungszustand Horror von Menschen des Altertums Besitz ergriff, lassen sich vielleicht folgende Kategorien bilden:

1) Der durch das Numen bewirkte Horror, der Schauder angesichts des Göttlichen, Heiligen, Übernatürlichen, auch bezogen auf heilige Handlungen (Opfer) und heilige Orte, die zugleich "unheimlich" sind (Haine, Tempel, Heiligtum der Sibylla, Eiche des Jupiter); schaurig-hoffnungslose (Unterwelt, Tartarus, Styx) oder schaurig-mysteriöse (Wälder, Seen, Sümpfe, Höhlen) Stätten, an denen sich "Furchtbares" und "Ungeheuerliches" zu verdichten scheint oder tatsächlich zeigt; der "schaurige Ort"; auch die "Ungeheuerlichkeit des Schicksals".

2) Der magisch-religiöse Kontext aus anderer Perspektive: Horror im Zusammenhang mit Mysterien, Zauberei, magischen Handlungen, (meist unheilverkündenden) Wunderzeichen, Hexenwerk und Liebeszauber, Traumgesichten, Vorahnungen, Erscheinungen, Visionen; Wiederkehr der Toten bzw. Totenbeschwörungen; die schauerlichen Angstgebilde des Aberglaubens.

3) Das Monströse; Untiere, Ungeheuer und die "schrecklichen" Mächte (Erinyen, Charon, Megaera/Gorgo, Drachen, Striges, Harpyien, Hexen, Hydra, Kerberos, Nessus, Polyphem); auch: das Entstellte (durch Zorn, durch Geschwüre); das als "inhuman" Empfundene: "drei Seelen" in einem Menschen u.ä.

4) Horror im Zusammenhang mit Tod, Untergang und Auflösung des Natürlichen.

5) Das Unbestimmte; der Schauer gleichsam "ohne Anlaß", vor unheimlicher Stille, vor dem "Nichts"; mit anderem Akzent: das Unbekannte; der aus Unwissenheit und Unsicherheit geborene Horror ("Suspense").

6) Metamorphosen (Proteus, Scylla, Gefährten des Diomedes, auch: Wein zu schwarzem Blut), Verwandlungen von menschlicher zu tierischer Gestalt.

7) Das "Erhabene": das Grausige der starr aufragenden Berge und Felsen; schaurige Wälder; Naturphänomene und elementare Naturgewalten wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Gewitter, Stürme, rauhe See; daß die morphé zittert, bebt, sich bewegt und unruhig wird, versetzt auch uns in heftige Unruhe. Immer schon als unheimlich empfunden: das Rauschen der Blätter, das "Eigenleben" der Schatten, das Heulen des Windes, Nacht und Finsternis.

8) Schauder vor gewaltiger Größe, historisch, politisch, geistig; in ihrer Größe ehrfürchtigen Schrecken oder ehrfürchtige Bewunderung einflößende Gestalten.

9) Horror im Zusammenhang mit Krieg, Verbrechen, ruchlosen Vergehen, Schandtaten. Zurückschrecken davor oder Schauder bei Erinnerung daran (vom Beischlaf mit der Stiefmutter bis zum Fall Trojas); Inzest, Kannibalismus, Vergewaltigung, die horrende Macht der Leidenschaften und insgesamt: die monströse Tat, der greuliche Frevel, der Horror vor Zuständen extremen Außersichseins.

10) Das Fremde; die "horrenden", "falschen" Kulte (Kybele, Bacchus, Dionysos) und ihre Klänge; fremde und schaurige Riten, "wilde und barbarische" Geschlechter und Völker; auch das Archaische, Alte, fremd Gewordene. Hier überhaupt der zumal durch abhorrere/abhorrens angezeigte Zustand der Inkompatibilität; das Abgelehnte, Abstoßende, zu dem man durch Akte der Abgrenzung in Widerspruch tritt.

Die Sichtung der lateinischen Texte bestätigt indes auch die dem Zustand Horror essentielle Ambivalenz, die Vermischung von Repulsion und Attraktion. Neben dem lediglich grauenvollen Grauen beschreibt die Horror-Terminologie häufig einen "ehrfürchtigen Grusel", eine faktische Kopräsenz von Schrecken und dem als lustvoll erlebten Gefühl einer geradezu hypnotischen Faszination, oder aber einen Schrecken, dem sich eine durch ein zweites, begleitendes Wort ausgedrückte zeitgleiche Lustempfindung beimischt.

Und es zeigt sich, daß die lateinischen Autoren das Wort Horror vor allem dann auftauchen lassen, wenn der Ablauf des Natürlichen oder als natürlich Empfundenen verlassen wird, wenn Wahrnehmungen und Phänomene in einem übernatürlichen Kontext stehen oder zu stehen scheinen. Die Entscheidung über das, was die "rechten Dinge" sind, wird immer neu gefällt. Horror aber lauert da, wo es nicht mehr mit rechten Dingen zugeht. Der Zustand Horror ist immer auch ein Symptom dafür, daß ein festgefügtes Weltbild erschüttert wird, genauer: ein Symptom dafür, daß ein Weltbild erschüttert wird, das im Sinne der rationalen Strategien festgefügt sein soll, daß aber zugleich irgend eine Instanz in uns die vollständige Anerkennung dieser "rechten Dinge" verweigert. Ohne diese Verweigerung wäre die Wahrnehmung dessen, was Horror auslöst, unmöglich. 
 
 
 
 
 
 

 
 
 



 
Literatur (nur zitierte):

Catull: Sämtliche Gedichte, Frankfurt / Main und Leipzig 1995.
Cicero: Letters to Atticus, Vol. IV, Cambridge 1968.
Cicero: Sämtliche Reden in 7 Bänden, Band 6, Zürich und München 1980.
Cicero: Der Staat, München und Zürich 1987.
Cicero: De finibus bonorum et malorum / Über die Ziele des menschlichen Handelns, München und Zürich 1988.
Horaz: Oden und Epoden, Zürich und München 1981.
Lukrez: De rerum natura / Welt aus Atomen, Stuttgart 1986.
Pacuvius, in: Remains of Old Latin, Vol. II, London and Cambridge (Mass.) 1936, repr. 1967.
Paglia, Camille: Die Masken der Sexualität, München 1995.
Petronius: Satiricon, Tübingen 1948.
Plautus: In 5 Volumes, Vol. II, London and Cambridge (Mass.) 1917, repr. 1965.
Plautus / Terenz, in: Antike Komödien, 1. Band, Darmstadt 1971.
Plinius d. J.: Epistularum Libri Decem / Briefe, München und Zürich 1984.
Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Leipzig 1938.
Seneca: In Nine Volumes, Vol. 8: Tragedies I, London and Cambridge (Mass.) 1917, repr. 1968.
Seneca: Sämtliche Tragödien, Band II, Zürich und Stuttgart 1969.
Seneca: Philosophische Schriften, Erster Band, Darmstadt 1976.
Seneca: Naturwissenschaftliche Untersuchungen in acht Büchern, Würzburg 1990.
Silius: Punica, in: Römische Dichter in neuen metrischen Uebersetzungen, Bde. 62 u. 65-68, 1855-57.
Silius: In Two Volumes, Vol. I, London and Cambridge (Mass.) 1927, repr. 1961.
Vergil: Aeneis, Zürich und München 1981.
Vergil: Aeneis, Zürich und München 1988.