Freitag, 6. April 2012

Manon Lescaut, November & Marcuses Grabstein















SPIEGEL ONLINE Forum 

"Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

August 2008 






Gerade ein Plakat gesehen für den Workshop: "Eine Heimat im Körper finden". Fast hätte ich drunterschreiben wollen: Ja, aber in welchem? Huah. Mein ewiger Favorit unter den saublöden, jedoch unvergeßlichen Honk-Schmierereien: Plakat für "Begegnung mit Goethe", ergänzt mit ziselierter Kuli-Schrift: "und seinem Diddel". Gut, ganz ausblenden sollte man das Thema nicht. Stattdessen empfehle ich aber doch lieber "Manon Lescaut" von Abbé Prévost. Ein Standardwerk, eine Bibel geradezu für den Fachmann für den Communication Breakdown zwischen Hirn und Herz. L'amour fou zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Nicht Ratio, nicht Theologie vermögen hier etwas gegen die wilde Leidenschaft, die einem bezaubernden Mädchen gilt, das sich doch immer wieder entzieht, und die nachgeschobenen Erklärungen des Prévost bleiben so wirkungslos wie das Ende des Romans wirkungsvoll, in dem nämlich der vermeintliche Sieg der Tugend mit dem Tode bestraft wird. – "Wer nicht wie Des Grieux liebt, das heißt gegebenenfalls bis zum Verbrechen, bis zur Schande, kann nicht sagen, daß er liebe." (Dumas, Sohn). So ist das: wahrhaft Liebende sind Renegaten, Abtrünnige, Ketzer. All das durchzieht diesen Roman, und man nimmt hin und leidet mit Des Grieux daran, daß und wie Manon immer wieder entgleitet in die Lust an Luxus und Annehmlichkeit. Er sieht sein Unglück voraus, es kümmert ihn nicht, er weiß um die Unbedingtheit, mit der sie beide ihrem Schicksal verfallen sind, er will das Geheimnis dieser Frau, den Zauber, und wir wollen es mit ihm: welche Kunst Prévosts, daß Manon nicht eine Sekunde lang unsere Zuneigung verliert, jeder, der dabei "Schwirr doch ab, Schlampe" denkt, kriegt von Dumas, Sohn eins auf den Kopf.










ray05:

Zitat von Aljoscha der Idiot 
„Wer nicht wie Des Grieux liebt, das heißt gegebenenfalls bis zum Verbrechen, bis zur Schande, kann nicht sagen, daß er liebe.“ (Dumas, Sohn). 

Schönes Thema. Die romantische Liebe, Unterkategorie l'amour fou. Halten Sie eine derartige menschliche Verfasstheit in der Epoche von LAP's und Psychoanalyse noch für vermittel- oder verstehbar? Ich kenne Paare, die heiraten nach acht oder zwölf Jahren gegenseitigen Vergewisserns und Prüfens, nur um schließlich festzustellen, dass sie "eigentlich unabhängig sein wollten."

Zitat von Aljoscha der Idiot 
So ist das: wahrhaft Liebende sind Renegaten, Abtrünnige, Ketzer. 

Aber nein, Herr Erdmann. Sind wahrhaft Liebende nicht eher Idioten?

Zitat von Aljoscha der Idiot 
...Er sieht sein Unglück voraus, es kümmert ihn nicht, er weiß um die Unbedingtheit, mit der sie beide ihrem Schicksal verfallen sind, ... 

Yep, so ist das im Eheleben. Es geht rauf und runter. Schlimmer ist nur ohne einander. :)












Zitat von ray05
Schönes Thema. Die romantische Liebe, Unterkategorie l'amour fou. Halten Sie eine derartige menschliche Verfasstheit in der Epoche von LAP's und Psychoanalyse noch für vermittel- oder verstehbar?

Prévost ist mir mehr Zeitgenosse als viele meiner Zeitgenossen, soviel kann ich sagen. Ich sehe im Hinblick auf "vermittel- oder verstehbar" auch einfach keinen großen Unterschied zwischen "Manon Lescaut" und einem Song wie "Something I Can Never Have" von Nine Inch Nails. Ich sehe dazwischen keinen Bruch, der behaupten würde, das eine ist veraltet, das andere zeitgemäß. Ich verstehe Ihren Punkt bestens, aber ich ignoriere ihn. Ich bestehe darauf, daß man das Unendliche durchquert, wenn man mit einer anderen Seele in Berührung kommt. Wenn ich die Wahl habe zwischen Manon und einem Psychiater... "Die Lust an der perfekten Krankheit, Liebeskrankheit, schweigt vor dem Rettenden mit schauriger Verstocktheit und bedeutet der Erlösung verheißenden Arznei: DU wirst zugrunde gehen an MIR."

Zitat von ray05
Aber nein, Herr Erdmann. Sind wahrhaft Liebende nicht eher Idioten?

Jedenfalls ist Idiotentum männliche conditio, um in eine solche Liebe einzutreten. Exzessives Verlangen nach Hingabe an etwas Größeres als ein Gespräch unter Männern muß schon sein. :)





  





ray05:

Zitat von Aljoscha der Idiot
Jedenfalls ist Idiotentum männliche conditio, um in eine solche Liebe einzutreten. Exzessives Verlangen nach Hingabe an etwas Größeres als ein Gespräch unter Männern muß schon sein. :)

Zitat von Mynheer Peeperkorn
Der Mensch ist göttlich sofern er fühlt. ... Gott schuf ihn, um durch ihn zu fühlen. Der Mensch ist nichts als das Organ, durch das Gott seine Hochzeit mit dem erweckten und berauschten Leben vollzieht. Versagt er im Gefühl, so bricht Gottesschande herein, ... eine kosmische Katastrophe, ...

Nun denn: Es lohnt sich unbedingt, den "Zauberberg" mal wieder zu lesen um dort die alten Freunde zu treffen: Castorp, Naphta, Peeperkorn, Settembrini, Clawdia Chauchat, Hofrat Behrens... Ein ewiger Quell, das Buch.











KLMO: 

Zitat von Aljoscha der Idiot 
Prévost ist mir mehr Zeitgenosse als viele meiner Zeitgenossen, soviel kann ich sagen. Ich sehe im Hinblick auf "vermittel- oder verstehbar" auch einfach keinen großen Unterschied zwischen "Manon Lescaut" und einem Song wie "Something I Can Never Have" von Nine Inch Nails. 

Warum immer alles so exzessiv, welches schon pathologische Züge annimmt?! Kann mich vage an eine Novelle von Maupassant erinnern, da schon in der Jugendzeit gelesen. Dass ich mich an diese Novelle noch erinnere, liegt wohl daran, dass sie mich damals sehr berührt hat.
Ein franz. Offizier sieht bei einer Parade in Paris eine junge Adlige und beide verlieben sich. Der Franzose nennt dies "coup de foudre". Da eine eheliche Verbindung vom Stand her nicht möglich ist, brennen beide durch. Keiner weiß trotz intensiver Suche, wo sie sich aufhalten, sie bleiben für immer verschwunden.
Da dieser Fall in der Öffentlichkeit auch seine emotionelle Berührung fand, erinnerte sich ein Mann an diesen Fall noch nach Jahrzehnten, als er einem Mann und einer Frau in sehr bescheidenen Verhältnissen in einer wilden Bergwelt von Korsika begegnet. Die Leidenschaft zwischen den beiden ist schon lange erloschen, aber sie leben beide in Eintracht und innerer Verbundenheit, trotz ihres aufgezwungenen bescheidenen Daseins.

Das ist grob das Gegenstück zu Manon Lescaut.

Bei beiden ist Leidenschaft im Spiel. Nur sind die Wege grundverschieden. Da das Exzessive, begleitet von einem destruktiven Charakter und auf der anderen Seite eine Liebe, die sich trägt.













Zitat von KLMO
Warum immer alles so exzessiv, welches schon pathologische Züge annimmt?!

Genauere Waage für die Goldwaage: Exzess kommt von excedere, was nur "heraustreten", "über etwas hinausgehen" bedeutet. Und zwar aus sich selbst. SIE ist der Permanentmagnet der Transformation, SIE verlangt den Sprung über die Selbstsucht hinaus, SIE geleitet dich ins Mehr-als-ich. Liebe schlürft dich aus der Schale des Dir-Innewohnens, darum geht es. Erst, wenn ein Egoismus dem Ego des geliebten Wesens gilt, ist die "Liebe, die sich trägt", das lange gemeinsame Werk überhaupt möglich. "Alles andere ist Dreck", wie es irgendwo bei RD Brinkmann heißt. Soweit ist "Exzess" gemeint, diese Bedingungslosigkeit des Verlangens, aus zwei Wesen EIN Wesen mit zwei unabhängig operierenden Zentren zu machen.











ray05:

Zitat von Aljoscha der Idiot
SIE geleitet dich ins Mehr-als-ich. Liebe schlürft dich aus der Schale des Dir-Innewohnens, darum geht es.

Ja, es geht um Heimat und Gerettetwerden, da braucht man sich nix vorzumachen.











KLMO:

Ich antworte Ihnen mal etwas provokatorisch mit Ortega y Gasset: "Die echte Liebe ist nichts anderes als das Bestreben, zwei Einsamkeiten miteinander zu vertauschen."

Das Ich und Es läßt sich nicht verschmelzen in EIN Wesen, es ist und bleibt eine "schöne gedachte Illusion". Ausnahme der biologische Akt als ein Momentum, aus dem neues Leben entsteht. (Nur so ist der Spruch zu verstehen: Alle Lebewesen sind nach dem Koitus traurig).
Ergo, und hier wiederhole ich die Worte eines Priors, "im tiefsten Herzen bleiben und sind Sie immer allein".
Exzessiv sein ist der Versuch, aus dem Kerker des Ichs zu entfliehen. Psychiater wissen zu berichten, dass dies auf die Dauer ein sinnloses Unterfangen ist. Wer es trotzdem nicht einsehen will, ist in der Regel deren Patient.











"Wir verlangen nicht nach einer Sache, weil wir sie zuvor gesehen haben, sondern umgekehrt: weil wir schon vorher im tiefsten diese Art von Dingen vorgezogen haben, gehen wir mit unseren Sinnen in der Welt nach ihnen auf die Suche." – Auch Ortega y Gasset. Und das geht in die Richtung: "Unbewußtes erkennt Unbewußtes irrtumslos". Wissen, daß man, bevor man auch nur ein Wort mit ihm gewechselt hat, zugleich alles von diesem Menschen weiß und nichts.

Von "romantischer" Liebe habe ich übrigens nie gesprochen, den Begriff hat ray eingeführt. Von Exzessivität "auf Dauer" auch nicht. Aber der Wille dazu, die Ichgrenzen einen guten Mann sein zu lassen, muß beibehalten werden, sonst geht Liebe schlicht den Bach runter, sonst schleicht sich jene Nachlässigkeit ein, durch die Sie am Ende nur noch im Liegestuhl festkleben und nichts mehr bleibt als die Behauptung, die Praxis der Theorie vorzuziehen. Liebe ist ein Werk, das nie fertig ist. Ich habe nie einen klügeren Satz über die Liebe gehört: Liebe ist das, was zwischen zwei Menschen geschieht, die sich lieben.

"Immer allein" ist auch so eine einseitige Verabsolutierung. Ich kann innerhalb einer Minute das Gefühl vollständigen Alleinseins und vollständigen Aufgehobenseins erleben, und daran ist nichts Pathologisches. Verschmelzung auf Koitus zu reduzieren wäre genauso exzessiv einseitig wie: nach dem Koitus ist vor dem Koitus (für den Freimann: "Lured by beauty, destroyed by sex" – you know).










ray05:

Zitat von Aljoscha der Idiot
"Wir verlangen nicht nach einer Sache, weil wir sie zuvor gesehen haben, sondern umgekehrt: weil wir schon vorher im tiefsten diese Art von Dingen vorgezogen haben, gehen wir mit unseren Sinnen in der Welt nach ihnen auf die Suche."

Klassisch romantische Vorstellung von der Sinnsuche. Novalis' Heinrich von Ofterdingen macht sich auf die Suche nach der Blauen Blume, von der ihm ein Fremder erzählte.

Zitat von Aljoscha der Idiot
Wissen, daß man, bevor man auch nur ein Wort mit ihm gewechselt hat, zugleich alles von diesem Menschen weiß und nichts.

Dem Rationalisten und Aufklärer käme dieses Wissen fraglos dubios vor. Für den Romantiker dagegen ist dieses erste eine Wort von zentraler Bedeutung: "Die Welt hebt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort."

Zitat von Aljoscha der Idiot
Liebe ist ein Werk, das nie fertig ist.

Das work-in-progress-Motiv. L'art pour l'art. Der Weg ist das Ziel. Wie geschaffen für den Subjektivismus des frei navigierenden romantischen Genies.












Zitat von ray05 
Klassisch romantische Vorstellung von der Sinnsuche. Novalis' Heinrich von Ofterdingen macht sich auf die Suche nach der Blauen Blume, von der ihm ein Fremder erzählte.

Und Novalis selbst: versucht die "unsichtbare Welt", an deren Existenz er mit Gewißheit glaubt, wegen der fortbestehenden inneren Verbindung mit der verstorbenen Braut, mit exakter Wissenschaft anzugehen. Großartiger Ansatz! Man nennt sich nicht umsonst Novalis, Neulandbesteller. Es entsteht eine Enzyklopädie aus wissenschaftlich exakter Verworrenheit, eine Physik der Erotik (mehr im Sinne Platons als im Sinne der Cramps), eine Vermessung des Kosmos, der durch die qualitative Potenzierung entsteht, als die Novalis eine romantisierte Welt versteht. Es entsteht ein Brouillon von Analogiebildungen, weil er das Muster sucht, nach dem alles geschieht. Der magische Idealismus: daran glauben, daß dieses Muster existiert, zugleich aber ständig von der Erotik unseres Strebens verändert wird. So wird Bestimmung "gemacht".

(F) Schlegel: "Hardenberg ist dran, die Religion und die Physik durcheinander zu kneten. Das wird ein interessantes Rührei werden!" Schlegel übersah aber womöglich, daß für Novalis Religion vor allem eins bedeutete: zu Sophie, hatte er gesagt, habe er "Religion, nicht Liebe". 

Zitat von ray05 
Dem Rationalisten und Aufklärer käme dieses Wissen fraglos dubios vor. Für den Romantiker dagegen ist dieses erste eine Wort von zentraler Bedeutung: "Die Welt hebt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort." 

Der Moment, in dem die Korridore, die wir in unseren Marienbads durchwandern, sich treffen. Man kann wählen, ob der Korridor die Richtung vorgibt, oder ob man die Korridore in Richtungen zu bringen weiß. Das ist das Aufregende an Marienbad: auf die Art der Bewegung kommt es an.










ray05: 

Marienbad also. Als Sie mir behende davoneilten, dachte ich mir: Na, vorne an der Weggabelung hole ich ihn wieder ein. Doch außer Wladimir und Estragon und dem Kratzfuß, der einen Wegweiser halb verdeckte, war dort niemand zu sehen. Bergauf ging's nach "Sil", bergab nach "enbad", las ich an der Kratzfußgestalt vorbei.
Also fragte ich: Welchen Weg hat er genommen?
Da runter, antwortete Kratzfuß und deutete Richtung Flachland. Auf halber Strecke findest du einen leeren Benzinkanister, dann kommst Du an einem brennendem Haus vorbei. Wenn er versucht, den Hund zu retten, holst du ihn noch ein.
Ich entschied mich für die entgegengesetzte Richtung. Wie du willst, meinte Kratzfuß, der schon damit begonnen hatte, den Wegweiser abzubauen. Auf halber Strecke, kurz bevor es steil bergauf geht, siehst du einen Moccatrinker. Beachte ihn nicht und halte stattdessen weiter oben Ausschau nach dem Wanderer und dem Schifahrer. Gute Reise.
Nach ein paar Schritten hörte ich Estragon in meinem Rücken rufen: Sie sind also auch nicht Godot? Ich sah mich um. Kratzfuß hatte die Wegweiser jetzt sorgfältig verpackt.


 









WELL I STAND UP NEXT TO A MOUNTAIN AND I CHOP IT DOWN WITH THE EDGE OF MY HAND! 

An der Weggabelung werden für gewöhnlich schwarze Küken hochgeworfen, das haben Sie schlicht vergessen. Aber sehr schön vergessen.

Von den Kurtisanen am Kreuzweg spricht Flaubert in der "Versuchung des heiligen Antonius".

Beeindruckend: die frühe Erzählung "November", sozusagen Flauberts "Werther", halb verschmäht, halb vom Autor geliebt wie keine andere, erst posthum veröffentlicht, eine Geschichte, von der Flaubert selbst mal seiner Louise schrieb: wenn du bei "November" gut zugehört hast, mußt du tausend unsagbare Dinge erraten haben, die dir erklären, was ich bin. - Die Prostituierte als "ideale" Verkörperung des Unerreichbaren, Marie als Verkörperung des ewig Ersehnten, das sich, o urfranzösisches Ideal, selbst nach etwas sehnt. Keine Charaktere, kein Plot, nichts für die Nüchternen. Einfach eine Reise durch den Hexenkessel der erotischen Phantasmen zwischen Traum und Realität, wofür der junge Flaubert eine Sprache ziseliert, deren Schönheit ihn zugleich als Psychologen auf Zickzackkurs ausweist, das Abnorme, das es nicht "wie alle Welt machen" will, hüllt sich ins Negligé preziöser Erhabenheit und endet doch im: "Ich habe sie nie wiedergesehen." – Aber wie auf Marcuses Grabstein steht: "Weitermachen".



































Montag, 19. März 2012

There'll never be another... Karana
















Aber Wehmut war gekommen in das Haus. Und will ich ihr nachspüren, dieser Wehmut, die immer da war, um mich mit ihren Silberschlangenarmen zu umschlingen; dieser Geliebten, die immer half, im Bedeutenden zu verweilen; dieser Agentin der wunderbaren Kontinuität im eigenen Leben... will ich ihrem Flüstern nachgehen, sehr weit zurück, dann ist da "Die Insel der blauen Delphine". Ein Film von 1964, der mich mit Wehmut zurückließ in Zeiten, als ich Fernsehen zu verstehen begann. Die allerfrüheste Erinnerung scheint zu sein, daß mich der fremdartige Klang von Sitarmusik und die Tatsache, daß indische Elefanten auf mich zukamen, dazu veranlaßten, unter den Tisch zu kriechen. Aber schon bald danach muß Karana, Won-a-pa-lei ("Das Mädchen mit dem langen schwarzen Haar") zum ersten Mal erschienen sein. Am Ende stand Wehmut, weil das Ende des Films bedeutete, daß dieses Mädchen niemals wiederkommen würde. Denn so mußte man Fernsehen verstehen. Nicht viel anders als in "TVC15" von David Bowie. Der Song handelt davon, daß ein Mädchen von diesem TV ("so hologramic", "so demonic") verschluckt wird. Sie verschwindet einfach darin. Und der Erzähler sitzt davor, "My baby's in there someplace", und wünscht sich, daß TVC15 sein Baby zurückschickt, aber der dämonische Apparat "just stares back unblinking". Die Überlegung "One of these nights I may just jump down that rainbow way" hatte ich noch nicht.

Ich bin sicher, der Film wurde noch ein zweites Mal gezeigt, und das Prinzip Fernsehen überraschte mich zum ersten Mal mit dem Prinzip Wiederholung. Mir scheint, ich sitze in einem Zimmer, in der Wohnung von Freunden meiner Eltern, die wir oft besuchten an Sonntagen, und die beiden Söhne, älter als ich, sind nicht mehr im Zimmer. Weil sie Karana bereits doof fanden. Ich nicht. Ich wußte, daß Wehmut immer meine Freundin sein würde, und ich war glücklich, Karana wiederzusehen. Daß sie ihr Schicksal noch einmal durchleben mußte für mich, war nicht der einzige Grund, aus dem ich mich ein bißchen schuldig fühlte. Und ich saß da, allein in diesem Zimmer, und sah ein zweites Mal zu, wie Karana, allein auf dieser Insel, sich mit Knochen aus einem Walfischskelett einen Schutz vor wilden Hunden baut.

Manche behaupten, es hat überhaupt nie eine deutsche Synchronfassung des Films gegeben. Aber es gab sie. Ich habe das Buch von Scott O'Dell niemals besessen, das weiß ich, und doch kam mir immer wieder, all through the years, dieser Titel ins Bewußtsein zurück: Insel der blauen Delphine. Irgendwann verband ich mit dem Titel keine Geschichte mehr, nur noch die Erinnerung an Wehmut. Vor einigen Tagen fand ich den Film, in Farbe, auf YouTube. Celia Kaye in ihrem erstaunlich geschlitzten Indianermädchenkleid ist das Little Chumash Girl Lost - eine damals 23jährige, die eine 15jährige spielte, die einen vielleicht 6jährigen mit Visionen aus einer Zukunft betörte, die durch that rainbow way in der Vergangenheit verschwand. Ich bestehe darauf, daß es eine deutsche Fassung gab, schon weil Wehmut veranlaßte, daß ich mich später in Labiskwee verliebte, Christine Kaufmann, "Lockruf des Goldes".

































Freitag, 16. März 2012

Mark Lanegan Hamburg 15.03.2012






 







Mark Lanegan hat mir die Hand gegeben. Meine rechte Hand ist gebenedeit unter den Händen. Ich kann in Frieden sterben.














Sleep With Me
Hit The City
Wedding Dress
One Way Street
Resurrection Song
Wish You Well
Gray Goes Black
Crawlspace
Quiver Syndrome
One Hundred Days
Creeping Coastline Of Lights
Riot In My House
Ode To Sad Disco
St Louis Elegy
Leviathan
Tiny Grain Of Truth

The Gravedigger's Song
Pendulum
Harborview Hospital
Methamphetamine Blues
 
 
 
 
 
 
 
 

"Grip" (Mark Lanegans Hand), Zeichnung von Paula K. Völker.

Visit:

The art of paula_k

 

Mark Lanegan Live 2012:


 














Dienstag, 13. März 2012

Vorweihnacht mit Cured Catherine (9): R.E.M.








Ich schreibe Ihnen von REM, aber erstmal wünsche ich eine gute Zeit in Berlin und mit Killing Joke!








The weather's fine, the sky is blue, it's perfect for our seminar. Grounded, 5 a.m., the nightlite is comforting, hoffentlich, bevor wir dann den Siebenuhrmorgensbus zurück nehmen. Nach dem Konzert ist sowieso alles egal. Hier ist das Siouxsie-Alice-in-Wonderland-Ripoff, leider in schlechter Qualität, mit Robert in prominenter Position. Erwarte dann bei Rückkehr Ihren REM-Report, Miss Secret Agent!









Oh, nein, kannte ich nicht, sehr amüsant... hab mich nie so mit Siouxsie befasst, ehrlich gesagt.
 
Berlin in einer Donnerstagnacht dürfte zu bewältigen sein. Notfalls bieten die Bahnhöfe 24h Coffee. Der Siebenuhrmorgensbus war auch unser am 21. April. Bericht wird angefertigt, Sir.









Nie so mit Siouxsie befasst? Sie sehen mich gerade ziemlich befassungslos!
 
Genau, am Nachtende stehen immer die Vanilleshakes bei NaSiewissenschontodsünde im neuen, an eine Escher-Zeichnung gemahnenden Bahnhof, der mit den irgendwie irrealen Ebenen, wir haben das schon 2x für Nine Inch Nails hinter uns. Erzählte ich Ihnen schon, daß ich beide Male ein Jeordie White-Plektron erwischte? Manchmal hab ich Sauglück.









Zwischen zwei Menschen wird in den ersten zwei Sekunden ihres Zusammentreffens entschieden. Alles. Zwischen Siouxsie und mir – nichts. "Israel" lässt mich tanzen, aber sonst - nichts. So ist es eben. Roberts Zeit bei Siouxsie schien mir immer wie Verrat an The Cure. Außerdem höre ich einfach lieber Männerstimmen – love is not an option, love is never free.

REM live. Hätte nie gedacht, dass es mich so mitreißt. Bin eigentlich eher aus Freundschaft mitgegangen. Die Freundin, wohl der größte REM-Fan Hamburgs, wollte unbedingt in die erste Reihe, wir waren um 16 Uhr vor der Absperrung und sind mit viel Glück zeitgleich mit den Bändchen tragenden Hardcore-Fans in die Halle gelaufen (ein Security Mann hat uns aus Versehen mit den Bändchenträgern verwechselt, vielleicht fand er die Regelung genauso bescheuert wie ich, und so standen wir tatsächlich ganz vorn, direkt vor der Treppe, die Michael dann auch hinabsteigen sollte. We Are Scientists lieferten keine besonders interessante Musik, dafür eine ganz liebe und charmante Ausstrahlung.

In der Umbaupause ging meine Freundin Bier holen und in der Zeit riefen Nachbarinnen die Ordner herbei, sie sollten eine Frau aus der Menge ziehen, die betrunken und kurz vor Unwohlsein sich nicht mehr halten könne. Der Ordner kam zu mir und meinte, meine Freundin sei betrunken und ich solle sie aus der Halle bringen. Sie können sich mein Erstaunen und gleichzeitige Belustigung nicht vorstellen. Ich sagte, dass es sich ganz gewiß nicht um meine Freundin handelte. Er sah mich zweifelnd an (Nicht?) und ich konnte nur noch lachen. Der hatte keine Lust, seinen Job zu machen. Als Paula zurückkam, erzählte ich ihr die Story und zeigte ungeniert auf den Kerl, der sich dann erstmal im Hintergrund hielt. Hah, wir waren bestens gelaunt. Und so auch Michael. Sein Auftritt nahm alles und alle in seinen Bann und die Show war unfassbar kraftvoll und gleichzeitig entspannt. Eine Live Band, die sich nicht mehr groß beweisen muß, es aber dennoch mit Leichtigkeit tut. Die aufgestellten Gummi- und Plastikdinosaurier erhielten auf den Boxen nicht nur ihren Stammplatz, sondern auch ihre Bedeutsamkeit. Politische Ansagen, Erinnerung an die Reagan/Bush-Ära (ja, er verglich die beiden und sah keinen Unterschied), der er einen Song widmete, Amnesty International vor Ort und in Erwähnung. Und schließlich sehr persönliche Erinnerung an seine Jugend, in der er hart arbeiten musste, um sich über Wasser zu halten, der er den Song Time After Time widmete. Am Ende des Songs hatte er Tränen in den Augen, drehte sich für einen Moment weg. Bester Song von der Accelerate für mich: Hollow Man.

Außerdem sämtliche Hits, großartig immer noch Drive (Tausend Hände folgen Michaels "tickenden" Händen, ein großartiger Moment!), The Great Beyond (I'm looking for answers...), The One I Love (FIRE!!!!), Losing My Religion sowieso. Der genauso wie die Dinos immer vorhandene, aber nie benutzte Notenständer flog im hohen Bogen, nachdem die Lyrics in unsere Richtung geschleudert waren. Paula bat einen freundlichen Roadie um diese und erhielt eine ganze Handvoll der kostbaren Papiere. Sogar der schüchterne Mike kam einmal zu uns hinunter und grinste uns breit an, was wohl ein äußerst seltenes Ereignis ist. Michael schritt besagte Treppe dreimal hinab, hielt Hände, umarmte, riß die Arme hoch, riß sein Hemd hoch, tanzte. Als er beim letzten Mal zu uns zurück kam, blieb er neben Paula stehen und hielt singend und grinsend etwa eine halbe Minute ihre Hand. Sie können sich vorstellen, wie gerührt sie war, noch Stunden später, (nach Hause gehen kam nicht in Frage), aufgedreht, losgelöst, entrückt im Kaiserkeller tanzend, den wir mit nur etwa 8 weiteren Besuchern teilten und uns darum nicht genierten, den DJ beständig um REM Songs zu beschwatzen. Wir waren wieder 16 in der Nacht und es war gut.









Beautiful report! Sie wissen ja, welche Bedeutung R.E.M. mal für mich hatten, vor allem in einem bestimmten Interim, sagen Sie Paula, ich besitze ein Tape von dem R.E.M.-Konzert in der Großen Freiheit 1989. Wir waren präsent, und mir bleibt unvergeßlich, wie plötzlich, weiß nicht wieso, Bill Berry, wohl auf dem Weg für Kleine Mädchen, vor mir stand und mir einen großen freundlichen Blick schenkte. Oh doch, ich kann mir vorstellen, wie gerührt Paula war. "Reckoning" mit "Time After Time" (und vor allem mit "Seven Chinese Brothers") war meine erste, ich hatte einen Artikel gelesen über die Band, und Stipe war mir aus 2 Gründen sofort ultrasympathisch: er erzählte von sich, daß er a) überallhin mit dem Fahrrad fahre und b) alles Mögliche mit der Schreibmaschine abtippe. "Lifes Rich Pageant" wird aber immer besonders sein, weil sie teilhatte an den rapiden Bewegungen polierter Augen.

Dann kamen "King Of Birds" und "You Are The Everything". Ich bin aber nicht Mainstream-R.E.M. Ich liebe "Me In Honey" mehr als "Losing My Religion" und "Sweetness Follows" mehr als "Everybody Hurts", "Suspicion" und "Hope" von "Up" sind fast am allerwichtigsten von allen und zu "Monster" habe ich so manches, was dann "Aljoscha" wurde, in eine Schreibmaschine gehackt.
 




















































Freitag, 9. März 2012

Noel Gallagher's High Flying Birds, Hamburg, 08.03.2012















Von einer der schönsten Locations der Welt, dem Grand Rex in Paris, kam Noel Gallagher in die häßlichste Location der Welt, die Hamburger Sporthalle, zudem hatte der Veranstalter die glorreiche Idee, im Innenraum Stuhlreihen aufstellen zu lassen, vor dem Konzert kämpfte man dementsprechend mit der Impression, daß die Menge sich für einen Kongreß vom Turnvatter versammelt. Da die Sporthalle auch nicht für brillante Akustik bekannt ist, ahnte man Schlimmes. Versuche, die fehlende menschliche Wärme mit "Wer unter euch wirft den ersten Stuhl?" zu kompensieren, landeten im Off. Die Vorband - Folks, coole dünne Männer aus Nordwestengland - war überraschend gut und schloß dem nichtswürdigen Ambiente wenigstens halbwegs den Schlund.

Noel höchstdarselbst kam von einer "brilliant night out" und "the next day was spent nursing a rather sore head" in Paris also direkt ins Hamburger Katerfrühstück, das aber sein Bestes tat, um die Sache zu retten. Unter anderem mit, so behauptet der soeben vom NME zum "Godlike Genius" Gekürte wenigstens auf seinem Tourblog, hartnäckigen "Kevin Keegan!"-Rufen. Oy. Kann ich nicht bestätigen, von hinter der Lady & mir kamen dagegen hartnäckige "So ein geiler Bastard schalalalala"-Rufe. "Ein blitzsauberes, ein durchweg wunderbares Konzert" des begnadeten Songschmieds, schreibt die eine Hamburger Postille, "Das Genie läßt's krachen" und "Riesenjubel schallt dem 44-jährigen entgegen, als er die Bühne betritt" die andere. Alles richtig. Die 4000 stehen, sobald der Gottgleichere Gallagher sichtbar wird, die Stuhlreihen funktionieren jetzt ähnlich wie die Kettenkugeln einer Sträflingskolonne, "Zeit für ein neues mittelgroßes Konzerthaus, Hamburg" schreibt eine Konzertbesucherin der MoPo. Auch richtig, aber mag man sich ein neues mittelgroßes Konzerthaus in Hamburg wirklich vorstellen? Mein' nur, bei den Perlen hiesiger Architektur.

Es is' ja wie es is', und der Abend kriegte zwar aufs Schönste die Kurve, was man einem gottgleichen Genius ja auch schuldig ist, und der sich selbst schließlich auch, aber trotzdem blieb ein Gefühl von: Böller in die Pfütze geworfen. Es machte buff, aber es hätte noch viel mehr buff machen können.
Bis auf das wunderschöne "Stop The Clocks" spielt Noel mit seinen High Flying Birds - der Schlagzeuger erinnert schwer an John Bonham, boiler suit & bowler hat - alle Songs des phantastischen Albums, mit "The Good Rebel" gibt es eine der brillanten B-Seiten, einen neuen Song, und natürlich ausgewählte Oasis-Stücke. Daß da am Anfang gleich "(It's Good) To Be Free" steht, läßt sich als Mitteilung an den Rotzlöffelbruder verstehen, der im Rahmen seiner Tiraden Noel ja auch als "Kevin Keegan" bezeichnete. Moment mal. "Mich ziehst du da nicht rein, Freundchen." (Liam).

Feinstes Mancuniangeknurr zwischen den Songs, man will es schließlich auch gar nicht anders, "AKA... What A Life!" widmet Noel an diesem Abend Mario Balotelli. Grumblegrumble aus dem Publikum, wahrscheinlich innerenglisch, Noel: "Fuck off. The greatest living human being." Manchester City verliert zur selben Zeit im CL-Achtelfinale das Hinspiel bei Sporting Lissabon mit 0:1.


(It's Good) To Be Free
Mucky Fingers
Everybody's On The Run
Dream On
If I Had A Gun
The Good Rebel
The Death Of You And Me
Freaky Teeth
Supersonic
(I Wanna Live In A Dream In My) Record Machine
AKA... What A Life!
Talk Tonight
Soldier Boys And Jesus Freaks
AKA… Broken Arrow
Half The World Away
(Stranded On) The Wrong Beach
Encore:
Whatever
Little By Little
The Importance Of Being Idle
Don't Look Back In Anger





























Mittwoch, 7. März 2012

Zweige











Die Blätter sind vom Baum gefallen,
die Luft im Herbst ist kalt und klar.
Der an Bildung und Tugend hervorragende Mann
wird den Zen-Tempel verlassen.
Hoffentlich kehrt er bald zurück
und erzählt,
was sein Herz bewegt.






"Zweige" von Jörn Bünning

With very special thanks