Mittwoch, 12. Oktober 2022

Dem eigenen inneren Verfolger immer einen Schritt voraus sein: Bob Dylan




SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - was lohnt es noch, zu lesen?"

August 2009

 

 

 




Christian Erdmann:

Immer schon einer meiner Favoriten von Dylan. Nur drei Akkorde, keine Sekunde Langeweile. Ein Mann zwischen Scharlatanen in "the wild unknown country" und der Frau, die ihn "insane" macht, deren Anziehungskraft aber auch durch surrealste Odysseen hindurchwirkt. Das Leben halt. 
















Edda Sörensen:

In diesem Lied hier können Sie viel über Bob Dylan erfahren. Der "Jokerman" ist sein musikalisches Selbstbildnis.







 
 
 
Christian Erdmann:

Da geht's schon los. :) EIN Song als "sein Selbstbildnis" - ? Ich schlage das hier als Diskussionsgrundlage vor. :)

"... someplace along the line Suze had also introduced me to the poetry of French symbolist poet Arthur Rimbaud. That was a big deal, too. I came across one of his letters called 'Je est un autre,' which translates into "I is someone else". When I read those words the bells went off. It made perfect sense. I wished someone would have mentioned that to me earlier." (Dylan, Chronicles Vol.1) 










Edda Sörensen:

Sein "musikalisches" Selbstbild, Aljoscha - oder kennst Du ein anderes seiner unzähligen Lieder, das ihn so präzise portraitierte?

Klar dass die Inspirationen geradezu auf seine blankpolierten :) Antennen niederregneten und ihm bei Dylan Thomas und natürlich erst recht mit Rimbaud die Lichter aufgingen und hinter neu aufgestossene Türen seines Wesens leuchteten, was ihn dann zu einigen abrupten Richtungswechseln seiner Art veranlasste - sehr zum Leidwesen der Fangemeinde, die ihn zu gerne schön ordentlich in einer Schublade aufbewahren wollte - und schwubbs di wubbs, schon war er ganz woanders :o)









 
Christian Erdmann:

Ja, ok. :)

Shedding off one more layer of skin
Keeping one step ahead of the persecutor within

Dem eigenen inneren Verfolger immer einen Schritt voraus sein: eine gute Maxime und sicher auch eine treffliche Selbstbeschreibung. Bedeutet aber auch, daß man sich nicht auf "Jokerman" als Selbstbildnis reduzieren lassen kann. Driften, Woanderssein als geradezu genetischer Grundzug: sich über alle Erwartungen und Festschreibungen hinwegzusetzen, auch die eigenen. Deshalb Rimbauds "Ich ist ein Anderer". In dem Interview mit Paul Gallo Anfang der 90er, seinem ersten nach 10 Jahren, hielt er nicht mehr viel von "Jokerman": "That's a song that got away from me. Lots of songs on that album [Infidels] got away from me. They just did." Der Song scheint ihm offenbar im Nachhinein zu konstruiert: "That could have been a good song. It could've been. ... It probably didn't hold up for me because in my mind it had been written and rewritten and written again." Und wenn man nur die Zeilen oben vergleicht mit dem Dylan von 1965 oder mit der Art, wie elastisch Dylan-Anthropologie seit "Time Out Of Mind" Song für Song ins Rollen kommt, ahnt man vielleicht, was er meint. :) 











river runner:

Guten Tag Frau Sörensen, da Sie ja fließend ausländisch lesen können, habe ich Ihnen schon mal den -> Brief von Rimbaud rausgesucht, damit Sie dem Künstler Aljoschka leichter Rede und Antwort stehen können, was Sie sich da gerade für eine unbedachte Formulierung geleistet haben :-))

Frau Sörensen, das war nur ein kleiner Scherz, weil Aljoscha doch leicht gereizt reagiert hatte. "Da geht's schon los. :) EIN Song als "sein Selbstbildnis" - ?"

Ich habe mir inzwischen folgende Gedanken gemacht: Seine Fans seit den 60ziger Jahren halten Bob Dylan für den größten Songwriter unserer Zeit, seine Gegner sagen, er kann nicht singen und die Texte versteht doch keiner. Die Bob Dylan-Fans sind als Kenner begeistert, wie er mit den Masken des Jokerman spielt, und wie er als Prophet agiert.

Dann bekehrt sich Bob Dylan nach einem Motorradunfall zum Christentum und singt naive Lieder mit naiven Texten, wie z.B. "Property Of Jesus". (...)










Christian Erdmann:

"Aljoschka" ist hübsch, aber mir muß keiner Rede und Antwort stehen. :)

"John Wesley Harding" ist für mich aber Ausdruck eines anderen Zugangs zur Bibel als das, was Dylan in seiner "christlichen Phase" treibt, mit gelegentlich zweifelhaftem künstlerischem Ergebnis. Zwischen dem Motorradunfall und "Slow Train Coming" liegt mehr als ein Jahrzehnt, und bis "Street Legal", 1978, ist Dylan noch mit einer ganz anderen Verbindung von Persönlichem und Mythologischem zugange. Der Symbolismus des Tarot zum Beispiel, auf dem Back-Cover von "Desire" war ja THE EMPRESS abgebildet, in "Changing Of The Guards" von "Street Legal" zieht sich der blasse Geist des Todes ergeben zurück "between the King and the Queen of Swords". – Zwischen "Street Legal" und "Time Out Of Mind" ist auffällig, was Dylan nicht auf seine offiziellen Veröffentlichungen steckte, z.B.







What can I say about Claudette? Ain't seen her since January
She could be respectably married or running a whorehouse in Buenos Aires

Solche Reime auf solches Gepolter kriegt nur Dylan hin, selbst in seiner christlichen Phase konnte er das nicht ganz verhindern, Arbeitshypothese 4b. :) 






 



Edda Sörensen:

Völlig einverstanden - nach seiner fast tödlichen Krankheit und George Harrisons tragischem Tod erreichte er eine zutiefst menschliche Seelenebene, an der er uns mit "Time Out Of Mind" in bewundernswerter Aufrichtigkeit teilnehmen liess.










Christian Erdmann:

Wobei "Time Out Of Mind" allerdings schon fertig war, als Dylan '97 dem Tod von der Schippe sprang.
 
 



 
 
Die "Not dark yet, but getting there"-Atmosphäre, das Gefühl, daß der Himmel bald dichtmacht, die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, all das steht sicher am Grund von "Time Out Of Mind". "Vieles auf dem neuen Album ist nach Einbruch der Nacht entstanden. Ich mag Unwetter und bleibe dann die ganze Nacht über auf. Und dann finde ich mich plötzlich in einer seltsam meditativen Stimmung wieder, und als das beim letzten Mal passierte, ist mir dieser Satz eingefallen, der nicht mehr aus meinem Kopf wollte: Und Du arbeite, solange der Tag andauert, denn es wird die Nacht des Todes anbrechen, wenn niemand mehr arbeiten wird." Aber der Sturzbach von Gedanken, mit dem Dylan auf "Time Out Of Mind" durch dunkle, leere Straßen wandert, beinhaltet auch Trotz und Zuversicht, und führt dann ja direkt zum Darktown Strutters Ball von "Love & Theft". Nicht, daß Dylan seinen Sturzbach da stoppen würde, aber der Putz ist auch dazu da, um auf ihn zu hauen, panties sind dazu da, auch mal über Bord zu fliegen, und Stil ist dazu da, um alles reinzuwerfen, von W.C. Fields bis Donizettis "Don Pasquale", und als Crooner mit Pokerface auch Shakespeare ein bißchen aufzumischen. Schließlich ist Dylan mit allen persönlich bekannt, auch mit dem Mississippi Judge, der Charles Darwin tot oder lebendig will. Oder den anderen. "Either one, I don't care".









Ich weiß nicht, wie gut die Übersetzung der "Chronicles" ins Deutsche gelungen ist, aber wenn's geht, sowieso unbedingt das Original lesen. Wobei Dylan sich gerade um "Zeitabläufe" da sehr wenig kümmert. Seine Sprache hat den amerikanischen odd ramble-Rhythmus eines Kerouac ohne Sentimentalität, eines Chandler mit weniger hard-boiled-Attitüde, mehr Staub auf den Stiefeln und mehr freight train rattle als backbeat, sein lakonischer Humor ist ein Genuß, seine Beschreibungen können mit zwei, drei Pinselstrichen aus dem singulären Dylan-Universum verblüffend genau sein, und er ist auch hier ein Geschichtenerzähler vor dem Herrn. Wunderbar auch, wie Dylan über das (die) schreiben kann, die er bewundert. Es stimmt auch nicht, was irgendwo anklang, daß Dylan nur sehr wenig Persönliches preisgibt. Wenn man nun endlich sensationelle Details etwa über sein Sexleben oder mystical sphinx Sara erwartet hat, ist man natürlich auf dem falschen Dampfer. Für mich ist z.B. sensationell, was Dylan wann gelesen hat. :) Dylans Kenntnisse sind, wie es sich für das wandelnde Orakel der Neuzeit gehört, immens. Was er über Robert Johnson 

(Du weißt schon: "Da Robert Johnsons Gitarrenspiel sich innerhalb kurzer Zeit so stark verbessert hatte, erzählte man sich, er habe seine Seele an den Teufel verkauft und sei von diesem im Gegenzug in die Geheimnisse des Gitarrenspiels eingewiesen worden.") 

zu sagen hat, war genau das, was noch über Robert Johnson gesagt werden mußte. Und eine Sache, die er über Johnson sagt, gilt exakt so auch für ihn:

"John Hammond had told me that he thought Johnson had read Walt Whitman. Maybe he did, but it doesn't clear up anything. I just couldn't imagine how Johnson's mind could go in and out of so many places. He seems to know about everything, he even throws in Confucius-like sayings whenever it suits him. Neither forlorn or hopeless or shackled – nothing hinders him. As great as the greats were, he goes one step further. Johnson is serious, like the scorched earth."

Hier noch ein Beispiel für "zwei, drei Pinselstriche", es geht um Daniel Lanois, den berühmten Produzenten, der für "Oh Mercy" im Studio war:

"Lanois was a Yankee man, came from north of Toronto – snowshoe country, abstract thinking. (...) One thing about Lanois that I liked is that he didn't want to float on the surface. He didn't even want to swim. He wanted to jump in and go deep. He wanted to marry a mermaid."
 





 
 
 
Und ein Beispiel dafür, wie Dylan aufnimmt und was er daraus macht:

"Harry Lorayne, however, was no match for Machiavelli. A few years earlier, I'd read 'The Prince' and had liked it a lot. Most of what Machiavelli said made sense, but certain things stick out wrong – like when he offers the wisdom that it's better to be feared than loved, it kind of makes you wonder if Machiavelli was thinking big. I know what he meant, but sometimes in life, someone who is loved can inspire more fear than Machiavelli ever dreamed of."















(erstveröffentlicht / first published 03/2011)













Sonntag, 9. Oktober 2022

Blow-Up, David Hemmings: Try "disconnected"








SPIEGEL ONLINE Forum: "Lieblingsfilme - was ist 'großes Kino'?"

März 2010 





ray05: 

Es gibt ja in Antonionis Filmen immer dieses verstörend-voraussetzungslose, unhistorische und oftmals nur vage motivierte Handeln der Protagonisten [...] Immer diese Landschaftstableaus bei Antonioni: urbane, industrielle und natürliche - und immer die Menschen darin, wie ... [nein, ich sage jetzt nicht "Fremde" und auch "Entfremdung" kommt nicht über meine Lippen ...].








Christian Erdmann:

Try "disconnected". Wie der Propeller, den David Hemmings in "Blow-Up" in diesem Antique Shop findet, plötzlich unbedingt haben muß und sich ins Auto lädt. Wie der Gitarrentrümmerfetisch, den er mit seiner permanenten Gespanntheit, immer auf dem Sprung, beim Yardbirds-Auftritt erobert und dann in der Passage achtlos wegwirft. Der unhistorisch, verstörend voraussetzungslos agierende Hemmings kommt von Bild zu Geschichte in "Blow-Up". Siehst du die Dinge in Schwarz und Weiß, ist da kein Geheimnis. Plötzlich kriecht das Geheimnis zurück ins Schwarzweiß. Als er den imaginären Tennisball aufhebt, hat er akzeptiert, daß es Wahrheit auf verschiedenen Ebenen gibt. Und daß es notwendig ist, sich in andere Versionen von Realität hineinziehen zu lassen. Ich finde, daß unter seiner Arroganz von Anfang an eine Art von Unschuld liegt; jedenfalls könnte man die verstörende Voraussetzungslosigkeit auch so nennen. Sie erscheint verzerrt, in seinen ambivalenten Handlungen, sie ist abgetrennt, entfernt, ohne "connection". Alles bleibt unzusammenhängend. Ich denke, in dem Moment, wo er begreift, daß aller Wahrnehmung ein nicht auflösbares Geheimnis eingewoben ist, hat er eine andere Art von Unschuld wieder.

Und darum ist das unheimlichste Blätterrauschen der Filmgeschichte so angemessen und Antonionis größter Coup. Ich weiß nicht, wie oft ich den Film gesehen habe, zigmal. Ihn nebenher laufen zu lassen und mehr oder weniger nur zu hören, macht erst recht klar, daß dieses Rauschen abgrundtief ist, numinos, übernatürlich.

Außerdem kann man ja keine weiße Hose anziehen, ohne Herbie Hancocks Thema im Kopf zu haben.

"I thought you were supposed to be in Paris." - "I am in Paris." 
 
 
















 
 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 

 
 
 
 
 
 
"The real star of Blow-Up is a park - an anonymous, largely deserted one at that. Maryon Park, situated off the Woolwich Road, Greenwich, grazes the mystical Meridian line where time both begins and ends - a primordial Narnia, full of twisted trees and winding tarmac paths that disappear into the heavens. Oddly, sounds normally associated with the area, like traffic and trains, seem to have been switched off, replaced by an organic tinnitus of wind rustling through the trees, as if the leaves were gossiping about the intruders.

And as one trips further into the park there comes a growing awareness that something not altogether happy has occurred here, something psychically disruptive. The Hanging Woods surrounding the park were named after the many executions carried out, and Samuel Pepys often spoke of his fear of the place whenever he visited the area."
 








 

SPIEGEL ONLINE Forum

März 2008

 

hans-werner degen:

Bin ich jetzt ein Banause?... denn 1) erkannte ich mein London nicht wieder und 2) sagte mir der Film nichts.

 

Christian Erdmann:

Als ich in Rom vor der Fontana di Trevi stand, erkannte ich sie praktisch auch nicht wieder, Anita Ekberg war nicht drin.

 





 

 

 

(Aus einem Brief, 2013)

Filme, die wir lieben, sind immer Nah-Lebens-Erfahrung, oder? Die SPON-Beiträge, die ich über Filme schrieb, waren zu distanziert. Mein ganzes Leben, der ganze Stil meines Lebens mitsamt allen dunklen Geheimnissen, meine Vorlieben, alles bekam unwiderruflich Richtung durch all die Filme, die ich so zwischen 10 und 15 sah in der "Flohkiste". Das Kino, das heute "Alabama" heißt, auf Kampnagel residiert, aber nichts mehr mit dem kleinen schäbigen plüschigen Picture Show-Haus von damals zu tun hat. Die ließen mich und Jörgi einfach immer rein, wir sahen alles, den ganzen Kram zwischen Jess Franco und "Theatre of Blood", Trash-Sex-Horror, diese ganze wagemutige, untergegangene Welt. All das war so outrageous, da sind vergessene Perlen dabei, die ich nie wiederfinden werde, falls Du Dir eine Kombination von Rollin, Giallo und Hardcore vorstellen kannst, things like that.

All meine Sehnsüchte wurden durch Film, Literatur, Musik, Kunst vom Hier in ein Anderes gezogen, und das Andere im Hier zu finden, war ja Aljoschas Auftrag. – Filme gehörten ganz elementar zu meiner Sozialisation... was Sozialisation in gewisser Hinsicht erschwert.
"Blow-Up" hat was Magisches. The whispering leaves. Ich glaube ja, die "Stimmen", die Jeanne d'Arc hörte, als sie ein kleines Mädchen war in Domrémy – es war der Wind in den Blättern. Nicht von dieser Welt. You can hear a sound from beyond in it. Als ich in einem dunklen Park war, in der Nacht, als meine Mutter starb, – there was this whisper. Geniestreich von Antonioni, dieses Blätterrauschen übernatürlich klingen zu lassen, numinos.

Zynismus und Ennui und dann das Geheimnis, die Rückkehr des Mysteriums. Wobei alles Drumherum das Drumherum ist, das man sich genau so wünscht, um darin in Zynismus und Ennui zu fallen, bis das Mysterium einen wieder einholt – und heilt. Atemberaubend, wie Antonioni und Hemmings das auf die Leinwand bringen, was man heute wohl flow nennt, Hemmings zwischen seiner Dunkelkammer und der Wand, an der er die Vergrößerungen aufhängt, da ist zum einen natürlich die Spannung, – was werden wir sehen? -, aber vor allem beeindruckt mich, wie Antonioni in diesen Sequenzen zu sagen scheint: wir müssen uns Hemmings als einen glücklichen Mann vorstellen. Here, right here, he is.

Hemmings, zuerst, ist einer, der sich nicht einfangen läßt, von nichts und niemandem, der in seinem Blick aber zuweilen Sehnsucht nach etwas aufblitzen läßt, und der die Gelegenheit, die diese park affair ihm bietet, nicht ungenutzt läßt.

Hemmings sieht so unfaßbar gut aus in diesem Film, Vanessa Redgrave sieht so unfaßbar gut aus in diesem Film (sie sieht gewissermaßen genau so aus, wie ich mir die ganze Profumo-Affäre vorstelle), alles sieht so unfaßbar gut aus in diesem Film, selbst noch dann, wenn es einen befremdet.
Wie Antonioni es macht, daß sich all diese Szenen anders ins Hirn brennen noch als sonst? Ich weiß es nicht.

Wie der ganze Film sagt: Kohärenz? Kontinuum? It's not there, so go for it yourself. Realität an sich? It's not there, so go for it yourself.

Einer der besten Filme zum Alleinsehen, indeed. Ich hatte den auch schon laufen, während ich konzentriert an etwas arbeitete, auf dem Boden kniend. Ihn also praktisch nur gehört. It still sucks you in, und es entsteht diese dritte Ebene, auf der Phantastisches passiert.









(erstveröffentlicht / first published 03/2011)



















Samstag, 8. Oktober 2022

Sherlock - Ein Skandal in Belgravia




Diskussion über "Sherlock - Ein Skandal in Belgravia" im Blog Café de Flore, direkt nach der deutschen Erstausstrahlung. Mai 2012.
 
 
 







 
Catherine:
 
Endlich, endlich, es ist wieder Sherlock-Zeit! Der erste Teil der Series 2 von BBC's Sherlock lief gestern abend im deutschen TV. Unzählige Male sah ich schon die ersten drei Teile und wartete sehnsüchtig auf die Fortsetzung. Nun also! Und was für ein Wiedereinstieg! Irene Adler, die einzige Frau, die es mit Sherlock's mind aufnehmen kann. Sie umkreisen sich, sie kämpfen mit Wortspielen, mindtricks und Blicken. Am Ende siegt Sherlock, durchschaut ihren Bluff, sie habe ihr Interesse an ihm gespielt. "Sie konnten nicht widerstehen." I AM SHERLOCKED. Und der Code ist geknackt. Es bleibt eine Art Freundschaft? Whatever. Er rettet sie und das Handy verschwindet in der Schreibtischschublade, ganz wie in "A Scandal in Bohemia", nur dass es dort ein Foto der Dame war. Diese in die Moderne übersetzten Gleichnisse aus den Originalgeschichten gelingen den Produzenten Gatiss und Moffat immer wieder ausgesprochen genial.

Auch wieder grandios:  die vielen Einfälle zur Verschrobenheit der beiden colleagues and friends Sherlock Holmes and Dr. Watson. Sherlock verlässt die Wohnung nicht mehr für die einfachen Fälle. Wird folglich durch Dr. Watson vertreten, der am Tatort ein Notebook mit Webcam herumträgt, um Sherlock einen Überblick zu verschaffen. "Halten Sie mich höher, ich spreche nicht von unten mit ihm!"

Als dritte im Bunde auch diesmal wieder zu schön: Mrs. Hudson. "Daumen!!" Im Kühlschrank.

Noch schöner – die Christmas Party! Hach, bunte Lichterketten in den Fenstern, verschneites London, Sherlock spielt Geige und zerstört die Stimmung, indem er Molly mal wieder bloßstellt. Am Ende des Abends stehen die beiden Brüder Holmes vor der Morgue. "Gefühle bringen keinen Vorteil." - "Frohe Weihnachten, Mycroft."

Aber herrje, die Synchronisation! Schluckt eine Menge des british understatement, des Charmes, der Besonderheit dieser Serie. Und dennoch: so hochwertige Fernsehunterhaltung sieht man im deutschen Fernsehen sonst nie. Who cares for Tatort anymore!?

"Sie reden einfach weiter, wenn ich weg bin?" - "Keine Ahnung, wie oft sind Sie denn weg?"

"Und wie oft genau ist er aus dem Fenster gefallen?"

Aaah, Irene Adler. The woman. "Wo ist sie?" - "Wer?" - "Na, die Frau! Die Frau Frau!"










Christian Erdmann:
 
Ah Dear. Ich wußte, wie Sie von Christmas & New Year in 221 B bezaubert sein würden. "Frohes neues Jahr, John." Das Fenster, die Atmosphäre, die Lichter, die Violine.

"Who cares for Tatort anymore?" Well, wenn das nicht alles über Deutschland sagt: der unsägliche Pilawa hatte doppelt so viele Zuschauer, selbst eine Tatort-Wiederholung im Dritten hatte mehr Zuschauer als "Sherlock". Man faßt es kaum mehr, weder, wie phantastisch diese Folge war, noch die bräsige Ignoranz dieses Volks, Folge langjähriger systematischer Verblödungsarbeit, auch die "Sherlock"-Synchro entgeht, soviel ist schon klar, ohne daß ich die Originalfassung von "A Scandal in Belgravia" nun schon komplett gesehen hätte, diesem Den-Deutschen-bloß-nicht-überfordern-Verbindlichkeitsdreck nicht vollends, aber gut, bedecken wir diese Tatsache unter 243 verschiedenen Arten von Tabakasche.

Die Szene vor I AM *SHER*LOCKED, in der Sherlock Irenes Handgelenk nimmt und in ihr Ohr flüstert: "Nein. Weil ich Ihren Puls genommen habe... die Frequenz erhöht... die Pupillen erweitert", ist das Erotischste, was ich seit langem sah.

Lara Pulver ist die perfekte Irene, dieser gleam in ihren Augen, making every move credible. Aber gerade die Sekunden, wenn sie John in der Battersea Power Station entgegengeht, beweisen, wie vollkommen diese Frau in dieser Rolle ist, diese attitude in diesen Sekunden, ihr Gang, ihr Blick.

Sherlock & Irene, die obsessive Faszination der beiden füreinander, so brilliantly done, das ist einfach nur atemberaubend. Alles an dieser Folge funkelte nur so. Man kann jede einzelne Minute nehmen und verfolgen, was alles darin untergebracht ist, so wie man staunend einen Ballon verfolgt, der immer höher fliegt. Die Szene, in der Sherlock die liebeskummerige Molly mit ihrem Weihnachtsgeschenk praktisch öffentlich hinrichtet, weil er sich als "high functioning"-Soziopath nicht kontrollieren kann, und dann der Moment, in dem er tatsächlich versteht, was er angerichtet hat, "Es tut mir leid. Verzeihen Sie mir. Frohe Weihnachten, Molly." So unerwartet und berührend, man muß als Cumberbitch in diesem Augenblick zerfließen, aber steht diese Szene nicht auch in unendlich komplexem Zusammenhang mit dem ganzen impact, den Irene Adler auf Sherlock hat, ist nicht auch sie ein mögliches Indiz dafür, daß dieser impact tatsächlich auch emotional ist und nicht "nur" (Goodness sake!) Erotik als Machtspiel, Machtspiel als Erotik, die erregende Qualität der Intelligenz und die intelligente Art der Erregung? Daß er, Sherlock, vielleicht tatsächlich nicht nur deshalb in Karachi auftaucht, um Irene zu retten, weil sie - full circle - am Anfang auftauchte, um ihn zu retten? 

Und tat SIE das nur, um das einzige Katz-und-Maus-Spiel mit einem Mann zu inszenieren, das diese High Class-Dominatrix faszinieren könnte? Ihn dabei für ihr Spiel zu instrumentalisieren? Schon die Art, wie sie am Anfang über Sherlocks Bild streicht, läßt anderes ahnen. Faszinierend, wie sich in diesem komplexen Geflecht an Motivationen und entsprechenden plot twists doch immer wieder playing the game zwischen Sherlock und der FrauFrau als eigentlicher plot bestätigt, und, wiederum, was unter playing the game verborgen ist.

Die Szenen, in denen man hintenüberfällt - ungezählt. Die Hommage an "Where it is always 1895". Sherlocks Sockenordnung. "Er wird Gott überleben, nur damit er das letzte Wort haben kann." Runter von meinem Laken. Das erotische Stöhnen, das Irene auf Sherlocks Phone spielt, und das dann eben doch mehr als nur ein running gag ist.

"Hamish. John Hamish Watson. Nur, falls Ihr noch einen Babynamen sucht." :)
 










Catherine:
 
Absolutely yes. Nun ja, vergesse in der Aufregung immer, dass das, was im TV geboten wird, auch von Menschen gesehen wird. Also, das andere Zeug, das es meistens gibt. Aber Menschen wollen immer das, was ihnen vertraut ist und wenn es noch so schlecht ist. Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass überhaupt Sherlock gezeigt wird. Downton Abbey hat es ja nicht mal in die Hauptkanäle geschafft, die zweite Staffel wurde dann gar nicht erst gekauft.

Aber zurück in die Baker Street. Yes, brilliantly done. Obsession, fascination, ja. Auch bei ihm. Was leicht entgeht: die Story zieht sich über Monate. Monate, in denen Dr. Watson und Mrs. Hudson sich heimlich über den ungewöhnlichen Zustand Sherlocks Sorgen machen. Ein weiteres Indiz für Ihre Vermutung, es sei mehr als nur "das": Irene Adler flüchtet sich in die Baker Street, liegt in seinem Bett, sitzt in seinem dressing gown und mit gewaschenen Haaren in seinem Sessel. Würde dieser sociopath das zulassen, nur um einen interessanten Fall verfolgen zu können, als Teil des Spiels? Nein, jede/r andere wäre längst rausgeflogen oder teilte Mollys Leid.

Aber Mycroft oder das holmesianische Familiensystem setzt sich durch, als es darum geht, zu siegen. Das letzte Wort zu haben. Und nicht zuletzt: sie erwähnt Moriarty. Brillant hier eingeschoben, dass Moriarty auch hier wieder die Fäden zieht als consulting criminal. (By the way: im "Reichenbach Fall" wird Ihnen übrigens die Luft komplett wegbleiben. Jede Minute ist dreimal so vollgepackt, jede kleinste Kleinigkeit zählt.) Man kann genau beobachten, wie Sherlock sich in dem Moment, als Irene Adler Moriarty erwähnt, die connection zu Ms. Adler durchtrennt, emotional disadvantages, - für den Moment -, um zu siegen.

Muß zugeben, dass mir manche Zusammenhänge immer noch nicht ganz klar sind. In manchen Szenen wird unfassbar schnell gesprochen. Benedict Cumberbatch spricht im Making of darüber, dass diese Szenen auch für ihn schwierig waren, so las ich heute. Und doch, sogar mit Synchro, didn't get everything. Das Coventry-Dilemma. Warum ist überhaupt Moriarty involviert? SIE hat ihn konsultiert, ja, aber warum Mycroft? Und warum sollte die Maschine nicht fliegen? Hm. Brauche dringend die DVD. Oh, allein das Seufzen der Ms. Adler auf Sherlocks Handy. In der Synchro viel zu tief, viel zu albern. Im Original much lighter, mädchenhaft und vor allem glaubhaft. Und "Brainy ist the new sexy" wurde zu "Grips ist sexy". Ich bitte Sie! Wer verwendet heute das Wort "Grips"? Liegt doch seit den 80ern auf der linguistischen Müllhalde. Das "battle dress" , das zum "Kampfanzug" wurde. Naja.
 
 










Christian Erdmann:
 
"... als es darum geht, zu siegen. Das letzte Wort zu haben." Der Moment, in dem Sherlock die connection durchtrennt, - für den Moment -, um zu "siegen". Gut, ja. Und ich las nun, daß Steven Moffat von feministischer Seite Kritik eingesteckt hat sowohl für Irene Adlers "defeat" als auch dafür, sie schließlich nur zum "pawn of Moriarty" zu machen. Und dann wieder dafür, daß Sherlock / masculine presence sie am Ende rettet (impliziert wohl: daß sie sich nicht selbst rettet). Also, diese Übellaunigkeit ergrimmt einen. Wenn da eine Frau ist, die an Intelligenz, List und Einfallsreichtum allen Männern außer einem :) überlegen ist, wird all das also praktisch zunichtegemacht, annihiliert, weil dieser eine Holmes ist? Also bitte. Das ist logisch nicht haltbar, mathematisch nicht haltbar, sherlockologisch nicht haltbar. 

Das Schöne an Irene Adlers Blick am Ende ist, daß man in ihn auch hineinlesen kann: sie wußte, daß Sherlock zu ihrer Rettung eilen würde. Was die "Niederlage" auch wieder relativiert, oder besser: letztlich spielen Sherlock und Irene einfach ihr eigenes Spiel, retten es am Ende gewissermaßen selbst noch vor allen anderen Plot-Verwicklungen, und sogar vor der "Sieg / Niederlage"-Idee.

"Warum ist überhaupt Moriarty involviert?" Also, wenn Irene, wie gesagt, vorhat, das einzige Katz-und-Maus-Spiel mit einem Mann zu inszenieren, das sie faszinieren könnte (weil Holmes der einzige Mann ist, der sie wirklich fasziniert), dann muß sie Sherlock vor Moriarty retten. Offensichtlich hat sie Sherlock seit längerem im Visier, und nun muß sie sehr dringend einschreiten. Und Moriarty etwas anbieten, das wiederum diesen genug faszinieren könnte, um ihn davon abzuhalten, Sherlock in diesem Moment tatsächlich aus dem Weg zu räumen ("Ich kann nicht zulassen, daß Sie weitermachen"). ("Stayin' Alive" als ring tone auf Moriartys Phone in diesem Moment - so bescheuert obvious, daß es schon wieder klasse war).

Ausschließen kann man wohl, daß schon diese Szene von Moriarty und Irene fingiert war, Moriarty scheint ehrlich überrascht von dem Anruf, sein "Natürlich, wer sonst!" läßt auf etwas wie "Ist dort..." am anderen Phone schließen. Insofern verstehe ich auch den "pawn of Moriarty"-Gedanken nicht. Irene eröffnet, weil sie Moriarty in diesem Moment von seiner Beute abbringen muß (SIE! will mit Sherlock spielen!), und geht wahrscheinlich davon aus, ihn auch weiter in Schach halten zu können. Die Royal Family und die Geheimnisse des Verteidigungsministeriums sind ihr vollkommen gleichgültig. Sie will Sherlock, und es bietet sich ihr die Gelegenheit, an Sherlock heranzukommen, indem sie den born villain Moriarty von der Möglichkeit in Kenntnis setzt, eine Regierung über den Haufen zu werfen.

Das bedeutet natürlich, wenn sie nicht zu "Schuhen" verarbeitet werden will, daß sie weiterhin irgendwie mit Moriarty zusammenarbeiten muß, ihn sich aber auch von den High Heels zu halten gewillt ist. Er ist, wie alles andere, nur Peripherie in ihrem Spiel mit Sherlock.

Die kompromittierenden Fotos, die sie von sich und dem jungen weiblichen Mitglied der Royal Family hat (sehr schön Mycroft: "Eine phantasievolle Palette, hat man uns versichert."), beschreibt Irene ja immer nur als Versicherung, das Eigentliche ist dieser Plan der englischen und US-Geheimdienste, von dem Irene weiß, weil ein Regierungsmitglied bei ihr geplaudert hat. Terroristen planen, ein Passagierflugzeug in die Luft zu sprengen, und die Geheimdienste wissen davon. An einem bestimmten Punkt (als er im Auto zum Flugzeug gebracht wird) interpretiert Sherlock "Coventry" als: sie wußten es, aber sie haben es zugelassen. Tatsächlich plant Mycroft aber eben, das ganze Flugzeug auszutauschen, um die Terroristen zu täuschen, und dieses Flugzeug mit den Toten abstürzen zu lassen. (Die Szene, als Holmes dieses Flugzeug betritt, ist schon sehr eerie!). Aber das Projekt wird gestoppt, "die Terroristen haben erfahren, daß wir von der Bombe wissen", Sherlock hat Irene und daher Moriarty zu dem Code verholfen (die airline seat numbers). Irene erscheint im Flugzeug und hält Mycroft das Phone vor die Nase, "das Ihre ganze Welt zum Einsturz bringen könnte", übergibt ihm die Liste ihrer Forderungen, um dafür im Austausch die Informationen auf ihrem Phone herauszugeben. Und dann eben der Moment, in dem Sherlock sie damit konfrontiert, daß sie lügt, wenn sie sagt: "Sie denken doch nicht wirklich, daß ich an Ihnen interessiert war". Genau der Moment, in dem ihm auch der Code klar wird: I AM SHERLOCKED. - Bei mir Mattscheibe: warum Mycroft zu Sherlock sagt (im Flugzeug): und ICH habe dich in ihren (Irenes) Bannkreis gebracht.

Ich LIEBE diese Szene, Schnitt - Gegenschnitt, Irene betrachtet die Photos von Sherlock im Bettlaken auf ihrem Smartphone, Sherlock betrachtet die Photos, die Mycroft ihm im Buckingham Palast reicht, die Bilder von THE WOMAN, die Domina auf ihrer Website - beide ultimately sexy, und doch - obwohl Sherlock ja nachweislich no stranger to Reitpeitschen ist - ahnen wir hinter dem faszinierten Blick auf das, was zu sehen ist, die Faszination an den Sphären, in die sie einander führen können.

Verstehe auch nicht, wie man darauf kommen kann, zu argumentieren, es sei enttäuschend, daß Irene nudity einsetze. So vom feministischen Standpunkt aus enttäuschend. Sie tut es souverän und dominant, sie setzt sich einfach - mit ihm zusammen! - komplett über diese albernen Ideen von "Frau als Objekt" hinweg, sie zieht ihn in diese wunderbare Dialektik - ihn damit zu faszinieren, daß sie ihm überlegen ist. Sie "setzt Nacktheit ein" gerade, um ihm zu zeigen, daß sie ihm NICHTS zeigt  (ihm, der aus jedem Detail von Kleidung wie rasend Deduktionen aneinanderreiht) - außer dem Code für ihren Safe (ihre Maße). Die Dialektik, sich ihm überlegen zu zeigen und ihm gleichzeitig die Gelegenheit zu geben, seine Überlegenheit über ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

Phantastische Idee auch, Irene und Sherlock "zusammen" in die Szenerie mit der Bumerang-Geschichte zu versetzen, sie "zusammen" die Geschichte aufklären zu lassen, von der ich jetzt öfter gelesen habe, sie habe keine Bedeutung für den Plot, die aber eben ganz zentral ist für den Plot, wenn der Plot eben die entfesselte Dialektik dieser obsessiven Faszination der beiden füreinander ist.

Schön auch der Blick, den sie teilen, der als kaum merklich inszeniert ist, vor ihrem Safe sieht er im Augenwinkel, wie sie ihn mit einer Kopfbewegung warnt.

Göttlich, wie Mycroft Mrs Hudson anfährt, und beide, Sherlock und John, mit ihrem "Mycroft! Oi!" den großen Bruder veritabel erschrecken.

Wie John seiner Freundin anbietet, ihre Hunde auszuführen, und es waren die Hunde der letzten Freundin. Wie diese Szene Irene bestätigt: Oh doch, ihr seid ein Paar.

Anyway, Moffat ist fortan mein top hero, für die Selbstverständlichkeit, mit der er in Irene Adler Ultra-Attraktivität und Ultra-Intelligenz zusammenbringt. Würde sich in D keiner trauen, so eine Frauenfigur, und die Art, wie sie schon wieder zugequatscht wird, ist eben Teil des Problems und nicht der Lösung.

Bin vorbereitet darauf, daß mir bei Reichenbach komplett die Luft wegbleibt, aber nach diesem Spiel zwischen Cumberbatch und Lara Pulver ist eh nicht mehr viel übrig. :)
 
 











Catherine:
 
Thank you so much für the enlightenment! Habe nun noch einmal mit neuen Augen geschaut, mit Ihren wunderbaren Erklärungen und neuer Aufmerksamkeit.

"Und ich habe dich in ihren Bannkreis gebracht." Weil Mycroft Sherlock mit dem Irene Adler / königliches Familienmitglied - Problem von der Coventry Geschichte ablenken wollte. "Es war vor deinen Augen." Die Kinder, die ihren Opa nicht noch mal sehen durften und der Mann mit der Urne, in der keine menschliche Asche war. Sherlock reagiert darauf nicht, aber es ist gefährlich nah an ihm dran, deshalb muß Mycroft sich was überlegen, um seinen Bruder zu beschäftigen, solange das Coventry Dilemma nicht ausgestanden ist. Allerdings war es wiederum sein Fehler, im Beisein Sherlocks am Telefon "Bond Air hat grünes Licht" zu sagen. Sherlock spricht ihn darauf auch an, Irene Adler wisse noch viel mehr, als ihm bekannt sei und es ginge noch um andere, viel größere Dinge hinter all dem. Mycroft schweigt.

Und dann macht Sherlock den Fehler, auf Moriartys Plan reinzufallen, dass Irene's Wiederauftauchen ihn dazu bringt, ihr den Code zu knacken. Somit schließt sich der Kreis. Hätte Mycroft nicht Sherlock auf Irene Adler angesetzt, hätte sie ihn zwar trotzdem gefunden, aber er wäre nicht der Initiator gewesen. Denn Mycroft hat nicht damit gerechnet, dass Irene Adler mit der Coventry Geschichte in Berührung kommen könnte, da er die Verbindung zu Moriarty nicht kannte. Also hat Mycroft indirekt durch die Vergabe des Falls Irene Adler / Königshaus an Sherlock dafür gesorgt, dass die Terroristen vom Vorhaben der Regierung, den "Flug der Toten" zu starten, erfahren.

Vermute, dass Moriarty von vornherein alles genau so geplant hat, weil ja schon vor und während des Palastbesuchs Fotos von Sherlock gemacht werden, die Irene postwendend erhält. Bin ich eigentlich die einzige, die die Anspielungen auf die junge, weibliche Person aus der allerhöchsten Familie mit Kate Middleton assoziiert? Vermutlich darf man sowas nicht zu laut denken. :)

Oh ja, die Parallelszenen sind großartig! Beide betrachten die Bilder des anderen, beide "kostümieren" sich für die erste Begegnung (Gatiss/Moffat haben sich viel mehr am Original orientiert, als mir zunächst aufgefallen war. Zu sehen auch in der Verkleidungsszene, Sherlock als Pfarrer, eine schöne Reminiszenz an die Vorlage.) Beide haben Assistenten zur Seite. Auch die Szene während Sherlocks drugged sleep, genial, wenn Traum und Wirklichkeit ineinander fließen und er noch im Halbschlaf mitkriegt, dass sie da war und dann seinen Mantel an der Tür hängen sieht auf der Suche nach der Ursache für das unbekannte Geräusch, welches sein Handy von nun an von sich gibt.

Aber diesmal fiel mir deutlicher auf, dass Sherlock fast durchgehend misstrauisch bleibt. Er beobachtet genau, er überlässt sich eventuellen Gefühlen nicht, sondern nimmt ihre Maße auf den Inch wahr, nimmt ihren Puls, nutzt ihre gespielte oder eben nicht gespielte Annäherung jeweils für präzise Beobachtung. Auf Watsons "Hamish! ... falls ihr noch einen Babynamen sucht." folgt ein komplett irritierter und entsetzter Blick. (Benedict Cumberbatch wird ebenso mit jeder Folge präziser und brillanter in Mimik und Gestik, I say!). Während der Zeit, als er denkt, sie sei tot, interessiert ihn ausschließlich, das Handy zu knacken. Sherlocks Obsession bleibt gedeckelt. Sie setzt Nudity ein, ja, aber sie bleibt Objekt in seinen Augen. Er ist auch Narzisst, nicht nur Soziopath, wie die Kommentare zu Watsons Blog sehr deutlich machen. Frauen sind für ihn Objekte, wie Molly, so zunächst auch Irene Adler. Erst als es nicht im geringsten langweilige Rätsel zu lösen gibt, wird es für ihn interessant und dann führt die Bewunderung, die er für Irenes scharfen Verstand empfindet, zu anderer Sichtweise in Bezug auf Frauen, siehe Molly again.

Dazu schrieb Conan Doyle in "Ein Skandal in Böhmen": "Für Sherlock Holmes ist sie immer noch die Frau. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er sie jemals unter einem anderen Namen erwähnt hätte. In seinen Augen überflügelt und überragt sie ihr ganzes Geschlecht. Es war aber nicht so, dass er so etwas wie Liebe für Irene Adler empfunden hätte. Alle Gefühlsregungen und insbesondere die der Liebe verabscheute sein kalter, analytischer, aber bewundernswert ausgewogener Verstand. (...) Für einen geschulten Denker wie Holmes bedeutete das Eindringen von Gefühlen in sein eigenes kompliziertes, letztendlich hochempfindliches Wesen einen Störfaktor, der möglicherweise Zweifel an seinen logischen Schlüssen aufkommen lassen konnte. (...) Und doch gab es nur eine Frau für ihn, und das war die verstorbene Irene Adler, obwohl die Erinnerung zwiespältiger Natur ist."

Zwiespältiger Natur, weil sie ihn verraten hat und das darf man bei Narzissten nicht unterschätzen. Trotzdem hat er begonnen sie zu respektieren und zu bewundern. Zwiespältigkeit lässt beide Stränge zu. Er rettet sie aus Respekt, Verehrung und Loyalität. Und weil er damit letztlich seinem Bruder wieder einen Schritt voraus ist, ebenso den Terroristen und nicht zuletzt Moriarty.

Nein, natürlich ist nichts haltbar, was diese feministischen Kritiken angeht. Es ist evolutionär gegeben, dass Männer und Frauen voneinander abhängen und es besteht dabei nun mal keine Gleichheit. Es ist großer Unsinn, von einer Frau zu verlangen, neben Frau auch noch Mann zu sein. Wenn Irene Adler nicht als Frau agieren und einen mächtigeren oder sagen wir schlaueren Mann suchen, herausfordern und bewundern würde (ob nun Moriarty oder Sherlock), wäre grundsätzlich was komplett abhanden gekommen, nämlich die dringend erforderlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau, die dann ja auch überhaupt erst zur Faszination führen. SIE bewundert IHN wegen seines schnellen, scharfen Verstands und weil er in der Lage ist, sie zu retten. ER bewundert SIE, weil sie ihre Attraktivität einsetzt (nudity), um seine Kategorisierung zu umgehen, ein Rätsel zu sein, und er fühlt sich ihr verbunden und bestätigt als Mann, weil er etwas für sie tun kann, nämlich sie zu retten.

Oh, like you said it, ein großes Problem: nicht nur die Ultra-Attraktivität und Ultra-Intelligenz der Frau, sondern auch des Protagonisten. Dazu die Vielschichtigkeit der Story und das hohe Tempo. Alles sehr undeutsch.

Ja, großartig, dass die beiden Mycroft gegenüber Mrs. Hudson in Schutz nehmen, nur um sie dann selbst anzufahren, die Klappe zu halten. Und wie sie dann am Weihnachtsabend zu Molly sagt, dies sei der einzige Abend im Jahr, an dem die Jungs nett zu ihr sein müssen.

"Was tun wir hier eigentlich, Sherlock, was? Treffen wir die Queen?" Mycroft tritt auf. "Oh, offenbar ja." :)
 




  




 
 
Christian Erdmann: 
 
Vermute, die Kate-Middleton-Assoziation dürfte jedem gekommen sein, der "Britishness" so schätzt, daß er dem "Scandal in Belgravia" entgegenfieberte, ich stelle mir nur vor, daß Kate selbst gar nicht unbedingt etwas dagegen hat, in fiktive Szenen mit Irene Adler verwickelt zu werden. :) Im übrigen ist der Name von Irenes Gespielin ja auch Kate!

Der Satz von Mycroft - Sherlock hat den Code der email entschlüsselt, Irene sendet den Code heimlich zu Moriarty, der wiederum diesen schadenfrohen, hämischen Text an Mycroft sendet. Irgendwie hatte ich daraus geschlossen, Mycroft müsse eigentlich in dem Moment, als er diesen Satz sagt, schon mehr klar sein als das, was "Und ich habe dich in ihren Bannkreis gebracht" aussagt; daß er, als Irene Adler im Flugzeug auftaucht, wissen müßte, daß ein Plot im Gange war, der dem von ihm im Buckingham-Palast Initiierten voraus war.

Vielleicht, das weiß ich ja nun noch nicht, geben die zwei weiteren Folgen noch clues dazu, aber für mein Empfinden geht Irene tatsächlich so vor, wie sie es Sherlock bzw. Mycroft gegenüber am Ende formuliert: daß Moriarty für sie ein consultant war; der dann zwar with glee zugreift, daß sie aber bei dem für sie Wichtigen unabhängig von ihm agiert. Schickt Moriarty ihr die Fotos von Sherlock im Bettlaken? "Ich schicke Ihnen einen Leckerbissen" kann von Moriarty sein, muß aber nicht. Ich denke vielmehr, Irene hat ihr eigenes Netzwerk. Because, wir sehen, zu Beginn, daß Irene Moriarty kontaktiert, während Her Naughty Royal Highness noch gefesselt daliegt. Right during a session. Wenn Irene nur vorhat, Moriarty mit ihrem Material zu kontaktieren, könnte sie ja das Ende der Session durchaus noch abwarten. So aber wäre meine Interpretation, daß sie eine dringende Mitteilung bekommen hat, wegen Sherlock in distress, eben von ihrem eigenen Überwachungssystem. Wie gesagt, sie hat Sherlock im Visier, und nun muß sie sehr dringend einschreiten. Und dafür die interessante Stunde mit der Prinzessin unterbrechen, die Peitsche noch in der anderen Hand, und Moriarty jetzt anbeißen lassen. Nur so wird auch die Rettung, die Sherlock dann am Ende erwidert, nicht zum bloßen Zufall. Aber sagen Sie mir, wenn da irgendwo ein Fehler drinsteckt!

Ja, Sie beschreiben das sehr schön, daß Sherlock sich eventuellen Gefühlen nicht überläßt. Aber wir können nicht in ihn hineinsehen. :) Wir wissen nicht, ob ihn wirklich nur das Phone interessiert, in der Zeit, als er Irene tot wähnt. Natürlich ist es main concern des Sherlock-Geistes, aber es ist wohl auch ein Fetisch. Der Fetisch, den er auch am Ende an sich nimmt. Mycroft faßt im Flugzeug Sherlocks Geschichte mit Irene ja mit "Das Versprechen von Liebe, der Schmerz des Verlustes" etc. zusammen, zugleich ironisch und nicht ironisch. "Liebe" wäre natürlich das falsche Wort, darum "obsessive Faszination" etc. Aber die ist reziprok, und, in a way, alles andere ausschließend. Mag sein, daß Frauen für Sherlock grundsätzlich "Objekte" sind, aber auch nicht mehr als alles andere bzw. jeder andere, abgesehen von John Watson, Mrs. Hudson und Mycroft. Aber Irene ist anders, unvorstellbar anders. :) Sie ist, in a way, the perfect match. Weil sie nicht nur die exzeptionellen Vorzüge Sherlocks teilt bzw. von ihnen erregt wird; auch, weil sie sich in derselben, sagen wir ruhig, Einsamkeit auskennen. Sie erkennen sich. "Die Gleichen erkennen sich im Feindesland". Sein Mangel an Empathie, Pendant dazu bei Irene etwa ihre Bemerkung, als Kate bewußtlos ist ("Daran ist sie weiß Gott gewöhnt."). Die ruthlessness. Aber was so wunderbar ist an Lara Pulver, so genial an der Besetzung: wie sie vermag, auch Verletzlichkeit auszustrahlen.

Einfach ein Geniestreich ohnehin, aus Irene Adler eine Domina zu machen. Lust an der Macht und Lust an Inszenierung. Sherlock ist ja der klassische Apolliniker. Für den Apolliniker ist die Frau am attraktivsten, wenn sie sich völlig selbst kontrolliert – aber auch am gefährlichsten. Und Moffat / Gatiss hatten den Mut, aus Irene Adler die ideale Dominatrix zu machen. Camille Paglia schrieb einmal: Konversation mit einer Dominatrix ist wie ein Mikado-Spiel mit Rasiermessern. Sherlock darf genau diese Erfahrung machen. :)

Die Femme fatale ist ja deshalb fatal, weil sie die apollinische Verobjektivierung, Verbildlichung und Vergegenständlichung untergräbt - aber seltsamerweise auch gerade deshalb für einen Hyperapolliniker wie Sherlock so attraktiv wird, eben weil sie die Macht hat, das alles zu übersteigen. Irene ist DIE FRAU, weil sie den Distanzierungsprozeß des Apollinikers in eine Art Obsession umwandeln kann. Und Irene als Domina ist eben deshalb so ideal, weil keine Figur schlagender (oh what a pun) die Überlegenheit, mit der sie wiederum selbst den apollinischen Genuß an dieser Obsession genießt, verkörpert.

Sherlock und Irene spielen ein intellektuell-erotisches S/M-Spiel (und gewiß genießt er es am Ende, ihr "Erwarten Sie, daß ich um Gnade flehe?" mit "Ja" zu beantworten), aber beide geben dabei auf eine Weise, die zumindest strukturell mit Liebe vergleichbar ist, einander das Gefühl, absolut einzigartig zu sein für den anderen. Eine so phantastisch komplexe Beziehung! Wie sie ihn anschaut, als er S-H-E-R ins Phone zu geben im Begriff steht, und sie weiß! es, daß er es jetzt weiß, so voller Angst und zugleich voller Bewunderung, einfach überwältigend.

"Der einzige Abend im Jahr, an dem die Jungs nett zu mir sein müssen." - ha, diese Mrs Hudson hat es in sich. Ja, auch wenn Sherlock ihr dann selbst sagt, "Besser Sie halten wirklich die Klappe" (schließlich hatte Mrs Hudson auch gerade einen wunden Punkt berührt - Familie!) - fest steht, wer sich mit Mrs Hudson anlegt, fliegt ungeklärte Male aus dem Fenster. Der CIA-Mann fliegt da hinten übrigens dermaßen da hinten vorbei, daß ich an diesen Monty Python-Sketch dachte. "Fine, fine. Fine."
 
 


Schön auch, wie im Palast the priceless giggle in ein unvergleichliches Lachen bei BC übergeht. Genial natürlich auch das komplexe Bruderverhältnis, sehr bewegend die "Fragst du dich je, ob mit uns etwas nicht stimmt?"-Szene, einfach großartig, wie Cumberbatch und Gatiss diese belastete Geschichte in jeder Szene präsent sein lassen. Ach, alles genial.










Catherine:
 
"Wilkins!" "Robertson!" "Wilkins!" "Robertson!" "THAT was Wilkins!" "That was Wilkins." Hach, young John Cleese! Gorgeous! :)

Ah, I see! Vermutlich sind wir im Grunde wieder mal ähnlicher Meinung, nur anders. Obsessive Faszination bei Irene Adler, ja. ER ist unvorstellbar anders. :) But you got me by that pool scene. Hatte das noch nicht, dass Irene in diesem Moment anruft. ("Stayin' Alive"  >  wait for Reichenbach.) Aber, yes, sie rettet ihn, fantastisch beobachtet, dass sie ihren "Job" unterbricht, weil die Nachricht von Sherlock in Gefahr sie alarmiert. Aber am Ende sagt sie auch, Moriarty habe ihr gesagt, wie man die Holmes-Brüder am besten manipuliert. Warum dann beide? Weil es auch um ihre Rettung, ihren Schutz geht?

Nein, hineinsehen können wir nicht, aber wir können beobachten und unsere Schlüsse ziehen. :) Deshalb zitierte ich den Originaltext: "... bewundernswert ausgewogener Verstand". Zunächst ist er tatsächlich verstört, sein Unterbewusstsein reagiert mit eben dieser dionysischen Obsession, die Sie meinen, wie die Traumsequenz zeigt. Er kennt diese Gefühle bis dahin nicht am eigenen Leib ("Sex beunruhigt mich nicht." - "Woher willst du das wissen?"), er ist quasi asexuell und auch, wie wir wissen, antisozial, wenn es sein muss. (Übrigens auch falsch übersetzt, als er das Smartphone röntgt und Molly sagt, Menschen tun verrückte Dinge aus Liebe oder so ähnlich. Er sagt dann in der Synchro sowas wie "Tun wir das? Ja, das tun wir, nicht!?" Aber im Original sagt er "Do THEY? Yes, THEY do!" Er sieht sich davon nicht betroffen.)  Er erinnert sich im Traum auch, dass Moriarty geschworen hat, "to burn the heart out of you". Und er sagt, er habe die Chemie der Liebe analysiert, sie sei ebenso simpel wie sinnlos. Und das bewundere ich wiederum an Gatiss und Moffat, dass sie genau diese Klarheit bewahren, dass Sherlock sich nicht auf die körperliche Sinnlichkeit der Irene Adler einlässt. JEDE andere Filmproduktion wäre aufs Dionysische verfallen, hätte eine sexuelle Affäre erzwungen, wo sie nicht hingehört. Genau das, dass die beiden auf geistiger Ebene einen intellektuellen Machtkampf oder meinetwegen auch eine Art S/M-Spiel spielen, bis es eben ausgestanden ist, macht alles glaubhafter. Und ja, Lara Pulver spielt unverschämt gut.

Die Irritation, die Sherlock am Anfang durch sie erlebt, ärgert ihn, ja, das Rauschhafte, Sinnliche, das sie in ihn legt, ist ihm fremd und unwillkommen, aber er kann sich (noch) nicht dagegen wehren. Auch weil er glaubt, dass sie tot ist. Ein unglaublich cleverer Schachzug, übrigens. Als er dann in der Battersea Power Station erkennt, dass sie lebt, und die SMS bei ihm ankommt, er entdeckt ist, dreht er sich um und geht. Warum? Ein weiteres Mal fällt er auf sie rein, weil er nicht damit rechnet, dass der Code, den er für sie knackt, nur kurze Zeit später in den falschen Händen landet. Er hasst es, zu verlieren. Dass sie ihn rettet, dass sie ihm geistig und in der Gerissenheit ebenbürtig ist und er Bewunderung und Faszination empfindet, einerseits, dass er sich auf eine Obsession, die ihn als high functioning sociopath, als Hyperapolliniker stört, nicht einlässt, andererseits. Zwiespältig. Ja, ein Machtspiel, und alles ist immer erotisch motiviert, das Begehren ist das, was vorantreibt. Er spielt mit, bis es eben vorbei ist und die Erinnerung, die Ehrerweisung an DIE Frau in der Schreibtischschublade verschwindet. Und so ist es richtig, denn er hat sich - ganz apollinisch - dem Aufklären von Verbrechen verschrieben. :)

Was offen bleibt: was machte Irene in Karachi?

Möchte schon jetzt darauf hinweisen, dass im Reichenbach-Fall Katherine Parkinson auftritt. Für mich als Psychobritin ein weiteres Highlight, für das ich Gatiss und Moffat gern mal die Hände schütteln würde. Katherine Parkinson spielte die "Jen" in der "IT-Crowd" und ist eine der besten Schauspielerinnen, die das englische Fernsehen derzeit vorweisen kann, und das kann ich sagen, ohne überhaupt mehr als drei oder vier derzeitige britische Fernsehschauspielerinnen zu kennen. :) Natürlich kann sie es nicht mit Lara Pulver aufnehmen, aber sie ist dennoch ganz wunderbar "fitting" oder so. 
 










Christian Erdmann:
 
Denke, das haben Sie jetzt unübertrefflich zusammengefaßt. Auch darum, wenn ich das noch hinzufügen darf, ist die Idee so phantastisch, aus Irene eine Domina zu machen, weil es die herkömmliche "sexuelle Affäre" nach mainstream-Muster im Grunde schon ausschließt. Irene ist, als Dominatrix, mittels stilisierter Erotik, ohnehin Expertin darin, Begehren - eben dadurch, daß sie es zum Innehalten zwingt - zu höherer Bewußtheit zu schärfen. Und sie genießt das Kenntlichwerden des männlichen Eros als begehrendes Streben, über das sie Macht hat. Es ist einfach logisch, daß sie auf mehreren Ebenen Sherlock als einzige echte Herausforderung betrachtet. :)

Ich finde es faszinierend zu sehen, wie diese beiden Menschen sich verstehen, fast wie Spiegel füreinander sind, aber auch wissen, daß sie sich gegenseitig zerreißen würden - Irene sagt am Ende etwas wie "Sie haben recht, es würde nicht einmal sechs Monate dauern" - ich war zuerst nicht sicher, was sie meint - bis man sie erwischt? Nein, ich glaube, sie meint genau dieses Wissen, wie sie sich gegenseitig zerstören würden, in diesem - hocherotischen - Machtspiel. Ich denke, daß beide in diesem Moment, da sie es erkennen, traurig sind. Irenes Verzweiflung in diesem Moment ist echt und sichtbar, Sherlock kennt keinen anderen Weg als: den bitteren Triumph durchzuspielen mit fast grimmiger Verzweiflung. Und dann zu gehen. Wie er auch vor Watson, als dieser einmal durch den Türspalt fragt "Alles in Ordnung?", einfach die Tür zuknallt. Es ist der Moment, in dem er vermuten muß, daß Irene tot ist.

Ich dachte einmal sogar, vielleicht ist der Grimm dieses Sherlock, des Cumberbatch-Sherlock, auf seinen Bruder eben auch darin begründet: einerseits kann Sherlock es nicht einmal im Ansatz ertragen, in irgendeiner Form - auch intellektuell - der "kleine" Bruder zu sein (die Szene im Palast, als Mycroft Tee eingießt!), in irgendeiner Form unterlegen. Sherlock ist Sherlock aus 27 Gründen, aber auch nur als brilliant superbrain hat er ein Mittel gegen die ironisch lächelnde Herablassung Mycrofts - even if Mycroft really cares for his brother. Aber er zahlt einen Preis dafür, und die Begegnung mit Irene wirft Schlaglicht auf das Defizit. So daß, andererseits, Sherlock seinem Bruder wenigstens für Momente eigentlich etwas anderes übelnimmt, jedenfalls schwingt es für mich in der "Fragst du dich je, ob mit uns etwas nicht stimmt"-Szene mit. Ja, er hat sich - ganz apollinisch - dem verschrieben, was er tut, es ist seine Leidenschaft. Aber in der Szene deutet sich etwas an wie Bedauern, Vorwurf an Mycroft, etwas wie: you made me like this, weil ich deine Anerkennung wollte, und das wird verstärkt durch Mycrofts Antwort, die Sherlock daran erinnert! (das Mitschwingen einer langen Geschichte, like I said), daß Gefühle und Empathie nur hinderlich sind.

Ah, dankeschön für den Hinweis auf das Original bei "Do THEY? Yes, THEY do!" - spricht Molly nicht überhaupt nur von Frauen da? Was Sherlock dann auf eine Idee bringt beim Smartphone-Code? Mit "221B" ist er ja schon fast auf der richtigen Spur, in dem Sinne jedenfalls, daß der Code direkt auf ihn bezogen ist.

Habe auch erst beim zweiten Sehen einige Sätze verstanden, bei denen die Synchro versagen muß, z.B. die "Bauchnabelbehandlung" - wohl "navel treatment" im Original? - Verweis auf "The Naval Treaty" *stirnklatsch*, bleibt natürlich im Deutschen komplett im luftleeren Raum.

Nochmal zu Irenes eigenem Netzwerk, John wird ja von dieser Frau abgeholt, die dann in der Battersea Power Station Irene mitteilt, daß John kommt. Und daß John davon ausgeht, Mycroft zu treffen. Diese Frau ist nicht Kate. Und John hielt sie vor 221B, nach kurzem Zweifel, für die Frau, die ihn schon einmal zu Mycroft brachte (Staffel 1). Vielleicht hat sie die Photos von Sherlock gemacht, jedenfalls: großes Netzwerk. :)

Was machte Irene in Karachi? Also, das Fake-Flugzeug fliegt nicht, aber die reguläre Maschine ist sicher auch nicht gestartet. Also dürften die Terroristen sehr übellaunig gewesen sein. Moriarty ist skrupellos genug, denen zu vermitteln: diese Frau hat eure Pläne durchkreuzt. Also wird Irene aufgespürt (vielleicht mit Moriartys Unterstützung) und nach Pakistan verschleppt. So ungefähr? :)

Oh, Jen! "It's the internet, Jen."-Jen. Sehr schön, ja! Aber daß es niemand, nie mehr, mit Lara Pulver aufnehmen kann, haben Sie auch unübertrefflich zusammengefaßt. So sagten Sie doch? :)










Catherine:
 
Yes, "The Naval Treaty". Und es gibt noch einige "links" zu Originalgeschichten. Hatte mich gefragt, warum Sherlock beim Öffnen des Safes (und nach Irenes angedeutetem Hinweis) "Vatikanische Kameen" ruft. Soll aus einer der ungeschriebenen Geschichten sein, die am Anfang von Baskerville im Original erwähnt werden. Und, wie ich jetzt im Booklet zur DVD las: Moffat schätzt den "Das Privatleben des Sherlock Holmes"-Film. Die Nacktszene zum Beispiel findet hier ihren Ursprung. Ebenso die "Hinrichtung" der FRAU am Ende.

Ihr eigenes Netzwerk - ja, da haben Sie natürlich Recht! Und da sie exakt den Stil der Mycroft'schen Entführungen inklusive Anthea und des dunklen großen Autos kopiert, müsste sie Holmes und Watson auch schon viel länger beobachtet haben, als sie Moriarty kontaktiert hat, nicht!?

Ja, da haben Sie die Dynamik zwischen Mycroft und Sherlock sehr interessant beleuchtet! Und umso eindrucksvoller für den Fortgang der Geschichte, dass das System "Familie", das Sich-Behaupten gegen den Bruder und das Ausbügeln seines begangenen Fehlers sich für Sherlock über die Obsession für DIE Frau erheben muss.










Christian Erdmann: 
 
Genau, Irene kopiert den Stil der Mycroft'schen Entführungen nach langer Beobachtung, genau!! :)

Wir müssen feststellen, die "Vatican Cameos" sind in ihrer eigenen Szene nur noch von sekundärem Interesse gegenüber dem Cumberbum. :) Irgendwo in der Mitte der Kommentare: "To be fair, that arse could stop the London traffic, so it's hardly surprising that everyones eyes would be glued to it when shown in slow-motion."

Ich verstehe, daß unter diesen Voraussetzungen, soweit ich das sehen kann, nur noch ein einziger Kommentar darauf abhebt, daß Irene hier Sherlock mit ihrem Blick-zu-Boden warnt, und ihn damit schon zum zweiten Mal rettet. So daß er die Balance diesbezüglich wiederherstellt, indem er sie in Karachi rettet. Ich möchte ja denken, daß er am Ende nicht Irenes emotional glitch verachtet hat, sondern es ihr übelnimmt ("Sie konnten einfach nicht widerstehen, oder?!"), daß dieser glitch das einzigartige, elektrisierende, erotische Spiel der beiden beenden mußte. :)

Für das die feministische Kritik an dieser Folge ja offensichtlich stockblind ist. Bei sowas habe ich immer das Gefühl, mir wachsen Haare auf der Hand, und den nächsten Vollmond erlebe ich als Werwolf. Sehen die KritikerInnen wenigstens, wer smarter ist, ausgebildete CIA-Killer oder Mrs Hudson? :)

Ich lebe ja als Verfügbarkeitsverweigerer ohne Handy, aber die Vermutung, daß es Irene Adlers erotisches Stöhnen längst als ringtone gibt, könnte mich verleiten, bei irgendeinem Euro 2012-Gewinnspiel ein Smartphone gewinnen zu wollen. Da dies ja die beste aller möglichen Welten ist, gibt es sicher auch eine "Irene Adler Text Messages"-App.

Irene kann fühlen, ob es echt ist. :)

"Ich hatte auch schon Tee im Palast, falls es jemanden interessiert." John und Irene, gebannt von demselben Mann: einfach großartig in dieser Folge auch, wie Johns Kampf, Sherlocks Fixpunkt zu bleiben, sein Schutz, sein humanizing factor, und Irenes Wissen darum aufeinandertreffen.

Was nehmen wir, die wir die Wohnung auch für eine 6 verlassen müssen, noch mit? Verkleidung ist immer Selbstportrait. 60 Jahre Queen Elizabeth, aber jetzt wissen wir, wann England wirklich untergeht.