Sonntag, 6. August 2023

Propaganda: A Secret Wish








Susanne Freytag, Claudia Brücken





Claudia Brücken und Susanne Freytag waren hinreißend. Aber "A Secret Wish", damals sofort nach der unwiderstehlichen Faszination, die das "Duel"-Video ausübte, in meine Welt importiert, löste unschöne Bemerkungen aus. Die Musik sei ihr zu kalt, sagte das Mädchen mit dem melancholisch winddurchwehten Haar und sandte einen Dolchstoß in die Optik Claudia Brückens hinterher. Ich glaube, es ist Dr. Bennell in "Die Dämonischen", der sagt: "In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken." Jedenfalls hätten sie es tun sollen. "It's too late, the decision is made by fate."

Fritz Langs "Metropolis", 57 Jahre später: der Versammlungs-Katakombe Ost entsteigen ein durchs Stahlbad der Krupps gegangener Dunkel-Elektroniker und ein klassisch ausgebildeter Percussionist, der sich an der Klangfülle eines Symphonieorchesters den Sinn für Drama und Wirkmacht geschärft hat. In ihrer Begleitung zwei glamouröse New Wave-Heroinen, eine von ihnen eine glamouröse New Wave-Kleopatra (die Nase! die Nase!), die andere eine Goldschmiedin, die fortan zwischen Zigarettenmädchen und Domina changiert. Die Vier sind aufgelegt zur Fusion von metallischem Glanz und lipstick traces, von gigantisch und gorgeous, zum Durchexerzieren eines unterkühlten, aber abgründigen Romantizismus, zur Passion in der Maschine. "A Secret Wish" ist das einzige Album von Propaganda in der Besetzung Ralf Dörper, Michael Mertens, Claudia Brücken und Susanne Freytag - Andreas Thein hatte die Band 1984 verlassen.
 
 






Mit der 2010 veröffentlichten Deluxe Double CD Edition kann man sich die Originaltracks der Vinyl-Fassung von "A Secret Wish" wieder in der ursprünglichen Reihenfolge zusammenstellen, und jeder, der die LP einmal besessen hat, wird so vorgehen. Denn diese Versionen waren und bleiben die perfekten. Hochfaszinos all die später elaborierten Fassungen, aber: der "Analogue Mix" trägt den Stempel des bereits Makellosen. Die LP-Version von "Dream Within A Dream" ist mit 8:04 zwar eine Minute kürzer als der dann auf CD erschienene 9:09-Mix, sie ist dramaturgisch aber ein solcher Geniestreich, daß sie einem für immer im Nervensystem steckt.
 
"All that we see or seem is but a dream within a dream", eröffnet eine noch distanziert wirkende Frauenstimme die Phantasie, nach einer einsam-erhabenen, wehmütig-verwehten Fanfare beginnt Mertens am Xylophon ein infinites Ostinato, dieses ting-ting-ting, das sich selbst fast 8 Minuten lang durchhält, während das Drama seinen Lauf nimmt. Der Bass setzt ein, unnachgiebig und von verhaltener Spannung, die von shapes of things to come kündet, bis im ersten komplett atemberaubenden Moment bei 1:25 das Schlagzeug einschlägt, und direkt danach Susanne Freytag die erste Poe-Strophe beginnt, mit einer mysteriös anmutenden Erzählstimme, zuerst wie unbeteiligt, fast eisig, dann immer mehr aufgewühlt. Synth-Wellen breiten sich aus, dort, das noch abwartende Meer. "Take this kiss upon the brow / And, in parting from you now / This much let me avow / You are not wrong, who deem / That my days have been a dream." Jede Sekunde von "A Secret Wish" ist perfekte Konstruktion - wie etwa das kurze Innehalten, bevor mit "I stand amid the roar / Of a surf-tormented shore" dieser roar tatsächlich langsam anhebt, Schicht auf Schicht sich übereinander türmt wie Welle auf Welle, die monumentale orchestrale Gewalt sich intensiviert, bis der Horizont verschwindet.
 
"A Secret Wish" war prädestiniert zu heimlicher Liebe. Heimlich inspirierte zunächst Susanne Freytags Rezitation, daß ich in meiner Schrift zur Zwischenprüfung über den "Mythos von Sisyphos" von Camus eine Lücke dafür suchte, und ich fand sie in dem von Camus beschriebenen Abgrund hinter der bloßen "Gewißheit meiner Existenz":
"Wie und Warum aber rinnen mir durch die Finger wie jene Sandkörner, die Edgar Allan Poe an die stürmische Brandung verlor: O God! Can I not grasp them with a tighter clasp? O God! Can I not save one from the pitiless wave?"

Was dann ab 4:12 die Gitarre, wie ein Heulen des Maelstrom selbst, und das donnernde, sich selbst in den Abgrund reißende Schlagzeug da über dem rhythm track 30 Sekunden lang anstellen, ist derart gnadenlos und gewaltig pitiless wave, in der sich alles überschlägt, bis bei 4:45 dann wieder dieses ting-ting-ting in den Vordergrund kommt, daß es einem die Schauer nur so über den Rücken jagt. Überwältigend. Ich weiß nicht mehr, warum man ein Geheimnis daraus machen soll, daß diese halbe Minute zu den besten halben Minuten der Musikgeschichte gehört. Für diese Passage paßt punktgenau, was Paul Lester über Propaganda schrieb: "Sheer brutal beauty." Noch beim 1000sten Hören fragt man sich, was zur Hölle man da eben gehört hat. Ewiglich mesmerizing. "Dream Within A Dream" ist Mertens' finest hour.








"A Secret Wish" beginnt im wahrsten Sinne des Wortes grandios - und macht unapologetisch so weiter. Aus der Trance von "Dream Within A Dream" reißt das näherkommende Stampfen von "The Murder Of Love". Claudia Brücken übernimmt den Gesang, ein Text mit sinistren und sadomasochistischen Untertönen: Obsession ist hierarchisch. Slavoj Zizek behauptet, daß wir gar nicht anders können, als Sexualität und Erotik mit Phantasien einzukleiden. Er nennt das den "phantasmatic support". WITHOUT LOVE BEAUTY AND DANGER IT WOULD ALMOST BE EASY TO LIVE steht in großen Lettern im Text der Innenhülle von "A Secret Wish". Aber wer will das schon, "easy". Das Leben muß kompliziert sein, sonst ist es nicht lebenswert (auch Zizek). Überhaupt: LOVE + BEAUTY = DANGER. "Coughing, etcetera." (Zizek). Die Bassline ist so rigoros, wie es der energische Schritt auf hohen Absätzen durch industriellen Futurismus verlangt, während hypnotische Synth-Wellen wieder im Traumgleichen halten. "Plead for mercy", verlangt die europäische Version der Femme fatale (geheimnisvoller, vielschichtiger, schwerlidriger). Und plötzlich materialisiert sich aus dem Nichts Steve Howe - genau, der - mit einem Gitarrensolo, das sophisticated zu nennen untertrieben wäre, Kinderspiel jedoch in einer ambitionierten Produktion, die spektakulären Hochglanz und fesselnde Lyrics, Avantgardekunst und Breitwand, Anspruch und Trash der faszinierenden Sorte mühelos zu kombinieren weiß. Episch, dunkel und doch verführerisch schön ist alles auf "A Secret Wish". Und: mysteriös filmisch bzw. filmisch mysteriös.








Auf der Vinyl-Version ist "Jewel" ein wildes, fieberhaftes (lies: frantic) Vorspiel zu "Duel" (lies: enigmatic), auf der CD-Fassung von "Jewel" schreit Claudia Brücken den "Duel"-Text über einen extended mix des rasenden Instrumentalstücks.
Die Maschinen im Moloch laufen auf Hochtouren, irgendwer bedient irgendwas, das wie eine Kombination aus Dampfmaschine und der Orgel eines Wahnsinnigen klingt. In beiden Fassungen von "Jewel" zu hören: ein langgezogener Schrei, den Claudia Brücken entweder als kurzzeitig zur Sirene Verwandelte oder auf der Streckbank produziert haben muß. Offenbar stand sie dabei aber lotrecht:
"Me in a booth absolutely screaming the vocal to 'Jewel' while Steve made these wild, stabbing movements with his hands to encourage me." (CB). Steve ist Stephen J. Lipson, Trevor Horns engineer. Der eigentliche ZTT-Zaubermaestro hatte mit der Produktion von "A Secret Wish" offenbar nicht so viel zu tun, wie es die Legende lange wollte, und Lipson ersetzte den mit Frankie Goes To Hollywood ausgelasteten Trevor Horn.







 
"Screaming the vocal to 'Jewel'" gelingt Claudia Brücken auf wunderliche Weise mit echter Passion und zugleich so, als wäre sie ein Roboter, der programmiert ist, Leidenschaft zu simulieren, der aber nicht richtig funktioniert, wütend und wie kurz vor dem Zusammenschmelzen, ein Defekt im Steuersystem der Eve future, die Artikulation der Stimmbandspule bedrohlich verzerrt, bis nur noch derangierte gellende Schreie kommen. Und die massiven, massiven, massiven Synthfanfaren des Finales.







 
Dann also "Duel", das grand monde-Intro des grand piano, und dann ein Song so gorgeous wie Lippenstiftnachziehen im Kugelhagel, mit dem rätselhaft-bis-verstörenden Chorus

The first cut won't hurt at all
The second only makes you wonder
The third will have you on your knees
You start bleeding, I start screaming

und Stewart Copeland am Schlagzeug.








Manchmal unverständlich, warum Propaganda nicht huge werden konnten. Vielleicht war der in "Duel" inkarnierte glamour von Propaganda zu spooky. Eine Sammlung von YT-Kommentaren zu diesem Song / diesem Video erfreut jedenfalls mit der Erkenntnis, daß diese immer unterbewertete Band zu Heißgeliebtheit durchstößt:

One of those tracks which can still make hairs stand on end, make a shiver run down your spine, and make you wonder why it all had to end.

One of the greatest pop songs of all time.

This song is really class, it still touches me inside when I hear it.

The best pop record to come from the 80's, German industrial pop at its best!!

Claudia... Claudia... Claudia.... what shall I say... you are stunning!!! Propaganda was the most underrated and enigmatic band of all times! GOOSEBUMPS! 

Girls looked a lot classier in those days too I might add, nice make up and dress, and a hell of a lot fitter than now I think.

Love this song! Wonky german accent and all...

Iconic, legendary song from the 80s. Pop at its pinnacle.

Wow good song. It's a shame that songs like this are starting to get forgotten. I'm 16 and I'm pretty sure nobody I know younger than 25 knows this song.

I'll be honest with you I forgot how good this tune really is.

... I have to admit that Claudia Brücken's voice is truly AWESOME and absolute unique.

This should be played every day and every hour on every radio in the country

This song is expertly crafted, a lovely melody, and a totally unique main vocal which suits perfectly this lush 80s sound.
 
Excellent song. High quality music and a beautiful singer. 

Man I had a huge crush on Claudia

And isn't Claudia Brucken absolutely GORGEOUS!

Best thing since sliced bread this..... cant listen to this enough.

Intelligent pop song 25 yrs ago and still is unique today...

As he kissed her hand at 1:19 he's thinking "Blimey, that's some nose on her"

I don't care what anyone says, the lead singer is gorgeous.

Unusual looking girl and a fab song

Greatest song! Powerful bass! Magic Klavierspieler! Beautiful girls - Claudia und Susanne!

One of the best pop arrangements, never heard a piano bringing such a climax.

This song is a landmark. As a composition, arrangement, and the use of the very early digital fx.

DX7 synth, blond hair, red lipstick, metallized sounds, clear pop drums. HOLY SHIT this is fantastic!

Great song structure, interesting lyrics and a song that's been thought out and instrumentalized (is that a word?) perfectly, cascading into an incredible ending.

I think the threat of being vaporised in a nuclear exchange made all us 80s children more aware of the beauty and passion there is in life, this was reflected in the music of the area. I'm glad I grew up in that time.

Dali Backdrop

Amazing song. Interesting video, lots of symbols.

Great song, but the lyrics are creepy, with all this talk of cutting and bleeding.

Absolutely brill!!! Claudia Brücken has an amazing voice, so distinctive.

My personal vote for best song of the 80's. It sums up the quality of the whole decade.

The 80's when everything was new and original, you heard something different every week... not like the same boring crap these days.

She's gorgeous with all her hair spiked up. Like an 80s Marlene Dietrich. I always loved her accent too. This song's a classic. They were such a stylish band. Shame they just seemed to disappear...

Forgot almost about her unusual voice. It's still great to hear this music, even after all these years.

This song has the best refrain in music history. Magic. 

What a fucking great song this is! Love it, love it, love it!!

Propaganda were everything that all the 80's bands wanted to be, but lacked the talent to be it.

What a special and unique voice!

I wish I died in 1985

Played this at my wedding and everybody but myself and the wife left the dancefloor. They all had no taste, brilliant record.

THIS IS ETERNAL. You simply can not do a better pop melody than that, only ABBA of all could manage the level. Too bad and tragical that this GREAT SONG is largely forgotten.








 
ABBA. Nämlich: "ABBA in Hell", wie es ein review in (vermutlich) Time Out nannte. Nico im Kraftwerk? Marlene Dietrich in Metropolis? Jedenfalls auch "The children of Fritz Lang" (NME) im erotisch aufgeladenen Darkroom: "The imagination is like an engine that can work on many different fuels: but it must be powered, and sex, properly used, is a fuel of high potency", heißt es, ganz Zizekesque, irgendwo zwischen den Zeichnungen, die Anton Corbijn - genau, der - für die Songs von "A Secret Wish" anfertigte. Von Corbijn stammt auch das Coverfoto, naturellement, und das (erste) Video für "Dr. Mabuse" - Corbijns ungefähr drittes überhaupt.
 
 
 
 

 
 

 
Claudia Brücken war gerade durchs Abitur und wurde dann recht bald Mrs Paul Morley [was die Band in Schwierigkeiten stürzte. Morley, ZTT-Cheftheoretiker, war eine Art englischer Nietzsche, der in einer Art Fröhlicher Konzeptueller Wissenschaft um die Band herum kryptisch-coole Proklamationen auffuhr. Und Morley, so geht die Geschichte, entfremdete CB dem Rest der Band. Propaganda waren auch alles, ohne es sein zu können.]. 
 
Die Attitüde, mit der Propaganda antritt - Metropolis von innen heraus erotisch zu zersetzen -, nutzt das je ne sais quoi von Claudia Brückens Gesang als Wunderwaffe. Wie die Kommentare auf YouTube (oder amazon.com) belegen, ist Claudia Brückens Gesang kanonisiert als distinctive, außergewöhnlich, unvergleichlich, verführerisch, sublime, full of passion, haunting, herzzerreißend. Nicht nur ist ihr "Teutonic croon", wie ein amazon-Rezensent schreibt, "a most deliciously curdled cream"; "The german edge to the singing gives it the extra something that fits well", so ein anderer Amazonist; nicht nur hat Propaganda Stereotypen über "Deutsch" im Gegenteil geradezu über den Haufen geworfen; die Diktion paßt auch a) blendend zu der Tatsache, daß wir hier durch einen fremdartigen Traum reisen und b) blendend zu Zeilen wie: "On joyless lanes we walk in line / A calm but steady flow." 
 
 
 
 
 

 



Womit wir bei "p:Machinery" sind, und die Freudlose Gasse (Stummfilm mit Greta Garbo von 1925) wird zitiert als Metapher für den düsteren Weg der Niedergeschlagenheit, auf dem auch in "Metropolis" die Arbeiter in den Tiefen der futuristischen Großstadt sich zu den Maschinen bewegen, hier "accompanied by loud commands", vor allem aber begleitet vom schicksalsschweren Preßlufthammerbeat, vom ewigen metallischen Stampfen. "Motor!" Monotone Frauenstimmen aus den Lautsprechern unter dem Bunkergewölbe: "Power. Force. Motion. Drive."
Hier ist es, wo "a secret wish" Ausbruch aus dem Gleichtakt sucht, eine andere Wahrheit: "Another hope feeds another dream". Und das Menetekel dazu: "Another truth installed by the machine". Wie sich Claudia Brückens Stimme bei 3:15 unter der Allmächtigkeit der einschüchternden, aggressiven Maschinerie, gequält vor Suche nach Seele, ins Unendliche dehnt, bis es kurz zu einer Art komplettem Druckabfall kommt, die Spannung sich in "...installed by the machine" ergießt und die furchterregende Mechanik wieder einsetzt: groß. Ganz groß.







 
"Sorry For Laughing", Cover eines Songs der schottischen Band Josef K (vgl. Kafka, Der Prozeß) von 1981. Den hätte man schon auswählen können wegen seiner unwiderstehlichen Anfangszeilen: "It took 10 years to realise / Why the angels start to cry", vielleicht aber auch, weil ein mechanisches Geschöpf zu sprechen scheint, resigniert amüsiert einen Zustand unvorhersehbarer, unkontrollierbarer Reaktionen beschreibend, der Definition unmöglich macht und Annäherung kompliziert. Charles Atlas findet Erwähnung - ein muscleman, "he's not made like me and you". Aber was gibt es Herzzerreißenderes, Faszinierenderes als die Frau in der Metropolis-Disco namens "Grabstein", die Erinnerung an großes Gefühl mit einem melancholischen Lachen abtun will, eine Erinnerungsleugnerin wie aus Marienbad. Darum sind die stählernen Rhythmen auch an so betörende Akkordfolgen gebunden. "Frozen Faces can always melt again". ["Frozen Faces" erschien als neuer Song im Ablauf der CD].








"Why does it hurt when my heart misses the beat?" Wie die Androide, die ihr Glas hält und versonnen auf das Muster des Uncanny Valley-Teppichs blickt, scheinbar in tiefes Nachdenken versunken. "Kann man atmen lernen? Habe ich das auch gelernt?" - "Oh ja. Und die Lungentätigkeit ist ein so erstaunliches Phänomen." Die Pose ist ihr Natur geworden, sirrendes Druckgefühl im Raum, wann immer sie sich bewegt. Mit funkelnder Eleganz.
Flucht vor dem sinistren Schattenlosen, für den die Musik dunkle Schatten wirft. Glamorous death seine ewige Leidenschaft. Sell him your soul, never look back, kein Zurück für dich. "A Secret Wish" erschien 1985, "Dr. Mabuse" schon 1984, aber Mastermind Mabuse bleibt der dunkle Magnet im Universum der Platte, bombastisch und theatralisch inszeniert, Furcht und Zittern vor den Machenschaften des Manipulators als dramatisches Epos, Pathos nicht im Sinne von pathetisch, sondern im Sinne der Gesten des expressionistischen Films, zugleich ironischer B-Movie-deadpan-Charme eingestreut in der Erzählstimme, über der "Unheimlich! Unheimlich!" blinkt. Und, unter uns Freunden der Glühbirne: brillanter wird Dunkeldiscopop nicht mehr.







 
"Time to prove what forever should last / Whose feelings are so true as to stand the test / Whose demands are so strong as to parry all attacks", hieß es in "Duel". This in mind, erreichen wir "The Chase". Kein Zurück für dich? Da ist sie, die Frau, die zu sich kommt und zurück will: "Chasing after passing visions / And traces buried by the tide". Magische Schönheit, Glanzlicht für Claudia Brückens Stimme, und Momente, in denen diese Stimme ganz nah ist: "Hunting for a bygone picture / Reviving phantoms of the past / Your secret smile I can't forget / We could turn back the pointers of the clock / Oh if I could and if you would." Am Ende donnern Beats ein Störsignal, ein militanter, beunruhigender Rhythmus, wie das autonome Hämmern herrenlos gewordener Maschinen, die einen fremden Code mitteilen. Aber da ist noch dieses ominöse Piano, Entkommen im Schutz der Dunkelheit.







 
Ins Finale von "The Last Word (Strength To Dream)". Dunkel und doch hoffnungsvoll. Der Beat pocht, als schlüge jemandem das Herz bis zum Halse. Die Kraft zu träumen ist es, die die Mechanik zersetzt, auch wenn am Ende der Gang durch Donner, Blitz und Regen steht und die bange Frage, ob alles nur Traum in einem Traum ist. Angemessen ergreifendes Ende. The End.







 
 

 
 
 
Anspruchsvoll, gewagt, luxuriös, atmosphärisch. Glamour & Intelligenz, erotisch und elegant. Ein, wie Ralf Dörper sagt, auf der Bühne im Grunde nicht darstellbares Klangbild. (Dörper schrieb im Übrigen auch die Texte für "Duel", "p:Machinery", "Dr. Mabuse" und "The Chase").

"Through the machineries of greed, pettiness, and the abuse of power, love occurs." [Thomas Pynchon, Gravity's Rainbow]. Was wie ein roter Faden scheint - haunted beauty vs. Seelenlosigkeit - ist selbst derart haunting, daß man sich immer wieder verliert in diesen soundscapes für "Claudia Brucken & Suzanne Freytag. The most deliciously tantalizing combination in electronic pop history." Hier noch eine Kompilation aus weiteren Zitaten, die Rezensionen auf amazon.com entnommen sind:


THIS IS WITHOUT DOUBT THE MOST AWESOME ALBUM TO COME OUT OF EUROPE IN THE 1980's.

The album works best in its entirety and one can get lost in surreal landscapes and thunderstorms of the soul.

... this album is truly magical. If Kraftwerk invented the genre and gave life to it, Propaganda breathed emotion & passion into it... absolutely gorgeous vocal arrangements.

One of my favorite and most-listened-to albums by anyone, ever. Atmospheric, expansive, compelling. Redoubtable, riveting; full of miraculous chordal progressions which almost seem to defy logic, gravity, and all previous musical exploration. Sounds crazy? Nope, it's really that good. A work of undisputed genius.

What was the last time you heard an album for the first time and song after song perfection you wish the album would never end? This only happens with a few albums, those considered masterpieces. Well, there you have it. From the first chords of the very first song you will know you are hearing something special.

I just hope that Propaganda would reform and make another masterpiece like this one.

Here's a much forgotten secret from the mid eighties...  the enigmatic Claudia Brucken with her distinctive German voice... Brucken's vocals easily generate pure emotion against the harsh, industrial sequencing of some of the tracks.

The acme of the ZTT aesthetic... Has there ever been a more thrilling track than the hellish "Dr. Mabuse?" ... Hear this album and wonder where it all went wrong afterwards. What I wouldn't give to hear grandiose and ornate music such as this again!

Perhaps one of the finest synthpop releases of the 80s, dare I say ever. Smart and eclectic, with outstanding vocals.

... thinking music without the pretention...

When I first heard this album, it was a revelation. Intricate rhythms combine with haunting, compelling lyrics to create a masterpiece... Check out the amazing chordal structures present in "Sorry For Laughing" - incredible.

It was a tragedy that so little came after it, but how could they have possibly followed it?

This is truly a masterpiece work... Absolutely an amazing aural tour de force with exceptionally strong vocals, instruments and production values... this album takes you on an amazing sound journey. It is a shame that it is not widely acknowledged for the masterwork that it is. Do yourself a big favour and discover one of the 80's hidden gems.

... listened to it over and over while I was traveling up to Paris via train through the Pyrenees. I'll never forget that train ride, and I'll never forget Propaganda. The 2 women will seduce you with their voices and the 2 men will seduce you with their rhythms and melodies. Easily a top 10 record of all time for me...










Aus dem Booklet der Deluxe-CD-Edition:

"Now, for one last time, Propaganda could import uncomfortable ideas about love, hate, sex, violence and the mechanisation of the everyday straight into the pop charts." - Andrew Harrison

"Enigmatically glamorous, art but still pop, mysterious but right in front of your eyes, and full of its very own intense style." - Paul Morley

"Propaganda was a very interesting combination of people." - Claudia Brücken




Finally: Claudia Brücken am Ende von "P-Machinery" mit dem Schmetterlingsnetz... sigh.
 

















(erstveröffentlicht / first published 11.08.2011)

















Mittwoch, 2. August 2023

Elvis










SPIEGEL ONLINE Forum 
   
"Elvis - immer noch der King?"





18.08.2007
 
Christian Erdmann:

Jesse, are you listening?

Wenn, als du 10 warst, die große Schwester deines besten Freundes eines dieser Single-Sammelalben voller Elvis-Platten hatte, war das eher von Übel, denn dieses Mädchen schwärmte auch für Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich. Wenn ein paar Jahre später David Bowie sagt, "Schöner Gigolo, armer Gigolo" war "meine 32 Elvis-Filme in einem", wirft auch das erst einmal einen Schatten. Aber du und ich (Roy und Anita) stimmen ein: schön ist es, auf der Welt zu sein und ständig die eigenen Vorurteile über den Haufen zu werfen. 
 
Denn schon passiert Folgendes: deine damalige Lieblingsband The Clash übernimmt für ihr epochales "London Calling"-Album das Design des Elvis Presley-Debuts, und ihr "Brand New Cadillac" öffnet schon mal das Tor zu dem Raum, in dem du irgendwann feststellst, daß Gene Vincent nicht zu Unrecht ein Held Joe Strummers war: man könnte meinen, auf "Git It" singe nicht Gene Vincent, sondern Strummer. Und wenig später ist genau dieser Raum voll mit akustischen (wie optischen) Aphrodisiaka, aufregendem Trash und einem Gitarrensound, den eine Frau namens Poison Ivy Rorschach auf einer 1958er Gretsch und auf Pfennigabsätzen produziert, während Herr Interior "Aloha From Hell" hechelt... auf "A Date With Elvis" (The Cramps, 1986). Spätestens da fällt nicht nur der Groschen: unzählige Koryphäen hatten irgendwann im Leben ihr Date with Elvis, ihr Aha-Erlebnis. John Cale, "Heartbreak Hotel". Nick Cave, "In The Ghetto". Es scheint, als hätten sehr viele sehr gute Musiker aus den Elvis-Songs die Untertöne herausgehört und in einem alchemistischen Prozeß ihre Quintessenz destilliert, nicht zuletzt Josh Homme von den Queens of the Stone Age – über den QOTSA-Song "Little Sister":
 
"And I like the amalgam of imagery that it puts forward, that throwing a little pebble at the girl's windows late at night, you know, trying to creep in the back door, you know. And I also love the Elvis song Little Sister because I like the sort of sexual twist that's put on by Little sister don't you do what your big sister done."

Elvis' toter Zwillingsbruder, die Apokalypse (à la John Lee Hooker) und The Second Coming Of Christ in Nick Caves "Tupelo":
 





 

Looka yonder! Looka yonder!
Looka yonder! A big black cloud come!
A big black cloud come!
Yeah come to Tupelo. Come to Tupelo.
Yonder on the horizon
Yonder on the horizon
Stopped at the mighty river
Stopped at the mighty river
Sucked the damn thing dry
Sucked the damn thing dry
Tupelo, o Tupelo
In a valley hides a town called Tupelo
Well distant thunder rumble. Distant thunder rumble.
Rumble hungry like the beast
The beast it cometh, cometh down
The beast it cometh, cometh down
The beast it cometh, cometh down
Wo wo wo-o-o
Tupelo bound. Tupelo. Yeah Tupelo
The beast it cometh, Tupelo bound!
Why the hen won’t lay no egg
Can’t get that cock to crow
The nag is spooked and crazy
O God help Tupelo! O God help Tupelo!
Ya can say these streets are rivers
Ya can call these rivers streets
Ya can tell ya self ya dreaming buddy
But no sleep runs this deep
No, no sleep runs this deep
No, no sleep runs this deep
Women at their window
Rain crashing on the pane
Writing in the frost
Tupelo’s shame. Tupelo’s shame.
O God help Tupelo! O God help Tupelo!
O go to sleep little children
The sandman’s on his way
O go to sleep little children
The sandman’s on his way
But the little children know
They listen to the beating of their blood
Listen to the beating of their blood
The sandman’s mud!
The sandman’s mud!
And the black rain come down
The black rain come down
The black rain come down
Water water everywhere
Where no bird can fly no fish can swim
No bird can fly no fish can swim
No fish can swim
Until the king is born!
Until the king is born!
In Tupelo!
TIL THE KING IS BORN IN TUPELO!
In a clap-board shack with a roof of tin
Where the rain crashed down and leaked within
A young mother frozen on a concrete floor
With a bottle and a box and a cradle of straw
Tupelo! O Tupelo!
With a bottle and a box and a cradle of straw
Well Saturday gives what Sunday steals
And a child is born on his brother’s heels
Come Sunday morn the first-born dead
In a shoebox tied with a ribbon of red
Tupelo! Oh Tupelo!
In a shoebox buried with a ribbon of red
O mama rock your little one slow
Mama rock your baby
Mama rock your little one slow
God help Tupelo! God help Tupelo!
Mama rock your lil one slow
The little one will walk on Tupelo
The little one will walk on Tupelo
Black rain come down, black rain come down
Tupelo! Yeah Tupelo!
The king will walk on Tupelo
And carry the burden of Tupelo
Tupelo! O Tupelo!
The king will walk on Tupelo!
Tupelo! O Tupelo!
He carried the burden outa Tupelo!
You will reap just what you sow

 


"Das Bild der Zwillingstürme ist ein Gleichnis für die amerikanische Selbstüberschätzung. Sie hatten keine geistig reflektierbare Substanz. Elvis hatte einen tot geborenen Zwillingsbruder und hat diesen nie gesehen. Dieser hatte für ihn also auch keine geistig reflektierbare Substanz. Das passte zusammen. Am Schluss führe ich das Bild von der Prärie in die Lyrics ein, das ebenfalls der amerikanischen Mythologie zuzurechnen ist. Es handelt also eigentlich alles von der amerikanischen Mythologie."

Sagt der seinerseits legendäre Scott Walker, der in "Jesse" auf "The Drift" (2006) den jenseits von Gut und Böse einsamen Elvis Zwiesprache mit seinem toten Zwillingsbruder halten läßt ("In times of loneliness and despair, Elvis Presley would talk to his stillborn twin brother Jesse Garon Presley"), die Twin Towers stürzen ein und The King konstatiert: "I'm the only one left alive."
Wer weiß.

Für starke Nerven:
 






 
Es sind also gerade die Größten, die den Mythos weiterspinnen, und alle suchen immer noch die Nacht, durch die Elvis' Stimme hallt. 


















31.08.2007

Rainer Helmbrecht: 
 
Wenn ich die Lebensgeschichte von Einstein richtig im Gedächtnis habe, dann hätte er sich von Marilyn Monroe angezogen gefühlt und da ist dann wieder die gemeinsame Linie. 






Christian Erdmann:

Es gibt einen Film von Nicolas Roeg ("Insignificance"), der Einstein und Marilyn Monroe (sowie Joe DiMaggio und McCarthy) in einem New Yorker Hotelzimmer zusammenführt. Sehr schönes, sehr bewegendes Portrait der Monroe durch Theresa Russell, die einige wichtige Ergänzungen zur Relativitätstheorie vorzubringen hat. Und wenn man da als männliches Genie der Frau nicht zuhört, fällt man in den Brunnen, das ist seit Thales so.

Letztlich aber auch eine Geschichte über die Einsamkeit, womit wir wieder bei Elvis wären. Wir sind, wie Bataille sagt, diskontinuierliche Wesen, Individuen, für die, getrennt voneinander, der andere an sich schon ein unbegreifliches Abenteuer ist - und wir sind voller Sehnsucht nach der verlorenen Kontinuität. Roeg hat das in einem anderen Film ("Der Mann, der vom Himmel fiel", mit David Bowie) in, eben, einen Mann, der vom Himmel fiel, projiziert, aber wer von uns fühlt sich nicht manchmal, als sei er gerade auf die Erde gefallen.

Elvis' Einsamkeit in seiner letzten Nacht hingegen sprengt das Vorstellbare. Bela B nennt ihn den "Jesus Christus der Musikgeschichte". 

Interessant an -> diesem Interview aber auch:

"Ich komme aus der Punkszene und hielt Elvis eigentlich eine ganze Weile für Spießerkram. Bis ich in Berlin Nick Cave hörte, der eine Coverversion von Elvis' 'In The Ghetto' aufgenommen hatte ..."

Nick Caves Version habe ich ja schon erwähnt, auch als Indiz dafür, wie es die Größten selbst sind, die den Mythos weitertragen. Es gibt also zwei Traditionslinien - diese, und den Elvis-Imitator von der Imbißbude.
 
 













01.09.2007

Meadow:
 
Was haben die ewig kreischenden Stones mit Elvis zu tun?





Christian Erdmann:
 
The Gospel According to Keith, pt. 1468 
"When I heard Heartbreak Hotel, I knew what I wanted to do in life. It was as plain as day. All I wanted to do in the world was to be able to play and sound like that. Everyone else wanted to be Elvis, I wanted to be Scotty [Moore]."





Meadow: 
 
Was wollen Sie mir mit dieser Antwort sagen? Nur weil die Stones mal über Elvis gesprochen haben, widerlegt das nicht, dass sie mit ihm nichts zu tun haben. 





Christian Erdmann:
 
*seufz* ... Scotty Moore war Gitarrist für Elvis Presley.





Meadow:
 
LOL :-) Bin ich Jesus, dass ich alles weiss?





Christian Erdmann:
 
Das können nur Sie selbst entscheiden. :) 
 




 
 
 
 
 
 
 
 
 
03.09.2007
 
Christian Erdmann:

Was Elvis statt Las Vegas hätte tun können? Keine Ahnung. Als junger Sex God konnte er nicht mehr in Erscheinung treten, haufenweise persönliche Probleme, ein Mann voll der inneren Leere, ausgesaugt von Parasiten. Musik war das Vehikel für IHN. Und als ER anfing, sich äußerlich zu verändern, hinabzuschauen in ein Publikum, das zunehmend blauhaarig wurde – was hätte er tun können? Losgehen und sagen: entschuldigt mich für eine Weile, ich schreibe jetzt bedeutungsvolle Songs über mein Leben? Warum nicht? Aber er war primär Interpret und Entertainer, und die Lücke zwischen dem, worüber er sang, und dem, was er war, wurde immer größer.






Gwynplaine: 
 
Hallo Christian
 
Das kommt darauf an, welches Material er gerade in den Fingern hatte. Wenn er in späten Jahren "That's Allright, Mama" intonierte, dann sichtlich ohne Vergnügen oder Inspiration; das war nicht mehr er. Auf der anderen Seite machte er mit seiner Interpretation Tony Joe Whites Swamprock "Polk Salad Annie" zum Klassiker. Das alte Rock'n'Roll-Zeug brachte er nur noch fürs Publikum, das dieses erwartete. Trotzdem waren da noch genug substantielle und inspirierte Songs, die einem "adult" Elvis und dem mit ihm gealterten Publikum würdig waren. Wenn man mal recherchiert, was Elvis im Laufe seines Lebens alles gesungen hat, kann man über diese Vielseitigkeit nur staunen. Lebte er heute noch, er könnte Metallica singen, oder was weiß ich. 

Elvis wurde verkannt, immer. Er wurde immer an dem gemessen, was er in den 50ern für ein paar Jahre mal war und das führt zu einer falschen Erwartungshaltung - sicher: wenn ich selbst ehrlich bin, gehören die Sun Sessions zu den Aufnahmen, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Interessant in diesem Zusammenhang ist dies: Elvis, der "Rebell", liebte Dean Martin, Sinatra, all das Popzeug, und bei seinen ersten Auditions bei Sun sang er solche Sachen auch. Er liebte Gospel. Er war also im Grunde nie der reine Rock'n'Roller, er war immer schon breit gefächert. Und wenn es nicht immerzu geheißen hätte: King hier und Rock'n'Roll dort, hätte es ihm vielleicht auch nichts ausgemacht, ein bißchen dicker zu sein. Wer weiß? 

Für alle, die ihn in seiner Las Vegas Phase verschmähen: einfach mal das Kostüm wegdenken und nur auf die Musik hören. Ach, dieser Personenkult ist ein Elend, aber "that's the way it is", wie mit dem Mann, der Liberty Valance erschoß, wir drucken die Legende.

Eine Platte fehlt jedenfalls in der Rock- und Popgeschichte: Elvis sings Dylan. Einen Song gibt es da ja. Ich hätte da noch ein paar Vorschläge für ein Phantomprojekt:
 
Tangled Up In Blue
I Believe In You
Precious Angel
My Back Pages
Queen Jane Approximately
It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry
Just Like A Woman

 
Noch jemand Vorschläge?






Christian Erdmann:
 
Hallo J, 
 
really saying something! "Elvis wurde verkannt, immer" würde ich hinzufügen: auch von sich selbst womöglich. Irgendwas an seinem Selbstrespekt muß ihm jedenfalls irgendwann verlustig gegangen sein. Aber ich verschmähe den Vegas-Elvis gar nicht, nicht falsch verstehen; wo er was wie gemacht hat, ist mir eigentlich egal, am Ende bleibt nur, was er wie gemacht hat – der Song, die Interpretation, die Stimme.

Ich füge Deiner Dylan-Songauswahl mal "Baby Stop Crying" von "Street Legal" hinzu, großartiges, unverständlich verschmähtes Dylan-Album, das man seltsamerweise ja auch sein "Vegas"-Album genannt hat, das aber hoffentlich noch wiederentdeckt wird.

Elvis' Dylan-Album endet spooky – mit "Not Dark Yet" von "Time Out Of Mind"... It's not dark yet, but it's getting there.

Dylan-Zitate für die off-topic-Seufzer:

"When I first heard Elvis' voice I just knew that I wasn't going to work for anybody; and nobody was going to be my boss... Hearing him for the first time was like busting out of jail."

"Elvis recorded a song of mine, that's the one recording I treasure most."
 
 
 
 
 










06.09.2007 

IsArenas: 
 
Zu "meiner" Zeit (70er und 80er) galt Bill Haley als cool und Elvis als Langeweiler. 






Christian Erdmann:
 
Nana. Wenn Sie The Cramps kennen, wissen Sie, daß das so nicht stimmt. Überdies erschien Anfang der 90er, und zwar sehr Anfang der 90er, ein 2-CD-Tribute, betitelt "The Last Temptation Of Elvis". Auf dem finden Sie unter anderem Robert Plant, Bruce Springsteen, The Pogues, Ian Mc Culloch (von Echo & The Bunnymen), The Jesus And Mary Chain, Lemmy (Motörhead), Steve Albini, Aaron Neville, The Primitives, Les Negresses Vertes aus Frankreich, sowie die gottgleichen Lux & Ivy (The Cramps) höchstdarselbst. Sie sehen, in welchen Ecken Elvis nuff respect genoß (was ja das Interview mit Bela B schon indizierte), während Bill Haley da doch eher als altbacken galt. Haley hat einfach nicht diese mythische Überhöhung, die nicht nur eine Frage der Geschichte ist: sie läuft, wenn man genau hinhört, schon auf vielen Elvis-Songs quasi auf einer Tonspur mit, als Echo aus der Zukunft.
 



 
 
 

 







09.09.2007
 
Christian Erdmann:

Zum Bill Haley / Elvis Presley-Streit...

Jesus ist ja immer noch Christus, weil er zu einem bestimmten Zeitpunkt auftauchte, an dem er bestimmte Dinge tat, die in einer bestimmten historischen Konstellation bedeutsam wurden... und dann gab es eine Menge Leute, die unter sich verschiebenden historischen Bedingungen seine Botschaft weitertrugen. Zum einen wird Elvis also deshalb immer "The King" bleiben, weil er zu einem bestimmten Zeitpunkt auftauchte, an dem er bestimmte Dinge tat, die in einer bestimmten historischen Konstellation bedeutsam wurden, und weil es dann eine Menge Leute gab, die unter sich verschiebenden historischen Bedingungen seine Botschaft weitertrugen. Weitere Parallele: das Ausbleiben der Parusie, trotz aller Elvis-"Erscheinungen". :)

In welche Konstellation Elvis hineinbrach, verdeutlicht vielleicht das Zitat der Rektorin einer Schule in London von 1956: "Ich muß mit einem Jungen namens Elvis Presley reden, weil er in jedes Pult der Schule seinen Namen geritzt hat."
 
Oder die Tatsache, daß selbst Scotty Moore 1954 Elvis nach einer ziemlich schwülen Aufnahme von "Blue Moon Of Kentucky" einen Nigger nannte.

Oder das Zitat von Butch Hancock über Elvis' Auftritt in der Ed Sullivan Show 1956: "Das war der Tanz, den alle vergessen hatten. Dieser Tanz war so stark, daß eine ganze Zivilisation nötig gewesen war, um ihn vergessen zu machen; und es dauerte zehn Sekunden, ihn wieder ins Gedächtnis zu rufen."

In dieser ganzen Geschichte ist Bill Haley Johannes der Täufer... mehr nicht. Ihm fehlte die Aura des Erlösers. Elvis war sexy auf eine – seinerzeit – durchaus androgyne Art, die Art, wie er die Oberlippe auf einer Seite hochzog, war gleichzeitig knuddelig und inszenierte doch den – erotisch – zu allem fähigen Gesetzesbrecher. Einem Bill Haley hätte keine Maria Magdalena die Füße gesalbt.

Das andere ist die Frage, was die Elvis-Songs tatsächlich heute noch, musikalisch, zu bieten haben. Und da bleibt nun einmal in erster Linie seine Stimme. Man kann bewundern, mit welcher ultracoolen Professionalität seine Musiker ans Werk gehen oder welchen Drive sie haben und wie sich dieser Drive erklärt, meinetwegen. Man muß sich aber schon einer recht eigenartigen Resistenz befleißigen, um nicht anzuerkennen, daß sich Screamin' Jay Hawkins nie wegen Bill Haleys Stimme an die Rezeption eines schäbigen Hotels in Memphis gesetzt hätte, in Jarmuschs Film "Mystery Train" - aus dem Radio hallt "Blue Moon" durch die Nacht. Es ist aber auch letztlich genau die Musik, über die man Elvis wieder aus dem oberflächlichlichen Ikonen-Status rausholen muß.





 
Muffin Man: 
 
Zitat von Aljoscha der Idiot 
 
In dieser ganzen Geschichte ist Bill Haley Johannes der Täufer...mehr nicht. Ihm fehlte die Aura des Erlösers. 
 
Es gibt Tage, an denen kann ich nur staunen, wie treffend Sie bestimmte Sachverhalte darzustellen vermögen! Chapeau!





Gwynplaine: 
 
Oh Mann, "Blue Moon" ist so magisch, dass sich mir alle Haare aufstellen, wenn ich nur daran denke!
 
Was Bill Haley betrifft: ich hörte die Band stets gerne, guter "Drive" - aber keine Magie, keine Erotik, keine Suggestivkraft. 






Christian Erdmann:
 
Unglaublich. Ein Killer. Weiß nicht, wer den Song außer Billie Holiday noch vor Elvis gesungen hat, aber was Presley daraus gemacht hat, ist überirdisch... oder besser, anderweltlich. "Eerie", wie der Angloamerikaner sagt.

Wer danach nicht glaubt, daß die Südstaatengeister ganz leis die Saiten zupfen, der glaubt's halt nie mehr. :)
 





Gwynplaine: 
 
... wer dieses sanfte Vibrieren und geisterhafte Schweben von Elvis' Stimme nicht wahrnimmt, muss gleichgültig oder taub sein. Dieses Lied läßt Welten im Kopf entstehen. Der gute Jarmusch hat's gewußt. Für mich einer der Kandidaten für die Insel.




 
 
 
 
 
 
 
26.07.2008 

dj1204: 
 
Hm - ich dachte, hier geht's um Elvis? Bin aber auch neu hier im Thread. Na ja, der beste bei den Stones war jedenfalls Mick Taylor... 





Christian Erdmann:
 
Elvis hab ich vor ca. 60 Seiten durch. :) Das Zusammenspiel von Taylor und Richards war phantastisch, musikalisch klar die beste Zeit der Band, was soll man sagen. Zur Zeit meiner Sozialisationsphase auf diesem Planeten waren sie mir halt näher als die Beatles, womit nichts gegen die Beatles gesagt ist. "Die Beatles mag ich nicht", da kann man ja gleich sagen "Musik mag ich nicht", "Der Kosmos nervt" oder "Ich atme so ungern". 





Peter-Freimann: 
 
Ein ganz großartiger Kommentar, lieber Aljoscha, ja mit dieser Einstellung lässt es sich leben in unserem Kosmos, atmen sogar!

Führe hier schon länger eine sorgfältige Punkteliste, Sie haben den Cramps Ihre Reverenz erwiesen, sind hierzulande einer der ganz raren Popweisen, die die unverwüstliche Songqualität von "Er ist wieder da" (Marion Maerz) diagnostizieren können, nur meine spärlich bemessene Zeit verhindert es, hier lobend Ihre ganze Verdienstliste einzubringen.

Mal sehen, wenn in der Popwelt wieder eine Reich-Ranicki-Stelle frei wird, ich werde mich Ihrer Rezensionen bestimmt wohlwollend erinnern. 





Christian Erdmann:
 
Erinnere mich, daß Sie die Cramps schätzen, das wird uns über alle zukünftigen Differenzen hinweghelfen, Idiotenehrenwort :), wer die liebt, kann keinen geistigen Muggel-Ort bewohnen. Mit "A Date With Elvis" wären wir ja auch wieder ganz hart am Thema, und ich muß gestehen, die Cramps haben mir den Weg zu Elvis freigeschossen. Na dann, derzeitiger Elvis-Favorit: eine Live-Version von "See See Rider" mit dem hysterischsten aller Mädchenchöre.
 
 





 
 
 
 
 
 
 
loeweneule: 
 
Elvis' Version von "Fever" habe ich stets als sehr angenehm empfunden. Sparsamste Begleitung; und das Ding swingt sehr schön. 





Christian Erdmann:
 
Schön schwül. Der Song muß ja leicht krank klingen, Elvis kriegt's hin.
 
Und: so wie David Lynch mal die unterschwellige Perversion aus dem Song "Blue Velvet" herausgeholt hat, so sind die Cramps die aus dem ganzen Elvis herausgeholte Perversion.











27.07.2008 
 
Christian Erdmann:

[Scott Walker - Jesse] 

"I read in an interview that those two guitar chords throughout the song are the same opening chords as "Jailhouse Rock" by Elvis Presley, just downtuned 8 steps or so and played on a baritone guitar. It makes sense, seeing as the song is apparently supposed to be a conversation about 9/11 between Elvis and his brother Jesse. That said, music never made me truly frightened until this song." 

Einer der Elvis-Momente ist ja sein rechter Arm hier bei seinem "Comeback Special" 1968, während der Anzug von innen ziemlich heiß wird:







Mal sehen, ob ich auf den Knien in die Küche rutschen kann. 
 
 










28.07.2008 


ramakushna: 
 
Und ich denke, er wird allgemein in seiner Relevanz überschätzt. 






Christian Erdmann:
 
Überschätzt wird vielmehr die Relevanz von Äußerungen, nach denen Elvis in seiner Relevanz überschätzt wird. :) Irgendwann ist jeder der Großen mal bei Elvis gelandet, egal in welcher Ecke sie arbeiten, einer wie Josh Homme, der mit den Queens of the Stone Age schweren, zähen, hypnotischen, gewittrigen, furiosen und neuerdings auf "Era Vulgaris" auch schrägen, stacheligen, vertrackten, Glühbirnen kaputtschießenden Desert-Rock macht, oder ein torch singer vor dem Herrn wie Marc Almond. Im Booklet von "Fantastic Star" versammelt Almond seine Idole: 

"Elvis, Bolan, Joe Meek, Thunders, Fury, Johnny Ray, Morrison, Dietrich, Garland and De Sade."

Gemeinsamer Nenner: "We want sex to bleed into the music." (Josh Homme). Den Sex-blutet-in-die-Musik-Kanal hat Elvis nun mal ziemlich weit geöffnet, da gibt's nichts.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 



 
 
 
Auf ihrem vorerst letzten Elaborat "Fiends Of Dope Island" erneuern The Cramps im Song "Elvis Fucking Christ" ihre Idee von der Theodizee:
 
"Well, the devil gave us Elvis / Drugs, sex and rock'n'roll / Greenbacks, fuzz and feedback / Demonseed and banshee hole." Ooh la LA. Extrapoliert findet sich da jedenfalls der Gedanke, den ich gestern, am Gottruhetag, schon andeutete: am Grund alles Bösen, aller Perversion, allen zwietrachtstiftenden Aufruhrs gab der Teufel Elvis diesen schwülen, kranken (im spezifischen Sinne von "sick"), perversen Unterton. Wer's nicht hört, für den muß Elvis vermutlich ein Hype bleiben. Experten wie die Cramps werden indes schon wissen, warum sie nicht "the devil gave us Jerry Lee" singen. Die Sache ist, daß es völlig egal ist, was Elvis singt, seine Stimme klingt immer wie: voll der wüstesten Phantasien. Da kann der Text noch so harmlos sein. Ist er aber auch nicht immer. Josh Homme zufolge ist der Queens of the Stone Age-Song "Little Sister" tatsächlich von "the sort of sexual twist" in "Little Sister" von Elvis Presley inspiriert. Dann noch den einen Mundwinkel leicht nach oben ziehen, und schon wirkt Elvis wie einer, der sich, wie Robert Mitchum in "Night of the Hunter", mit seinem Gott auf das geeinigt hat, was gut für ihn ist. Und auch für dich, girl. Reap all the wages of sin, sagt diese Stimme. Und dann, der Todesstoß, hat diese Stimme dieses fälschlich als "Schmachten" gedeutete Leiden an den Freuden der Ausschweifung, und mißversteh das nicht, girl: sie will, diese Stimme, daß genau du von diesem Leiden erlöst. Sie will, daß du ihr den Weg zeigst zwischen bible belt und garter belt. Sie will eine laszive Heilige, diese Stimme, die am Rande des Exzeß stöckelnde Unschuld, und du weißt, du machst das schon, girl.
 
 
 
 
 

 
 





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
(erstveröffentlicht / first published 12.07.2013)