Montag, 30. November 2020

Adventssingen 2020

 
 

 


 
 
 
 
 
Deck the halls with boughs of holly
Fa la la la la, la la la la...

Guten Abend. Ein neuer Advent erfordert unseren antirationalistischen Blick, und da sind wir. Vielmehr sind wir diesmal auf antirationalistischen Gesang und Kekse umgestiegen, um das year that never was und dann doch viel zu sehr, möglichst würdelos zu beenden. Ein furchtbares Jahr mit wenigen hellen Momenten. Lassen Sie uns versuchen, eben diese helleren besonders hervorzuheben. 

War soeben an ganz alte Anfänge unserer Zusammenarbeit erinnert, als ich aus dem gestern erschienenen plant kitchen comforts Kochbuch ein Rezept mit nur drei Zutaten aus irgendeinem mir unbekannten Grund verhunzte. Bandnudeln, Sesammus, Zitrone. Ich vermute, das Sesammus war über seinen längeren Aufenthalt in der untersten aller Kühlschrankschubladen so verärgert, dass es zu trocken für eine Tahinisoup war. Und dann vergaß ich mal wieder den Herd auszumachen. Glücklicherweise ist der laute Nachbar abwesend, so dass ich die zarten Hilferufe der heißen Platte vernahm. Remember Milchreisgate. 

Ach, Loriot, was würde er dieses Jahr zu tun haben! Es gäbe so viel zu kommentieren. Man kennt sich ja kaum noch aus, so schnell verändert sich in diesen Tagen die Etikette.
 
 



 
Ja, was denn nun? Chantal darf mit dem Einhorn zwischen 11:54 und 11:58 Uhr ausreiten. Aber nur bei Regen? Weiß eigentlich schon jemand, ob man in der Dusche noch singen darf? Und was ist mit Weihnachten? Findet ein Maskenball statt? Und warum gibt es Masken, die wie Unterhosen aussehen? Verzeihung, aber das geht mir zu weit. 

Wie gut, dass die Ärzte wieder zusammengefunden haben. Ein heller Moment, das neue Album. Letzte Woche hätten wir irgendwo ganz oben hinten in der Arena sein sollen. Nächstes Jahr vielleicht. Und jetzt alle: ALU IST KEIN PUNK!
 















Guten Abend Dear! Danke für Ihr elegantes Erscheinen zum würdelosen Beenden dieses vollkommen erledigten Jahres. Angemessen derangiert die Eindrücke aus Ihrem Bandnudelzubereitungssymposion. Ich habe im Sommer des year that never was meine Küche neugestaltet, allerdings weniger inhaltlich, mehr formal. So habe ich jetzt ein Regal der sieben weißen Dinge. Acht würden als Verstoß gegen konfuzianische Ethik gewertet, sechs wären einfach eins zuwenig. Mir fehlt noch ein neuer Kühlschrank aus den 50er Jahren. Daß Ihre heiße Platte zu zarten Hilferufen fähig ist, klingt bedenklich nach Zauberwald. Genaugenommen klingt Der verärgerte Sesammus, als käme auch ein Golem reingeschneit demnächst. Daß es Masken gibt, die wie Unterhosen aussehen, weiß ich, seit "Hentai Kamen" bei Kalkofe/Rütten als SchleFaZ lief. Eine Erinnerung, die ich lieber im Verborgenen ließe. "In NRW geht das auch ohne Einhorn", ah, sehr gut. :) In der Dusche singen nur um Viertel Zack vor Schmirk. Brillantes Video der Ärzte. Voller Anspielungen, right? Text gemeingut. Ja, gut, daß sie wieder zusammenfanden. Offenbar waren sie doch ziemlich nah an der Auflösung. Wie ist der Roman von Bela B, actually?

Fand auch ihren Coup hier charmant.
 
 

 

Für den sie ja auch heftig angegriffen wurden, wohl von den neuen, äh, Querdenkern, die sich so viel revolutionärer wähnen (kommt das von Wahn?) als die Ärzte, weil die Mainstreammedien für sie der Satan sind. ALU IST KEIN PUNK dachte wohl auch der Ordner des Jahres, der mit einem fassungslosen "Hängengeblieben...!" den Krempel hinwarf.

Das Problem ist ja nicht, daß Menschen daran gehindert würden, vorzubringen, was sie so dringlich vorzubringen wünschen. Tatsache ist, daß jeder jeden Zinnober vorbringen darf, und daß man mittlerweile daher in einer Kakophonie des Irrsinns lebt. Wissen Sie noch, neulich, als man die "dunklen" Epochen belächelte? Als der Mensch glaubte, die Erde sei flach und allen möglichen Spielarten des Aberglaubens anhing? Heute verstehen sich die Verirrten als Avantgarde. Gut, auch daran hatte man sich gewöhnt. Daß sie aber jetzt anfangen, sich zu Opfern eines todbringenden Regimes zu stilisieren und sich allen Ernstes mit Anne Frank oder Sophie Scholl vergleichen, ist entweder Indiz für absolute Schamlosigkeit, komplette Verblödung oder gehört in den Fachbereich der Psychiatrie. In der nächsten Abteilung: ja hallo, ich bin Marie Antoinette aus Kassel, und ich fühle mich, als läge mein Kopf unter der Guillotine, weil ich Flyer verteile für Bälle und Empfänge, bei denen keine Masken getragen werden sollen.


 
 
 

Bin auch verzweifelt, vermisse Reisen und Konzerte so sehr, weiß nicht, ob man nicht schon eine Weile über dem Abgrund weiterläuft wie so eine Zeichentrickfigur, bevor sie fällt, Realität fühlt sich immer mehr wie Unrealität an, aber als Gegenmittel soll ich mir diesen Verschwörungskiki anhören?

Die Ärzte haben für einen Kosmos gesprochen, es ist peinlich und entsetzlich, daß Kunst und Kultur als so unbedeutend betrachtet werden. Kunst und Kultur sind überlebensnotwendig. Die Alternative ist immer Verblödung und Verrohung, und die schlägt, wie man in den Berliner Museen gesehen hat, irgendwann gegen die Kunst zu.

Hörte üble Sachen, was Musikclubs auf dem Kiez betrifft. Haben fürs Logo gespendet, Tropfen auf heißem Stein. Tickets für Nick Cave, The Church, Hollywood Vampires in der Schublade, die Swans haben das ins Frühjahr 2021 verschobene Konzert bzw. die ganze Tournee jetzt komplett abgesagt. Und du willst die Tickets zurückbringen in den Ticketshop, und der Ticketshop ist nicht mehr da. Altehrwürdige Konzertkassen, geschlossen. Einerseits schien das Jahr so schnell vorbeizugehen. Weil die Haltepunkte fehlten. Andererseits gab es so viel Schönheit, und ich habe versucht zu tun, was ich immer tue. Pushing through the market square, und sich auf das konzentrieren, was wichtig ist und schön.

Daß "Straight Songs Of Sorrow" von Mark Lanegan und "Rough And Rowdy Ways" von Bob Dylan wie zwei Gesetzestafeln in gottlosem Land waren, sagte ich ja schon in den Lockdown Postcards so oder ähnlich. Die dritte Tafel war dann "Hum" von Alain Johannes. Seine Worte über "Free" in diesem Interview,

-> Alain Johannes Interview

"In the song I'm a lone traveler but not lonely. Searching while walking towards a deeper meaning. Not as burdened by the past but propelled almost by the good memories."

hatten tiefe Bedeutung für mich. Wie auch der Song selbst.

 


 
All of these pieces are mine
Mine
Do I see the design
Implied
I'll let em carry me
Far away on the desert wind
And if I lose myself
Will I find that I'm truly free
All of these haunted days
Belie
Holding'em tight as they wane
Why?
I turn and walk away
And I follow the desert wind
And if I lose myself
Do I find that I'm truly free
I turn and walk away
And I follow the desert wind
So I lose myself
As I find that I'm truly free


Alain Johannes (-> Spark) ist ein Genie und zu allem fähig. Er könnte ganz allein ein neues Beatles-Album machen. Für den Song "Hum" hat er den Geist von Nick Drake beschworen; it's almost creepy. Und einen Ort gefunden, an dem sich Welten überschneiden. "A sacred place where the connection beyond time and space to your missed loved one still exists."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So, Bandnudelgate hat sich aufgeklärt. An dem fraglichen Abend war ich so erschöpft, dass ich genug Arroganz aufbrachte, das Wort "ladle" nicht nachzuschauen. Schaue sonst immer alles nach. Ist ja kein Ding, Handy an, zack. Aber nein, dachte einfach, ach, anderes Wort für tablespoon oder what. Ein ladle ist eine Suppenkelle, so. Aha. Na gut. War halt dann keine Suppe. 

Eine so hervorragend geordnete Küche kann wohl kaum jemand sein eigen nennen. Haben Sie auch eine Schublade der ungewöhnlichen Verwirrtheiten in Silber? Oder eine Tüte Kopfnüsse? Suppenkellenabteilungsversammlung? Gabelstapel? Ich könnte mal wieder messbechern. Gern im subversivsten Club der Stadt, dazu später noch. Aber schön, dass Sie den Lockdown für sich nutzen und Neuordnungen vornehmen. Die Küche als Kunstgalerie. Wurde der Wohnraum auch schon zum Club umgeräumt?

Oh ja, die Ärzte in den Tagesthemen, sehr sehr schön. Auch als Botschaft, wie sehr wir uns alle nach Livemusik sehnen. Und politisch. Wurde der Ordner eigentlich schon für dieses Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen? In diesem Fall würde ich es gutheißen. Dieser Mensch hat alles Gute verdient, was man ihm antun könnte. Man muss befürchten, dass diese Instamädchen leider sehr verblödet sind. Nicht alle vermutlich. Aber Oberflächlichkeit und Leere schreien dort förmlich vor Glück über das Ausmaß, in dem sie um sich greifen können. 

Aus Schlaflosigkeitsgründen geriet ich dieses Jahr an Spotify und Podcasts. Berichtete schon kurz in der Lockdown Postcard, glaube ich. Zunächst Sophie Passmann, dann Sybille Berg. Irgendwann landet aber offensichtlich jeder im Sog vom Gemischten Hack. Felix Lobrecht und Tommi Schmitt reden einfach über irgendwas, man amüsiert sich leicht und schläft irgendwann ein. Kürzlich aber prägte Tommi Schmitt ein in unserem Haushalt inzwischen geflügeltes Wort. "Nee, Schnauze, gibt's nicht." Er regt sich ordentlich über Coronaleugner, Maskenverweigerer und Donald Trump auf. Falls es jemand nachhören möchte, zu finden auf Spotify, Gemischtes Hack, Folge 122, Um Kopf und Dödel, ca. ab Minute 13:50 - 14:50. Selten scheint es so klare Worte gebraucht zu haben wie heute. Grenzen für die, die keine kennen. Aber das traut sich kaum noch jemand, weil alle Angst um die so mühsam erreichte Position im Leben haben. Denn wer einmal was Falsches sagt, muss damit rechnen, schon morgen seinen Schreibtisch räumen zu müssen. Nein, ich kann den Verschwörungskram auch nicht mehr hören. Es ist in Ordnung, anderer Meinung zu sein, sie auch zu äußern, das gehört zur Demokratie. Aber Solidarität und Gemeinschaft sind genauso wichtig. Ich glaube nicht, dass alles richtig gemacht wurde. Ältere in den Pflegeheimen abzuschotten, ohne zu fragen, ob diese es wollen, war falsch. Sie einsam sterben zu lassen, ist falsch. Aber die, die entscheiden mussten, hatten auch noch keine Erfahrung mit einer Pandemie. Deshalb alles okay, wenn daraus gelernt wird. Wer das alles bezahlen wird, ist ja auch klar. 

Alain Johannes trägt einen davon. Thanks for introducing! Spark schrieb er für seine verstorbene Lebensgefährtin. Das spürt man wohl. "A sacred place...", wenn ich das Grab meines Vaters besuche, ist es dort so friedlich, so ein starkes Gefühl von Liebe wie noch an kaum einem anderen Platz erlebt. Overwhelming, verwunschen, sacred. Wie schön Sie die Bedeutsamkeit von "Free" beschreiben! Wir sind alle allein am Ende. Aber nicht einsam, wenn wir Verbundenheit erfahren haben und das Gefühl beibehalten können. Das gelingt mir nicht immer, aber ich verstehe das Prinzip dahinter besser. Dazu fällt mir eine der schönsten Szenen aus Harry Potter ein. Heiligtümer des Todes, Teil 1. Harry und Hermine tanzen den traurigsten Tanz der Filmgeschichte, verbunden in der größtmöglichen Einsamkeit und drohender Gefahr. Das ist so schön und so tief. Sie tanzen zu Nick Caves "O Children".

 

 


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die Suppe wurde keine Suppe, weil der Suppenlöffel fehlte? Also der ladle? Das ist eigentlich ziemlich gescheit von der Suppe, also von der Nichtsuppe, gar nicht erst zur Suppe zu werden, weil eh kein Suppenlöffel da ist. Das sind zweifellos Phänomene, die sich nicht ohneweiters auf meine Küche übertragen lassen, aber an sich sähe ich es gern, wenn zum Beispiel Eier den Kochtopf wieder verließen, weil das Salz gerade aus ist. So langsam emporschwebend wie in Bowies "Survive"-Video. Habe drei Schubladen der ungewöhnlichen Verwirrtheiten, beize sie gerade kirschbaumholzfarben. Gehören zu einem schönen alten Omama-Küchenschrank, den ich einst vom Sperrmüll in der Högenstraße in die Methfesselstraße schleppte. Als ich übermenschliche Kräfte hatte, weil diese verwunschene Wohnung in der Methfesselstraße Aljoschas Wohnung war. Von Bandnudelgate noch kurz zu Essen im Zug: irgendwo zwischen Bratislava und Trenčin, some years ago, holte ein alter Herr vor unseren Augen ein monumentales Käsebrot aus seiner Aktentasche, dessen potentielle Tödlichkeit eigentlich unter die Biowaffenkonvention fiel, aber mit einem so klassischen Bewegungsablauf, daß man es nur liebgewinnen konnte. Harald Schmidt, sorely missed, faßt zusammen.

 

 

 

Folge 122 gehört incl. "Nee, Schnauze, gibt's nich!" und Schweden bröckelt. Die doch sehr verkniffene Liberalität der Schweden haben sie selbst vor ein paar Jahren in der Serie "Real Humans" (-> "Äkta människor") ganz treffend thematisiert. Iggy Pop sang vorzeiten "I wish life could be Swedish Magazines", jetzt sind sie bei Prä-Geschlechtsverkehr-Verträgen angelangt. Meine Lobrecht/Schmitt-Lieblingspassage war ihr ApNÖtauchenbashing (der Clownfisch: "Alter, geh wieder hoch!"). Geh doch einfach reicht bei Trump offenbar ja nun auch nicht, mein Vorschlag war, daß sich jetzt mal jemand vor seinem Fenster abseilt mit Blasrohr und Betäubungspfeil, fffffpp! "*Krrk, britzel* Ihr könnt ihn jetzt abtransportieren, over!"

"O Children", so groß, so zerfetzend. Wie ein Menetekel an der Wand die Zeile "There ain't nothing we can do to protect you". Die ganze "Abattoir Blues / The Lyre of Orpheus" ist ein psychischer Erdrutsch in die Unterwelt. "Spell", dieser 3000 Kilometer lange Korridor. Mein völliger Ernst, nachdem der Literaturnobelpreis 2016 verdientermaßen an Bob Dylan ging, sollte man jetzt ganz dringend Nick Cave ins Spiel bringen. Das ist schier überwältigend, was allein der Text von "O Children" beschwört und auslöst. Heute kam die Nachricht, daß Nick Cave auch für 2021 alle Tourdates abgesagt hat.

When the pandemic first hit and we had to postpone the European tour I was given the opportunity to take stock, and to see what I actually wanted to do with my life. Well, I took stock. I took a year’s stock. I came to the conclusion that what I most wanted to do in life was to play live. I truly miss it. Cancelling the tour is a great disappointment to me, and to the rest of the band. We tried to make it work but, in the end, with so many things about 2021 remaining unpredictable, including no certainty on whether we would be able to deliver the large scale arena show that we wanted to — and in the way that we wanted to — we felt we had to make the decision to cancel, at least for now. I try to keep The Red Hand Files as measured as possible, as a matter of principle, but whichever way you look at it, this sucks.

Time to make a record.

Speak to you all again in the New Year.

Much love, Nick

Deeply moving, wie Sie The sacred place beschreiben, das Grab Ihres Vaters. Erinnern Sie sich vielleicht, als meine Maman starb, in der Heiligen Nacht damals, diese stille Dezembernacht, in der nichts zu hören war als diese Amsel, die in einem Baum vor dem Eingang sang? Wie ich ihr zuhörte, minutenlang, bevor ich hineinging, saying my goodbye? Jedes Mal, wenn ich das Grab meiner Mutter besuche, höre ich eine Amsel singen in der Nähe. Ja, Ohlsdorf ist groß und für die Vogelschar ein Idyll, aber es könnte auch einmal nicht passieren. Es passiert aber nie nicht. – Verwunschen und sacred, ein starkes Gefühl von Liebe. Auch Ihre gute Freundin weiß darum.

 

   



Mein favourite von der Platte, die Mademoiselle auswendig kann, handelt auch von einem magical place, an dem sich wahre Welt und Traumwelt verschränken. Realitäten sich ineinanderweben also.

"Eigentlich heißt das Stück aber Pantheon. Es geht darin um eine Kuppel, der Flughafen Tempelhof hat gar keine Kuppel. Der Song begann im Halbtraum mit Wortfragmenten: 'da, wo die Nacht am flachsten und voller Türen ist'. Dann wurde der Titel Pantheon zu Tempelhof. Wobei die Betonung auf Tempel-Hof liegt, der Bezirk ist ja eine Gründung des Templerordens. Das Pantheon in Rom hat eine Vorhalle, mit einem bunten Marmorboden. Genauso wie der Flughafen Tempelhof, da verschränken sich die beiden Gebäude. Aber es geht nicht wirklich um den Flughafen Tempelhof, es geht um einen Zustand der Liminalität, eines Schwellenzustandes. Wobei wir in der Band natürlich alle eine persönliche Verbindung mit Tempelhof haben. Die Band Die Haut hatte mal einen Übungsraum im Flughafen Tempelhof, drei Stockwerke unter der Erde. Es ist ein musikalischer Ort und ein magischer Ort." – Blixa Bargeld




 

 

"Da komme ich abhanden".




 
 
 
 

Bleiben wir noch beim Verwunschenen, Verzauberten, Verhexten. Lebe gerade in Ravelzeit. Nicht so sehr der Bolero-Ravel, obwohl ich auch gerade die Einspielung von Claudio Abbado mit dem London Symphony Orchestra ans Herz lege, wo beim letzten Crescendo seltsames Hintergrundgeräusch zu hören ist. Es sind tatsächlich die Musiker des LSO, die da in den orgiastischen Release am Ende gröhlen. So very British. :) Mehr aber der mysteriöse vieldeutige Ravel, und da gibt es kaum Wunderbareres als Ivo Pogorelich mit "Gaspard de la Nuit". Gaspard de la Nuit (Schatzhüter der Nacht) ist ein alter französischer Begriff für den Teufel. Hören Sie nur. Phantasmagorie von 1908, zuerst Undine in tausend Tropfen, dann wird das Zimmer zur Theaterdekoration für Spukgestalten. Scarbo: "Planmäßig angelegter Wirbelsturm" (Jankélévitch). Das Schöne ist schwierig.




 
 
 
 
 
 
 
 
 R.I.P.
 
 
Krzysztof Penderecki
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 Florian Schneider
 
 
 

 
 
 






 
 
 
Oh, das war unerwartet. Hatte Mary's Tränenschocker eine Weile verdrängt. Thanks for bringing it back. Diese Woche ohnehin ein wenig wacklig, da wir wohl doch zirkadiane Wesen sind. Heißt es so? Jedenfalls kommen die Bilder vom letzten Jahr ganz automatisch zurück. 
 
Harald Schmidt und Manuel Andrack fehlen massiv. Herrlicher Ausschnitt. "Man kann es als Durchschnittsmensch nicht begreifen." Könnte auch gestern abend gefallen sein, als Kommentar zur aktuellen Entwicklung. Sehr ansteckend, wie Herr Andrack sich amüsiert. Die Beobachtungsgabe von Herrn Schmidt ist unfassbar präzise. Buttermassen in Brotlöchern, bah! Mochte ich auch nie, das Zeug. In unserem erschreckend kleinen Kühlschrank drückt sich meistens ein übriges Stückchen vegane Margarine vom letzten Backversuch herum. Monatelang völlig unbeaufsichtigt. Interessiert niemanden. 
 
Die halbe Vorweihnachszeit schon rum und noch kein Weihnachtslied hier. Dafür Ravel, Cave und die Neubauten. Bewegen uns auf höchstem Niveau. 
 
Nun also Lockdown total in den nächsten Tagen. Auch wenn sich für mich als social distanced people nicht viel ändert, fühlt es sich doch merkwürdig an, wenn die Läden vor und nach Weihnachten geschlossen sein sollen. Die Möglichkeiten fehlen. Die Aussicht auf ein Konzert, Festival, Party. Leben auf und vor dem Bildschirm. Schicke einen tiefen Seufzer in die Netzwelt. Schon klar, dass es uns dabei immer noch sehr gut geht. 
 
 
 



 
 
Walliams und Lucas bastelten die Kostüme im April-Lockdown selbst, zuhause, aus Haushaltsgegenständen. 

Haben Sie eigentlich "Emma" gesehen? Die Neuverfilmung lebt durch die wunderschöne Ausstattung und die Teilnahme einiger bekannter Gesichter. Mein Film des Jahres. 
 
 





 
Am 23. Oktober bestieg das Kind den blauen Zug, der nach Prag fährt, um in Dresden dem Release Konzert für Sci-Fi Sky beizuwohnen. Sie war noch nicht in Berlin, als die Nachricht kam, das ohnehin auf 300 Personen begrenzte Event in der 1000 Personen Location könne nicht stattfinden. 3 Minuten vor Lockdown 2.0. Eine schlimme Enttäuschung, denn die Platte ist unfassbar gut. 
 
Diese beiden Werke handeln von Entfernungen, Perfektion und Menschen, die man gern in seinem Leben hätte. Blows me away like a hard drug.

 
Take me out to the most subversive club
Of your giant sparkling city
 

























Montag, 9. November 2020

Slide mit Messer




(The End of Violence)



 
SPIEGEL ONLINE Forum
 
08.06.2006
 
 
 
Der Soundtrack zu Nicolas Roegs "Performance" ist großartig. Ry Cooders "Powis Square" ist halb Blind Willie Johnson-Hommage, halb Vorläufer zu seinem eigenen "Paris, Texas"-Soundtrack. Später spielt Cooder Dulcimer auf einem Stück namens "The Hashishin" (Ihr wißt schon: der Alte vom Berge / nichts ist wahr, alles ist erlaubt), "Gone Dead Train", Gesang Randy Newman, ist scharf und gemein, zwischen alldem noch einige sehr bizarre Tracks, und am Ende ein Stück namens "Turner's Murder", das später mal kopiert wurde in "The Hunger". Ry Cooder-Bottleneck an allen Ecken und Enden.
 
 
 
 
Gwynplaine:
Cooder - einer meiner heroes - hat lange seine Brötchen mit Soundtrack-Arbeit verdient. Walter Hill mochte ihn besonders gern. "Southern Comfort" und "Trespass" sind weitere feine Beispiele. Blind Willie Johnson war natürlich einer der wichtigsten musikalischen Einflüsse für Cooder. Nicht nur für "Paris, Texas" hat er sich großzügig bei Johnson bedient, aber immer auch Eigenes eingebracht. Danke für den Hinweis auf "Performance". Davon gehört, aber noch nie gesehen. Mick Jagger spielt mit, nicht? Sie haben eine Art, immer meine Lücken zu finden ;-))
 
 
 
 
09.06.2006
 
 
 
arte de la comedia:
Ich glaub', das macht der absichtlich. Und das ist auch gut so.
 
 
 
 
Falls Sie den Jagger/Richards-Song "Memo From Turner" kennen, der ist aus "Performance". Hat zwar sehr viel, nun ja, Zeitkolorit (London, Notting Hill, Spät-Sixties), ist aber immer noch ein sehr interessanter Film... darüber, was passiert, wenn zwei Alter egos sich treffen. ("Deinen alten Egon? Hast du den denn dabei?" - Danny Wilde)
 
Davon abgesehen: für den "Paris, Texas"-Soundtrack hat Ry Cooder sich ja stark an Johnson's "Dark Was The Night, Cold Was The Ground" angelehnt. Sträubt mir drei Minuten lang die Nackenhaare.
 
 
 
 
Gwynplaine:
So ist es. Robert "Crossroads" Johnson war immer diese Deltalegende, aber Blind Willie erreichte eine Qualität mit dem Slidespiel, die unerreicht ist. Soweit ich weiss, spielte er Slide mit einem Messer. Und Ry Cooder hat ihn aus der Versenkung geholt. Die vielen Soundtracks, an denen Cooder beteiligt ist, sind allein schon tonnenweise Grammys wert, aber auch von seinen regulären Platten könnte jedes schöne Roadmovie profitieren.
 
 

 
Den anderen Johnson hatte ich vorhin auch schon erwähnen wollen, aber ich sagte mir, das ist ein Filmforum hier... tja... wie kriegen wir die Kurve...es soll ja 8 Sekunden eines 8-Millimeter-Films geben, die Robert Johnson zeigen... Experten behaupten zwar, das ist er nicht, aber wenn Dylan in den "Chronicles" sagt, das ist er, dann ist er das.







 

 

03.03.2008

Nachtschwester Ingeborg: 
Ganz im Gegenteil, das ist ein Anti-68er der feinsten Art.
 

Also sagen wir mal, diese beiden treffen sich zufällig, oder durch sonderbaren Magnetismus, der brutale Gangster Chas, der zurückgezogen lebende Rockstar Turner; Chas verachtet Turner, verachtet damit, klassische Projektion, einen Teil von sich selbst, den er nicht akzeptiert, und Turner setzt sein Identitätsaustausch-Ritual in Gang. Sagen wir mal, die "Memo From Turner"-Szene weist z.B. auf die homoerotischen Untertöne im Männerbündlerisch-Harten. Sagen wir mal, meine Interpretationsansätze würden so weitergehen... wo könnte ich da die Anti-68-er-Linie unterbringen? Sehen Sie die darin, daß hier zwei Protagonisten scheinbar vollkommen gegensätzlicher Pole sich in dieses Vexierspiel ziehen, bei dem deutlich wird, wieviel Eigenes im Anderen und wieviel Anderes im Eigenen ist? Oder wie? :)