Mittwoch, 2. September 2020

Paris, Texas












Impressionen zur Wim Wenders-Werkschau in der ARD-Mediathek. Exzerpte aus -> "111 Lieblingsfilme", Kommentarsektion



18.07.2020



ray05: 
Eine Wenders-Retrospektive ist zugänglich gerade in der Mediathek des Ersten. Stehe gerade bei "Paris, Texas", der Streifen ist womöglich besser noch als wir ihn je hielten. 



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann: 
Mann, 3 der Filme, die für die letzten 4 der 111 in Frage kommen, sind von Wenders! :) 

"Paris, Texas", loved it to bits, leistete mir damals das Buch mit hundertplus hochwertigen Filmstills. Als die Simple Minds, kurz bevor sie von absolut großartig zu absolut schauerlich mutierten, in "Up On The Catwalk" einfach den Namen "Nastassja Kinski" als Textzeile unterbrachten. Weil es richtig war. :) So sweet, die "She's Leaving The Bank"-Sequenz, mit der brillanten Musik von Ry Cooder.








Stanton, einer der größten Monologe der Filmgeschichte, aber Nastassja Kinski eben auch unter Bewegendstes Zuhören der Filmgeschichte weit oben.



25.07.2020



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
Was Nastassja Kinski sonst gemacht hat oder nicht gemacht hat, I don't care. Ihre Szenen in "Paris, Texas" sind so atemberaubend und herzzerreißend, daß sie eine der größten Schauspielerinnen der Welt ist. Warte, da sind ansonsten nur die Super-8-Aufnahmen, a glimpse of her in ihrem kleinen roten Chevy, die kurze Szene an der Bar, und die Wiederbegegnung mit Hunter am Ende. Ansonsten sieht man sie ausschließlich in dieser schäbigen kleinen Peepshow-Kabine. Unglaublich. 



































... Jedenfalls, "Paris, Texas", it hits so hard. Harry Dean Stanton, die tieftraurige Poesie seiner Präsenz, yet somehow uplifting, die unauslotbare Determiniertheit seiner strangeness, das ist sowieso groß, perfect acting, und als er die Liebe seines Lebens in einer Peepshow wiederfindet, erreicht es eine Ebene, die man über so einen Blechtrottel hier kaum mehr formulieren kann. Aber Nastassja Kinskis Performance, in dieser Peepshow-Kabine, in ihrem Angorapulloverkleid zum Niederknien schön und traurig, vor dieser fast nicht sichtbaren Gegenwart, vor seinem Schweigen, seiner Konfusion, dann vor seiner Geschichte, it's just stunning. All diese subtilen Nuancen, mit denen sie reagiert. Vielleicht weiß sie es schon kurz vorher, aber bei "The trailer?" ist sie sicher. Der Moment, in dem ich zusammenbreche. Als sie weint, die Stirnader plötzlich sichtbar, wie bei ihrem Vater. Die Träne an ihrem Kinn. Haunts you forever.











Das Schöne zu zerstören, das einzig Schöne, das man hat, es bricht dir Herz und spirit. Und dann wandert man für Jahre durch den Irrsinn und die Einsamkeit, und dann findet man wieder, was man liebt, und dann muß man es wieder aufgeben, weil man es liebt. Die letzte Szene, die Wiederbegegnung im Hotel, Geringere hätten es spielend leicht vermasselt. Aber Nastassja Kinski und Hunter Carson, Wenders sowieso, machen alles in jeder Zehntelsekunde so genau richtig, schau, wie der Junge, als er auf sie zukommt, zweimal Halt sucht an der Wand mit seiner linken Hand.

Mein einziges Problem – abgesehen von der Übersetzung für "a fancy woman" – war Hilmar Thate. God bless him, aber als Stimme für Stanton falsch. Originale ohnehin im Anflug. Der Mann auf der Brücke war glaube ich eines der Vorbilder für meinen Plan, mit 75 zeternd durch die Weltgeschichte zu ziehen und, Du weißt schon, Reden zu halten wider Julius Caesar etc. "Es wird überhaupt keine Sicherheitszonen mehr geben! Ich garantiere euch, die Sicherheitszone wird ausradiert! Vom Erdboden verschwunden! Ihr werdet alle von hier verschleppt! In ein Land ohne Wiederkehr! Ein Blindflug ins Nichts!"

Robby Müller kann man ja wohl auch nicht genug würdigen, bei dem stand doch "Zauberer" im Passport? Das ist so unfaßbar spektakulär, was der macht. Jurypräsident damals Bogarde. In der Jury Isabelle Huppert und Ennio Morricone.

Etwas so Schmerzhaftes, etwas so überwältigend Schönes. Diese Wenders-Werkschau ist gut für die Seele. Thanks so much for reminding me, actually inviting me.



08.08.2020



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
Sicher bist Du mit der Entstehungsgeschichte von "Paris, Texas" vertraut, aber laß uns das nochmal festhalten: Wenders und Shepard hatten in einem Prozeß, den Wenders "Alchemie" nennt, diese Figur Travis und seine Geschichte erschaffen, aber das Drehbuch reichte nur bis zu dem Punkt, an dem Travis und Hunter beschließen, nach Houston zu fahren und Jane zu suchen. "Nach der Hälfte des Films hatte ich kein Drehbuch mehr." Shepard ist irgendwo im Norden bei einem anderen Film unabkömmlich. Wenders entläßt Schauspieler und Team für 14 Tage, schreibt fieberhaft die zweite Hälfte des Films und schickt den Entwurf an Shepard, beschwört ihn, das in ein Script zu verwandeln. Shepard sagt, unmöglich, aber wenn du es bis zur Peepshow schaffst, kann ich dir die letzten Szenen schreiben. Mit Hilfe von Hunters Vater arbeitet Wenders sich also bis zur Peepshow vor. Und dann – es gibt noch nichtmal Fax – diktiert Shepard nachts den Dialog Wenders durchs Telefon. 48 Stunden, ohne zu schlafen, hat Nastassja Harry Dean den Text eingebläut, der in hundert Filmparts noch nie mehr als zwei Sätze am Stück zu sprechen hatte. Und sie haben diese beiden Szenen jeweils in einem Take gedreht. Nastassja konnte ihren Text perfekt, wenn Harry Dean sich bei seinem langen Monolog versprochen hat, oder wenn er sagte "Cut", haben sie neu angefangen. Sie haben den Text auf die Silbe so gespielt, wie Shepard ihn geschrieben hatte. Alles ist echt. Die Tränen bei Harry Dean Stanton in der ersten Szene, die Tränen bei Nastassja Kinski in der zweiten Szene. – Sam Shepard also: hängt praktisch kopfüber vom Kronleuchter und liefert diese Sternstunde der Filmgeschichte.

Danny Lloyd in Kubricks "The Shining" und Hunter Carson als Hunter: bei jedem Sehen wird unbegreiflicher, wie diese beiden in jeder Sekunde alles richtig machen. Tatsächlich war Hunter ein Improvisationskünstler, Stanton brauchte eine Weile, bis er sich darauf eingestellt hatte. Daß er die Entstehung des Weltalls auf eigene Faust erklärt, dachte man sich, komplett improvisiert auch die Szene, als er auf der Ladefläche sitzt und mit Travis durchs Walkie Talkie spricht, die Sache mit der Lichtgeschwindigkeit, da ist Stanton tatsächlich einfach nicht mehr mitgekommen. Als er, nachdem sie die Super 8-Filme gesehen haben, zuerst zu Walt sagt "Good night, Dad", und dann zu Travis geht und zu ihm auch sagt "Good night, Dad", das hat er sich selbst ausgedacht. Weil er, wie Wenders sagt, einfach selbst rausgekriegt hat, wie die Szene funktioniert. Der ganze Film wurde chronologisch gedreht, bis auf die Super 8-Szenen natürlich und die Szene auf der Brücke, und auf die Begegnung im Hotel haben sich beide, Hunter und Nastassja, schon glühend gefreut. Nastassja zu umarmen, the way he does, und dieses "Your hair... it's wet...", auch darauf ist er allein gekommen. Was mich so beeindruckt hat, remember, wie seine Hand zweimal kurz die Wand berührt, bin sicher, auch das hat ihm niemand gesagt. Jemand schrieb zu einer Sequenz des Films auf YT: What a collaboration - Wim Wenders, Robby Müller, Ry Cooder, Sam Shepard, Harry Dean Stanton, Nastassja Kinski. Man muß unbedingt hinzufügen: Und Hunter Carson.








Nur diese Namen nacheinander hinzuschreiben, bedeutet in der Tat fast schon Beschwörung mythischer Größe. Wenders versucht zu beschreiben, wie die an "Paris, Texas" Beteiligten im *Einklang* waren. So wie Miles Davis einen *Einklang* beschreibt. An dem sich dann auch Landschaften und Farben beteiligen. Die Präsenz der Farbe Rot, den ganzen Film hindurch, die zu Nastassjas wunderschönem Pulloverkleid führt, das sie buchstäblich erst am Tag vorher in einem Secondhandshop für 2 Dollar gefunden haben. Selbst das Rot der Marlboro-Schachtel wirkt wie gemalt, selbst der Himmel hängt anders. Die Farben, die unglaublichen Farben, die *cinematography*, jeder einzelne *frame* ist ein Kunstwerk. Die Autoszenen, Wenders und Müller hatten den Ehrgeiz, sich in keiner Autoszene zu wiederholen, und sie haben Split Focus (auch in der Peepshow), waghalsige Kamerapositionen und Lichtmagie eingesetzt, um ihr Ziel zu erreichen. Wahrscheinlich tust Du gut daran, keine Reviews an Dich heranzulassen grad. Las vorhin eines, in dem eine Frau 2019 von "Wenders' one-dimensional portrayal of Jane" spricht. Das ist alles so vorhersehbar mittlerweile. Klar: für diesen Shot von Nastassja Kinski, als Lurie Stanton den Rückweg aus der Bar antreten läßt und sie sich kurz umdreht, nur für die Schönheit dieses einen Shots würden tausend andere Filmemacher einen Deal mit dem Teufel machen müssen. Aber was Nastassja Kinski über ihre innere Welt *erzählt*, in den beiden Peepshow-Szenen, schauen diese Leute denn nicht hin, muß man den Millennials denn alles vorbuchstabieren, ist das zu subtil, no fucking idea. Jemand, der so schön ist, *kann* nichts anderes repräsentieren als *shallow aestheticism*, schon klar. Ich bin es so leid. Ich bin so müde. :)























Wenders war selbst überrascht, was für eine großartige Schauspielerin Nastassja Kinski seit "Falsche Bewegung" geworden war. Sie hat wochenlang mit einem Coach diesen leichten texanischen Akzent gelernt. Bei der Drive-In-Bank-Szene trägt sie eine Perücke. Sie haben erst am Tag vorher beschlossen, Nastassjas Haare blond zu färben, aber die Blondierung hatte in der Eile nicht richtig funktioniert, also trägt sie diese Perücke, schaut aber im Auto nicht zur Seite, damit man die Perücke nicht als Perücke erkennt. Dadurch entsteht in dieser Szene der großartige Effekt, daß Hunter seine Mutter erkennt, ohne sie wirklich gesehen zu haben. Dies heilig-zufällige Zustandebringen, wie Du sagst, oder "a blessing in disguise", wie Wenders sagt.

Harry Dean und Hunter sind sich wirklich sehr nahe gekommen, sagt Wenders; den Fuß-Weg nach Hause hätten die beiden noch stundenlang weiterdrehen können. An anderer Stelle: Nastassja und Harry Dean haben sich sehr gemocht. All das spürt man so sehr, was dazu beiträgt, daß wir immer noch, auch beim xten Mal, mit dieser großen Wehmut, mit Harry Dean Stantons nassen Augen, als er davonfährt am Ende, und der Frage zurückbleiben, warum er den letzten Schritt nicht gehen kann, um die kleine Familie wieder zusammenzuführen; warum er selbst nicht bleiben kann. Wenders sagt, er hat lange Gespräche mit Shepard gehabt, aber beiden schien es am Ende richtiger, daß Travis aus Liebe zu den beiden auf sie verzichten muß. Vielleicht sind die Sünden der Vergangenheit *nur* dadurch auszulöschen, daß er Hunter und Jane wieder zusammenbringt, vielleicht muß er gehen, weil er *zu sehr liebt*, vielleicht muß er gehen, weil Ry Cooders Gitarre es so will, die seine Seele besser kennt als wir alle, die all die endlosen Wege kennt, die er gegangen ist, und die klingt wie sein eigener Geist. Er ist so nah daran – to face things. Aber das letzte *facing each other* traut er sich nicht zu, oder er versagt es sich. Übrigens habe ich auch die Frage gelesen, warum Jane in der Peepshow Travis nicht schon viel früher an der Stimme erkennt. Hören die auch nicht zu? An einer Stelle, als sie Travis von sich erzählt, erklärt sie doch: "I hear your voice all the time. Every man has your voice." Es ist doch völlig konsistent, daß sie die echte Stimme von Travis dann nicht sofort erkennt.

Konsistenz ist bei Wenders allerdings ohnehin immer eine idiosynkratische, eine, die entsteht, wenn ein Film gemacht wird "with the kind of passion and willingness to experiment" (Roger Ebert) wie "Paris, Texas". Von einem Regisseur mit einem Unbewußten voller Filme; der jederzeit empfänglich reagiert auf das, was ihn umgibt; der zugleich das, was ihn umgibt, mythologisch auflädt; und der sich nicht an Standardregeln des Filmemachens hält, sondern neue Regeln schafft.

Good Lord. Alles fing damit an, daß Du sagtest, "Paris, Texas" *noch* besser, als wir immer schon wußten, und ich muß gerade überlegen, wohin jetzt von hier. Ebert auch über den Film: "true, deep and brilliant." Wenn man nur 3 Worte hätte.

Ein Film von wirklich außergewöhnlicher Schönheit. Wahr, tief, überwältigend.

Die zweite Peepshow-Szene: manchmal sieht man die Realität erst, wenn man das Licht ausmacht.



10.08.2020



ray05:
"Paris, Texas" ist von der ersten bis zur letzten Klappe ein Wunderwerk, zum Glück ein beschreibbares. Danke also. Wie in der Gestaltung dieser wahrhaft epischen (fast alttestamentarisch anmutenden) Story die Einzelteile organisch ineinanderfunktionieren, wie jeder Aufriss gewissermaßen über die Bildgewalt zuendemythologisiert wird; das alles ist von 2020 aus gesehen - jessas, der Film ist mehr als fünfunddreißig Jahre alt mittlerweile - ganz krass erfahrbar. Lach mich aus, aber Shepards Dialoge scheinen direkt aus dem alten Griechenland zu kommen. "Paris, Texas" kann heute sicherlich ohne mit der Wimper zu zucken als einer der wirklich besten und auch einflussreichsten Filme überhaupt gesehen werden. Das Ding ist ein echtes "Werk" im klassischen Sinne, es ist komplett auratisch und sowohl überwältigend wie auch bildend, also "heilig". Man sollte Reihentests mit Millennials machen, ob und wie sie "Paris, Texas" kognitiv "verarbeiten". :) - Irgendetwas herauszuheben verbietet sich fast schon aus Ehrfurcht vor dem Gesamtpaket; über die langen Passagen mit dem kleinen Hunter möchte ich aber noch etwas ergänzen: die Wendersregie bringt es fertig, dass man diesem Zehnjährigen lange vorbehaltlos ins Gesicht sehen kann, als sei er der Menschensohn ganz überhaupt, ich denke da zuerst an die Barszene in Houston, aber es gibt noch andere. Bis ihn Nastassja Kinski in die Arme nimmt (die Hotelszene, komplett singulär in der Filmhistorie in der Art), ist er der Prophet, der durch die Wüste führt. Ganz intuitiv sagt er seinem Dad, welchem roten Wagen er folgen muss auf der Interstate, eine crossroads-direktionale Szene, die schwer wiegt. Hunters Aufwachen am Parkhaus (performativ für sich schon singulär) und seine Verbindungsaufnahme mit dem Walkietalkie zu seinem poofenden Dad, diese Verzögerung der Kommunikation erinnert stark an Gethsemane: und könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen. Keine Sorgen, werde kein Esoteriker werden, aber das fiel mir auf. :)




13.08.2020



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann: 
Neben den Peepshow-Szenen gehört die She's Leaving The Bank-Szene ohne Widerrede in den "Today's Best Scene Ever"-Fundus, die Dramatik und Schönheit dieser 6 Minuten, die Musik von Ry Cooder, die nach einer Weile Tempo aufnimmt und perfekt zum Ausdruck bringt, wie dieses Abenteuer nicht mehr aufzuhalten ist. Tatsächlich war Hunter bei den Dreharbeiten sogar erst 7einhalb. "Als sei er der Menschensohn ganz überhaupt", phantastisch, ja. Eigentlich ist es Hunter, der seinen Vater führt, das größere Kind, den ragged wayfarer, den mühselig Beladenen, der jedes Zeitgefühl und jede Orientierung verloren hat, ihm Mut zum Leben wiedergibt; der sich, wie Du sagst, intuitiv zwischen zwei identischen roten Chevys entscheiden kann und auch sonst die Richtung kennt ("Left, Dad."). Im Audiokommentar erwähnt Wenders zur Szene im Warteraum des Waschsalons, wie das eigentlich die klassische Psychoanalyse-Situation ist, Travis liegt auf der Couch und beginnt zu erzählen, der Sohn sitzt daneben und hört zu. Dieser Junge hat – wie Danny Lloyd bei Kubrick – einen Sinn für Timing. Der Junge in "Der amerikanische Freund" macht das zwar auf seine Weise auch großartig, bringt aber Bruno Ganz einmal kurz aus der Fassung, weil ihm die Fähigkeit fehlt, abzuwarten. Hunter kann übersprudelnd sein und sogar komisch, aber man kann ihm auch beim Nachdenken zusehen. – Oh my, "über die Bildgewalt zuendemythologisiert", besser ist Wenders wohl nicht mehr zu beschreiben. :) "Heilig" hatte ich schändlicherweise auch vergessen. Was ich nicht wußte bis vor 48 Stunden, "Paris, Texas" war der Lieblingsfilm von Kurt Cobain.






























Montag, 10. August 2020

Der amerikanische Freund













Impressionen zur Wim Wenders-Werkschau in der ARD-Mediathek. Exzerpte aus -> "111 Lieblingsfilme", Kommentarsektion




18.07.2020



ray05:
"Der Amerikanische Freund" ist in meinen Augen heute ein unsterbliches Meisterwerk, wie konnte ich das je missachten.



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
"Der Amerikanische Freund". Unter freiem Himmel wiedergesehen vor ein paar Jahren. Wie leer Hamburg ist in diesem Film. Zu den raren Privilegien eines Hamburgers gehört es, an der Elbchaussee-Villa vorbeiradeln zu können und zu denken: HIER! DENNIS HOPPER UND BRUNO GANZ! HIER! "I'm on the roof with the gun!" Hopper, gerade aus dem Herz der Finsternis zurück, die Chemie zwischen ihm und Bruno Ganz bei den Dreharbeiten, blutige Nasen und trunkene Verbrüderung.

















25.07.2020



Next stop "Der amerikanische Freund".



ray05:
"Der amerikanische Freund" wird Dich umhauen, Photographie und generell Kameraarbeit sind extrem stark hier, die Takes im Zug und dann am Strand sind allerbester Wenderismus. Bin glücklich, diesen Streifen wiederentdeckt zu haben.



27.07.2020 



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
Hopper stieg in Hamburg aus dem Flugzeug, kam direkt aus dem philippinischen Dschungel, wo er mit Coppola und Brando "Apocalypse Now" gedreht hatte, mit noch blutenden Wunden, in einer Art Schockzustand, selbstmordgefährdet, im Körper alle der Menschheit bekannten Drogen. Er hatte das Drehbuch vergessen und überhaupt den Sinn und Zweck seiner Reise nach Deutschland. Wenders nach ein paar Tagen: Entweder reißt du dich jetzt zusammen, oder du fährst nach Hause, ich will nicht, daß du hier bei mir am Set stirbst. In diesem Interview von 2008 sagt Dennis Hopper: "Wissen Sie, ich torkelte damals durch Hamburg wie ein Verlorener durch einen Schneesturm. Aber in all dem Chaos war Wim immer da... Er fing mich auf und holte mich zurück ins kreative Leben. Ins Leben überhaupt. Die Arbeit am 'Amerikanischen Freund' hat mich gerettet."

Wenders sagt auch: so beängstigend Dennis Hopper vor der Kamera wirken kann, tief im Innern sei er die liebenswürdigste Seele, die er je getroffen habe.

"What's wrong with a cowboy in Hamburg?" – "Meine Damen und Herren, wir kommen zu dem Höhepunkt der Auktion." Dennis Hopper inmitten honorig-biederer hanseatischer Statisten, und hinter ihnen David Blue. Der in Bob Dylans "Renaldo & Clara", remember, der erste Film, den ich je auf Video aufnahm, am Flipper steht und Geschichten erzählt. Fucking Samuel Fuller – auch wenn der tatsächlich schon 1973 in Deutschland einen "Tatort" gedreht hat – in einem Speisewagen der DB und später am Steuer eines Krankenwagens, der nächtens in der Elbchaussee steht.








Unablässig bringt Wenders Mythen zusammen und erschafft so neue Mythen. Wenders ist wie The ever watchful Eye, schwebend über der Welt, beobachtend und miteinander verbindend, was in seiner Schönheit / Wahrheit für ihn miteinander korrespondiert (Keats-Maxime # 1: "Beauty is truth, truth beauty".) Surreale Effekte, die Bestandteil sind der hypnotischen Kraft, die ein Wenders-Film hat, wenn sein furchtloses Experiment mit dem Möglichmachen des Unmöglichen gelingt. Hier gelingt alles. Die Story, die Schauspieler. Bilder und Szenen, die noch lange geblieben sind, seit mich der Film zum ersten Mal umhaute, und bleiben werden. Die Musik. Hamburg, als "marvellously gloomy city" (jemand bei imdb). Der Film ist unendlich traurig. Und voller Momente, die einfach nur hilarious sind. Du hast mir mal erzählt, daß Du als Achtklässler mit einer Kurzgeschichte den Schulwettbewerb gewonnen hast, eine wüste Film noir-Hommage. Wer diese Art von Achtklässler ist, muß Glück empfinden beim Wiederentdecken von "Der amerikanische Freund". :)














Fuck "Der Untergang", wir wußten lange vorher, daß Bruno Ganz der Größte ist. Mir stiegen Tränen in die Augen, als wir auf Burg Pernstejn den Tiroler Hof betraten und ich an derselben Stelle mit dem Fuß zwischen zwei Steine kam und ganz leicht strauchelte wie Bruno Ganz in Herzogs "Nosferatu", so wie man es für immer sehen kann in diesem so unendlich bedeutenden Film, den ich schon so lange Zeit liebte, Zeiten meines Lebens hindurch. Da ging es mir mit der Zeit vielleicht so, wie Du es beschreibst, wie dieses Gefühl einer unfaßbaren Kontinuität in deinem Leben dich ergreift, wie es aus so einem plötzlichen "Zufall" (ha), oder aus so einer Werkschau entsteht, oder aus dem Geschmack einer in Tee getunkten Madeleine, wie Zeit dann einfach nichts Lineares mehr ist, sondern nur noch in deinem Bewußtsein existiert, die wahre Zeit, die nur deiner eigenen Psyche, Seele, Intuition zugänglich ist.

Herausragend, wie Dennis Hopper seinem Ripley diese manische Böswilligkeit verleiht und diese verstört, *demented* und psychotisch wirkende Amoralität, zugleich berechnend und völlig unberechenbar, impulsiv und nicht ganz in der Fassung, und wie er zugleich Ripleys tiefe Einsamkeit sichtbar macht, Dylans "I pity the poor immigrant" singend, wie er diabolische Intensität ausstrahlt und wie er doch spürbar und glaubhaft macht, daß er sich, fast gegen seinen Willen, nach einem Freund sehnt. Die Kaschemme, in der sie sitzen, fehlt nur noch Fritz Honka am Nebentisch und Hopper sagt zu dem Mann, der ihn mit "Ah ja? I've heard of you" und verweigertem Handschlag so tief gekränkt hat, daß er ein perfides Täuschungsmanöver inszeniert: I would like to be your friend. Er weiß, es ist nicht mehr möglich, aber er meint es. In New York sagt er zu Nicholas Ray "I got a friend in Hamburg who told me" (das veränderte Blau), trotzig stolz darauf, einen so unglaubwürdigen Satz sagen zu können. Zum ersten Mal kann ich lesen, wie das Bild heißt, das Ripley von Zimmermann rahmen läßt. "Des Auswanderers Sehnsucht".








Wie Hopper Bewunderung, Zuneigung, Liebe und Sorge zu empfinden beginnt für diesen Mann, so sehr, daß er den zweiten Mord zu verhindern sucht. Wie er in Zimmermanns Werkstatt den genius loci spürt, unwiderstehlich angezogen von der Wärme, die vom Leben dieses Mannes ausgeht, seiner Liebe zu den Dingen, seiner Arbeit, seiner Familie, wie er in diesem Leben etwas sieht, das seinem fehlt. Zwei Momente vor allem: Hopper hat mitangesehen, wie Bruno Ganz diesen Bilderrahmen zerschlagen hat, ganz kurz ist tiefes Mitleid ist seinem Blick zu sehen. Dann der kurze Moment, wie er in seiner Verzweiflung, allein in seiner Säulenvilla, *liebevoll* dieses sich bewegende Bild anschaut, das Jonathan ihm geschenkt hat.

Der erste Mord in der Pariser Metro, 10 Minuten absolut atemberaubende Choreographie, Spannung fast unerträglich, als Lou Castel / Rudolphe schließlich aussteigt, ist Jonathan der einsamste Mann der Welt. Wie ihm immer wieder die Augen zufallen vor Anspannung, vor Eigentlichnichtmehrweiterkönnen. – Die Sequenzen im Zug, da muß Coppola gedacht haben: damn, some German Hitchcock. Bewegungsenergetisches Wunderwerk. Hoppers plötzliches Auftauchen und Eingreifen im Zug, als die Dinge final schiefzugehen drohen für Bruno Ganz – das, und was dann folgt, einfach phantastisch. Todsicher haben beide, nachdem sie sich einmal die Rübe poliert hatten, ein tiefes Gefühl dafür gehabt, wie *special* das ist, was sie hier entstehen lassen. Die Szene mit den Fahrkarten ("in der blauen Jacke"). Wie der Zug durch einen Tunnel fährt und irgendein schwaches Licht nur noch die Silhouetten der beiden nachzeichnet, das ist so großartig, so schön. Knieper, diese großartige ominöse Musik throughout, ätherisch, manchmal arvopärtisch (diese zwei Minuten (?) ganz am Anfang des Films!), und manchmal wie Bernard Herrmann für Hitchcock. Surreal auch: wie Samuel Fuller durch den Speisewagen geht, um seinen Mann zu suchen, Hopper sitzt da und hält eine Zeitung hoch und man kann lesen: "4:1! Hamburger SV im Fußballrausch". Man, those were different times. :)

Yeah, you know? Eigentlich sind WIR ja schon die Aliens, von denen Du sprichst. :) In Zeiten, da vermeldet wird: 85% der Filme auf Netflix stammen aus der letzten Dekade, ist ein Mann, der sich auf Wenders-Werkschau mit Verstrickung in die Verhältnisse begibt, a man out of time. Aber das war man ja eh schon immer, so what, mit der Geschichtslosigkeit der instagram-Generation wird das nur anders virulent. Den Boomern wird alles Mögliche vorgeworfen, aber den gigantischen Kulturverlust, den die Millennials zu verantworten haben, die (Kunst-)Geschichtsvergessenheit einerseits und die Bilderstürmerei im Namen einer neopuritanischen political correctness andererseits, werden Deine Alien-Anthropologen hoffentlich kopfschüttelnd nachvollziehen. Oder was immer die dann schütteln. :)

Aber natürlich sehen wir in "Der amerikanische Freund" bei allem, was an desem Film immer fasziniert und immer gegenwärtig ist dadurch, auch eine untergegangene Welt. Dennis Hopper tot, Bruno Ganz tot, Hamburg tot. Die ruschige Schönheit der 70er. Der SPEICHER AM FISCHMARKT, things I remember. Die Milchtüte auf dem Tisch, als Bruno Ganz nach Hause kommt, zurück von seinem Mord aus Paris. "Trink/Milch/frisch" = Freitagabende, an denen man aus der Badewanne kam und Stan & Ollie-Filme im TV sah, präsentiert von Theo Lingen. Bruno Ganz in der U3, Landungsbrücken, er steigt Baumwall aus. Baumwall like I remember it. Einer der Bieter hält das Taschenbuch "Sie" von Gabor von Vaszary hoch, ich erinnere die Coverzeichnung aus dem Bücherschrank meiner Eltern. Das Fischmarkt-Areal ist kaum wiederzuerkennen, das Haus, in dem Zimmermann lebt, steht allerdings noch. Auch das Haus, in dem er seine Rahmenwerkstatt hat. Weiß nicht, ob die Seitenstraße (Kleiner Pinnas), in die Hopper mit seinem weißen Ford Thunderbird einbiegt, als er Bruno Ganz dort zum ersten Mal aufsucht, so noch existiert. Gotta go there. Soon. And marvel.

Einer meiner liebsten Wenders-Momente überhaupt, kurz nachdem Dennis Hopper Bruno Ganz um den Hals gefallen ist, vor dem Krankenwagen, vermutlich am Drehbuch vorbei; wie er dann Lisa Kreuzer zu erklären versucht, wir müssen diese Geschichte zuendebringen, es gibt da zwei Leichen, Bruno Ganz am Rand der Zerrüttung goes "beepbeepmbeepbeep" ("Drive My Car", Beatles) und Hopper sagt zu ihr, sie müsse den zweiten Wagen fahren, "I think he's too exhausted to do it", und sie schaut in den Wagen: Bruno Ganz, sein Lächeln, sein sure, baby-Augenzwinkern, einfach completely out of it, aber wer weiß, vielleicht auch hölderlinhintersinnig, es ist Bruno Ganz, so großartig, so *hilarious*, diese Momente zum Hintenüberfallen funktionieren bei Wenders besser als z.B. der intendierte Slapstick in diesem japanischen Kapselhotel in "Bis ans Ende der Welt".

All diese sonderbaren bizarren bewegenden versponnenen Wenders-Momente. Der Mann, der im Cafe Abdallah seine Arzttasche öffnet und Jonathan ein Pflaster auf die Stirn klebt, zu Bauchtanzmusik aus dem TV. Die Szene, in der Bruno Ganz sich das Blattgold auf die Hand schweben läßt. Der Mann, der vor Jonathans Augen auf der Rolltreppe zusammenbricht, ohne weitere Erklärung. Samuel Fuller offenbar Pornofilmregisseur. :) Vor allem aber das fast beängstigende Charisma von Hopper & Ganz, die *chemistry* zwischen beiden.

Auch das Täuschende kann Wahrheit offenbaren. Beide, Ripley und Jonathan, haben Dinge getan, die vorher für sie undenkbar waren. "Well... we made it anyway, Jonathan. Be careful."

















29.07.2020



ray05:
Abschweifung: Vor einiger Zeit sah ich "Supermarkt" (1974) von Roland Klick; wie "Der amerikanische Freund" ein Film aus dieser Zeit, in dem Hamburg gleichfalls als gloomy city erscheint. Bei Klick ist diese Düsternis aber trist und desperat, weil Hamburg nicht als Tor zur Welt gezeigt wird, sondern als Außenposten des immernoch provinziellen Landes, das im Rücken dieser Stadt gewissermaßen ungut nach ihr ausgreift. Bei Wenders hingegen wird die Hamburger Düsternis als "marvellous" erfahrbar, weil die Stadt in Beziehung zu anderen Weltstädten gesetzt wird (New York, Paris), also ein Schauplatz ist, der mit welthaltigen (erzählenswerten) Geschichten in Verbindung steht. Klick trennt Hamburg ab von der Welt, Wenders öffnet das berühmte "Tor zur Welt" vier Jahre später wieder. - Wie auch immer, ich stelle mir vor: einen speziellen Reise- oder Kulturführer mit dem Titel "Hamburg, Gloomy City", in dem genau beschrieben und nachgezeichnet wird, wie die Stadt als dezidiert ausgewählter Schauplatz für den Film (ja, auch für den Roman) funktioniert und in welchen Kontexten und unter welchen Umständen und in welcher Zeit. All die Hamburgweltbilder müssten mal in einem riesigen Brikett von Buch beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt werden. - Meine Imagination eines Werkes (1500 Seiten?), das ich gerne noch studieren würde. :)



31.07.2020



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann:
... hörte Bruno Ganz einmal im Hamburger Rathaus Hölderlin-Gedichte lesen, darum drängt sich mir diese Verbindung ohnehin auf, bin zwar nicht auf der Seite von Pierre Berteaux, der Hölderlins Wahnsinn als schauspielerische Schutzmaßnahme deutete, aber vielleicht war Hölderlin eben zugleich completely out of it und hatte doch irgendwas im Sinn. Jedenfalls ein Bruno Ganz-Moment, der in seiner Schönheit einfach aus dem Himmel seiner Ganz-heit fällt, Hopper und Ganz reichern den Film unentwegt mit ihrer unscripted reality an, auch ganz wunderbar in der Szene, als Hopper das Essen, das er Bruno Ganz in die Kälte bringen will, an den Gitterstäben direkt wieder runterfällt, die subtile und geniale Improvisationskunst bei beiden funktioniert, weil sie Wenders vertrauen und Wenders ihnen, und weil sie als Duo nach kurzer Phase völliger Asynchronität plötzlich vollgepumpt mit Zielwasser sind. :)

Brauche wieder 6 cm Platz im Regal, für die drei heute vom Postmann überbrachten DVDs, "Der amerikanische Freund", "Paris, Texas", "Bis ans Ende der Welt", so schön gestaltet, und ich habe Audiokommentare von Wim Wenders und Dennis Hopper (!) vor mir, ich gebe zu, meine Werkschau tritt etwas auf der Stelle. :) Muß noch im Bann dieser 3 Filme bleiben, for a little while. 4 Wochen Freiheit vor mir, "Supermarkt" treibe ich mir auf, von wegen "gritty" (und "gloomy"): kürzlich sah ich meinerseits "Blutiger Freitag" von Rolf Olsen mit Raimund Harmstorf, 1972, beinharter deutscher Sleaze, ein Muß. :) Trailer -> hier 

Überlege, kurz nach Bad Oldesloe zu pilgern, am Grab vom Harmstorf zu stehen und zu sagen: glaube, ich kann den ganzen "Seewolf" auswendig, thanks to you, Sir. :) Für 1500 Seiten "Hamburg, Gloomy City" wäre ich natürlich der richtige Mann. Von der Seitenzahl her. :) Wunderbare Idee. Besitze übrigens ein Büchlein namens "Hamburg bei Nacht", etwa so alt wie ich, hinübergerettet in mein Leben aus dem Schrank meiner Eltern, irgendein sleazy Privatverlag, und die gezeichneten Damen darin gehörten zu den ersten, die meine Phantasie erhitzten. :)



04.08.2020



Postscript zu "Der amerikanische Freund": Du hast ins Schwarze getroffen mit der Betonung der besonderen Weise, in der die drei Städte miteinander in Verbindung stehen. Im Audiokommentar sagt Hopper: Hamburg, Paris, New York, "it all looked like one place", das habe ihn fasziniert, und Wenders bestätigt genau das als seine Intention, die drei Städte sollten wie ein einziger Seelenzustand, ein einziger state of mind wirken. – Hopper: "I was a mess." Als er in Hamburg ankam, trug er noch seinen Apocalypse Now-Kampfanzug, die Kameras um den Hals baumelnd wie im Coppola-Film, und sie fuhren mit ihm direkt ins Tropenkrankenhaus. "Eines Morgens bin ich aufgewacht mit einem Lampenschirm über dem Kopf." Er war hypernervös in seiner allerersten Szene in Jonathans Laden, und Wenders gab ihm dieses Bild, und das veränderte die Szene.












Immer wieder: "Things were written as we were doing them." Hopper: das Geheimnis der Kreativität = learning to make the accident work for you. Vieles war Improvisation, aber es fühlte sich an wie ein Script. Bruno Ganz war in allem, was er tat, sehr genau. Meticulous & "so precise in everything". Er hatte sich wochenlang bei einem echten Rahmenmacher vorbereitet. Hopper erfand die Dinge vor Ort, did things on the spot. Bin Dir unendlich dankbar für die Annoncierung der Wenders-Werkschau, fühlt sich an für mich wie der fehlende Schlußstein für die 111 :), absolut herzbewegend gerade nachzuvollziehen, welche Bewunderung Bruno Ganz und Dennis Hopper füreinander empfanden. Wenders sagt irgendwann zu Hopper: er wollte unbedingt mit dir arbeiten. "Bruno is so much in awe of you." Hopper: "In the same way I was in awe of him." Hopper war am Set, um zuzusehen, wie Bruno Ganz den Laden fegt, zu "Too Much On My Mind". – "I will never forget the way he swept the room", und überhaupt: "Unglaublich, was für ein Schauspieler." Die Szene mit dem Blattgold stand nicht im Drehbuch, ist durch den Ort, durch die Requisiten inspiriert, Brunos Idee. Hopper, als er die Polaroids von sich macht auf dem Billardtisch, weint tatsächlich. 

Zunächst waren beide, weil sie so unterschiedlich vorgingen, voneinander irritiert, und zu dem legendären Faustkampf sagt Wenders: I had to stop shooting. Weil die beiden plötzlich auf dem Boden rumkrabbelten und sich schlugen. Er kann sich nur erinnern, daß sie irgendwie zusammen abgehauen sind. Und am nächsten Morgen kamen sie zurück – "and it was just paradise to work with both of them." Hopper: nach dem Boxscharmützel haben sie sich zusammen betrunken & "we passed out together arm in arm." Danach wollte Ganz nie mehr, wie es bis dahin seine Gewohnheit war, mit Wenders am Abend die Szenen des kommenden Drehtags besprechen, er sagte, das machen wir dann, wenn wir drehen. Dafür kam Hopper jetzt jeden Abend zu Wenders und wollte seinen Text haben und die Szene besprechen. :) 

Der Laden, in dem Jonathan seine Werkstatt hat, gehörte damals einem Hutmacher, er taucht im Film auf, es ist der Mann, der im Zugabteil sitzt mit dem kleinen Hund. Der Bruno Ganz tatsächlich gebissen hat. :)

Patricia Highsmith war zunächst nicht begeistert von Dennis Hopper als Ripley, aber sie hat Wenders später einen Brief geschrieben: I must say my first impression was all wrong. Ich habe Ihnen Unrecht getan, Dennis caught the soul of Ripley. - Hopper hat den Krankenwagen so geliebt, daß er ihn am Ende der Dreharbeiten gekauft hat. (In die Luft gejagt haben sie – in St. Peter Ording :) – eine billige Reproduktion des Wagens). 10 Jahre später hat Wenders Hopper besucht, und er fuhr den Wagen immer noch mit dem Hamburger Nummernschild. :) – Bruno Ganz steuert den VW-Käfer tatsächlich selbst den Deich hoch (in der ersten Szene), "es war beängstigend, aber er war der Meinung, er könnte es."

Am Ende erklärt Hopper, wie sehr er an "Der amerikanische Freund" hing. Gehörte zu den Dingen, die er am liebsten gemacht hat im Leben, & "certainly one of the best films that I've ever been in." Er bewundert die "artistic integrity" von Wenders, und er nennt "Der Himmel über Berlin" "one of the greatest movies ever made in the history of motion pictures". Gemacht, und das ist so wahr, zu der einzig möglichen Zeit, in der man ihn machen konnte.



05.08.2020









ray05:
Die winzige Blattgoldszene lässt mich in all den Tagen (Wochen?) auch nicht mehr wirklich los. Ja, sowas schreibt dir kein Drehbuchautor mal eben rein ins Skript, nichtmal einer wie zum Beispiel Sam Shepard; wie auch. Und wenn doch, dann würde wesentlich mehr Aufwand betrieben beim Mise en scène. :) - Dieses Finden-ohne-groß-zu-suchen, dieses heilig-zufällige Zustandebringen gelingt ja besonders den vifen Kindern und den sehr guten Schauspielern, wenn ihnen Zeit & Muße gelassen wird, einfach mal in einem "magisch-realistischen Raum", wie es eine Werkstatt im schroffen Gegensatz zu einer Werkhalle ist, die vorgefundenen Dinge "Ding" sein zu lassen. Kurz: Dinge muss man in bestmöglicher Selbstvergessenheit in die Hand nehmen. :) - Die Werkstattszenen hast Du ja dankenswerterweise weiter oben schon gewürdigt. Die Filmpublizistik würde generell einen Schritt weiter kommen, wenn Titel möglich wären wie: "Die Repräsentation des Handwerks bei Wim Wenders und Werner Herzog", ich sage das ganz unironisch, handdrauf. :) - Die Blattgoldszene erinnert mich auch an etwas, das Miles Davis mal sagte über seine Musik. Sinngemäß: Die wirklich unsterblichen Sachen kommen nur zustande, wenn du den Leuten in der Band die Möglichkeit lässt, ihre ganz persönlichen tiny litte things einzubauen; später fragst du die Typen, hey, das ist phantastisch, wie bist du drauf gekommen, und sie antworten dann immer: es war einfach da in der Situation und ich musste es nur noch spielen.

Dennis caught the soul of Ripley: Gibt ja Leute, die behaupten, der Auteur sei der letzte, der irgendwas wüsste über die Figuren, die er erfindet. Bis dann Dennis Hopper eine dieser Figuren spielt. :) Spaß beiseite, Highsmith dürfte im Weiterverfolg ihrer Ripleyfigur durchaus klar geworden sein, dass der Amoralist (Immoralist) als performanter Daseinsbewältiger durchaus kein Un-Mensch ist, bloß weil er das Über-Ich leugnet und jede Goldene Regel für Kokolores erklärt. :) - Entdeckte, dass auch John Malkovich den Ripley von "Der amerikanische Freund" spielte, und zwar in Liliana Cavanis "Il gioco di Ripley" (2002). Liliana Cavani! Dem Streifen muss ich wohl unbedingt habhaft werden. Trotzdem gefragt: Kennst Du den, und wenn ja: taugt der was? :)



08.08.2020



Antirationalistischer Block / Christian Erdmann: 
"Il gioco di Ripley" / Cavani: nein, den kenne ich nicht, B kennt ihn, und sie liebt John Malkovich, daher steht sie dem Film prinzipiell wohlwollend gegenüber. :) – Wenders selbst sagt ja, für ihn ist es schwer, einen "Bösen" im Film zu zeigen, weil er mit Menschen arbeitet, für die er Sympathie empfindet. Nun ist Hoppers Ripley ja tatsächlich nicht eigentlich durch und durch "böse", Du hast gerade perfekt paraphrasiert, was Hoppers Unberechenbarkeit aus der Ripley-Figur macht. In der Szene mit Lisa Kreuzer am Ende, als er ihr erklärt, was sie zuendebringenmüssen, "he was very tender".














Wenders erklärt rundheraus, Hopper hat ihm gezeigt, wer Ripley ist. Das liebe ich übrigens auch an Wenders: er liebt es, zu rühmen. Er hat den ständigen Wunsch, auf die Größe anderer zu weisen. Was natürlich selbst Zeichen von Größe ist. – Alle Gangster im Film sind Regisseure. :)












Tom Ripley, der Cowboy in Hamburg, lebt in dieser Säulenvilla:








 Elbchaussee 186, August 2020


(clic to enlarge)











Bruno Ganz und Dennis Hopper auf dem Areal der Säulenvilla, die um 1820 nach dem Vorbild eines Schlößchens auf der Krim errichtet wurde. Ripley erklärt Jonathan, er solle die Lage von dieser... "strange construction, this underground space around the house" (Wenders im Audiokommentar) aus beobachten, "I'm on the roof with the gun!" Bei Nacht schleichen sie durch den Garten, um den Krankenwagen zu kapern, der auf der anderen Seite der Elbchaussee steht, mit Sam Fuller am Steuer.























Das Haus, in dem Jonathan Zimmermann seinen Laden für Bilderrahmen und Gemälde-Restaurierungen betreibt, Ripley auf der Treppe:








Das Haus heute: Lange Straße 22.








Die kleine Straße, in die Dennis Hopper als Ripley mit seinem weißen Ford Thunderbird einbiegt, gibt es nicht mehr.








Der dunkelgraue Altbau, der hier auf der linken Straßenseite im Vordergrund zu sehen ist, wurde abgerissen.








Im Film erkennbar ist das Straßenschild "Kleiner Pinnas"; die Straße führte zum Pinnasberg und in Richtung Elbe. Geblieben ist nur eine Tiefgarageneinfahrt und ein Durchgang zu einem größeren Hof-Areal.








Man kann aber noch genau dort stehen, wo Dennis Hopper steht auf dem Weg zu Bruno Ganz.

















Die beiden Häuser am St. Pauli Fischmarkt, die zur Drehzeit dem Abriß geweiht schienen, Jonathan auf dem Balkon seiner Wohnung.