Montag, 6. Juli 2020

Argento / Morricone: The Bird With The Crystal Plumage










"L'uccello dalle piume di cristallo" / "The Bird With The Crystal Plumage" (deutscher Titel "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe") aus dem Jahre 1970 war die erste Solo-Regiearbeit von Dario Argento. Als einer der ersten kommerziell erfolgreichen Giallo-Filme steht er am Beginn der Blütezeit des Genres zwischen 1970 und 1975. Phänomenal war die Popularität des Films in Italien: in einem Mailänder Kino lief er 3 1/2 Jahre lang. Eva Renzi betrachtete ihre Mitwirkung in diesem Film als Karriereselbstmord (natürlich war sie nie beeindruckender, vorher oder nachher), Argento wurde für sein sensationelles Debut als "italienischer Hitchcock" gefeiert.









Sam (Tony Musante) ist ein amerikanischer Schriftsteller, der auf der Suche nach Inspiration seinen Wohnsitz nach Rom verlegt hat, zusammen mit seiner Model-Freundin Julia (Suzy Kendall) wohnt er in einem Haus, das schon dem Abbruch geweiht ist, andere Mieter gibt es nicht mehr. Eines Nachts wird Sam Zeuge einer blutigen Attacke: in den hell erleuchteten Räumen einer Kunstgalerie sieht er durch die Glastür eine rothaarige Frau im Kampf mit einer Person, die schwarze Handschuhe und einen schwarzen Mantel trägt. Eine Klinge blitzt, Sam versucht, der Frau zu Hilfe zu eilen, doch die Glastür läßt sich nicht öffnen. Die Gestalt im schwarzen Mantel flieht, löst aber noch einen Alarm aus, durch den sich eine weitere gläserne Trennwand schließt, und Sam findet sich plötzlich eingeschlossen zwischen zwei großen Sicherheitsglastüren: so muß er machtlos mitansehen, wie die verwundete Frau blutend über den Boden kriecht, die Hand flehend nach ihm ausgestreckt. Im Glasgefängnis ist Sam unhörbar; endlich kann er einem Passanten bedeuten, die Polizei zu rufen. Die Frau wird gerettet. Es ist Monica Ranieri (Eva Renzi), die Frau des Galeriebesitzers Alberto Ranieri, der kurz nach der Polizei am Schauplatz erscheint. Die Eingangssequenzen des Films haben uns wissen lassen, daß im letzten Monat drei junge Frauen ermordet wurden, wir sahen Hände in schwarzen Handschuhen mit einer Kollektion von Stichwaffen, und so vermuten wir auch Monica als Opfer eines Serienkillers. Sam erklärt Inspector Morosini, "There was something wrong with that scene, something odd." Zunächst behandelt die Polizei Sam jedoch auch als Verdächtigen, und Morosini konfisziert Sams Passport.












Die für den nächsten Tag geplante Rückkehr in die USA zerschlägt sich also mit dem klassischen Hitchcock-Szenario: ein Mann, der sich in einem fremden Land aufhält, gerät in Verdacht. Tatsächlich hofft der Inspektor jedoch auf Sam, der das Gefühl hat, daß ihm bei der Erinnerung an die Gewalttat ein entscheidendes Stück fehlt; Morosini glaubt, daß Sam tatsächlich das Gesicht des Killers gesehen hat und somit der einzige Zeuge ist. Bei den Morden gab es kein offensichtliches Motiv, und Morosini geht von einem maniac aus.   

Sam darf das Revier verlassen und entgeht schon auf dem Heimweg im Morgengrauen nur knapp einem Mordversuch. Der Inspektor teilt mit Sam von nun an seine Informationen, beteiligt ihn an der Investigation, und Sam, immer mehr in Bann gezogen, wird selbst zum Detektiv: die Szene, die er sah, wird zur Obsession, dieses entscheidende something odd, das zum Geheimnis führt; es wird ihm zur Obsession, den Killer zu finden. Noch mehr junge Frauen werden sadistisch ermordet, doch der mysteriöse Killer hat es nun vor allem auf Sam und Julia abgesehen.












Wer unbedingt muß, findet in "The Bird With The Crystal Plumage" möglicherweise peinigende Plotlöcher, was aber für die Qualität des Films ganz irrelevant ist. Italian horror war nie berühmt für banale Kohärenz. Die Rätselhaftigkeit, die aus der Verachtung konsequenter Nachvollziehbarkeit entsteht, gehört quasi per se zum Giallo. Im Labyrinth der plausiblen Implausibilitäten, in dem wir uns mit Entzücken und so williger wie totaler suspension of disbelief verlieren, in dem wir einer eigenen, bizarren Logik folgen und uns nie enttäuscht fühlen, begegnen wir unter anderem: zunächst Tony Musante und der recht berauschenden Suzy Kendall, ein überaus einnehmendes Paar, sehr funkensprühend, tatsächlich haben sie in einer Szene beinahe Sex im Beisein eines Freundes (ob der Freund ein Freund ist, bleibt lange undurchsichtig). Werner Peters erscheint als homosexueller Antikhändler, Mario Adorf als exzentrisch-wirrer, katzenessender Maler. Von ihm stammt das Gemälde, das einen Schlüssel zu den Morden darstellt, das Gemälde wiederum ist inspiriert von einer wahren Begebenheit. Es gibt eine unvergeßliche nächtliche Verfolgungsszene mit dem ohnehin stets unvergeßlichen Reggie Nalder (-> Alfred Reginald Natzler), wir begegnen dem stotternden Zuhälter einer ermordeten Prostituierten und einem zwie-lichtigen Mann namens Faiena, der hartnäckig jede Aussage umgehend durch eine zweite relativiert. Als der Inspektor für Sam mit "Bring in the perverts!" eine Gegenüberstellung veranlaßt, erscheint unter den vorgeführten Verdächtigen ein Mann in Frauenkleidern, und der Inspektor schimpft: "How many times do I have to tell you, Ursula Andress belongs with the transvestites, not the perverts!" Es gibt Anrufe des Killers, bei denen einmal im Hintergrund ein seltsames Geräusch zu hören ist - "What makes a sound like that?", ein Audiolabor isoliert das Geräusch, beißt sich an dieser Frage aber die Zähne aus, jemand anders findet mehr heraus.

 







Es gibt die atemberaubende cinematography von Vittorio Storaro, der später drei Oscars gewinnen wird für seine Kamera-Arbeit (u.a. für "Apocalypse Now"); dies ist sein erster Farbfilm. Es gibt dunkle phantastische Treppenhäuser und verlassene Pin-Up Girls an einer schäbigen Wand, es gibt ein Messer, das in eine Holztür eindringt, hinter der Julia sich verbarrikadiert. So wie im Film ein Gemälde, Kunst also, die Gewalt inspiriert, so wie es am Ende eine sadistische Szene gibt, in der ein Kunstwerk (fast) zum Mordinstrument wird, so steht Argento hier am Anfang seines sehr eigenen Weges, Gewalt und Sadismus zu Kunst zu machen. Es gibt am Ende die Erklärung eines Psychologen, wie in "Psycho", und es gibt für Argento-Verhältnisse noch recht wenig Blut: erst nach "The Bird With The Crystal Plumage" werden die Giallo-Thriller zusehends blutiger und sleazy.

Intelligent, fesselnd, vielschichtig, erfindungsreich vom Beginn bis zum fuck-me-Jesus-Ende, für das es clues gibt, die aber nicht zwingend beim ersten Sehen auffallen: sich der traumgleichen Atmosphäre von "The Bird With The Crystal Plumage" zu entziehen, ist sicher möglich, bedarf aber zutiefst unerfreulicher Anstrengungen.




 

Und dann ist da der exzellente, eindringliche, absolut wunderbare Score von Ennio Morricone, furchteinflößend, atonal, dissonant, erotisch, unheimlich, voller Suspense, Edda Dell'Orso breathing heavily, erregend, haunting. Einer der nicht wenigen sehr seltsamen Soundtracks in Morricones unüberschaubarem Oeuvre. Angeblich schätzt Morricone diesen Score besonders. Argento hat erzählt, daß Morricone die Stücke nicht schon vorher geschrieben hatte, daß sie auch nicht entstanden, nachdem Morricone den Film gesehen hatte, sondern daß Morricone und eine Gruppe ausgesuchter Musiker diese Stücke größtenteils improvisierten, während der Film lief.

Verneigen Sie sich bitte gen Rom.




















[erstveröffentlicht / first published 17.12.2019]














 

Dienstag, 2. Juni 2020

An die Mondlichter





Dear Moves,

"On The Beach". Gregory Peck, Ava Gardner, Anthony Perkins, Fred Astaire. Alle vier schon immer voller Zuneigung, Bewunderung, Respekt gesehen, aber durch ihr Wirken in diesem Film werden sie immer very special sein. Du hast mir die Szene einmal geschildert, Dwight Lionel Powers und Moira Davidson in dem Zimmer dieser Herberge, in der betrunkene Australier "Waltzing Matilda" gröhlen, bis der Gesang plötzlich andächtig wird für die Zeile "You'll never take me alive, said he".

"In diesem Satz ist alles zusammengefasst. Moira und Towers haben keine Zeit. Sie wird ihn und er wird sie niemals lebend bekommen, behalten. Sie schauen sich an. Diese Erkenntnis, obschon längst vorher latent vorhanden, lässt sich plötzlich nicht mehr unterdrücken. In ihren Blicken ist alles versammelt: Bestürzung, Trauer, Verlangen, und Liebe! Sie fallen sich in die Arme und küssen sich endlich.
Als alter Romantikjunkie kann ich diese Szene noch immer nicht anschauen ohne feuchte Augen zu bekommen."

So hast Du es damals perfekt beschrieben. Was man aber eigentlich nicht beschreiben kann, ist Ava Gardners Blick, kurz vor dem Kuss. Bestürzung, Trauer, Verlangen, Liebe. Aber noch etwas anderes, etwas fast Überirdisches. It's otherworldly.

Vieles an diesem Film wird unvergeßlich sein. Wie Ava Gardner sagt: "I wanted to walk down the Rue de Rivoli. And I wanted to buy gloves." Das mysteriöse Morse Code Signal aus San Diego, das bittere Lächeln, als das Rätsel gelöst ist, und wir erinnern uns, wie die Besatzung am Funkgerät irgendwann die Worte "Water" und "connect" dechiffriert hatte. Ava Gardner, als sie das Segelboot zum Kentern bringt, ihr Schrei, Gregory Peck, der sie, die Hand an exponierter Wohlgeformtheit, ins Boot hochschieben darf, ihr hinreißendes Lachen, Fred Astaire mit dem Fernglas die Szene beobachtend: "It's like looking at a French movie."
Die fürchterliche, todtraurige Verlegenheit nach "Sharon's the most terrible liar - "
Die verlassene Golden Gate Bridge, das U-Boot, das unter der Brücke in die Bucht gleitet, das menschenleere San Francisco durchs Periskop. Swain, der an Land schwimmt. Gregory Pecks Stimme beim letzten unheimlichen Intercom-Dialog zwischen Towers und Swain in seinem kleinen Boot: "We won't be coming back."  - "I know." Das Periskop so unwirklich nah. Then gone. Gone forever.

Fred Astaire und sein Ferrari. Wie Ava Gardner über ihn sagt, voller Zärtlichkeit: "He doesn't make the slightest bit of sense." Das Plakat THERE IS STILL TIME .. BROTHER. Das letzte Glas Sherry für Lieutenant Hosgood und ihren Vorgesetzten, Admiral Bridie, der sie fragt: "A girl like you - why no young men?" - "They never asked me. I guess maybe it was the uniform." - "To a blind, blind world."
Wie Gregory Peck schließlich erklärt, daß er mit der Crew in See stechen wird, zurück in die USA, für die allerletzten Tage und Stunden, und es doch nicht erklären kann. Moiras Verzweiflung, aber keine Vorwürfe, keine Szene, nicht eine Silbe der Überredung, nur: "It's been nice, Dwight Lionel. It's been everything."
Just love, kindness, tenderness. IT'S BEEN EVERYTHING.
Und wie schließlich Peter zu Mary sagt: "And I want you to know that I could never have been happy with anyone in the world but you." Wie auch Mary aus ihrer Totentrance erwacht schließlich sagen kann: "We have been happy and fortunate", während dieser letzten Zärtlichkeit auf Erden. All das, und doch wird nichts so unvergeßlich sein wie dieser Blick.








Mit 7 oder 8 sah ich einen japanischen Film, bei dem ich mir am Ende die Augen aus dem Kopf heulte. Ich werde nie mehr heraufbeschwören können, welcher Film das war, aber wie unendlich traurig er war, werde ich nie vergessen. Sätze wie "Still haunts me to this day all these years later" finden sich zu "On The Beach" auf YT in Hülle und Fülle. Habe ich die USS 623 Sawfish umkehren lassen? Sure.

Danke dafür, daß Du mir diesen Film ans Herz gelegt hast. Took me a while but now I got it.















Montag, 25. Mai 2020

Deborah Kerr












SPIEGEL ONLINE Forum "Lieblingsfilme - was ist 'großes Kino'?"



20.10.2007



Kurzes Gedenken an Deborah Kerr, deren lange rote Haare in "Quo Vadis" schon meine Adoleszenz illuminierten, derart, daß ich träumte, ich stehe mit ihr und einer Schar Verfolgter in der Arena, kurz bevor die Löwen kommen, und weil Morpheus sich mit diesen Dingen auskennt, sangen wir zum Lobe des Herrn "All The Young Dudes" von David Bowie. Auch später hinterließ sie bleibenden Eindruck bei mir, besonders in "The Innocents" ("Schloß des Schreckens"), dieser Henry James-Verfilmung aus den frühen 60ern, und "The Night of the Iguana" mit Richard Burton.



BerSie:
Aljoscha, Aljoscha,
das "Problem" war doch ein Stier und nicht die Löwen!
Wie kann man denn eine solch prägende sexuelle Erfahrung vergessen?! ;-)
Hast Dich aber trotzdem prächtig entwickelt, vermute ich!
Also, wie Ursus (hieß er glaub ich) dem Stier das Genick bricht, sowas ist doch in der Adoleszenz super-geeignet für die Projektion der eigenen Omnipotenz! Hmmm ;-)



Ja, aber Ursus hat mich gar nicht interessiert...:) Mh mh. Wenn schon Tiefenpsychologie: viel faszinierender und erregender fand ich als Kind diese Quartettkarte aus Winnetou 2, wo Ribanna (Karin Dor) und Merril durch dasselbe Seil gefesselt sind, nebeneinander, aneinander. Einerseits hatte man als Junge auf diesem Bild alles, was man brauchte: man spürte den erregten Atem einer schönen Indianerin und konnte gar nichts daran ändern :), man konnte also schamlos die Situation genießen; andererseits war das einfach ein Vorbote der Vorstellung, daß "höhere Mächte" fürs Zusammenführen verantwortlich sind, die geheimen Linien, die sich durchs Leben schlängeln wie das Seil um Ribanna und Merril.
Anders gesagt: -> Hand me my sentence.

Meine ersten Erfahrungen im Kino haben übrigens viel mit Barbara Steele zu tun, also schweig' ich mal lieber stille. :) 



BerSie:
Lieber Christian,
haste die Quartettkarten noch? Wer war auf den anderen drei Karten denn so abgebildet?
Zur Erforschung Deines Unterbewu|?|ten brauche ich mehr Informationen! ;-)



Zur Erforschung Deines Unterbewu|?|ten
Ist das Lacan-Schreibweise? Cool!
























19.02.2008 



marks & spencer:
Ich habe selten ansprechende australische Filme gesehen.



"Picnic at Hanging Rock"? Als Peter Weir noch Australier war.



marks & spencer:
Kommt mir bekannt vor (Picknick am Valentinstag?). Ich habe den Film schon mal gesehen, aber da war ich noch ein Kind. Ich erinnere mich nur an Mädchen in weißen Röcken oder sowas ähnliches...



Ja, der. Dürfte der einzige Film sein, bei dem der "Director's Cut", der nun auf DVD erhältlich ist, kürzer ist als die bis dahin zirkulierende Version. Ich weiß nicht, was Weir da geritten hat, ich fand, das war keine gute Idee.
Ich war auch noch sehr jung, als ich den Film zum ersten Mal sah, und beschloß, Knecht an einem Mädchenpensionat zu werden, in Australien, um 1900. :)



BerSie:
Aljoscha, Aljoscha... zwischen Botticelli-Engeln den Pferdestall ausmisten; das sieht Dir ähnlich! :) Neulich wolltest Du noch Deborah Kerr vor dem Stier retten! Was ist bloß aus Dir geworden? :)
























14.01.2009



BerSie:
@ Aljoscha
Ach ja stimmt! Du warst der, der Pferdestallknecht in einem Mädchenpensionat in Australien werden wollte, nachdem er den Film sah. Tut mir leid, dass das nicht geklappt hat! :-)



Gwynplaine:
Er wollte auch schon Deborah Kerr im Circus Maximus beistehen! Quo Vadis, Aljoscha? 



Ja, und nach "Quo Vadis" wußte ich, was das Faszinierendste am Christentum ist. :) 



Gwynplaine:
"Zu schmal in den Hüften..."



oasis:
Nicht zu vergessen: Drummer in einem Stripclub stand ebenfalls schon auf seiner Wunschliste. *petz*
Schöne Grüße von Dita! :)