Sonntag, 1. November 2020

Luis Bunuel




SPIEGEL ONLINE Forum

"Lieblingsfilme - Was ist 'großes Kino'?"

 

10.05.2006

Nicht der beste Buñuel-Film, aber einer meiner liebsten: "Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz", über, nun ja, Archibaldo de la Cruz und dessen beständigen Versuch, zum Frauenkiller zu werden, der aber beständig scheitert, weil irgendwelche Fügungen ihm im letzten Moment die Arbeit abnehmen. Am Ende muß dann eine lebensgroße Puppe im Feuer schmelzen, aus mehreren Gründen eine unvergeßliche Szene. Die wunderschöne Darstellerin der Lavinia - das Vorbild der Puppe - beging einige Tage nach Abschluß der Dreharbeiten Selbstmord.

 

 

 

 

 



 

 

07.02.2007

Nachtschwester Ingeborg: 

Immer wieder stelle ich fest, dass der interessanteste Europäische Film seit einigen Jahren aus Spanien kommt. Erinnern möchte ich auch an einen der wirklich großen Regisseure der Filmgeschichte: Luis Buñuel - der Mann hat über 40 Filme gedreht, von denen die allermeisten absolut phantastisch sind, große Filmkunst eben.

 

 

Spanien: einer meiner Favoriten ist Julio Médem, "Die Liebenden des Polarkreises". Beantwortet die Frage "Können zwei Menschen füreinander bestimmt sein?" überaus intelligent mit einem dezidierten "Ja, aber". Buñuel wurde hier ja schon mehrfach gewürdigt (kann man natürlich nicht oft genug tun), darum beschränke ich mich auf die Feststellung, daß ich mich in Buñuel-Filmen immer seltsam zuhause fühle. Und richtig, 40+, da war immer das Gefühl, daß es da noch viel zu entdecken gibt (aus seiner mexikanischen Phase) aber jetzt wird es langsam Zeit. Man lebt nicht ewig. 

 

 

Nachtschwester Ingeborg:

Letzte Woche lief auf 3sat "Die Last mit der Lust" von Manuel Gómez Pereira, mit Victoria Abril und Javier Bardem, fesselnde Geschichte, tolle Schauspieler, Erotikthriller. "Tesis" von Alejandro Amenábar, der Snuff-Video Thriller schlechthin. Luis Buñuel ist eine Galaxie für sich, die es zu entdecken gilt. Kaum ein Filmemacher hat eine eigene Welt erschaffen so wie es Buñuel gelang. Der Regisseur der Moderne.

 

 

Zu den ersten Filmen, die ich mal auf Video aufgenommen habe, gehörten "Tanz der Vampire" und "Das Gespenst der Freiheit". Jeden, der zu mir kam, habe ich dann erstmal gezwungen, "Das Gespenst der Freiheit" anzusehen. Ich weiß gar nicht, warum dessen Erzählweise so ungewöhnlich sein soll - genau so verläuft das Leben. Eine Szenerie beginnt, bevor eine andere endet, nichts ist schockierender als Ansichtskarten, Mademoiselle Rosenblum beendet das soziale Ritual, und durch mein Zimmer tappt nachts auch mal ein Strauß, also was soll sein?

Hab immer das Gefühl, hinter der perversen Komik sagt Bunuel todernst: Koinzidenz und das essentielle Mysterium aller Dinge kannst du umarmen oder nicht.

 

 



 

13.03.2008

David M.:

"Die Elixiere des Teufels" von Hoffmann fand ich schon sehr gut!

 

Dann kennen Sie bestimmt auch "The Monk" von M.G. Lewis? Wenn nicht, auch unbedingt lesen! "Die Elixiere des Teufels" wurde ja mal verfilmt mit Dieter Laser, hab aber keine Erinnerung daran, zu lange her. Meine Lieblingsfilmmönche sind natürlich die rauchenden, trinkenden und kartenspielenden aus Buñuels "Das Gespenst der Freiheit", die dann bei den flagellantischen Exerzitien von Mademoiselle Rosenblum und ihrem Begleiter hochmoralisch entrüstet aus allen Wolken fallen: "Er will Schläge? Die kann er haben!"

 

 

06.07.2009

The Devil made it all, Schnaps, Dialektik, me do it, und ich weiß auch, wo er herkam. Liebste Buñuel-Szenen ("Wollen nicht wenigstens die Mönche bleiben?") machen wir dann morgen.

 

 




 

15.02.2010

"Viridiana" ist zusammen mit "Belle de Jour", "Tristana", "Archibaldo de la Cruz" und "Gespenst der Freiheit" mein liebster Buñuel (großartig alle, darum "liebster".) Eine Schweizer Zeitung schrieb 1962 nach "Viridiana", Buñuel gehöre in eine Zwangsjacke gesteckt. Feuer und Schwefel kommen immer so anstrengungslos aus Buñuels Unbewußtem, aber es gab auch handfeste Inspirationen: lustigerweise wurde Buñuel z.B. dafür der Blassfemje geziehen, daß er in "Viridiana" ein Messer in Form eines Kruzifix zeigte. Buñuel meinte, die Dinger gebe es überall in Albacete, und überhaupt hätte seine Schwester mal eine Nonne gesehen, die mit so einem Kruzifixmesser ihre Äpfel schälte. Surrealisten und Nonnen, immer ein inniges Verhältnis, da konnte man kaum mal Zigarettenpause machen.

 

 


 

 

"Un chien andalou" mit einem neuen Score von "The Flushing Remonstrance", live eingespielt am 26. März 2017 im LetLove Inn, Astoria, Queens, NYC.

 

 

  

 

Die faszinierende Person, die wir auf der Straße sehen (5:30 – 7:53) und die stets als "Hermaphrodit" bezeichnet wird, ist Fano Messan (1902 – 1998). Fano Messan (auch Maesens) war eine Künstlerin, die sich der Bildhauerei widmete, von Man Ray fotografiert

 

 


 


und von Kees van Dongen gemalt.

 

 


 

 

Aus "The Questionnaire", The Guardian Weekend, 21 November 1992, Frage an Siouxsie Sioux:

With which historical figure do you most identify ?

Siouxsie: Luis Bunuel, for his humour and conviction. I like the story of him taking rocks to the preview of Un Chien Andalou, to pelt the critics when they showed disapproval. To his surprise they applauded.












Sonntag, 4. Oktober 2020

Lisa Eckhart - 2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiss

 
 
 
 
 

 
 
 
 

In die Kommentarsektionen des SPIEGEL geschrieben zu Artikeln von Samira El Ouassil, Arno Frank und Margarete Stokowski

 

05 / 2020

 

Ja, sicher, sie ist Antisemitin. Sie glaubt auch wirklich selbst, daß die Erektion des schwarzen Glieds alle 7 Liter Blut braucht, über die ein Mensch verfügt.

Meine Güte: sie greift all das auf, was jeder intelligente Mensch als Un- bis Schwachsinn erkennen muß, und überspitzt es ins komplett Absurde.

Aber es war völlig klar, daß eine so schöne und provozierend schlanke Frau, die diese Provokation mit ihrer Kleidung auch noch betont, und schamlos ihren Esprit verspritzt, irgendwann nicht mehr ungestraft davonkommt. 

 

08 / 2020 

 

Was Lisa Eckhart auch offenbart, ist der Reflex, Aufbegehren gegen Political Correctness rechts zu verorten. So wird dann der diabolisch schöne Gestus, mit dem Lisa Eckhart die PC bitterbös torpediert, auch auf wundersame Weise "rechts" angesiedelt. Es wird höchste Zeit, den Rechten das lärmende Monopol auf die Revolte gegen das Politisch und Sonstwie Korrekte aus der Hand zu nehmen, und Lisa Eckharts Langgliedrigkeit taugt dazu so gut wie ihr bezauberndes Mundwerk.  

 

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Ich halte Lisa Eckhart für eine totale Individualistin, die eine unüberwindliche Abneigung hat dagegen, irgendeinem Lager anzugehören. Denn das hieße, sich gemein(sam) machen. Sie hat auch offensichtlich keine Sympathie für das Ordinäre, weshalb, tut mir leid, auch der durchschnittliche Wutbürger, eher rechts, keine Chance hat, Lisa Eckhart zu vereinnahmen.

Daß das Harbour Front Literaturfestival sie allen Ernstes auslädt, ist peinlich, und eine Aktion, die nach hinten losgeht, weil sie Wasser auf die Mühlen der Rechten ist, die behaupten, linkslastige Attitüde herrsche überall in diesem Land. Dabei ist es schon alles andere als "links", Lisa Eckhart, die alles andere als "rechts" ist, auszuladen.

 

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Wenn jede Form von Exzentrizität als Schaustück für die freudlose Angepaßtheit der Gegenwart dient, hat die Kunst keine große Zukunft mehr. Vgl. Lisa Eckhart.  

 

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"Eckhart steht unter anderem in der Kritik, weil ihr Kabarettprogramm antisemitische, homo- und transfeindliche, rassistische Witze enthält." (M. Stokowski)

Lisa Eckhart bei Pufpaff, März 2018: "Sexuelle Belästigung ist gerade das meistgeächtetste Delikt unserer Gesellschaft, und der einzige Gewinner dieser Entwicklung ist der Antisemitismus. Sie können derzeit vergnügt das Horst Wessel-Lied pfeifen, solange Sie es nicht einer Frau hinterherpfeifen."

So redet kein Antisemit, und das könnte prinzipiell auch jeder sofort einsehen. Daß Lisa Eckhart als Antisemitin verkauft werden soll, kann ich mir nur mit vorsätzlich selektiver oder bedauerlich beschränkter Wahrnehmung erklären.
 
Liebe Frau Stokowski, halten Sie die Passage in Lisa Eckharts Programm, in der davon die Rede ist, daß die Erektion des schwarzen Gliedes alle 7 Liter Blut braucht, über die ein Mensch verfügt, allen Ernstes für Rassismus? Oder wie absurd muß es noch werden, um klarzumachen, daß die Angeklagte ohnehin schon besorgniserregende Klischees aufgreift, um sie in kompletten Wahnwitz zu drehen?
 
Und sie entlarvt den sich in seiner moralischen Unfehlbarkeit so sicher wiegenden Teil der Zu- oder Weghörerschaft gleich mit.
 
Und daß sie nicht "rechts" ist, ergibt sich aus dem obigen Zitat eigentlich auch ohne allzugroße kognitive Anstrengung.

 

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Lisa Eckhart ist nicht deshalb "rechts", weil jemand wie Margarete Stokowski, die Frau Eckhart "zu Recht" kritisiert sieht, sich als "links" empfindet. Tatsächlich scheint Lisa Eckhart eine Art "New Model", zu intelligent, um sich mit einer "Seite" einzulassen, wie Bob Dylan, "Auf welcher Seite stehst du", Dylan: "Ich meine, auf welcher Seite kann man denn stehen?" Oder auch: "Nehmen Sie an den neuen Sachen teil? Sexuelle Freiheit und auch..." – Dylan: "Ich nehme an keiner Sache teil! (Lacht) Überhaupt nicht! Ich wette, Sie können nicht eine Sache nennen, an der ich teilhabe! Hauen Sie ab, ich warne Sie! (Lacht)"

Dementsprechend ist es auch nicht "rechts", den Umgang mit Lisa Eckhart so engstirnig wie dreist zu finden.

Ich empfinde es als peinlich, daß die Revolte gegen die PC immer noch ein Privileg der Rechten ist. Eskalierende PC wird der Tod aller Kreativität, aller Schönheit, allen Fortschritts im Denken sein, und eine solche "Errungenschaft" ist nicht "links". Also ist der Protest gegen die Auswüchse der PC auch nicht "rechts".

 

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Schau an, gerade schrieb ich, (eskalierende) PC wird der Tod aller Kreativität, aller Schönheit, allen Fortschritts im Denken sein, da schreibt Nick Cave in seinen Red Hand Files quasi dasselbe, nämlich: Political Correctness hat sich zur traurigsten und schrecklichsten Religion der Welt entwickelt. Ihr einst ehrenhafter Versuch, die Gesellschaft auf gerechtere Weise neu zu definieren, verkörpert jetzt nur noch die schlimmsten Aspekte, die eine Religion zu bieten hat (und nichts von ihrer Schönheit). Die Weigerung der Kultur, sich auch auf unangenehme Ideen einzulassen, so Cave, wirkt erstickend auf die kreative Seele einer Gesellschaft.

Da Lisa Eckharts Vortrag sich primär gegen die moralische Borniertheit und Selbstgerechtigkeit der PC richtet, fühlt sich jemand wie Frau Stokowski natürlich von dieser Person gestört und bemüßigt, in einem Nebensatz kurz zu behaupten, Eckhart werde zurecht kritisiert (für ihren Antisemitismus, ihren Rassismus etc), was kinderleicht zu widerlegen ist. Bestattungsunternehmen Stokowski (siehe 1. Satz oben) mal wieder auf dem falschen Dampfer. Sonneborn in der BZ gerade: dieses bewußte Mißverstehen, um bestimmte Inhalte zu skandalisieren und sich selbst auf der vermeintlich richtigen Seite moralisch positionieren zu können, ist in dieser Form und in dieser Frequenz schon neu.

 

 

 

 



 

 

 

" ... falls die Monarchie doch noch zurückkommt, sollte es eine Königin geben, und sie sollte Lisa Eckhart heißen."

-> Lockdown Postcard # 2, April 2020 

 

 

 

Und hier noch der formidable Kommentar von ray05, ebenfalls aus der Kommentarsektion zum Artikel "Punchline in die Magengrube" von Samira El Ouassil. Leicht zu finden dort: Ansichtsoption "Am besten bewertet" wählen.

 

ray05: 

Es scheint mir wichtig, daran zu erinnern, dass diese "Lisa Eckhart" eine Kunstfigur ist, eine Bühnenpersona. Alles, was diese Figur auf der Bühne sagt (und vor allem WIE sie es sagt), ist nicht identisch mit der Haltung oder den Ansichten der Autorin, die diese Figur erfunden hat; ganz so, wie im Roman der Erzähler nicht identisch ist mit dem Autor. Ich halte es für wohlfeil und intellektuell unredlich, eine Spoken-Word-Bühnenperformance in planen Text zu transskribieren, dann nach Herzenslust die ungehörigen "Stellen" zu zitieren, um die Autorin/Künstlerin in Bausch & Bogen denunzieren zu können. Natürlich ist das, was "Lisa Eckhart" da sagt, antisemitisch bis zum Stehkragen, aber wie sagt diese Figur das denn? Sie sagt es im blasiert-affektierten Duktus des typisch Wienerischen Schmähsingsangs, und dabei steckt sie in einem Salonkostüm im Stile der 30er Jahre; all das gehört zur Performance dazu, das ist kein Zufall, das gehört zur Fundamentalkritik. Mir ist völlig schleierhaft, wie man einen Auftritt so völlig falsch bewerten kann. Alles liegt klar auf der Hand. Schon das Eingangsstatement, die völlig absurde Vermutung der Sprecherin, MeToo sei antisemitisch, weil Weinstein, Allen undsoweiter, kann doch gar keinen weiteren Zweifel darüber aufkommen lassen, dass wir es hier mit einem satirischen Durchgriff zu tun haben. Bei all dem ist es zugegebenermaßen fast unmöglich, dass man nicht auch Beifall von der falschen Seite bekommen kann, das wusste schon Bertolt Brecht. Stellt sich nur die Frage, ob umgekehrt die Denunziation von den eigenen Leuten nicht vielleicht noch schlimmer ist.