AndersSehend:
[Schwarzweiß]: Es ist einfach eine ganz andere Sicht auf die Dinge, Formen, Konturen, Licht, Schatten, Texturen, Kontrast und Komposition (...) In welcher Hinsicht der schwarzweißen "Cinematography" empfindest du "Die Stunde, wenn Dracula kommt" als hervorragend?
In Hinsicht auf Formen, Konturen, Licht, Schatten, Texturen, Kontrast und Komposition. :)
Mario Bava hat Malerei studiert, dann in 20 Jahren als Kameramann schon mit innovativen Lichtexperimenten und ausgetüftelten Spezialeffekten auf sich aufmerksam gemacht. An "La Maschera del Demonio" machte er sich mit dem Credo: "Beleuchtung macht 70% des Effekts im Horrorfilm" - die gezielt künstlerische Ausleuchtung als conditio # 1 fürs Schaffen von Atmosphäre. Muß Dir ja dann nicht sagen, was "Nordlicht" für Marlene Dietrich bedeutete oder was für ein Magier des Lichts George Hurrell war. :) Ähnlich wie Hurrell hat Bava in seiner opulenten Gesamtkomposition für "La Maschera del Demonio" Licht zentimentergenau eingesetzt.
Das Resultat ist ungeheuer stilvolle Beklemmung, phantastische atmosphäre Dichte, ein visueller Neoromantizismus, der in einer grandiosen Schreckensvision "alle Farben des Dunkels" ("All the Colors of the Dark" ist der Titel einer Bava-Biographie) offenbart, Furcht als sublimierte Sexualität versteht und das Gesicht der Barbara Steele als Fetisch etabliert. Von der wiederum hat ein Kritiker mal gesagt, sie sei die einzige Schauspielerin, deren Augenlider fauchen können. Der Regisseur Riccardo Freda dagegen: "Her eyes are metaphysical, unreal, impossible, like the eyes of a Chirico painting. There are times, in certain conditions of light and color, when her face assumes a cast that doesn’t appear to be quite human, which would be impossible for any other actress."
Zu dem, was Du oben über s/w-Photographie sagst: ich denke, daß Schwarzweiß, zumal in einem gothic horror-Film wie diesem, das Unbewußte auf tiefere, mindestens andere Weise anspricht als Farbe. Es entsteht eine Intimität jenseits des "Buchstäblichen" der Farbe. Was Bava in diesem Film macht, ist allerdings von einer Tiefe, die ihresgleichen sucht. Tiefe auch buchstäblich: es gibt eine Kutschfahrt durch einen nächtlichen Wald, die auf einer winzigen Studiobühne gedreht wurde, der Effekt der räumlichen Tiefe wird nur durch Kameratricks erzielt. Die surreale, dunkle Welt dieses Films scheint auch räumlich nirgendwo zu enden, so daß alles an diesem Film, vom mise-en-scène bis zu den Augen Barbara Steeles, dich geradezu einsaugt.
Die Eröffnungsszene, die ersten 5 Minuten des Films, in der besagte "Maschera del Demonio" der bereits gebrandmarkten, auf dem Scheiterhaufen stehenden, von einer Meute großen Kerlen um sie herum als "Hexe", aber wohl auch wegen Inzest verurteilten Asa aufs Gesicht geschlagen wird, wir sind im 17. Jhdt., ist von einer unvergeßlichen Intensität. Es gibt einen subjective shot, durch den wir aus ihren Augen ins Innere der mit Nägeln gespickten Maske sehen. Auch der Schlag des Henkers hat diese Perspektive; ein Thema des Films ist der Akt des Sehens selbst, die Macht des Blicks und die Verwundbarkeit der Augen.
Asa schwört vom Scheiterhaufen, ihr unsterbliches Dasein fortzusetzen. Ihren Geliebten Javutich ereilt das gleiche Schicksal. Vertreter der Wissenschaft, namentlich der Arzt Kruvajan, werden sie unfreiwillig zwei Jahrhunderte später wieder zu Leben erwecken. Barbara Steele spielt sowohl Asa als auch ihre Nachfahrin Katia. 2 Rollen: Opfer und dominante, raubtierhafte Frau.
Bava ist wie eine Kreuzung aus klassischem Universal-Horror und einem monochromen Leonardo da Vinci. Während Barbara Steele sagt, alles am Set sei monochrom gewesen, sagt Tim Lucas, Bava habe mit Lichtern gearbeitet wie bei einem Farbfilm, um verschiedene Werte ins Schwarzweiß zu bringen. Ansonsten arbeitet er virtuos mit Tricks, die Ed Wood nie gelungen sind. Die alle aufzuzählen jetzt, wäre eine Lust, würde aber den Rahmen sprengen. Nur ein Beispiel, für besagte Kutschfahrt durch dunklen Wald trugen Helfer Zweige um die Kamera herum, um die Illusion einer schnellen Fahrt zu erzeugen, Resultat, ein einzigartiger Blick aus dem Kutschfenster, addiert mit ein, zwei faszinierenden Shots durch Baumwurzeln und Zweiggewirr hindurch, die nur als schwarze Schatten den Frame überziehen. Überhaupt steht die Kamera, wenn sie steht, selten da, wo man sie erwarten würde; vornehmlich aber scheint sie ohnehin ein Eigenleben zu haben, als müßte man sie in den Credits aufführen. Sie schleicht herum, sie sucht, sie spürt der evil presence nach, scheint manchmal Teil dieser unheilvollen Präsenz, sie erarbeitet das Böse geradezu. Mehrfach fährt sie langsam in die Flächen von reinem Schwarz hinein, die Teil eines ohnehin schon gruseligen Anblicks sind, wie um den Blick in den Abgrund zu führen und die Unausweichlichkeit des Geschehens zu betonen.
Mit einer Vielzahl anderer Effekte visualisiert Bava, wie sich das Böse einnistet im Schloß Vajda, aber allein der spektakuläre 360-Grad-Shot, mit dem die Kamera einmal die ganze Gruft absucht, in der Asa auf ihre Wiederauferstehung wartet, macht klar, wie oberflächlich der Terror in den meisten nurmehr brutal und blutig daherkommenden Horrorfilmen der Gegenwart ist. Also kurz, Bava wußte, wie man Licht benutzt, um zu zeigen, wie das Dunkle, Abgründige, Böse näherkommt. Aus seiner Erfahrung als Maler heraus ist er hier dazu übergegangen, es nachgerade zu choreographieren. Er kann mit Schichten von Licht arbeiten, das in einer Szene die Akzente verschiebt. In einer anderen Szene läßt er Javutich plötzlich erscheinen, indem er einen Dimmer über ihm aufdreht, aber der Schauspieler steht gar nicht selbst im Frame, wir sehen nur eine Reflektion in einem Spiegel, ohne den Spiegel natürlich – der Effekt ist unbeschreiblich, aber überaus schaurig.
Das Ganze ist eine extrem stilisierte Arbeit, eine atemberaubende Komposition nach der anderen in einer Art gothic Rokoko, manchmal auch an Cocteau-Filme erinnernd, nur daß nie zuvor Horror und Sex-Appeal derart verwoben waren: wenn Barbara Steele als Asa wieder zu Leben erwacht, ist sie zugleich derart erotisch und furchterregend, wie ich es später eigentlich nie mehr in so konzentrierter Form gesehen habe. Tim Burton wollte immer ein Remake von "La Maschera del Demonio" machen; besser, daß er "Sleepy Hollow" gemacht hat. :)
18.01.2010
AndersSehend:
Manchmal frage ich mich, wie das zentimetergenau eingesetzte Licht in der Filmpraxis umgesetzt wird, ist es doch bereits bei der "Stilllife-Fotografie" so, dass die Lichtsetzung und das Mitspielen aller Beteiligten eine Kunst für sich ist, absolut unglaublich.
Zu "La Maschera del Demonio" fallen mir z.B. diese beiden Szenen ein: Du mußt Dir vorstellen, daß Barbara Steele als Asa, die durch das Blut Professor Kruvajans wieder zu Leben erweckt wird, noch in ihrem Sarg liegt. Die Rückkehr der Augäpfel in die leeren Augenhöhlen hat Bava tatsächlich so gefilmt, daß er zwei poached eggs von unten in die "Augenhöhlen" einer Wachsmaske heben ließ. Das klingt auf dem Papier lächerlich, aber die Akzentsetzung durch das Licht wirkt Wunder und macht die Szene zu einem Stück denkwürdiger Filmkunst. Noch gezielter arbeitet Bava in dem Moment, als Asas Augen "zurück" sind, jedoch der Effekt erzielt werden soll, daß sie "noch nichts sieht". Mit einem wirklich punktgenauen Lichtstrahl akzentuiert Bava dabei das Weiße von Barbara Steeles Augen, und er hatte sie darauf "trainiert", am Lichtstrahl vorbeizusehen. Der Effekt ist wirklich grandios.
14.01.2007
Ein Gesicht wie kein anderes. Mysteriöse, bizarre, leicht perverse Schönheit, ein Gesicht, in dem sich all die Phantasien fokussieren, um die das Horrorgenre kreist, dieses große ANDERE. Roger Corman wurde poetisch über ihre "Tiefe", meinte, wenn man in ihre Augen sähe, wäre da "layer upon layer", Riccardo Freda meinte, unter gewissen Lichtverhältnissen würde ihr Gesicht geradezu nicht mehr ganz menschlich erscheinen. Und jemand anderes, ich weiß nicht mehr wer, formulierte über ihre Doppelrolle in "La Maschera del Demonio" mal sehr schön: "Steele damn near seduced herself".
04.11.2008
Mein frühes Geschäftsmodell, immer schon hinterm Sofa zu sitzen, wenn die erschreckten Mädchen sich verstecken wollten, funktionierte nicht, und so wurde ich dann nolens volens in den Bann des Vampirfilms gezogen. Ich betrachte Barbara Steele als eine meine Erzieherinnen.
Wie Barbara Steele die expressive Gestik ihrer Hände bei 0:12 praktisch ausrollt.
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