"OVER
ist teilweise real, teilweise Projektion, und durch und durch
doppelbödig", erklärte Hammill noch im Interview mit Michael Ruff.
Vielleicht eine Schutzbehauptung, um den Exhibitionismus-Vorwurf zu entkräften.
Später kommentiert Hammill die unbehagliche Direktheit, mit der
"Over" die Seele am Ende einer langjährigen Liebesbeziehung obduziert,
so: "It was my catharsis."
Auf Julian Cope presents Head Heritage schreibt "Fitter Stoke":
"Ever lost that special someone in your life
because you took him or her for granted, then basked so much in your own
personal disaster that your friends avoid you like a radioactive scarecrow?
Peter Hammill has. He wrote an entire album about it.
'Over' is the most confessional album I have in my
collection. Its subject falls prey to all the worst excesses of emotion and
self doubt that can beset the male psyche. He questions and ponders the darkest
corners of his past and present life and the old age yet to come. He ruminates
as his closest companions stab him in the back or are driven away by his
selfishness. His partner has grown terminally sick of his bigotry and indifference,
and after leaving him, commits the ultimate act of retaliation: she marries his
best friend. And Hammill tells it all in graphic detail over eight remarkable
songs.
(...)
'This Side Of The Looking Glass' is the saddest song I
have ever heard. Beginning acapella almost in the manner of plainchant, the
most engaging and enchanting orchestral arrangement ever to grace a 'popular'
record gradually metamorphosises behind Hammill's (...) lamentation. This is
nothing less than the world of late Brahms, a minor-keyed symphonic adagio
backing (and occasionally overtaking) the almost palpable sense of tragedy in
the singer's voice. Try in vain to hold back a tear when he cries '... like a
stray dog in the night / I'll shuffle off alone'. A masterpiece of mood and
harmonic impressionism.
(...)
Peter
Hammill sorts the men from the boys. (...) 'Over' stands out, and I'd recommend
it to anyone with a soul and an emotional history."
"Over"
ist ein erschütterndes Dokument all der Stadien, zu denen das Trauma der
Trennung verurteilt, Trauer, Bedauern, Hoffnungslosigkeit, Beschämtsein,
Verbitterung, Wut, Selbstmitleid, Selbsterkenntnis, Selbsttäuschung,
Selbstgeißelung, Qual, Schmerz, Elend, Rage, Resignation, Melancholie, Verlorensein,
Hoffnung auf Gefundenwerden, die letzten Zeilen des letzten Songs ("Lost
And Found")
Put on your red dress, baby
'Cause we're going out tonight
Put on your high-heeled sneakers
Everything's gonna be alright?
mit einem großen
Fragezeichen versehen. Ein vergleichbares Album ist womöglich nur Bob Dylans
"Blood On The Tracks", allein, "Over" fühlt sich weit
beklemmender an, trostloser, nackter; raw
pain der entblößten Seele. Die Musik
selbst bedrückt und in sich gekehrt, oder aber gequält und zerrissen. Ein
Unterton der Ungläubigkeit, die Unfähigkeit oder Weigerung, zu akzeptieren, daß
der Verlust endgültig ist und das Scheitern unwiderruflich. Es ist ein ganz bestimmter,
unheimlicher Klang, der diesen Unterton zerfetzt; die klanggewordene Verdammnis
zu einsamer Verzweiflung, shattering.
Auf
progarchives.com schreibt ein Reviewer:
"'(On Tuesdays She Used To Do) Yoga' features the single most evil
sound I can think of (and I have no idea what it is but you'll know it when you
hear it.)"
Bei vielen der angeblichen Äußerungen Beethovens, die durch seinen Sekretär Schindler überliefert sind, darf die Authentizität bezweifelt werden, aber wenn für das berühmte Eingangsmotiv der 5. Sinfonie Beethovens Satz gilt: "So pocht das Schicksal an die Pforte", dann gilt für diesen wiederkehrenden Sound eines malträtierten Bassakkords auf dem vorletzten Song von "Over": so tritt das Schicksal die Tür ein.
Bei vielen der angeblichen Äußerungen Beethovens, die durch seinen Sekretär Schindler überliefert sind, darf die Authentizität bezweifelt werden, aber wenn für das berühmte Eingangsmotiv der 5. Sinfonie Beethovens Satz gilt: "So pocht das Schicksal an die Pforte", dann gilt für diesen wiederkehrenden Sound eines malträtierten Bassakkords auf dem vorletzten Song von "Over": so tritt das Schicksal die Tür ein.
Live sah
ich Peter Hammill sechsmal. Einmal, mit der K Group (Nic Potter, Guy Evans und John
Ellis), gerieten noch Punks außer Rand und Band. Einmal bekam er von einer
jungen Frau einen Strauß Blumen überreicht und sagte am Ende: "Danke für
eine wahnsinnige Abend." Einmal sah ich einen Mann im Publikum lächelnd
weinen bei "Sleep Now", und einmal sang Hammill "Again" als
letzte Zugabe, allein am Bühnenrand, die Saalbeleuchtung schon wieder
angeschaltet, ohne Mikrofon, ohne Begleitung, nur mit Zigarette und ganz in
Weiß.
Snippet kept: "Sie waren alle
gekommen; die Uralt-Freaks aus seligen Van der Graaf Generator-Tagen, die
Menschen, die nur einmal im Jahr in ein Konzert gehen (zu Hammill natürlich)
und das Jungvolk, das bei Hammill einen Hauch der Joy Division / New
Order-Düsternis sucht und auch findet. Rund 90 Minuten feierten die 800
erschienenen Insider ihren Peter. Und der dankte es ihnen mit einem Set, der
nur die Perlen aus seinem Oeuvre enthielt, das mittlerweile auf 21 LPs (elf
davon Solo-Alben) und gut und gerne 150 Songs angewachsen ist. Begleitet von
dem hervorragenden Ex-Vibrator John Ellis an der Gitarre und den alten Van der
Graaf-Mitstreitern Guy Evans (Schlagzeug) und Nic Potter (Bass) lotete Hammill
(...) die Tiefen der menschlichen Psyche aus und schuf damit etwas, das man heute
leider bei 99 Prozent aller Konzerte vermißt. Nennen wir's ruhig Magie - das
Dankeschön ist obligatorisch."
"The
Future Now", "ph7", "A Black Box": Hammills Werk
zwischen 1978 und 1980 wird in zunehmender Folge körniges Schwarzweiß, der
Sound oft kalt, karg, rigide, dunkel, oft dissonant, oft experimentell, eno-esque, wenn Eno Dr. Phibes wäre und
Dr. Phibes ein New Wave-Dekonstruktivist; oft slightly demented, manisch, verquer, verstörend, bizarre Texturen,
die an den Nerven zerren, Songs als Antisongs, komplex oder weird oder creepy. Eben doch säurehaltiger Gesang, aggressiv, tense, dann troubled, dann fogwalking.
All das faszinierend inkohärent, zusammengehalten nur von the human voice auf der Suche nach Perspektiven. Kompromißlose
Vorhut, der niemand folgt. "Mr. X (Gets Tense)" von "ph7", einer der
Songs, auf denen Hammill sich auch am Schlagzeug erprobt, sein hier eher
fragmentiertes Können paßt bestens ins apokalyptische Klangbild.
A Black Box: "Fogwalking" - through what used to be
Whitechapel:
"Jargon King" - Radiohead-Fans, aufgemerkt.
Das
Album "Sitting Targets" (1981) empfinde ich als zugleich geradlinig
und mystisch. So zugänglicher wie konzentrierter Hammill, aber bei genauerem
Hinhören an allen Ecken und Enden unheimlich. "Down the river Ophelia
goes", mit präraffaelitischem Synthesizerklang, alles geht seltsame Wege
in dieser Ballade. "O, what a noble mind is
here o'erthrown"?
"Ich mag es nicht,
wenn Dinge zu klar dargestellt werden sollen, denn sie sind es nicht, und eine
solche Darstellung ist in jeder Hinsicht und auf jedem Gebiet ein Trick,
besonders im persönlichen Leben." (Hammill im Ruff-Interview).
Im
Interview mit Ruff sagt Hammill auch: "Ich meine, man ist seinem Publikum
eher Überraschungen schuldig als Perfektion." STRANGER STILL in another
town: klingt das "Entropy / A worldly man, a stranger"-Coda in
der Studio-Version auch eher nach mystischem
Chant, so, als würden abgeschlagene Orpheus-Köpfe immer weitersingen, während
Apollo ihnen gebietet zu schweigen, macht Hammill live aus "A worldly man,
a stranger" in der Regel ein a cappella-Ende von exzessivem Irrwitz.
1982
erscheint ENTER K. "ENTER K ist übrigens kein Kürzel für ENTER KAFKA. K
ist einer dieser ständigen, band-internen Spitznamen (...)" (Michael Ruff). Zwei
Jahre zuvor hatte Jean-Jacques Burnel sein ENTER FM-Erlebnis: am 3. und 4.
April 1980 tritt Hammill bei zwei Konzerten der Stranglers im Londoner Rainbow
auf. Bei den rehearsals starrt
Burnel, auch nicht als Zimperliese bekannt, Hammill schließlich entgeistert an
und erklärt: "You're a fucking maniac."
"Graham Smith gave me the name; he said he could
spot a "k" mission in the offing from the look in my eyes." Ah.
Die Macht des Unbewußten:
10.12.2009, SPIEGEL ONLINE Forum, moi:
Auch
nurmehr in geheimbündlerischen Zirkeln Kultstatus genießend: Peter Hammill, der
unberechenbare Philosoph, der Nietzsche des Prog, der Shakespeare der
Songwriter, die menschliche Influenzmaschine zur Erzeugung von Hochspannung.
"Accidents":
"Hammill bedient das Synthi-Höllenorchester", schrieb der ME.
"Patience",
von 1983, das zweite Album der K Group, eines meiner liebsten von Hammill
überhaupt. Die Band tight as hell auf
Songs wie "Jeunesse D'orée", "Now More Than Ever" und
"Film Noir" - über eine Schauspielerin, die in ihrem caravan auf ihre Szene mit dem leading man wartet, um die Grenze
zwischen Rolle und Leben zu verwischen ("she's lost herself on some dark
trip") - mit einem Revolver. "Just Good Friends", später von Marc
Almond gecovert. "Traintime": Shouting down the passage of time.
<
Sollte
es so kommen, daß der Höllenfürst bei meiner Ankunft schlechte Laune hat,
"Mann, was glaubst du, was das hier ist, der Soundtrack zu einem Leben,
das gar nicht geführt wird?", und er mir daher nur einen Hammill-Song pro Äon erlaubt, käme ich in Versuchung, mich für "Labour Of Love" zu entscheiden.
Der Beginn zurückhaltend,
aber eindringlich, zum metronomischen Schlagzeug von Guy Evans, am Ende
scheinbar vergeblicher Anstrengungen die Sehnsucht, das Werk der Liebe zu
teilen, denn Liebe ist ein Werk ("die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist", Rilke), nach
dem leisen "It's a gift of love" hört man plötzlich den
tumultuarischen Maschinenraum der Seele, aus dem solche Geschenke kommen. Die
mächtigen, erhabenen Akkorde des Fadeouts und der Engelschor "It's a
labour, it's a labour of love" darüber - an diesem Punkt ist meine Liebe zu
diesem Song überirdisch.
"Patient": Raging at the illness when the rage may be it's
cause. Klaustrophobie des Waiting for the doctor to
come-Parts, Musik und Gesang der anderen Teile wie: Klare Luft Segovias, nur
eine Welt entfernt.
A. Sahihi, 1986:
"David
Bowie nennt ihn 'eine der schönsten Stimmen, die sich je der Rockmusik
schenkten', Peter Gabriel lobt 'seine brillante musikalische Intelligenz, seine
poetische Potenz' (...) Vielleicht hat es ihm an Exhibitionismus gefehlt, am
Willen, sich anzupassen, oder an dem, was man heuer 'Marktpenetranz' nennt. (...)
Er selbst sieht sich als Produkt literarischer Einflüsse und jesuitischer
Erziehung, geprägt von fortwährendem Sich-Fragen und Sich-in-Frage-Stellen und romanhaftem
Erleben des eigenen Lebens. (...) Der Geist jeder Musik, die für sich und in sich
existiere, erklärt Peter Hammill, bestehe aus der Purheit des Stoffes und der
Arbeit an der Umsetzung, letztlich also aus der Ehrlichkeit des Musikers."
"And Close As This" war Aljoscha's
choice.
"And Close As This,
which many diehard PH fans are known to have a strong degree of affection for.
Although there are some moments on ACAT which could hypothetically have reached
a more widespread level of commercial appeal, most of the album is ...
something rather more special. Hammill's vocals, alternately scathingly intense
and perfectly compassionate, reach a plateau on this release which the singer
has seldom managed to attain on his other works (and that's saying quite a bit,
note). The run of emotions here is quite intense, and manages to invoke both
the personal and universal at the same time." (Christopher Currie, 1998).
"One of the many charming things about PH's career is his use of
sonic concepts (...) as a means of structuring and limiting an album (...) This
album utilizes two rules at opposite ends of the spectrum - the idea of
capturing a performance in a single take, and the idea of using MIDI keyboard
data to shape an arrangement after the fact. The result is a curious one,
unified by strong songwriting and some choices in MIDI editing that survive
some of the keyboard timbres used. But whether on acoustic piano or
several layers of synthesized sounds, the one-take approach (separate for
keyboards and vocals but otherwise about as direct as it gets) provides an
incredibly direct listening experience, one that in my mind stands out as
memorable and unique in PH's sizable catalogue." (listeningtopeterhammill.tumblr.com).
Intim,
spartanisch, Solo-Kammermusik, das Dornröschen in Hammills Oeuvre, a sleeping beauty. "Empire
Of Delight": "A spectral love story" (progarchives.com) in einem
sanftsurrealistischen Setting, unirdisch-sinnlich... if you get my drift.
Omannomannomann. Danke. Instruktiv. Ich glaub, ich setz mich heut nacht hin und schreib was über Albert Ayler. :)
AntwortenLöschenAyler? Yes, go! :) "Dann fällt mir Albert Ayler ein", sagte Iggy Pop mal auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik. Vor allem "New Grass". "Kaum jemand begriff es, aber ich hab's begriffen."
LöschenWundert mich nicht. beide wuchsen ja an einem der Großen Seen auf, nicht in unmittelbarer Nachbarschaft, aber doch so in der Region mit Chicago oder Detroit als nächsten größeren Städten, wo was los war. Und altersmäßig waren die beiden auch nicht sooo weit auseinander. :)
LöschenHa, yeah, maybe. :) Aber Iggy hat eine Menge Jazz-Leute geliebt, neben Ayler vor allem John Coltrane. Auf die Schnelle gerade zwei Sachen gefunden: "Die Stooges sollten ja eigentlich Jazz spielen, und ich sollte wie Coltrane sein." Und als auf "Avenue B" Medeski, Martin & Wood auftauchten, erzählte er: "Ich habe mich ja schon immer sehr mit der Musik aus der Ära des Cool und Free Jazz beschäftigt. Bei meiner allerersten Show war Sun Ra die Vorband … Ich habe damals unheimlich viele Free Jazz-Platten gehört. Die Bass-Linie eines Songs auf meinem ersten Album habe ich beispielsweise von Pharoah Sanders geklaut. Unser Song ist aber ein bißchen weniger planetarisch." - Gerade Deinen ersten Ayler-Teil gelesen - ist doch ein erster Teil? - falls ich doch noch in einem Pariser Hotelzimmer verende, mit nichts als einem Plattenspieler und all diesen Coltrane-, Ayler- und Miles Davis-Platten um mich rum, then it's your fault basically. :)
LöschenBin schon beim Hören für Teil 3. :) - Obwohl's schwer ist, Iggy zu widersprechen, aber "New Grass" ist nicht der wahre Jakob in der Ayler-Bibel. Try "Love Cry" aus dieser Phase. Aber nee, werd bloß kein Jazzfan, so wie's ist, isses gut, man soll keine funktionierenden Systeme. :) - Aber Hammill passt. Wird ein schnuckeliches Wochenende. C-Ya sagt Monk..
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