23. Dezember 2010
Ein Mann betritt das Reich hinter dem Selbstverständlichen
Von Lena Wilde
Der Schlaf der Vernunft kann Ungeheuer erzeugen. Doch auch bei Wachheit
laufen der Vernunft allerhand Ungeheuer über den Weg, diese Erfahrung
macht Aljoscha.
Der Philosophiestudent beginnt zu ahnen, dass das
Leben nicht nur das scheinbar perfekt aufgeführte Theaterstück vor
seinen Augen ist. Er erkennt, dass hinter der Bühne noch ganz andere
Gestalten toben, ganz andere Mächte wirken, die seine Sinne allenfalls
schemenhaft abbilden können.
Voller Furcht und Faszination
betritt er die verborgenen Gebäude seines Hauptes und er bekommt einen
Eindruck von den Welten, die sich neben uns drehen, während wir unter
dem Eindruck völliger Kontrolle unseren wichtigen Geschäften nachgehen.
Doch noch hat die Wissenschaft nicht alle Mythen gebändigt, noch spuken
sie unerkannt in unserer Welt umher und sorgen in aufgeräumten Gemütern
für Verwirrung.
So ist auch Aljoscha von der Deutung des Erahnten
noch weit entfernt. Was ihm bleibt, ist die Feststellung, dass die Welt
doch eigentlich recht weltfremd sei: Die Normalität zerfließt unter dem
Blick des Betrachters, das Selbstverständliche geht munter seinen
Launen nach und schert sich nicht um menschliches Gesetz.
Unermüdlich
und unerschrocken stellt sich Aljoscha jeder neuen Frage und jedem
neuen Eindruck, der seine gewohnte Welt zum Wanken bringt und ihr jede
Konstante raubt. Und ein ums andere Mal lässt er sich nicht entmutigen
dadurch, dass jede Antwort eine völlig neue Welt von Fragen eröffnet.
Und die Welt hinter den noch nicht gestellten Fragen und den noch
weniger gegebenen Antworten? - Ein fürwahr unheimliches Reich.
Ein
Reich, aus dem die Götter fröhlich winkend grüßen, in dem Tarotkarten
zu Konferenzen laden und der Teufel sich von seiner besten Seite zeigt.
Und ein Reich, in dem sich eine Frau in sein Leben schleicht, einer
Geschichte entspringend, die eigentlich gar nichts mit seinem Leben
zu tun hat.
Als wäre das noch nicht genug, scheint auch sein
Innenleben in einer gewissen Korrespondenz mit diesem Reich zu stehen -
und das völlig ohne sein Zutun. Ist er es wirklich selber, der die Hebel
in seinem Schädel bedient? Oder ist er nur ein treuer Diener?
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