"Es
ist das älteste Muster in unserem Erbe ... Ausschneiden, zentrieren,
reinigen."
(Serres 1987, 147)
Im
zweiten Band seiner Philosophie der symbolischen
Formen, der 1924 dem mythischen Denken gewidmet ist, beschreibt Ernst
Cassirer die Teilung zwischen dem Heiligen und dem Profanen als primäre
Akzentuierung der menschlichen Wahrnehmungswelt. Dieser Ur-Teilung werde im
mythischen Bewußtsein das Ganze der Welt unterworfen: alles Sein, alles Geschehen
wird auf diesen Gegensatz projiziert, er ist Grund- und Urakzent des mythischen
Bewußtseins.
"Mythos"
ist für Cassirer eine ursprüngliche Weise der Weltgestaltung, ein Prozeß der
Ablösung vom unmittelbar "Wirklichen", vom schlechthin Gegebenen.
Auch der Mythos beginnt damit, in das unterschiedslose "indifferente"
Sein bestimmte Differenzen einzuführen und verschiedene Bedeutungskreise
auszubilden. Da es etwas lediglich Signifikatives auf dem Standpunkt des
mythischen Bewußtseins jedoch nicht gibt, tritt der Mythos als Erzeugnis immer wieder
in die Form der Gegebenheit zurück. Wo Bedeutung entsteht, und sie entsteht
durch innere Erregung des Lebensgefühls, gestaltet sie auf der Ebene
des mythischen Bewußtseins Realität. Der Prozeß - Zumessen jeweils verschiedenartiger
Bedeutung - setzt sich jederzeit um in Verdinglichung: was mit Bedeutung
aufgeladen wird, ist aufgeladen.
Dem
mythischen Bewußtsein ist Cassirer zufolge jeder Eindruck absolut, jeder von
ihm ergriffene Inhalt wird unmittelbar erfahren im Jetzt und Hier. Es gibt nur
unmittelbar Daseiendes und unmittelbar Wirkendes. Indes durchdringt diese
Inhalte ein einigender Zug zur Transzendenz: ein sich offenbarendes Geheimnis, eine
sich verhüllende Enthüllung verdichtet sich dem mythischen Bewußtsein zur Macht
des Heiligen. Ursprünglich sei das mythische Gefühl für das Heilige nicht auf eine
bestimmte Seinssphäre beschränkt, vielmehr ist es die ganze Fülle, die
unmittelbare Konkretion und die unmittelbare Totalität des Daseins und
Geschehens, woran der Sinn für das Heilige sich ausprägt. Solange
"empirische" und "transzendente" Sphäre noch nicht
voneinander geschieden sind, kann jeder Daseinsinhalt den Charakter des
Heiligen annehmen.
Cassirer
vermerkt, man habe in der Mana-Vorstellung
die religiöse Urkategorie, den Kernbegriff des mythischen Denkens schlechthin auffinden
wollen und diesen mit der polaren Vorstellung des Tabu zur "Minimum-Definition der Religion" (Cassirer
1997, 97) erhoben: das Mana - eine
magische Zauberkraft, mannigfacher Umwandlungen und Mitteilungen fähig, stoffartiges
Sein, das von Ort zu Ort, von Subjekt zu Subjekt wandern kann - habe ein
Korrelat in nahezu jeder Kultur. Cassirer bemängelt indes, daß mit der Mana-Vorstellung ein Inhalt mythischen Denkens zu dessen Form erklärt wird, zudem ein von hoher Fluidität gekennzeichneter. Als fester
Kern der Mana-Vorstellung bleibe
lediglich "der Eindruck des Außerordentlichen, des Ungewöhnlichen, des
'Ungemeinen' überhaupt" (Cassirer 1997, 98); die Gewißheit, daß hier
andere Maße und andere Kräfte herrschen als im gewöhnlichen Verlauf der Dinge,
andere Möglichkeiten, aber auch andere Drohungen.
Über
das Heilige könne zunächst nur gesagt werden, daß es das "in irgendeiner
Weise 'Geweihte' und Herausgehobene" (Cassirer 1997, 100) ist. In
eigentümlicher Bedeutungsambivalenz könne das Heilige dann sowohl das absolut
Nahe wie das absolut Ferne sein, das unberührbar Reine wie das unberührbar
Unreine, vertraut-schützende wie schlechthin unzugängliche Sphäre,
Hyperbeachtung verlangend oder Totalverbot aufrichtend.
Ein
System der Erfahrung entsteht, wenn
die veränderlichen Wahrnehmungen sich in ein Koordinatensystem einzutragen
beginnen, dessen Grundkonstanten nach Cassirer Raum, Zeit und Zahl sind. Diese Bezugsgrößen führen, da
sie sich als universelle, kategoriale Ordnungsformen erweisen, aus dem
isoliert-unmittelbar Gegebenen zur Ganzheit einer Objektwelt. Es sind Medien
der Vergeistigung, gewonnen aus Anschaulichkeit. Auf den ersten Stufen mythischen
Bewußtseins erscheinen "Macht" und "Heiligkeit" selbst noch
"als eine Art Ding: als ein sinnlich-physisches Etwas" (Cassirer
1997, 103), das an einer gewissen Sache oder an einer gewissen Person haftet.
Erst später gehe die Bestimmung des Heiligen auf "Ideelles" über.
Solch Übertragung bedurfte der Objektivierung von Raum, Zeit und Zahl, erst
durch sie wird der Gegensatz des Heiligen und des Profanen von einem jeweils
partikularen zu einem universellen.
Der
Raum ist die erste kategoriale Ordnungsform. Cassirer bemerkt, daß der
mythische Raum auf formaler Ebene so arbeitet wie der konstruktiv-mathematische
Raum der reinen Erkenntnis: der Euklidische Raum ist ein homogener Raum, ausgezeichnet durch eine Stetigkeit und
Gleichförmigkeit, die dem gegebenen sinnlichen Wahrnehmungsraum nicht eignet.
Durch den Grundakzent heilig - profan setzt
der mythische Raum ein Schema, dessen Konstanz den Bedingungen des
geometrischen Denkraums gleichkommt. Zugleich ist der mythische Raum, wie der
Raum der sinnlichen Anschauung, akzentuierter Raum. Doch diese Akzentuierung
ist eine unmittelbare, distanzlose, gleichförmige: jeder Ort und jede Richtung
des mythischen Anschauungsraumes ist betont,
und die Betonung emaniert unausgesetzt aus der Ur-Teilung heilig - profan. In der
mythischen Weltsicht kommt es zu ständiger Verräumlichung von Qualität und zu
ständiger Qualitätsbezeichnung des Raumes. Jede "Stelle" ist mit
"Inhalt" aufgeladen; es gibt kein zufälliges Verhältnis zwischen dem,
was ein Ding "ist", und der Stelle, an der es sich befindet; die
"Stelle" ist vielmehr Teil seines Seins.
Der
mythische Raum ist Strukturraum. Alle
qualitativen Differenzen finden räumliche Entsprechung; alle Unterschiede, die
das mythische Denken setzt, werden in räumliche Unterschiede überführt und auf
diese Weise unmittelbar vergegenwärtigt. Orte und Richtungen treten im Raum
auseinander, weil sich an sie ein jeweils unterschiedlicher, auf einem
ursprünglichen Gefühlsgrund ruhender Bedeutungsakzent knüpft. Das Innere wird
äußerlich: Wertakzente zeitigen räumliche Sonderung. Und das Äußere bleibt
"innerlich", da es stets von bedeutsamen Inhalten erfüllt ist. Die so
entstandene Raumordnung zeichnet die Ordnung des Lebens ebenso nach wie vor:
das Raumbewußtsein mythischen Denkens regelt als ein durch Inhalte
strukturiertes Schema wiederum ein Ordnungsschema in das Leben hinein.
Das
Grundgefühl des Heiligen findet erste Objektivierung nach Cassirer also darin,
"daß aus dem Ganzen des Raumes ein bestimmtes Gebiet herausgelöst, von
anderen Gebieten unterschieden und gewissermaßen religiös umfriedet und umhegt
wird" (Cassirer 1997, 123). Die räumliche Teilung beginnt mit dem
"Abschneiden" des heiligen Raumes. Der Begriff des templum geht, wie Cassirer erinnert, auf
die griechische Wurzel tem,
"schneiden" zurück (im Sinne von abschneiden,
absondern). Der Tempel ist der abgeschnittene,
abgegrenzte, geweihte, heilige Bezirk. (Während templum den Akzent auf das Ausschneiden
eines bestimmten Bezirks legt, betonen Worte wie χóρτος oder χορóς,
die aus der mit ‘ó ρος verwandten ĝher-Wurzel hervorgehen, die Umfriedung
und Umgrenzung dieses Bezirks).
Aus der
räumlichen Teilung entfaltete sich in der römischen Antike das gesamte System
der Theologie; der Akt der Grenzziehung, "der Grundakt der 'Limitation',
durch den erst im rechtlich-religiösen Sinne ein festes Eigentum geschaffen
wird, knüpft überall an die sakrale Raumordnung an" (Cassirer 1997, 124).
Aus psychisch-räumlicher Orientierung erwächst wiederum gedankliche: die Limitationen
prägen das rechtliche, soziale und staatliche Leben. Jede räumliche Begrenzung
wird zugleich Markierung in der geistigen und sittlichen Kultur. Der Akt der
Grenzziehung war ein religiöser Akt. Cassirer erwähnt Terminus als den altrömischen Gott des Grenzsteins; bei den Terminalia brachten die Anlieger dem
Grenzstein Opfer dar und feierten die Grenzgemeinschaft. Grenzsteine waren und
sind ungemein emotionsbefrachtete Monumente.
Das
Phänomen des templum, des
abgegrenzten, heiligen Seinsbezirkes, erzeugt das Phänomen der Schwelle. Für den Eintritt in das
umgrenzte Seinsgebiet gelten bestimmte sakrale Vorschriften, sorgfältig zu
beachtende Übergangsriten. Als heilig gilt zunächst die Schwelle zum Tempel,
dann die Schwelle als solche: "Ein
eigenes mythisch-religiöses Raumgefühl knüpft sich an die Tatsache der
räumlichen 'Schwelle'. Geheimnisvolle Bräuche sind es, in denen sich (...) die
Verehrung der Schwelle und die Scheu vor ihrer Heiligkeit ausspricht"
(Cassirer 1997, 127).
Ehrfurcht, so Cassirer, umgibt die räumliche Grenze von Anfang an. Mit dem Zusammenhang von
heiligem Raum und heiliger Scheu aber ist nichts anderes formuliert als der
Zusammenhang von Grenze und Horror.
Wo aus
dem Chaos der Eindrücke ein Kosmos, ein Weltbild sich formt, ist also nach
Cassirer die Empfindung des Heiligen der primäre Impuls; durch die Zuschreibung der
Bedeutung des Heiligen entsteht ein erstes Arrangement der Wahrnehmungswelt, die "Welt"
strukturiert sich durch bedeutungsgeladene Räume.
Mircea
Eliade unterstreicht, daß die Separation des Heiligen vom Profanen nicht nur,
wie Durkheim erklärte, das Primärerlebnis des Religiösen ist, sondern das
Geschehen, durch das sich erst die Bildung einer "Weltordnung"
vollzieht. Theophanie, Hierophanie oder Zeichen bekunden die Heiligkeit eines
Ortes: "Etwas, das nicht von
dieser Welt ist, hat sich auf gebieterische Weise zu erkennen gegeben und damit
eine Richtung bestimmt oder ein Verhalten vorgeschrieben" (Eliade 1957,
17). Die Manifestation des Heiligen in der "natürlichen", "profanen"
Welt bewirkt das religiöse Urerlebnis: die
Erfahrung des heiligen Raumes, die Wahrnehmung, daß "der Raum nicht homogen ist" (Eliade 1957,
13). Der heilige, das heißt der kraftgeladene, bedeutungsvolle Raum, hebt sich
hervor aus formloser Weite; der "Einbruch des Sakralen" ist "Bruch
in der Homogenität des profanen Raumes", die "amorphe
Unbestimmtheit" (Eliade 1957, 38) des Raumes wandelt sich zu
differenzierter Struktur.
Der
Einbruch des Sakralen entspricht also dem, was in "Horror als Grenzerfahrung: Etymologie" als "ontologische Rauheit" beschrieben wurde: die
Erhebung im "Normalen" und "Natürlichen", die Erregung des
zuvor Unimorphen, die erstarren und schaudern läßt. Der durch die Grenze
zwischen heilig und profan entstandene Bruch erzeugt die "Aufrauhung"
des Raumes. Diese Aufrauhung "ist" das aufgerichtete Grenzzeichen, an
dem sich der Horrorschauer entlädt.
Insofern
erst durch diese "Rauheit" Orientierung sich einstellt, hat die
Entdeckung bzw. Projektion des heiligen Raumes weltgründenden Charakter: "In
dem grenzenlosen homogenen Raum ohne Merkzeichen und Orientierungsmöglichkeit
wird durch die Hierophanie ein absoluter 'fester Punkt', ein 'Zentrum'
enthüllt" (Eliade 1957, 13). Im Chaos
der Homogenität gibt es keine "Welt". Die chaotische Homogenität
des Raumes ist Symptom seiner Grenzenlosigkeit. Sie wird aufgehoben durch die
Grenze. Die Grenze wird gesetzt durch Horror, durch das Schaudern - und Grausen
- vor dem Numinosen.
Erst
die dem Raum Grenzen verleihende Manifestation des Heiligen läßt das
"Reale" entstehen; erst von dieser primären qualitativen
Verschiedenheit des Raumes kann Orientierung ausgehen. Die Grenze ist also der
erste Schnitt ins Chaos. Raum entsteht durch Umgrenzung. Die Grenze erzeugt die
erste Ordnung des Raumes: der abgegrenzte heilige Raum, der für rituelles Tun
geschützte Bereich etabliert die erste Zentrierung der Welt. Er ist absoluter
Stützpunkt und Stützpunkt des Absoluten, die Verbindung mit dem Überweltlichen
gewährleistend. Die Grenze, die den heiligen Raum entstehen läßt, ist auch
Stätte der Passage: "Die Schwelle ist zugleich die Schranke, die
Scheidelinie, die Grenze, welche beide Welten trennt, und der paradoxe Ort, an
dem diese Welten zusammenkommen, an dem der Übergang von der profanen zur sakralen
Welt vollzogen werden kann." (Eliade 1957, 15).
Das
Überschreiten der Schwelle ist begleitet von Riten, die Schwelle hat ihre
"Wächter" (Götter, Geister, Dämonen), an der Schwelle sind Opfer zu
bringen. Grenze und Schwelle sind Aufhebung der Kontinuität des Raumes und
symbolisieren Aufhebung der Kontinuität psychischer Erfahrung. Das Heilige hat
kosmologische Valenz; es "gründet
also die Welt, indem es Grenzen absteckt" (Eliade 1957, 18).
Eliade
konkretisiert auch den Zusammenhang zwischen dem heilig-abgegrenzten Raum und
Formen der Aufrichtung. Die axis
mundi (Säule, Pfahl, heiliger Berg, heiliger Baum, Tempel) im heiligen
Weltzentrum, das Chaos in Kosmos umwandelt, stellt zugleich die Verbindung mit
dem überweltlichen Bereich her und dar. Kosmisierung durch die Weltachse, die gleichsam
den Himmel berührt und den weltlichen mit dem überweltlichen Bereich verbindet:
die semantische Symbiose von ’ó ρος, Berg, und ‘ó ρος, Grenze.
Also gilt:
der numinose Ort, der vom "Göttlichen" durchdrungene Raum, wird
heiliger Bezirk durch die Grenze, an der die erste ontologische Rauheit sinnfällig wird, der erste "ontologische
Horror". Die Grenze ist eine Seinserregung, die, sich erhebend, die
Wahrnehmung auf sich fixiert; durch
Horror entstanden, bleibt der heilige, abgegrenzte Raum ein aufregender, an dem Aufragendes zu konstatieren ist.
An oder
in nahezu jeder geweihten Stätte, in jedem Heiligtum oder Tempel wird der
Charakter der Kultstätte dadurch betont, daß der sakral abgegrenzte Raum mit
einer Aufrichtung verbunden ist, von Menhir, Findling, Holzpfahl bis zu
architektonischen Wunderwerken.
Im
alten Ägypten der 1. Dynastie befand sich vor den Behausungen göttlicher
Mächte, den noch primitiven Tempeln, ein eingefaßter heiliger Platz, "an
dessen Eingang zwei mit Lappen behängte Stangen stehen. Letzteres sind
Warnzeichen auf 'heiligem' Land (...) und bilden später die Hieroglyphe für Gott" (Helck / Otto 1987, 374). In
Rom genossen die Termini
fetischistische Verehrung: wer einen Grenzstein versetzte oder ausgrub, galt
als fluchwürdig. Germanisches Ritual pflegte Grenzsteinversetzern und
Feldfrevlern den Kopf abzupflügen. (Noch heute gibt es in ländlichen Regionen Deutschlands
Feldgeschworene, die über Ort und Unverrückbarkeit der Grenzsteine wachen und
dabei mit geheimen Zeichen operieren). Das Konzept Grenze vereinigt Formen der
Abgegrenztheit mit Formen der Aufrichtung, seit primitivste Grenzzeichen
aufgestellt oder an Aufragendem angebracht wurden.
Emporragende
phallische Zeichen markierten heilige Opferplätze, erschienen als heilige
Türme, Säulen, Totempfähle oder Obelisken. Der geheimnisvoll aufragende Stein,
häufig von seltsamer Form, scheint mit seiner erhabenen Unveränderlichkeit auf
die Präsenz einer nichtmenschlichen, übernatürlichen, höheren Macht zu deuten
und weckt heilige Ehrfurcht, awe,
Schauder, Horror. Stanley Kubrick hat dies
in 2001 – A Space Odyssey (1968) brillant
in Szene gesetzt. Im The Dawn of Man betitelten Prolog erwacht eine Gruppe von Hominiden, Angehörige
des ersten Menschentypus, in einer Zeit lange vor unserer Zeitrechnung eines
Morgens zur unheimlichen Musik von György Ligeti. Die Hominidengruppe ist in Aufruhr, etwas
war zugegen in der Nacht, eine nichtmenschliche, übernatürliche, höhere Macht,
und sie hat etwas hinterlassen: einen schwarzen, vollkommen glatten, glänzenden
Monolithen von atemberaubender, mysteriöser Schönheit. Das Erschrecken der
Gruppe geht über in Faszination und erste vorsichtige Versuche, den
rätselhaften Monolithen zu berühren. Immer wieder Scheu vor der Berührung,
immer wieder nähert sich die Hand dem erschreckend-faszinierenden Objekt.
Schließlich tasten die von religiöser Ehrfurcht ergriffenen Hominiden den
Monolithen ab. Mit dieser Berührung beginnt die Evolution menschlicher
Intelligenz. Und zugleich verweist der
Monolith auf die Grenzen menschlicher
Intelligenz. In Kubricks Jahr 1999 wird von der Mondstation Clavius aus ein identischer Monolith im Krater Tycho gefunden. Alles, was man weiß: er wurde
dort vergraben, und er ist 4 Millionen
Jahre alt. Die Astronauten begegnen dem Monolithen ebenso ehrfürchtig, wie es die
Frühmenschen taten. Wie Georg Seeßlen formulierte: ein abwesender Gott spielt
mit den Menschen Versteck. Der Monolith ist Zeichen einer göttlichen,
übernatürlichen, außerirdischen Gegenwart, Zeichen des absolut Verborgenen noch in der
hypertechnisierten Zukunft. Der schwarze Monolith hält die Grenze zum Übermenschlichen noch dort präsent, wo der Mensch
scheinbar das Weltall zu seinem Wohnzimmer gemacht hat.
Im
Totenkult der Frühzeit soll der aufgerichtete Stein als Abwehr gegen Erscheinungen
von Geistern dienen, also die Grenze zum Totenreich befestigen. Der Stein soll
aber auch die Toten selbst gegen feindliche Mächte verteidigen und markiert
somit eine ihr Reich schützende
Grenze.
Der
heilige Baum, einsam über den Horizont aufragend oder vom heiligen Hain
umgeben, galt als Ort der Epiphanie und der Präsenz der Götter. Das Rauschen
der heiligen Eichen in Dodona war wie eine göttliche Interferenz, die Frequenz,
auf der Zeus seinen Willen mitteilte (noch Jeanne d'Arc will ihre Stimmen im
Rauschen der Blätter vernommen haben; das Unheimliche
des Blätterrauschens wird in Antonionis Film Blow Up reaktiviert). Heilige Aufrichtung bzw. Aufrichtung am
Heiligen sind die Monolithen der Kultstätten, die Himmelsbeobachtung, Sonnen-
oder Fruchtbarkeitskult dienten, ebenso die Hermen,
ursprünglich hölzerne, brettartige Idole, dann
kultisch immer weiter erhöhte, dem Hermes geweihte und mit ihm identifizierte
Steinhaufen, später Grenzmarkierungen aus Stein, vierkantig, mit Kopf und
Phallus, oder auch nur als Phallus an einer Säule (als ithyphallische
Erscheinungsform des Hermes also mit einer Aufrichtung an einer Aufrichtung),
mit Fruchtbarkeits- und Totenkult verbunden, zuletzt am Eingang eines Hauses
diesen oder das Haus schützend, als Aufrichtung an einer anderen Form
abgegrenzten "heiligen" Raumes. Alle Symbole und Rituale, "die
sich an den Tempel, die Stadt und das Haus knüpfen", so nochmals Eliade,
gehen letztlich "auf das Urerlebnis des heiligen Raumes" (Eliade
1957, 35) zurück.
Nach
Michel Serres ist Heiligung des Raumes vor allem Reinigung des Raumes, und der
heilige gereinigte Raum identifiziert das Reine,
Heilige, Gute mit dem Eigenen: propre ist das Saubere / Reine und das Eigene. Der heilige Innenraum, das templum, "ist äußerst homogen,
isotrop, parasitenfrei" (Serres 1987, 146), seine Ränder, Tore und Grenzen
werden mit dem Flammenschwert bewacht. Das Profane und das Böse liegen
außerhalb des zum Eigenen / Sauberen erklärten heiligen Raumes: in den Bedeutungen des Wortes propre klingt schon an, daß man immer der Barbar eines Anderen und das
Andere immer barbarisch ist.
"Was
ist also das Eigentum? Was nicht schmutzig ist. Was ist nicht schmutzig? Eben,
was propre, sauber, und somit
zugleich mein eigen ist (...) das Eigene ist das Reine, und das Eigentum ist
Reinheit" (Serres 1987, 218). So wie das Feld zunächst eine Fläche ist,
auf der alles ausgerissen ist, beginnt die "Reinigung, die Sakralisierung
eines Raumes, eines templum, eines
Gartens (...) mit der totalen, radikalen Vertilgung sämtlicher Arten"
(Serres 1987, 270). Die saubere Fläche entsteht durch Beseitigung. So wie die
Landwirtschaft mit der Entblößung bestimmter Bodenflächen begonnen hat, so
erfährt der heilige Raum Reinigung durch Leere. Die Grenze wirkt hier als
Messer: "Es zerschneidet den Raum. Es zeichnet eine geschlossene Linie:
drinnen das Heilige, draußen das Profane; drinnen der Tempel, draußen das
Unbestimmte, in dem das Böse umgeht. Drinnen die Stadt in ihren Mauern, draußen
das Land. Die Pflugschar hat die Stadt gegründet, und beim Ziehen der Furche
ermordete ein Bruder seinen Zwillingsbruder" (Serres 1987, 271).
Mit dem
Entstehen des abgegrenzten Raumes - property
- wird die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden, Anderen zur moralischen
Demarkationslinie. Nicht erst die Übertretung der Grenze durch das Andere,
schon die Grenzziehung selbst identifiziert das Andere mit dem Unheiligen.
Agrikultur
und Kultur haben denselben Ursprung, dieselbe Grundfläche: "ein leeres
Feld, das einen Bruch des Gleichgewichts herbeiführt, eine saubere, durch
Vertreibung geschaffene Fläche. Eine Fläche der Reinheit, eine Fläche der
Zugehörigkeit" (Serres 1987, 274). In der ältesten Tätigkeit der
menschlichen Kultur, der Abgrenzung eines nackten, leeren, reinen Feldes,
vollziehen der Bauer für das Feld und der Priester für das templum dieselbe Geste: eine Geste des Ausschlusses. Der Boden ist
bereitet für die genuine Un-heimlichkeit des Anderen.
"Die
Macht, die man kennt und der man ein Haus errichtet, wohnt innen. Das
alt-römische pomoerium ist die heilige Stadtgrenze, die das Ende des
Herrschaftsbereichs der Götter bezeichnet; die altgermanische Einfriedung ist
die Gewähr für den 'Frieden': Grenze ist Machtgrenze." (Van der Leeuw
1957, 201).
Cassirer
und Eliade verdeutlichen den Zusammenhang von Grenze und Horror. Hierophanie,
Theophanie, das In-der-Welt-Sein des Nicht-von-dieser-Welt-Seins, irgendein
numinoses Elementarerlebnis, mindestens aber der Eindruck des
Außerordentlichen, Ungemeinen, Ungewöhnlichen setzt sich um in die erste
Grenzziehung: die Primärteilung der Wahrnehmungswelt (heilig / profan), das
Herausheben, Abschneiden und Abgrenzen eines heiligen Bezirkes. Grenze ergo
Kosmos. Der Horrorschauer ist menschliches Urerlebnis, weil er jene Grenz-Erfahrungen
begleitet, mittels derer sich die menschlichen Ordnungsschemata bilden.
Und der
Horrorschauer bleibt Urerlebnis, weil er jene Grenzerfahrungen begleitet, durch
die sich menschliche Ordnungsschemata aufzulösen drohen. Horror wird erlitten,
wenn eine Grenze fühlbar wird. Sie wird dadurch fühlbar, daß ein
unerklärliches, unheimliches, als bedrohlich empfundenes Anderes begegnet. Die
Grenze wird in dieser Begegnung gerade durch ihre Bedrohung, Verletzung oder
Überschreitung so bedeutsam. Die Vergegenwärtigung der Grenze als wesentlicher
instrumenteller Funktion menschlicher Erfahrung bedeutet zugleich eine
Ätiologie des Horrors. Die ersten, durch Horror entstandenen Grenzen geben dem
Menschen eine Stellung in "Welt", Natur und Kosmos. Zugespitzt formuliert:
kosmisierende Grenzerlebnisse waren nur durch Horror möglich. Weil aber bei
jedem Grenzerlebnis dann auch Horror möglich ist, bleibt das, was die Ordnung
gewährt, immer auch das, was Ordnung bedroht.
Literatur:
Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, Zweiter Teil: Das mythische Denken, Darmstadt 1997.
Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane, Hamburg 1957.
Helck, Wolfgang u. Otto, Eberhard: Kleines Wörterbuch der Ägyptologie, 3. Aufl. Wiesbaden 1987.
Serres, Michel: Der Parasit, Frankfurt am Main 1987.
Van der Leeuw, Gerard: Vom Heiligen in der Kunst, Gütersloh 1957.