SPIEGEL ONLINE Forum "Lieblingfilme - Was ist 'großes Kino'?"
29.03.2007
Christian Erdmann:
"Tanz der toten Seelen", Originaltitel "Carnival of Souls", 1962. Candace Hilligoss spielt eine junge blonde Organistin, die sich nach einem Autowettrennen, bei dem ihr Wagen von einer Brücke in den Fluß fällt, schlammverschmiert aus dem Wrack ans Ufer schleppt. Von da an wird sie zu einer Figur, der man alle vorhandene Empathie schenkt, während sie durch eine beklemmende Welt wandelt, an der das Unheimlichste ihr Hyperrealismus ist. Regisseur Herk Harvey war mal Industriefilmer, und was diesen Horrorfilm auf spezifische Weise schauderhaft macht, ist die verstörende Art der – abgesehen von Hilligoss – Laiendarsteller, mit deren Normalität irgendwas nicht stimmt.
"Tanz der toten Seelen", Originaltitel "Carnival of Souls", 1962. Candace Hilligoss spielt eine junge blonde Organistin, die sich nach einem Autowettrennen, bei dem ihr Wagen von einer Brücke in den Fluß fällt, schlammverschmiert aus dem Wrack ans Ufer schleppt. Von da an wird sie zu einer Figur, der man alle vorhandene Empathie schenkt, während sie durch eine beklemmende Welt wandelt, an der das Unheimlichste ihr Hyperrealismus ist. Regisseur Herk Harvey war mal Industriefilmer, und was diesen Horrorfilm auf spezifische Weise schauderhaft macht, ist die verstörende Art der – abgesehen von Hilligoss – Laiendarsteller, mit deren Normalität irgendwas nicht stimmt.
10.01.2011
valasthor:
valasthor:
"Tanz der toten Seelen": Eine fantastische Candice Hilligoss (...)
Christian Erdmann:
Ab-so-lut phantastisch. Wir sind die einzigen, die
Candace hier je erwähnten. :)
Da ist ein seltsamer, faszinierender Kontrast an ihr, finde ich, die großen Augen mit dem zugleich aufgeschreckten und neugierigen Blick, und trotzdem wirkt sie an sich schon, also unabhängig von dem, was die Geschichte dann offenbart, seltsam distanziert. Damit ist sie die ideale Besetzung, für die Vorstellung, daß sie eventuell auch nur eine wunderschöne Frau sein könnte, die zuviel Schäbigkeit erlebt hat, als daß sie mit der Welt noch viel zu tun haben will. Wiederum trotzdem, oder gerade deshalb, wirkt sie jederzeit so schrecklich einnehmend in ihrer Verletzlichkeit und Verwirrung. Angeblich hat Herk Harvey es irgendwie vermocht, sie im Unklaren zu lassen darüber, wie Mary Henrys Weg durch diesen Film zu verstehen ist - oder der Weg der vierten Dimension durch ihr Bewußtsein in einem einzigen Moment -, weil er den Effekt, den Verwunderung und Desorientiertheit auf diesem Antlitz hatten, noch steigern wollte. - Wiederum andererseits hat sie zuweilen eine toughness, die bei der von uns imaginierten Geschichte dieser Frau einen glaubwürdigen Kontext hat. So klar die Geschichte also eigentlich ist, so plausibel könnte es uns auch erscheinen, daß sie langsam in eine Psychose driftet. Also kurzum, sie durch diesen Film wandeln zu lassen, war ein Geniestreich, ihre Ausstrahlung ist unwiderstehlich.
So viele unvergeßlichliche Details an diesem Film - plus der gruseligste Orgel-Score, den man diesem Instrument nie zugetraut hätte.
Es gibt übrigens einen Film von Claude Chabrol mit Sylvia Kristel, "Alice", der 1976 dieselbe Geschichte erzählt wie "Carnival of Souls", nur eben ganz anders, die Protagonistin eben mehr wie Emmanuelle im Wunderland wirken läßt, leider kaum bekannt.
Da ist ein seltsamer, faszinierender Kontrast an ihr, finde ich, die großen Augen mit dem zugleich aufgeschreckten und neugierigen Blick, und trotzdem wirkt sie an sich schon, also unabhängig von dem, was die Geschichte dann offenbart, seltsam distanziert. Damit ist sie die ideale Besetzung, für die Vorstellung, daß sie eventuell auch nur eine wunderschöne Frau sein könnte, die zuviel Schäbigkeit erlebt hat, als daß sie mit der Welt noch viel zu tun haben will. Wiederum trotzdem, oder gerade deshalb, wirkt sie jederzeit so schrecklich einnehmend in ihrer Verletzlichkeit und Verwirrung. Angeblich hat Herk Harvey es irgendwie vermocht, sie im Unklaren zu lassen darüber, wie Mary Henrys Weg durch diesen Film zu verstehen ist - oder der Weg der vierten Dimension durch ihr Bewußtsein in einem einzigen Moment -, weil er den Effekt, den Verwunderung und Desorientiertheit auf diesem Antlitz hatten, noch steigern wollte. - Wiederum andererseits hat sie zuweilen eine toughness, die bei der von uns imaginierten Geschichte dieser Frau einen glaubwürdigen Kontext hat. So klar die Geschichte also eigentlich ist, so plausibel könnte es uns auch erscheinen, daß sie langsam in eine Psychose driftet. Also kurzum, sie durch diesen Film wandeln zu lassen, war ein Geniestreich, ihre Ausstrahlung ist unwiderstehlich.
So viele unvergeßlichliche Details an diesem Film - plus der gruseligste Orgel-Score, den man diesem Instrument nie zugetraut hätte.
Es gibt übrigens einen Film von Claude Chabrol mit Sylvia Kristel, "Alice", der 1976 dieselbe Geschichte erzählt wie "Carnival of Souls", nur eben ganz anders, die Protagonistin eben mehr wie Emmanuelle im Wunderland wirken läßt, leider kaum bekannt.
21.01.2011
Christian Erdmann:
"Carnival of Souls". Damals hatten ein paar Leute 30.000 Dollar
und Candace Hilligoss, und sie schufen ein Wunderwerk.
"Carnival of Souls" is an odd, obscure horror film that was
made on a low budget in 1962 in Lawrence, Kan., and still has an intriguing
power. Like a lost episode from "Twilight Zone," it places the
supernatural right in the middle of everyday life and surrounds it with
ordinary people.
The movie stars Candace Hilligoss, one of those worried blonds like
Janet Leigh in "Psycho," as a young woman who goes along for the ride
when two hot-rodders hold a drag race. On a narrow wooden bridge, one of the
cars crashes through a railing and plunges into the flooded river below. Police
and volunteers search for the wreckage in vain, and then Hilligoss appears on a
sandbar, dazed and covered with mud.
What happened to the others? How did she escape? She doesn't know.
Indeed, she doesn't care. She's a brittle, cynical woman who works as a church
organist but doesn't take religion seriously. That's despite the fact that the
organ seems to be trying to tell her something. There is a sensational overhead
shot in an organ factory, looking down past the steep and angled pipes to her
diminutive figure far below, and another effective moment when she's in a car
on a deserted highway and the radio only picks up organ music.
A few days after she crawls out of the river, the woman leaves town for
a job playing the organ in Utah, and in one of the movie's best shots, a
cadaverous face appears in the car window. It's the face of a ghostly figure
who will follow her to Utah (the figure is played by the film's director, Herk
Harvey). In Utah, she checks into one of those B-movie boarding houses ... There's
one other boarder, a Mr. Linden (Sidney Berger), who is a definitive study of a
nerd in lust.
Unlike most of today's horror movies, "Carnival of Souls" has
few special effects - some wavy lines as we pass through various levels of
existence, and that's it. Instead, it depends on crisp black-and-white
photography, atmosphere and surprisingly effective acting.
Roger Ebert, 10/1989
... the
spookiest, weirdest, and maybe greatest horror film you've never seen
Carnival of Souls may be the ultimate horror film to watch late at night on TV. More than just scary, it's arrestingly odd, with a bats-in-the-belfry 3-a.m. loneliness that you plug into like a private dream. The film's stilted expressionistic no-budget atmosphere is one of a kind ...
Carnival of Souls may be the ultimate horror film to watch late at night on TV. More than just scary, it's arrestingly odd, with a bats-in-the-belfry 3-a.m. loneliness that you plug into like a private dream. The film's stilted expressionistic no-budget atmosphere is one of a kind ...
Candace Hilligoss, who plays Mary, was a Strasberg-trained actress, and her mixture of slightly hysterical intensity and dinner-theater amateurishness keeps you solidly off-kilter: We're not sure if we're watching good acting, bad acting, or no acting at all. ... Fifty years later, Carnival of Souls still has the power to tantalize and disturb.
Entertainment Weekly, 94/2011
"Carnival of
Souls" entwirft einen Zwischenraum. Er erzählt die Geschichte einer
letzten Reise, eines Widerstrebens gegen den Tod, die verzweifelte Geschichte
eines Festhaltens am Leben, des Vordringens des Endes. Ein Film, der mit dem
Anfang und dem Ende eine Schleife setzt und um diesen Nullpunkt herum im
Niemandsraum und in der Niemandszeit spielt. Ein Film, der sich und seine Heldin
dem Nichts ausliefert, einer Nicht-Zeit, die eine gedoppelte Zeit ist, einem
Nicht-Raum, der gedoppelter Raum ist, dazwischen nichts als Modulationen, die
an der Stelle dessen sich befinden, was andernorts eine Entwicklung wäre, hier
aber nichts anderes ist als Krankheit zum Tode.
"Carnival of Souls" ist, so absurd das angesichts eines No-Budget-Movies klingt, ein perfekter Film. Er erreicht größtmögliche Effekte mit den einfachsten Mitteln, ohne dass diese je nur Mittel zu diesen Effekten wären. (...) Kein Bild zielt nur auf den Schrecken, den es hat. Der Schock verliert sich in der Unerbittlichkeit, die in den Bildern steckt von Anfang an. Es wird keinen Ausweg gegeben haben: das sagt, beinahe, schon die erste Einstellung. Es wird keinen Ausweg gegeben haben: das sagt, buchstäblich, jede Einstellung. Der Schrecken der Geschichte, die dieser Film erzählt: sie ist immer schon vorüber. Ein dem Tode bereits verfallenes Leben, oder: das Leben als vom Tod schon gezeichnetes. Insofern: ein existenzialistischer Film. Die Orgel spielt dazu.
"Carnival of Souls" besteht zur Hälfte, mindestens, aus seiner Tonspur. Orgelmusik, Stille, Modulation der Orgelmusik vom Sakralen ins Weltliche, das das Todesverfallene ist. Lebensmusik, Todesmusik. Schritte, nichts als Schritte. Ich kenne kein schöneres, kein traurigeres Bild der Einsamkeit, der totalen Verlassenheit mitten im Leben (natürlich: im vermeintlichen Leben). Und die Rückkehr, zweimal, wenn die Heldin sich, verzweifelt, an den Baum klammert, Vogelstimmen, die Sonne. Ich kenne keinen anderen Film, der von jenseits des Grabes gefilmt ist, dessen Perspektive keine andere ist als die einer Toten. Ein jenseitiger Film, der aus dieser Perspektive, dieser Entleerung, die noch in den schönsten Einstellungskompositionen steckt, sogar einen merkwürdigen Trost bezieht. Denn nicht zuletzt erzählt "Carnival of Souls", denkbar fern vom Christentum, auch die Geschichte einer Heimkehr. Der Untote, der nach der Untoten ruft, ist unheimlich vielleicht nicht als Wiederkehr des Vertrauten, sondern als Memento, insistent, aber beinahe sanft, das sich als das Vertrauteste präsentiert. Er ruft zum Tanz und erst, als die Heldin ihm gefolgt ist, setzt der Fluss der Zeit wieder ein, wechselt die Perspektive zurück auf die Seite der Lebenden. Der Film kehrt zurück zu seinem Ausgangspunkt, zum Fluss des Todes, über den eine Brücke führt. Wir sind zurück in unserem Raum, in unserer Zeit.
Ekkehard Knörer, filmzentrale.com
Mary Henry ist die
einzige Überlebende eines bizarren Autounfalls. Das blonde, zierliche Mädchen,
von Beruf Organistin, zieht nach dem Unglück in eine andere Stadt. Dort
verliert sie zunehmend Kontakt zu ihrer Umwelt. Ein totenbleicher Mann verfolgt
sie, den nur sie sehen kann. Und ein verlassener Pavillon am Rande der Stadt,
der wie der Eingang zum Totenreich wirkt, zieht sie magisch an. Seit ihrem
Unfall ist Mary Henry dem Tod g
Das bisweilen
amateurhafte Spiel einiger Akteure wirkt seltsam authentisch, die Straßenszenen
sind manchmal von fast dokumentarischer Qualität. In diesem Realismus situiert
Harvey das Traumhafte und das Unheimliche. Unvermittelt taucht der zombiehafte
Mann, den Herk Harvey selbst spielt, vor Mary auf: Jedermann als Todesbote.
Faszinierend und beklemmend sind die Szenen, in denen Mary nicht mehr
wahrgenommen wird von ihren Mitmenschen. Mit Gottfried Benn scheint sie zu
rufen: 'Kommt, reden wir zusammen, wer redet ist nicht tot.' Doch niemand hört
sie.
Zur trance-artigen
Atmosphäre des Films tragen die Leistung der New Yorker Schauspielerin Candace
Hilligoss bei, die ein Porträt gibt in äußerster Sensibilität, und die
durchdringend-sanfte Musik von Gene Moore. Der Film (...) hat zweifellos großen
Einfluß gehabt auf George A. Romero und David Lynch.
Hans Schifferle, Die
100 besten Horror-Filme, 34
Maurice Prather, Kameramann:
"We had basically no
special effects whatsoever. The only 'special effect' per se is the time
(Hilligoss) rolls up her window and Herk's ghost picture comes into it. We
created that in the studio ourselves. We did it with a mirror."
"What do you think it
cost us for a city like Lecompton (Kansas) to let us wreck their bridge? $38.
They said, 'Yeah, you can do that as long as you replace the rails you knock
out.'"
Das Leben, der Tod und das Dazwischen:
(erstveröffentlicht / first published 17.05.2014)