Prag, 14.09.2011
Sonntag, 18. September 2011
Vysehrad
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Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
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18.9.11
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Montag, 5. September 2011
Lynch on Lynch
To me, a mystery is like a magnet. Whenever there is something that's unknown, it has a pull to it. If you were in a room and there was an open doorway, and stairs going down and the light just fell away, you'd be very tempted to go down there. When you only see a part, it's even stronger than seeing the whole. The whole might have a logic, but out of its context, the fragment takes on a tremendous value of abstraction. It can become an obsession.
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Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
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5.9.11
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Freitag, 26. August 2011
Schuld und Mnemosyne: Miss PEZ, Kessler-Zwillinge, France Gall, Ribanna
SPIEGEL ONLINE Forum
Medien-Dauerthema: Auf dem Weg zum "Neuen Mann"?
August 2006
August 2006
Henning Veitgen:
Es soll Frauen geben, die diesen Effekt schon mit einer halben Tüte M&M's erreichen. Früher hießen die mal Treets - überhaupt, was war denn falsch an diesem Namen? Baff will ich auch zurück und Brauner Bär, Drei Musketiere und Hubba Bubba Zimt. Und Klementine fehlt mir genauso wie der Hustinetten-Bär. Verdammt, meine Welt liegt doch in Scherben. Die kann man sich doch gar nicht mehr schönsaufen. ;-)
Aljoscha der Idiot:
Erinnert sich jemand an die Frau auf den PEZ-Automaten? In die war ich total verknallt. PEZ war Dreck, aber man stiefelte da troubadourisch hin, um gleich mal zu lernen, was Frauen alles mit einem anstellen.
Henning Veitgen:
Gemeiner war nur noch die Palmolive-Werbung.
Tilly: "Du badest gerade deine Hände darin." Sie aufkreischend: "In Spülmittel?" Tilly: "Nein, in Palmolive." Was habe ich mitgelitten. In meinem Leid wäre das Elend der sonstigen Welt viel zu spät gekommen. Ich war auf der Seite dieser armen Frau, die ihre zarten Hände in einem verstümmelnden Säurebad gewöhnlicher Spülmittel dünkte. Hätte Tilly sie nicht gerettet, ich hätte es getan, ich hätte es getan.
Tilly schockte damals alle Frauen dieser Welt. Die sieben biblischen Plagen waren um eine achte solche erweitert. Abwaschen macht eure Hände alt und häßlich. Und ihr werdet sein, wie eure Hände. Als hätten sich die Prophezeiungen des Johannes vollfüllet.
"Es wird ein spülendes Ungemach der vielen Wasser über die Welt kommen und sein Zeichen wird 666 sein. Jeder sich regenden Hand sei ein Tropfen des Anti-Christen gewahr. Tauche deine Hand in häuslichem Gewerk und schon das Wasser rufet den Namen der Versuchung. Wer aber preiset den Herrn und sich der Schmiere versagt, wird ewig sein. Doch wer sich meiner Worte nur in Tropfen und Sprengseln verweigert, wird in den Meeren seiner Blindheit ertrinken".
Und ich saß vor dem Fernseher, unfähig diese zarten Hände zu retten. Das wird mich ewig verfolgen. Ich schäme mich. Oh, wie ich mich schäme.
Tilly: "Du badest gerade deine Hände darin." Sie aufkreischend: "In Spülmittel?" Tilly: "Nein, in Palmolive." Was habe ich mitgelitten. In meinem Leid wäre das Elend der sonstigen Welt viel zu spät gekommen. Ich war auf der Seite dieser armen Frau, die ihre zarten Hände in einem verstümmelnden Säurebad gewöhnlicher Spülmittel dünkte. Hätte Tilly sie nicht gerettet, ich hätte es getan, ich hätte es getan.
Tilly schockte damals alle Frauen dieser Welt. Die sieben biblischen Plagen waren um eine achte solche erweitert. Abwaschen macht eure Hände alt und häßlich. Und ihr werdet sein, wie eure Hände. Als hätten sich die Prophezeiungen des Johannes vollfüllet.
"Es wird ein spülendes Ungemach der vielen Wasser über die Welt kommen und sein Zeichen wird 666 sein. Jeder sich regenden Hand sei ein Tropfen des Anti-Christen gewahr. Tauche deine Hand in häuslichem Gewerk und schon das Wasser rufet den Namen der Versuchung. Wer aber preiset den Herrn und sich der Schmiere versagt, wird ewig sein. Doch wer sich meiner Worte nur in Tropfen und Sprengseln verweigert, wird in den Meeren seiner Blindheit ertrinken".
Und ich saß vor dem Fernseher, unfähig diese zarten Hände zu retten. Das wird mich ewig verfolgen. Ich schäme mich. Oh, wie ich mich schäme.
Aljoscha der Idiot:
Henning, wir verstehen Dich. Und es ist gut, daß Du es der Gruppe erzählt hast. Ich wußte schon als 6jähriger: ich trage eine Mitschuld am Grauschleier, am Gilb, am ganzen Elend, das die Tränen dieser zarten Kreaturen verursachte... aber eines Tages werde ich gut sein. Zum Beispiel... Ribanna befreien. Aus der Höhle des Schurken Forrester. Die Fesseln durchschneiden, mit der Ribanna in "Winnetou 2" an Leutnant Merril gefesselt war. Aber dann, andererseits, auf der Quartettkarte sah das eigentlich ziemlich gut aus, wie Merril da an Ribanna gefesselt war. Das war vielleicht auch nicht schlecht, so als Leutnant Merril. Rollenwahl war immer schon verteufelt kompliziert. Man verstrickte sich immer tiefer in Schuld. Durfte man überhaupt hinsehen, wenn die Kessler-Zwillinge für "nur die" herumstöckelten? Die Zerknirschung, wenn France Gall in einer deutschen TV-Show deutsch sang, und meine Eltern sagten: "Die versteht doch gar nicht, was die singt!" Ich stellte mich insgeheim gegen meine Eltern, ich schämte mich für sie, ich entschied mich für France Gall, so fängt nämlich die Revolution im Kinderzimmer an, liebe Eltern, und dann wundert ihr euch über die Tropfen des Anti-Christen in der sich regenden Hand, das waren Aufstände gegen die Mitleidlosigkeit gegenüber der leidenden Schönheit!
Henning Veitgen:
Miss PEZ war natürlich klasse, allein die Uniform. Aber wenn Sie auf den Automaten starrten, starrte ich auf die schäbige Ausgabe, auf die blöden Bonbons, die sich hartnäckig in dem Spende-Schacht einer Goofy-Figur verkanteten. Und immer schnappte bei den verschiedenen Figuren dieser vermaledeite Kopf zu, weil diese ganze Mechanik viel zu groß für die Hand eines 6-jährigen war. Ich meine, wenn je ein Junge, der sich damit rumgeplagt hat, nicht beschlossen haben sollte, Ingenieur zu werden, dann wollte er wahrscheinlich Tänzer werden. Was ja nicht schlecht ist, man kann solche Frustrationen sicher auch choreographisch bewältigen. Ich wette, daß Tausende von Männern mehr heutzutage Germanistik, Romanistik oder Philosophie studieren würden, wären sie nicht in ihrer Kindheit von den Unzulänglichkeiten der PEZ-Figuren zu den mechanischen Studiengängen gedrängt worden. Was soll ich sagen? Die Gesellschaft wäre besser! Wir ahnen gar nicht um den idealen Staat, den PEZ verunmöglicht hat. Das ist es, was ich der Gruppe heut' erzählen mußte. Verdammt mich, richtet über mich, aber wäget meine Worte.
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Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
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26.8.11
Mittwoch, 17. August 2011
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Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
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17.8.11
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The Everlasting Gaze
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Montag, 15. August 2011
PEZ-Automat
Traum, 11.10.1996
... später raube ich einen PEZ-Automaten. Was ich schon lange vorhatte, weil ich die Frau auf dem PEZ-Automaten schon immer klasse fand. Es ging ganz leicht. Ich konnte sogar den Alarm-Mechanismus im Inneren des Automaten entschärfen, der zugleich ein Postkasten war und daher von offizieller Seite geschützt. Kinderspiel. Alles ging bestens. Bis ich mit dem Automaten zurückkam. Zu Skeptizismus, Zweifel, Nichtvertrauen. Und plötzlich war auch die PEZ-Frau auf dem Automaten nicht mehr die PEZ-Frau. Eine reine Kausalkette.
Letzter PEZ-Automat, den ich in freier Wildbahn sah. 90s.
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Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
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15.8.11
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Alles was der Fall ist
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Sonntag, 14. August 2011
Friederike Roth
"Sie war ein hübsches Mädchen, die Friedl. Schlank, mit langen Beinen, einem feingeschnittenen Gesicht, und einem süffisanten Lächeln um den kleinen Mund."
(Soma Morgenstern)
"Am 5. März 1922 hatte [Joseph Roth] in Wien Friederike (Friedl) Reichler geheiratet. Friedl war zwar eine attraktive, intelligente Frau, aber weder war sie eine Intellektuelle noch entsprach das ruhelose, mondäne Leben an der Seite eines reisenden Starjournalisten ihren Bedürfnissen. Darüber hinaus zeigte Roth Symptome einer fast pathologischen Eifersucht. Bereits 1926 hatten sich erste Symptome einer geistigen Erkrankung bei Friedl gezeigt, 1928 wurde die Krankheit manifest. Friedl wurde zunächst in der Nervenheilanstalt Westend behandelt, dann wohnte sie – von einer Krankenschwester betreut – eine Zeitlang bei einem Freund von Roth. Die Krankheit seiner Frau stürzte Roth in eine tiefe Krise. Er war nicht bereit, die Unheilbarkeit der Krankheit zu akzeptieren, hoffte auf ein Wunder, gab sich die Schuld an der Erkrankung – Wahnsinn galt und gilt unter frommen Juden ja als Strafe Gottes. Eine mögliche Besessenheit durch einen Dibbuk veranlasste ihn zu der (erfolglosen) Konsultation eines chassidischen Wunderrabbis. Während dieser Zeit begann er heftig zu trinken. Auch seine finanzielle Situation verschlechterte sich.
Als auch die Unterbringung bei Friedls Eltern keine Besserung brachte und die Kranke zunehmend in Apathie verfiel, brachte man sie im November 1930 in das Sanatorium Rekawinkel bei Wien, im Dezember 1933 kam sie in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof bei Wien, schließlich im Sommer 1935 in das Landesklinikum Mostviertel Amstetten-Mauer. Friedls Eltern wanderten 1935 nach Palästina aus und Roth beantragte die Scheidung. Im Jahr 1940 wurde Friedl Roth nach Linz-Niedernhart (heute Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg) gefahren. Niedernhart war eine Tarnanstalt, aus der sie weiter zur Vergasung in die gleichfalls vom SS-Arzt Rudolf Lonauer geleitete NS-Tötungsanstalt Hartheim verbracht wurde (siehe Aktion T4). Die Todesurkunde nennt als Datum den 15. Juli 1940."
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14.8.11
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Friederike Roth,
Literatur
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Sonntag, 17. Juli 2011
Die Zusammenhänge sind unendlich
SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"
November 2006
Mixolydian:
Der aus sich heraus schöpfende Genius, "a second Prometheus under Jove", wie Shaftesbury sagte, war ein Kind seiner Zeit. Selbstermächtigung des Subjekts, die unhintergehbare Vernunft und die daraus sich ableitende Verabschiedung mimetischer Kunstkonzepte haben den genialischen Künstler hervorgebracht. Der Geniekult ist also Ausfluss eines Paradigmenwechsels in der europäischen Geistesgeschichte. Das war vor ca. 220 Jahren. Und wie sieht es heute aus?
Das stolze Subjekt Goethescher Prägung hat seitdem, salopp gesagt, permanent die Ohren langgezogen bekommen. Darwins Evolutionstheorie, dann Freud, der frech behauptete, der Mensch sei nicht der Herr im eigenen Haus. Und seit dem 2. Weltkrieg ist die unbedingte Vernunftbegründetheit menschlichen Handelns endgültig kassiert. Damit hat auch eine Genieästhetik ausgespielt.
Beckett und Jarry haben das in ihren Werken beispiellos deutlich gemacht: Diese Welt ist eine verdammte Kloake, das Leben eine Krankheit zum Tode, sinnlos und leer, kurz: alles im Arsch!
Die Frage ist nun, wie man die Aporien unserer Zeit aushalten kann. Ausklinken via Regression? Das ist eine relativ mutlose Strategie, die zwar unangreifbar macht, aber auch jeden Zugriff auf das, was ist, und das, was kommen wird, unmöglich macht. Es steht zu viel auf dem Spiel (die Zukunft? das Leben an und für sich?), als dass man sich es in der Nostalgia eines untergegangenen Zeitalters gemütlich machen könnte.
Ich maße mir nicht an, ein Patentrezept für dieses Dilemma parat zu haben. Allerdings bin ich bis jetzt gut damit gefahren, die zeitgenössische Literatur nicht als Schwundstufe eines vergangenen goldenen Zeitalters zu betrachten, sondern sie ernst zu nehmen. Denn sie leistet, was sie leisten kann. Und das ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sie natürlich auch gewissermaßen "Opfer" der (relativ) neuen Unübersichtlichkeit sowie der digitalen Revolution ist. Auf diese Weise an den Rand gedrängt, vermag sie jedoch endlich wieder subversiv tätig zu werden und ist so im Stande, neue Blickwinkel aufzuzeigen und damit etwas freizulegen, das uns in einer Welt, in der es scheinbar nichts Neues mehr geben kann, unvermittelt anblickt und vor Verwunderung erstarren lässt.
Entzückt, besonders über diese Schlußwendung Deines Beitrags.
Indes: daß der Mensch im Freudschen Sinne nicht Herr im eigenen Haus ist, schockiert ja gerade den Künstler nicht, der sich von den Rändern des Auf- und Abgeklärten fallen läßt. Vor einigen Monaten gab es hier eine Diskussion über den Begriff der "inneren Form" des Kunstwerks, den Goethe von Shaftesbury geklaut hat. Er besteht ja weiter, nur ist in ihm der Goethesche Gestus des klassisch beruhigten Überschauens und Anordnens, des apollinisch Gemilderten entbehrlich geworden. Daher glaube ich, daß die Entthronung des "Prometheus under Jove" nur von einem bestimmten Gestus handelt; auch gibt es natürlich einen Wandel im Verständnis der "inneren Form", aber der Begriff trägt noch immer. Der Tumult, den "Le Sacre du Printemps" am Abend des 29. Mai 1913 in Paris auslöste, hatte damit zu tun, daß ein ganzer Zuschauerraum in der Komposition Strawinskys, verstärkt durch die unerhörte Choreographie Nijinskys, keine "innere Form" mehr wahrnahm; die Wucht des Ganzen führte zum Zusammenbruch der ästhetischen Distanz. Das war einer der besten Skandale der Kulturgeschichte, zeigte er doch, wieviel Dissonantes und scheinbar Formsprengendes die innere Form verträgt.
Ich muß gestehen, daß mir die Unterscheidung zwischen "Klassikern" und zeitgenössischer Literatur schwerfällt; wenn ich "Der Meister und Margarita" lese, ist Bulgakow für mich mehr Zeitgenosse als manche Zeitgenossen. Aber das ist my own personal Idiosynkrasie, und wiewohl sich wenig Gegenwartsliteratur in meinen Umzugskartons befindet, sagt das überhaupt nichts gegen die Gegenwartsliteratur. Die Musen sind abgeschafft, der Musenkuß ist es nicht.
Literatur hat wohl immer schon aus Material geschöpft, das, gnadenlos subjektiv, der Goethe'schen Suche nach wohlgeordneter Gesetzmäßigkeit "die Ohren langgezogen hat". Kein Zufall übrigens, daß Goethe zeitlebens so an Gartenkunst interessiert war.
Das Unbewußte, Träume, Visionen, auch künstlich erzeugte, die autonom sich zusammenfügenden Sätze und Satzfetzen, die kurz vor dem Einschlafen durchs Hirn jagen können, das Zusammenkommen von Dingen, die eigentlich nicht zusammenkommen können (eine Art psychisch-kreative Synchronizität) – all dies, was uns zeigt, daß wir nicht Herr im eigenen Haus sind, hinüberzuretten und, wieder Herr im Karton, einzufügen in die "innere Form", das bedeutet: der kognitive Ablauf ist in der Dschungelhälfte, nicht in der Gartenhälfte, und irrt wollüstig erschrocken ins Phantastische. Metaphern wuchern aus gurgelnder Feuchtigkeit, jeden Schritt begleiten die absonderlichen Laute kopulierender Ideen. All das legt frei, was "vor Verwunderung erstarren läßt", neue Blickwinkel aufzeigt. Nochmal zu Shaftesbury: dieser selbst hat eigentlich betont, das obskure Objekt wissenschaftlicher Begierde, der Kosmos, wird letztenendes obskur bleiben. Unwiderlegbar: nur ein unendliches Wesen könnte unendliche Zusammenhänge erkennen. Wissend aber, daß die Zusammenhänge unendlich sind, ist es an uns, zu zeigen, daß es immer Neues gibt, geben muß. Es gibt keine Welt, nur ihre Beschreibungen.
Es gibt nur ein paar Geschichten, aber jeder erzählt sie anders. Und es gibt, wie Lessing sagt, die "Begierde, gerühret zu werden". Es gibt 97 Arten dieser Begierde und 97 Arten des Gerührtwerdens, aber ich fand, das war immer ein ganz guter Maßstab: sind wir völlig umgerührt, war es große Kunst.
Indes: daß der Mensch im Freudschen Sinne nicht Herr im eigenen Haus ist, schockiert ja gerade den Künstler nicht, der sich von den Rändern des Auf- und Abgeklärten fallen läßt. Vor einigen Monaten gab es hier eine Diskussion über den Begriff der "inneren Form" des Kunstwerks, den Goethe von Shaftesbury geklaut hat. Er besteht ja weiter, nur ist in ihm der Goethesche Gestus des klassisch beruhigten Überschauens und Anordnens, des apollinisch Gemilderten entbehrlich geworden. Daher glaube ich, daß die Entthronung des "Prometheus under Jove" nur von einem bestimmten Gestus handelt; auch gibt es natürlich einen Wandel im Verständnis der "inneren Form", aber der Begriff trägt noch immer. Der Tumult, den "Le Sacre du Printemps" am Abend des 29. Mai 1913 in Paris auslöste, hatte damit zu tun, daß ein ganzer Zuschauerraum in der Komposition Strawinskys, verstärkt durch die unerhörte Choreographie Nijinskys, keine "innere Form" mehr wahrnahm; die Wucht des Ganzen führte zum Zusammenbruch der ästhetischen Distanz. Das war einer der besten Skandale der Kulturgeschichte, zeigte er doch, wieviel Dissonantes und scheinbar Formsprengendes die innere Form verträgt.
Ich muß gestehen, daß mir die Unterscheidung zwischen "Klassikern" und zeitgenössischer Literatur schwerfällt; wenn ich "Der Meister und Margarita" lese, ist Bulgakow für mich mehr Zeitgenosse als manche Zeitgenossen. Aber das ist my own personal Idiosynkrasie, und wiewohl sich wenig Gegenwartsliteratur in meinen Umzugskartons befindet, sagt das überhaupt nichts gegen die Gegenwartsliteratur. Die Musen sind abgeschafft, der Musenkuß ist es nicht.
Literatur hat wohl immer schon aus Material geschöpft, das, gnadenlos subjektiv, der Goethe'schen Suche nach wohlgeordneter Gesetzmäßigkeit "die Ohren langgezogen hat". Kein Zufall übrigens, daß Goethe zeitlebens so an Gartenkunst interessiert war.
Das Unbewußte, Träume, Visionen, auch künstlich erzeugte, die autonom sich zusammenfügenden Sätze und Satzfetzen, die kurz vor dem Einschlafen durchs Hirn jagen können, das Zusammenkommen von Dingen, die eigentlich nicht zusammenkommen können (eine Art psychisch-kreative Synchronizität) – all dies, was uns zeigt, daß wir nicht Herr im eigenen Haus sind, hinüberzuretten und, wieder Herr im Karton, einzufügen in die "innere Form", das bedeutet: der kognitive Ablauf ist in der Dschungelhälfte, nicht in der Gartenhälfte, und irrt wollüstig erschrocken ins Phantastische. Metaphern wuchern aus gurgelnder Feuchtigkeit, jeden Schritt begleiten die absonderlichen Laute kopulierender Ideen. All das legt frei, was "vor Verwunderung erstarren läßt", neue Blickwinkel aufzeigt. Nochmal zu Shaftesbury: dieser selbst hat eigentlich betont, das obskure Objekt wissenschaftlicher Begierde, der Kosmos, wird letztenendes obskur bleiben. Unwiderlegbar: nur ein unendliches Wesen könnte unendliche Zusammenhänge erkennen. Wissend aber, daß die Zusammenhänge unendlich sind, ist es an uns, zu zeigen, daß es immer Neues gibt, geben muß. Es gibt keine Welt, nur ihre Beschreibungen.
Es gibt nur ein paar Geschichten, aber jeder erzählt sie anders. Und es gibt, wie Lessing sagt, die "Begierde, gerühret zu werden". Es gibt 97 Arten dieser Begierde und 97 Arten des Gerührtwerdens, aber ich fand, das war immer ein ganz guter Maßstab: sind wir völlig umgerührt, war es große Kunst.
Mixolydian:
Wow! Punktlandung, Aljoscha! Das war ein sehr einleuchtender Exkurs, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ach ja: hier kann einer ernsthaft schreiben...
Eingestellt von
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
um
17.7.11
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Samstag, 16. Juli 2011
Christina
Meine Halbschwester, zur Prinzessin gewählt, mysterious paper crown smile, sad saints on her dress,
all I ever saw. Sie fiel wie Sandy Denny.
Are those halos in your hair
Or diamonds shining there
Before I go I'm hangin' a cross on the nail
I hung one for you in there
And every kingdom of rain comes pourin' down
Cause I loved you so long
Or diamonds shining there
Before I go I'm hangin' a cross on the nail
I hung one for you in there
And every kingdom of rain comes pourin' down
Cause I loved you so long
Eingestellt von
Antirationalistischer Block / Christian Erdmann
um
16.7.11
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