Montag, 9. November 2020

Slide mit Messer




(The End of Violence)



 
SPIEGEL ONLINE Forum
 
08.06.2006
 
 
 
Der Soundtrack zu Nicolas Roegs "Performance" ist großartig. Ry Cooders "Powis Square" ist halb Blind Willie Johnson-Hommage, halb Vorläufer zu seinem eigenen "Paris, Texas"-Soundtrack. Später spielt Cooder Dulcimer auf einem Stück namens "The Hashishin" (Ihr wißt schon: der Alte vom Berge / nichts ist wahr, alles ist erlaubt), "Gone Dead Train", Gesang Randy Newman, ist scharf und gemein, zwischen alldem noch einige sehr bizarre Tracks, und am Ende ein Stück namens "Turner's Murder", das später mal kopiert wurde in "The Hunger". Ry Cooder-Bottleneck an allen Ecken und Enden.
 
 
 
 
Gwynplaine:
Cooder - einer meiner heroes - hat lange seine Brötchen mit Soundtrack-Arbeit verdient. Walter Hill mochte ihn besonders gern. "Southern Comfort" und "Trespass" sind weitere feine Beispiele. Blind Willie Johnson war natürlich einer der wichtigsten musikalischen Einflüsse für Cooder. Nicht nur für "Paris, Texas" hat er sich großzügig bei Johnson bedient, aber immer auch Eigenes eingebracht. Danke für den Hinweis auf "Performance". Davon gehört, aber noch nie gesehen. Mick Jagger spielt mit, nicht? Sie haben eine Art, immer meine Lücken zu finden ;-))
 
 
 
 
09.06.2006
 
 
 
arte de la comedia:
Ich glaub', das macht der absichtlich. Und das ist auch gut so.
 
 
 
 
Falls Sie den Jagger/Richards-Song "Memo From Turner" kennen, der ist aus "Performance". Hat zwar sehr viel, nun ja, Zeitkolorit (London, Notting Hill, Spät-Sixties), ist aber immer noch ein sehr interessanter Film... darüber, was passiert, wenn zwei Alter egos sich treffen. ("Deinen alten Egon? Hast du den denn dabei?" - Danny Wilde)
 
Davon abgesehen: für den "Paris, Texas"-Soundtrack hat Ry Cooder sich ja stark an Johnson's "Dark Was The Night, Cold Was The Ground" angelehnt. Sträubt mir drei Minuten lang die Nackenhaare.
 
 
 
 
Gwynplaine:
So ist es. Robert "Crossroads" Johnson war immer diese Deltalegende, aber Blind Willie erreichte eine Qualität mit dem Slidespiel, die unerreicht ist. Soweit ich weiss, spielte er Slide mit einem Messer. Und Ry Cooder hat ihn aus der Versenkung geholt. Die vielen Soundtracks, an denen Cooder beteiligt ist, sind allein schon tonnenweise Grammys wert, aber auch von seinen regulären Platten könnte jedes schöne Roadmovie profitieren.
 
 

 
Den anderen Johnson hatte ich vorhin auch schon erwähnen wollen, aber ich sagte mir, das ist ein Filmforum hier... tja... wie kriegen wir die Kurve...es soll ja 8 Sekunden eines 8-Millimeter-Films geben, die Robert Johnson zeigen... Experten behaupten zwar, das ist er nicht, aber wenn Dylan in den "Chronicles" sagt, das ist er, dann ist er das.







 

 

03.03.2008

Nachtschwester Ingeborg: 
Ganz im Gegenteil, das ist ein Anti-68er der feinsten Art.
 

Also sagen wir mal, diese beiden treffen sich zufällig, oder durch sonderbaren Magnetismus, der brutale Gangster Chas, der zurückgezogen lebende Rockstar Turner; Chas verachtet Turner, verachtet damit, klassische Projektion, einen Teil von sich selbst, den er nicht akzeptiert, und Turner setzt sein Identitätsaustausch-Ritual in Gang. Sagen wir mal, die "Memo From Turner"-Szene weist z.B. auf die homoerotischen Untertöne im Männerbündlerisch-Harten. Sagen wir mal, meine Interpretationsansätze würden so weitergehen... wo könnte ich da die Anti-68-er-Linie unterbringen? Sehen Sie die darin, daß hier zwei Protagonisten scheinbar vollkommen gegensätzlicher Pole sich in dieses Vexierspiel ziehen, bei dem deutlich wird, wieviel Eigenes im Anderen und wieviel Anderes im Eigenen ist? Oder wie? :) 
 
 
 
 
 


 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 1. November 2020

Luis Bunuel




SPIEGEL ONLINE Forum

"Lieblingsfilme - Was ist 'großes Kino'?"

 

10.05.2006

Nicht der beste Buñuel-Film, aber einer meiner liebsten: "Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz", über, nun ja, Archibaldo de la Cruz und dessen beständigen Versuch, zum Frauenkiller zu werden, der aber beständig scheitert, weil irgendwelche Fügungen ihm im letzten Moment die Arbeit abnehmen. Am Ende muß dann eine lebensgroße Puppe im Feuer schmelzen, aus mehreren Gründen eine unvergeßliche Szene. Die wunderschöne Darstellerin der Lavinia - das Vorbild der Puppe - beging einige Tage nach Abschluß der Dreharbeiten Selbstmord.

 

 

 

 

 



 

 

07.02.2007

Nachtschwester Ingeborg: 

Immer wieder stelle ich fest, dass der interessanteste Europäische Film seit einigen Jahren aus Spanien kommt. Erinnern möchte ich auch an einen der wirklich großen Regisseure der Filmgeschichte: Luis Buñuel - der Mann hat über 40 Filme gedreht, von denen die allermeisten absolut phantastisch sind, große Filmkunst eben.

 

 

Spanien: einer meiner Favoriten ist Julio Médem, "Die Liebenden des Polarkreises". Beantwortet die Frage "Können zwei Menschen füreinander bestimmt sein?" überaus intelligent mit einem dezidierten "Ja, aber". Buñuel wurde hier ja schon mehrfach gewürdigt (kann man natürlich nicht oft genug tun), darum beschränke ich mich auf die Feststellung, daß ich mich in Buñuel-Filmen immer seltsam zuhause fühle. Und richtig, 40+, da war immer das Gefühl, daß es da noch viel zu entdecken gibt (aus seiner mexikanischen Phase) aber jetzt wird es langsam Zeit. Man lebt nicht ewig. 

 

 

Nachtschwester Ingeborg:

Letzte Woche lief auf 3sat "Die Last mit der Lust" von Manuel Gómez Pereira, mit Victoria Abril und Javier Bardem, fesselnde Geschichte, tolle Schauspieler, Erotikthriller. "Tesis" von Alejandro Amenábar, der Snuff-Video Thriller schlechthin. Luis Buñuel ist eine Galaxie für sich, die es zu entdecken gilt. Kaum ein Filmemacher hat eine eigene Welt erschaffen so wie es Buñuel gelang. Der Regisseur der Moderne.

 

 

Zu den ersten Filmen, die ich mal auf Video aufgenommen habe, gehörten "Tanz der Vampire" und "Das Gespenst der Freiheit". Jeden, der zu mir kam, habe ich dann erstmal gezwungen, "Das Gespenst der Freiheit" anzusehen. Ich weiß gar nicht, warum dessen Erzählweise so ungewöhnlich sein soll - genau so verläuft das Leben. Eine Szenerie beginnt, bevor eine andere endet, nichts ist schockierender als Ansichtskarten, Mademoiselle Rosenblum beendet das soziale Ritual, und durch mein Zimmer tappt nachts auch mal ein Strauß, also was soll sein?

Hab immer das Gefühl, hinter der perversen Komik sagt Bunuel todernst: Koinzidenz und das essentielle Mysterium aller Dinge kannst du umarmen oder nicht.

 

 



 

13.03.2008

David M.:

"Die Elixiere des Teufels" von Hoffmann fand ich schon sehr gut!

 

Dann kennen Sie bestimmt auch "The Monk" von M.G. Lewis? Wenn nicht, auch unbedingt lesen! "Die Elixiere des Teufels" wurde ja mal verfilmt mit Dieter Laser, hab aber keine Erinnerung daran, zu lange her. Meine Lieblingsfilmmönche sind natürlich die rauchenden, trinkenden und kartenspielenden aus Buñuels "Das Gespenst der Freiheit", die dann bei den flagellantischen Exerzitien von Mademoiselle Rosenblum und ihrem Begleiter hochmoralisch entrüstet aus allen Wolken fallen: "Er will Schläge? Die kann er haben!"

 

 

06.07.2009

The Devil made it all, Schnaps, Dialektik, me do it, und ich weiß auch, wo er herkam. Liebste Buñuel-Szenen ("Wollen nicht wenigstens die Mönche bleiben?") machen wir dann morgen.

 

 




 

15.02.2010

"Viridiana" ist zusammen mit "Belle de Jour", "Tristana", "Archibaldo de la Cruz" und "Gespenst der Freiheit" mein liebster Buñuel (großartig alle, darum "liebster".) Eine Schweizer Zeitung schrieb 1962 nach "Viridiana", Buñuel gehöre in eine Zwangsjacke gesteckt. Feuer und Schwefel kommen immer so anstrengungslos aus Buñuels Unbewußtem, aber es gab auch handfeste Inspirationen: lustigerweise wurde Buñuel z.B. dafür der Blassfemje geziehen, daß er in "Viridiana" ein Messer in Form eines Kruzifix zeigte. Buñuel meinte, die Dinger gebe es überall in Albacete, und überhaupt hätte seine Schwester mal eine Nonne gesehen, die mit so einem Kruzifixmesser ihre Äpfel schälte. Surrealisten und Nonnen, immer ein inniges Verhältnis, da konnte man kaum mal Zigarettenpause machen.

 

 


 

 

"Un chien andalou" mit einem neuen Score von "The Flushing Remonstrance", live eingespielt am 26. März 2017 im LetLove Inn, Astoria, Queens, NYC.

 

 

  

 

Die faszinierende Person, die wir auf der Straße sehen (5:30 – 7:53) und die stets als "Hermaphrodit" bezeichnet wird, ist Fano Messan (1902 – 1998). Fano Messan (auch Maesens) war eine Künstlerin, die sich der Bildhauerei widmete, von Man Ray fotografiert

 

 


 


und von Kees van Dongen gemalt.

 

 


 

 

Aus "The Questionnaire", The Guardian Weekend, 21 November 1992, Frage an Siouxsie Sioux:

With which historical figure do you most identify ?

Siouxsie: Luis Bunuel, for his humour and conviction. I like the story of him taking rocks to the preview of Un Chien Andalou, to pelt the critics when they showed disapproval. To his surprise they applauded.