Samstag, 7. Mai 2011

I'm Eighteen







Ente hieß eigentlich Stefan, aber alle nannten ihn Ente. Nur seine Schwester nicht. Als ich einmal bei Ente anrief, war seine Schwester am Telefon, ich sagte, "Kann ich mal Ente sprechen?", sie sagte, "Wir sind doch keine Geflügelfarm!" und legte auf. Ente und ich wollten eine Band gründen, und er hatte die skurrilsten Pläne, wie wir uns das Geld für Instrumente beschaffen konnten. Von Iris lernte ich Ziggy Stardust, von Ente lernte ich Cockney Rebel. Es fehlte nur noch am läppischen Geld, unsere Bühnenshow hatte er bereits bis ins Detail durchkalkuliert. Ein vollkommener Spinner. Aber liebenswert. Mit Ente ging immer irgendwas schief. Einmal kauften wir ein halbes Reagenzglas Haschischöl, um in der Schule beim blühenden Handel ein Wörtchen mitzureden, aber niemand war an Haschischöl interessiert. Das Zeug landete im Gulli. Mit Ente funktionierte nichts. Wenn man mit Ente nach Scheeßel fuhr, brannte die Bühne ab.

Long Tall Ernie & The Shakers, dann Van der Graaf Generator. Peter Hammill, ganz in Schwarz, mit weißem Schal. Ich mochte seine Bewegungen, aber die Musik sagte mir noch nicht viel. Fünf Jahre später würde "Nadir's Big Chance" bei mir einschlagen wie ein Meteorit. Jetzt war Hammill mit seiner Band tatsächlich ins katastrophale Scheeßel gekommen, aufrichtig wie immer, eine von fünf (5) Bands, die den kümmerlichen Rest der angekündigten 22 darstellten.

Davon ahnte freilich noch niemand etwas, obgleich sich das Festival merkwürdig schleppend dahinzog, mit endlos langen Umbaupausen. Ente und ich ernährten uns von undefinierbaren süßen Klößen, in denen wir natürlich Dope vermuteten. Colosseum II in der Abenddämmerung, dann noch Camel und gegen Mitternacht Golden Earring, das war's.

Gerüchte machten die Runde: Klaus Schulze schlage Krach, weil es für seinen Auftritt zu spät geworden sei; Klaus Schulze schlage Krach, weil er nicht auftreten will, ohne vorher seine Gage erhalten zu haben; alle schlagen Krach, weil überhaupt keine Gagen gezahlt werden; der Veranstalter ist mit dem Geld über alle Berge. Schließlich sickerte durch, daß für heute Schluß sei, und wir legten uns aufs Ohr.

Infernalischer Krach weckte uns. Flaschen zerschlugen an der Stahlkonstruktion der Bühne, an den Boxentürmen, erst ein paar, dann tausende. Einer der bizarrsten Klänge, die ich je hörte. Gespenstisch. Wir konnten es nicht glauben. Eine entfesselte Menschenmenge, auf merkwürdige Art alleingelassen vor diesem schweigenden Stahlmonster. Das Mischpult wurde gestürmt, die Boxentürme kippten. "Hier findet kein Festival mehr statt, Mann", wir rafften unsere Schlafsäcke zusammen, kämpften uns durch bis zu dem Wald, in dem wir unsere Fahrräder versteckt hatten, fluchten und suchten wie die Deppen in der Dunkelheit, war ja nicht vorgesehen, daß wir die Räder mitten in der Nacht brauchen würden, und als wir endlich wieder aus dem verdammten Wald herauskamen, brannte die Bühne lichterloh.

Als ich den Lichtschein sah, hatte ich den seltsamen Gedanken, daß es langsam Zeit wäre, sich aufs Abi zu konzentrieren. Das stellte sich dann auch als Himmelfahrtskommando heraus, was aber ausnahmsweise nichts mit Ente zu tun hatte, jedoch viel mit









Kerstin.














2 Kommentare:

  1. Anonym7.5.11

    weißt du, josch, eigentlich ist es egal - natürlich gleichzeitig ganz und gar nicht :-) - was du schreibst. es ist immer alles ein fulminanter (re)mix, von allem, andere instrumente, anderes arrangement, der dein geschriebenes zu etwas völlig fundamental neuem macht. und bei aller tiefe und breite stets ein ungeheuer wirkungsvolles, subtil-leichtes lächeln hinterlässt, aber auch nicht immer. :-) weißt du zwar alles schon, aber irgendwie wollte und musste ich dir das einfach noch einmal sagen. grandios, mein freund, einfach grandios! entenragout. schließlich sind wir keine geflügelfarm …

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  2. Oh boy. Nein, wußte ich noch nicht alles schon. :) Ich will nicht sagen, daß die Frage, ob Klaus Schulze nun da war oder nicht, zu den großen Mysterien meines Lebens gehörte, aber vor zwei Jahren hatte ich einen längeren Austausch mit einem deutschen Musikjournalisten (Grenzwellen), der mir dann irgendwann das hier gönnte:

    Moin Christian!

    Ich habe eben, wie von Dir geheißen, mit Meister Klaus telefoniert, der Deine Geschichte von Scheeßel bestätigt hat:

    Du hattest recht: Klaus wollte gerade den Moog auf die Bühne schieben, als das erste Mischpult vor der Bühne zu Bruch ging (davor sind Golden Earring aufgetreten).

    Er meinte, er hätte selten im Leben so viel Schiß und Angst um seine Instrumente gehabt, die er damals quasi in letzter Sekunde in Sicherheit bringen konnte....

    Schöne Anekdote - die war mir bislang noch nicht bekannt... ;-)

    Die Geflügelfarm - komisch, daß ich eine Sekunde lang überrascht war. Ich meine, daß seine Schwester ihn nicht Ente nannte. Coole Antwort, anyway, even if it was rehearsed. Sie war seine jüngere Schwester, aber sie hatte wahrscheinlich schon lange, leidvolle Erfahrungen am Telefon mit Leuten, die Ente sprechen wollten. :)

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