Samstag, 12. Oktober 2013

Bitte nich







"Der Prinz hatte nur das Bedürfnis persönlichen Verschontbleibens" (Fontane, Vor dem Sturm)













Oktober ist eine gute Zeit, um ein Fazit zu ziehen. Von mir aus auch April. Wann Dezember ist, bestimme ich. Und darum kürt Antirat wie immer im Dezember schon im Mai den Filmsatz des Jahres.






"Wir haben auch Sojamilch!" - "Bitte nich." (7:05).







Dieses "Bitte nich", halb angewidert, halb resigniert, Sojamilch als Metapher für die Zeitvergeudung mit dem ganzen Bullshit, für das ganze belanglose Schnattern, für die tumbe Selbstbezogenheit der Dummheit, die sich selbst ständig laut und mit undekorativem IQ herausposaunt, für die ganze zombifizierte Verblödungsindustrie, die einen zubombt mit totgefeatureten Nichtigkeiten, SIE SIND SOGAR DER MEINUNG DAS WAR SCHIETE, für die ewige sterile Angepißtheit der Bionade-Bourgeoisie, für das alkoholinduzierte Gegröhl, das Deutsche für Fröhlichkeit halten, Parties um 2 Uhr morgens klingen hier in etwa so fröhlich wie das "Sieg"-Gebrüll in deutschen Fußballstadien, Otto Sander auch dahin ("Intelligenzija! Wo denn, wo denn!" - Sander in "Sommergäste"), für die allgemeine Infantilisierung und die Puritanisierung und die Fürdummverkaufung und den Jahrmarkt der Zwergeneitelkeiten und für alles, was der Teufel holen soll und blah blah Vampirnotfall blah, ein Mantra in seiner ursprünglichsten Bedeutung, denn Mantra bedeutet Schutz des Geistes. Bitte nich.















12 Kommentare:

  1. Kenn Dein Mantra. Ist auch meins, stellenweise. Birgt aber auch alles 'ne gewisse Komik, das Ding da draußen, das Getue. Wie kann man überhaupt vor die Tür gehen, ohne den Vorsatz, alles weitere unter dem komödiantischen Aspekt betrachten zu wollen. Du kriegst den Tag ja sonst garnicht rum. :) Leider haben wir Oh Boy verpasst. Auch schon wieder komisch, weil: der Streifen wär was für uns hier gewesen. Aber es hat halt wieder mal nicht sollen sein. :)

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    1. Hast recht. Aber es war schon komischer. :) - Zu den tausend Dingen übrigens, die Prag so angenehm machen, gehört die Absenz von Smartphones. 20-30jährige sitzen in der Metro und lesen in Büchern. Oder sitzen im Bus, schauen aus dem Fenster und denken über irgendwas nach. Ein Bild also, das man hier bald nur noch aus Filmen kennt. Wenn ich als Baby feststellen müßte, daß meine Mama so eine Multitasking-Schwallmadame ist, die meinen Kinderwagen als traffic detector benutzt und ansonsten mit dem Phone beschäftigt ist, ich würde aus dem Kinderwagen aufstehen und gehen, auf der Stelle. :)
      Ansonsten, Gottseibeiuns, da wird eine Sexismus-Debatte losgetreten wegen Brüderle. Eine Pornographie-Debatte wegen Miley Cyrus - das Obszönste an dem Video sind die Fake-Tränen. So wie der eigentliche Skandal an Limburg die Häßlichkeit des Baus ist. Die Kirche verpraßt Geld für Architektur, OH ECHT? SEIT WANN? Soll der Mann halt für die Hälfte irgendwas bauen lassen, das irgendeinen Faktor aufweist, der von Interesse wäre, irgendwas, das über Jahrhunderte attraktiv sein könnte - tempi passati.
      Mantra mit unkonkretem Bezug, klar, aber der Platz würde nicht reichen, um konkret zu werden, von der Dauermedien-(oder -foren-)Präsenz derer, die in ihrem Paranoiahausen meinungsstalinistisch von Abschaffung der Meinungsfreiheit faseln über Kai Pflaume bis zu Bundesmutti. Wie Pispers gerade sagte: die kann man nicht abwählen, die kann man nur überleben. Und: die interessiert sich gar nicht für Politik. Die will einfach nur mit der Sänfte durchs Land getragen werden. Max Goldts "Eine Königin mit Rädern untendran" reloaded, quasi.
      "Oh Boy" ist gut. Nichts, was du aufm Olymp nicht mehr entbehren kannst, aber für einen deutschen Film sehr cool. Schafft Ihr schon noch. :)

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    2. Die Brüderle-ff-Debatte war natürlich ein Meilenstein in der veröffentlichten Republiksblödigkeit, da gibt's kein Zweifel, man saß nur da und dachte, hey, das kann doch alles nicht wahr sein. Wieder eine Nabelschnur durchgetrennt. Was die Smartphone-Blödigkeit angeht: damit lebe ich inzwischen täglich. :) Werd mich aber wohl nie so recht dran gewöhnen. Mir ist unklar, wie man irgendeinen Kram auf einem kleinen Display interessanter finden kann als die direkte Umwelt mit all ihren Verführungen und Verlockungen. Irgendwann werden die Mädels ohne GPS nicht mal mehr zum Bäcker finden. :)

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    3. "Republiksblödigkeit", sehr gut, notiert. Was Inhärentes, oder? :)
      Cumberbatch als BBC-Holmes und Lara Pulver als Irene Adler hätten mich kurzzeitig fast zu einem Smartphone verführt. Marc Forster ("World War Z") hat die Zombiefizierung durch Smartphone und iPod in Interviews ja immer wieder gern angesprochen. Werde lernen, mit meinen Daumen vor meiner Brust herumzuspielen, wenn sie mir entgegenkommen. Um zu signalisieren: ich komme in friedlicher Absicht, bitte tut mir nicht weh.
      Zu den tausend Dingen übrigens, die Prag so angenehm machen, gehört die feine, leise Art der Tschechen, apropos lärmende Germanen, rate, was das ist:
      "Was ist es nur, warum sind mir Deutsche im Ausland unangenehm, immer scheint es, als schickten wir eine Auslese von Scheußlingen heraus … Hier in Mazatlan ist eine große deutsche Kolonie, zwei deutsche Clubs - überall hört oder sieht man sie. Sie sind entweder aus Hamburg oder Bremen oder aus Sachsen, ihre überlaut geführte Unterhaltung läßt darüber keinen Zweifel aufkommen … Alles was man sich einredete, daß es das nun nicht mehr gäbe, Gottseidank, hier ist es alles noch oder wieder da, herrlich erhalten. Dabei sind sie - auch der einfachste - von einem Dünkel und einer Selbstüberhebung, daß es nicht zum Sagen ist …"
      Ein Brief von F. W. Murnau aus dem Jahre 1929. :)

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  2. Jörn Bünning16.10.13

    Murnau hatte wahrscheinlich gerade erfahren müssen, dass das wahre Grauen jenseits unserer Albträume im wahren Grauen liegt, das sich aus den Konserven des Deutschtums fernab seiner Plantagen ausbreitet, als hätte jemand gerade eine Dose mit isländischem Gammelrochen geöffnet.
    Auch dass sich Deutsche grundsätzlich für Deutsche im Ausland schämen, ist Usus, gerade unter jungen Leuten. Auf der Fähre von Piräus nach Heraklion versuchen hunderte deutscher Individualrucksacktouristen aneinander vorbei aufs Meer zu blicken, was nicht so ganz einfach ist.

    Wenn der Zeitgeist seinen Zeitgenossen den Individualismus diktiert, dann ist das Resultat eine allgemeine Selbstverleugnung. Und jene, die sich im "Hier und Jetzt" ihrem "so-sein-wie-sie-sind" verpflichtet fühlen, verfallen dem kumpelhaften Ton der Kameradschaft, Schulter- und Schenkelklopfen als Inszenierung tiefster Selbsterfahrung. (Hier müsste jetzt ein Zitat von Botho Strauss folgen, aber ich finde es gerade nicht.) Die Selbstverständlichkeit des Beisichseins ist weg, weil es weder eine Verständlichkeit noch ein Beisichsein mehr gibt. Der Fetisch "Ich" als Schwarzes Loch: mit zunehmender Gravitation verschwindet immer mehr im Nichts.

    Bitte nich! Bleib dein Idiot!
    :)

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    1. Nietzsche meinte mal, gut deutsch sein heißt sich entdeutschen. :) Das Gegenteil findet gerade wieder statt. Deutschland ist ein Wirtschaftsriese, der tumb und plump durch die Globalisierung stampft, mit deren Auswirkungen die Deutschen indes immer weniger gut umgehen können, eine Folge davon ist Provinzialisierung des Denkens. Vermarkuslanzung als Sedativ. Der "kumpelhafte Ton der Kameradschaft": das Café SpOntan ist ja, wie Du weißt, nur ein Versuchslabor, eine Art Big Brother-Container, dessen Insassen nicht mehr wahrnehmen, daß man sie beobachtet. :) Viele kannte ich vor sechs, fünf, vier Jahren als anregende, interessante und interessierte Schreiber mit brauchbarem Horizont; schau Dir an, welche Wandlung, wie sie sich gegenseitig befeuern mit abgeschmackter und reaktionärer Kleingeistigkeit, zusammengeschmolzen zu einem Kloß aus Angst und Ressentiment. Nietzsche sprach auch mal vom sehr deutschen Nebeneinander von "gutmütig und tückisch" - draußen steht "Cafè", drinnen werden die Messer gewetzt, nebst "Dünkel und Selbstüberhebung, daß es nicht zum Sagen ist". :) Kein Beisichsein, bei dem sich's sein läßt.

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  3. Jörn Bünning16.10.13

    Dazu schnell noch Botho Strauß nachgereicht (Plurimi-Faktor):

    "Wozu noch Ich sagen? Man wird sich daran gewöhnen, daß nicht Subjekte etwas fühlen, sondern konsensitiv Assemblierte etwas zum allgemeinen Erlebnis bringen. Das Subjekt selbst bleibt lustlos."

    und:

    "Der Abgesonderte ist ja der idiotes im antiken Wortsinn. Er dreht sich wie eine abgerissene Rose im Flußstrudel zielstrebiger Menschen - Menschen im Konsens. Eingemeindete, Zugehörige eines wundersamen Einvernehmens. Zielstrebige Leute, doch über ihr Ziel täuschen sich alle."

    Wohin nun jener Kloß aus Angst und Ressentiment rollt, bleibt zwar unklar, aber "man" ist dabei. Vielleicht bedeutet dies "Schwarmintelligenz": gemeinsame Angst und Wut, aber ohne Ziel.

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    1. Die abgerissene Rose im Flußstrudel könnte mich zu den Lichtern des Toren bringen, danke JB.
      "Das Subjekt selbst bleibt lustlos" - ? Lustlosigkeit ist eine der Todsünden. - Das Phänomen "konsensitiv Assemblierter" mit einer "Lust", die so mindless, ziellos und freudlos wirkt, daß man sie tatsächlich nur noch als bad cover version wahrnehmen kann, denke gerade an die ultranervigen Dauerfangesänge in deutschen Fußballstadien, die alle spontanen Reaktionen auf das eigentliche Spielgeschehen in ihrer Monotonie mittlerweile übertönen, initiiert zudem von Vorgröhlern mit Megaphon. Zombiefizierung.
      Morgen dann: "Deutsche Verschlumpfung am Beispiel der Sportfreunde Stiller". :)

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    2. Jörn Bünning24.10.13

      Ach ja der Jubel. Kommt in der Literatur viel zu leicht davon. Als wäre er selbstverständlich und jederzeit erstrebenswert. Dabei hat er nur seinen Wert, wo er unterdrückt hervorbricht, etwa eine unerwartete Befreiung in der Schule, wenn es hitzefrei gibt.

      Sonst ist alles voll mit Jubelpersern. Fähnchen in die Hand gedrückt und los: jubeln! Und der Mensch jubelt auf Befehl! Kann jubeln; das geht leichter als befohlene Tränen. Zumindest in unseren Breiten gibt es wenig Jobs für Klageweiber. Aber Jubel allenthalben, bestellt und jederzeit abrufbar. Weil überall die Angst ist. Jubel bedeutet immer durchlittene Angst, lustvolle Erleichterung, Wasserspülung der Seele, Abtreibung, Fehlgeburt. Das abortive Moment des Jubels lässt sogar Sieger die abgehackten Gliedmaßen der Feinde über den Köpfen schwenken.

      Und immer entsteht eine aufgesetzte Situation voll lauernder Aggressivität. Wehe dem Fan, der in der falschen Kurve sitzt. Nicht Liebe ist die andere Seite des Hasses, der Jubel ist es.

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    3. Prolegomena zu einer messerscharf-poetischen Jubelanalyse, die Du mir irgendwann signierst, damit ich sie neben Canettis "Masse und Macht" stellen kann. [Das ich gar nicht besitze. Bugger.] Jubel als Affekt der Befreiung, des Befreitseins, aber auch des Hingerissenseins zu unkontaminierter Mitfreude, und Jubel, der dieses Element von Schmähung des gerade Unterlegenen enthält, und wenn es nur Bedingungen sind, über die man triumphiert hat, nicht unbedingt ein besiegter Feind, wahrscheinlich ist beides genuin. Organisierter Jubel aber immer irgendwie schon contradictio in adiecto, Widerspruch verdeckt durch die Eigendynamik der Masse. - Kenne schönere Wege der Ichauflösung als die Masse. Kann nicht sagen, daß ich Massenveranstaltungen meide, bin alle Nase lang in Konzerten, aber stomping Dionysus kommt dann von vorn, und es gibt etwas am Phänomen der Masse und der Menge, zu dem ich nicht kompatibel bin, das mich auch gleich wieder als ungenießbar ausspuckt, mir fehlt diese Fähigkeit zur chemischen Reaktion, da völlig in der Lösung aufzugehen. Ich wäre schon im Bierzelt ein mißgelaunter Alien mit einem großen WTF und "Menge" beginnt mir schon bei 3, halte wie Nietzsche das Zwiegespräch für das vollkommene Gespräch. :)

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  4. Jörn Bünning25.10.13

    Ja, der Idiot bleibt stets allein; als Idiot ist er nicht einmal inmitten von Idioten unter seinesgleichen. :)

    Was die Psychodynamik der Menschenmassen anbelangt, so findet - wie zwischen Apfel und Erde - eine Annäherung aus beiden Richtungen statt: Die Masse sucht sich Menschen und der Mensch sucht sich Massen. Während erstere sich aus der Lokalität eines attraktiven Ereignisses zwangsläufig ergibt, ist im zweiten Fall das Zusammentreffen möglichst vieler selbst das attraktive Ereignis. Auf jenem hybriden Effekt beruht die Wirkung der Massenveranstaltungen, deren Anlass lediglich den Gravitationskern liefert, um den sich Masse sammelt. Ist eine kritische Größe entstanden, dann zündet ein Stern: Menschen wechseln ihren Betriebsmodus und zeigen ein Verhalten, das man als "Strahlung" bezeichnen könnte: Sie emittieren Energie, die ihre Nachbarn dazu anregt, es ihnen gleich zu tun, bis schließlich der gesamte Arenakessel kocht. Menschen sind glücklich, wenn man sie von dem befreit, was den Menschen ausmacht: Individualität und Ratio.

    Ja, ich teile Dein Unbehagen und die instinktive Abneigung gegen alkoholisierte Menschenansammlungen. Diese feuchte Fröhlichkeit nüchtern ertragen zu müssen, kann depressiv machen. Und ich schätze das Zwiegespräch, auch musikalisch: da geht es gerade um "t 4 2" (besser bekannt als: "Tea for two")! :)

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    1. Nein, der Idiot ist nie allein, jedenfalls nicht der aus "Calling Sister Midnight / I'm an idiot for you." :) (Wer sich neben einer Frau nicht wenigstens manchmal wie ein Idiot vorkommt, ist wirklich einer, das gehört unbedingt zu meiner Idioten-Theorie.)
      t 4 2 - can we hear it somewhere?

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