Verrat überall am Wegesrand, eine Engelsstimme ist zu hören, irgendein weiblicher Engel beim Sündenfall, schon setzt "A Drinking Song" ein, Parole: das Leben ist kurz und traurig, also trinken wir und besingen alle Laster. Wenn der Untergang schon stattfindet, wird auf dem Tisch getanzt. "Girls come let us raise our skirts" / "We'll pretend we're glad". Es wird ohnehin böse enden, "what so we care of worry and hurt?" – "Was macht uns das, mein Herz" (Rimbaud), trotziger Rausch, unser Glas werfen wir dem Tod in die Visage und der zum Refrain hergerichtete chant erinnert tatsächlich an die Domina der Banshees. Komm schon Apokalypse, wir wären dann soweit.
"Maggie" war ursprünglich ein Song für Rykardas kleine Neffen, deren geliebte Katze namens Maggie eines Tages spurlos verschwand, und wurde dann zu einem Song über Rückzug, Isolation, Verlust:
"My boyfriend at the time helped me record the children's version – sadly, several years later, he fell victim to heroin. I think the song portrays the unbearable seclusion and darkness that it brought. Like Maggie, my boyfriend was also… lost. I found it difficult to cope."
"But she looks on me now and my little blackheart breaks". Maggie hat ein musikalisches Arrangement bekommen, bei dem dir nochmal auffällt, wie all diese musikalischen Arrangements einfach mörderisch sind. "One For Joy!", Ms. Parasol wie eine von Clovis Trouille gemalte Sängerin in einer Kurt Weill-Spelunke randvoll mit Piraten. Oder wie eine sturzbetrunkene Marlene Dietrich auf der Bühne des Kabaretts "Theophania". Oder "Theophanu", Herrgott. Und überall in den Arrangements diese kleinen Bowie-Tricks, ich meine etwa dieses Arrangement für neun Mandolinen in "Fantastic Voyage", die man dann im Mix aber kaum noch hört, eher spürt, nur noch ein schimmernder drone im Hintergrund (-> Ereigniskarte IV), auf "One For Joy!" kratzen sich enervierende Geräusche ins Soundbild, die man auch erst fühlt, bevor man sie hört.
Es folgt eine Art
Trilogie, abgründig, unheimlich und verstörend. "Hold Back The Night"
– der Tod ist immer nah. Hier dirigiert er ein ganzes Mysterienspiel, und um
Rykardas Performance legt sich Grabeskälte. An einigen Stellen führt FOR BLOOD
AND WINE an die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits. Weil diese Songs auch
Auflehnung gegen das Vergangensein sind. Weil "staying connected to those
whom I loved" das Verlangen ist, das den Abstieg in die Unterwelt notwendig
macht. Weil Trost auch in schmerzlichen Beschwörungen liegt. Liebe liegt
blutend da, das ist der andere Grund. "Covenant": ein feierliches Abkommen,
ein gebrochener Pakt, eine Szene auf einem Bett, nach der die Erzählerin
"a much colder place" ist. "Oh My Blood" – Rykarda spielt
mit Dingen, die gefährlich blitzen. Messerklingen werden behandelt wie lovely friends, oder umgekehrt, wäre Eno
im Studio gewesen, um seine Oblique
Strategies-Kärtchen zu verteilen, hätte darauf gestanden: Schlüssel finden
zu The Doors. "This woman is dark", schrieb der San Francisco
Chronicle. Sie berührt Dinge, die andere nicht anzusprechen wagen.
Aber wie bone-chilling es auch wird in Rykardas
Werk, es ist Beweis für die unumstößliche Wahrheit, die Martha Graham in ihrer
Autobiographie Blood Memory
formuliert: der Künstler ist ein Lichtbringer.
Er (sie) beherrscht die magische Verwandlung noch der dunkelsten Aspekte von Psyche und menschlicher Interaktion in Schönheit. Und die fragile Schönheit von "My Spirit Lives In Shadows" tötet mich. Das psychosexuelle Chaos, das die Lyrics beschreiben, Untreue, so zärtlich, so schneidend, Mlle. klingt so sanft und verletzlich, während sie die Hinrichtung ankündigt.
"Je Suis Une Fleur" wäre in all diesen emotionalen Tiefen eine Art comic relief, wenn es nicht gleichzeitig so mittelalterlich klänge. "I adore medieval folk music and I think you can hear that in my melodic sense", schreibt sie auf ihrer Website.
In "You Cast A Spell On Me" reiht Rykarda die zauberhaftesten und aberwitzigsten Selbstbeschreibungen aneinander, so verräterisch wie irreführend, so ironisch wie todernst, und von einem Mädchen, das von sich sagt, ich bin ein Marmeladentörtchen und eine Stripshow, muß man alles erwarten. Bad-ass reimt sie "always ready" auf "ear of a Getty". Man wird zu den fabelhaftesten Dingen und sich selbst zum Rätsel, because: you've cast a spell on me.
Die Geschichte von "No Sir (Ain't No Man Gonna)" könnte in den Romanstraßen der Kameliendame spielen, Absinth und Schnürstiefelchen. Ein Mann, der ihr Herz will, und ihr doch sagt, sie hätte keines. Andere Mädchen werden ihm geben können, was er sucht, aber: no man gonna put a rope around me.
Zwischen diesen Songs zwei Instrumentals, betitelt "For All Men Kill"…" und "…The Thing They Love", ein Leitmotiv des ganzen Albums. Und dann: "Kindness You're Killing Me". One damn song that can make me break down and cry.
Been untrue / I've been untrue / That's just what I do / I'm no good - "Evil follows me down". Religiöses Vokabular in nichtreligiösen Kontexten: der Mensch "ist" im "Bösen", hat Angst vor dem "Guten" und wehrt sich dagegen - so beschreibt Kierkegaard das Dämonische. My spirit lives in shadows and places hard to reach. Das Dämonische zeigt sich am deutlichsten, wenn es vom Guten berührt wird. Was ist das Gute? Erlösung, Errettung, Liebe. "I don't dare to dream any longer". Auch wenn our narrator erklärt, "Kindness, listen to me, you've got me terribly wrong / This woman you speak of does not exist" – in "Widow In White" lebte die Hoffnung, einmal wieder in lilienweißes Licht gehüllt zu sein. Auch wenn das Dämonische es leugnet, andere sehen dieses Licht.
"This is gorgeous, gothy, dark, sensual stuff, lush but never heavy-handed, sparse when it needs to be, like the chilling 'Hold Back The Night'. It's haunting, dense and easy to get lost in." (Crawdaddy)
"Where Love once rested / Freedom now takes her place" ("Widow In White"). Im Dämonischen verlangt die Freiheit gar nicht mehr nach dem Guten, das Ich ist nicht mehr offen und will sich in sich selbst abschließen. Von Christina Georgina Rossetti gibt es ein Gedicht namens "Who Shall Deliver Me?", dessen siebte Zeile der belgische Maler Fernand Khnopff als Titel für ein geheimnisvolles Gemälde wählte: I lock my door upon myself.
Aber das In-sich-selbst-Eingeschlossensein kann größtmögliche Ausweitung im Inneren bedeuten.
Und so beginnt der nächste Teil der Reise.
FOR BLOOD AND WINE CD:
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