Der See, über den bei Nacht der große Nordbär kommt, durchschwommen an einem glitzernden Morgen. Ein Füchslein pirscht um unser Zelt. Wolfsmond, dann nur noch Meilen und Meilen geradeaus, Sandstraßen auf dem Weg zur Mitternachtssonne.
Pjotr saß hinten, ich auf dem Beifahrersitz, Yuri am Steuer. Etwas Unheimliches lag plötzlich über diesem Tag. Keine Menschenseele mehr da draußen, seit Stunden kein Auto mehr hinter uns, niemand kam uns entgegen, nur noch dieser orangefarbene Käfer irgendwo in einer grünen Waldhölle in Mittelschweden. Der Himmel bewölkte sich, später Nachmittag. Irgend etwas schien an den Nerven zu zerren. Yuri hatte uns schon mit einem kleinen Schlenker aus der Trance gerissen, und wir blickten mit gespannter Konzentration umher. Irgendwas Beunruhigendes war in Yuris Augen gekrochen. Seltsam starrer Blick. Eine Doors-Cassette lief. Ich hörte die Doors zum ersten Mal. Yuri schien nicht zu spüren, daß er zu schnell fuhr, oder er spürte es, konnte aber nicht mehr dagegen ankämpfen, weil der endlose Weg tatsächlich in die Ewigkeit führte und Geschwindigkeit, Zeit und Raum eine Illusion waren. Jedenfalls in seinem Kopf. Wahrscheinlich wurde es einfach zu unwirklich, ein Gaspedal runterzutreten. Die Angespanntheit, das Erwarten von irgendwas, das nicht kam, schien ihn zu lähmen, und sicher fühlte er, daß sich unter der scheinbaren Beiläufigkeit von "He, fahr mal nicht ganz so schnell" ein ungutes Gefühl verbarg, das alles nur noch schlimmer machte - es war, als gerieten wir in einen unheilvollen Sog. Dieser Song hatte begonnen, der mir ganz besonders großartig schien, und ich sagte: "Das ist ja besonders großartig." Und Yuri sagte: "Das ist ja auch The End."
Und dann kam diese Linkskurve, der Sekundenbruchteil, in dem man es weiß, es im Magen spürt, daß wir zu schnell sind, daß wir es nicht schaffen. Yuri brachte das Auto schliddernd aus der Kurve, und vielleicht wäre alles gutgegangen, wenn der Weg geradeaus weiterverlaufen wäre, aber der Wagen beginnt sich querzustellen, rutscht auf dem Sand, und Yuri muß das Steuer rumreißen, um uns in die Rechtskurve zu kriegen, die plötzlich auch noch da ist, was er auch schafft, aber die Geschwindigkeit ist zu hoch, der Wagen ist außer Kontrolle jetzt und wir krachen in die Büsche, ich weiß, daß ich sehr ruhig dachte, jetzt könnte es eigentlich mal aufhören, es sah so aus, als würden wir uns überschlagen oder um einen Baum wickeln, aber Yuri hielt Zwiesprache mit seinem persönlichen Gott, zwei Sekunden lang, zwei Sekunden, in denen er nicht viel mehr tun konnte als das, dann hatte er sich mit seinem Gott auf irgendwas geeinigt und den Käfer wieder soweit unter Kontrolle, daß er ihn messerscharf an einer Baumreihe vorbei dirigieren konnte. Wir pflügten Büsche um, kleine Bäume, schrammten über Steine und Geröll, bis der Wagen an Geschwindigkeit verlor, das Rumpeln wurde sanfter, Yuri brachte uns auf den Weg zurück, all das dauerte nur ein paar Sekunden, aber der innere Film machte eine Ewigkeit daraus, der Käfer rollt aus, eine Ölspur hinterlassend, seine Blutspur, Stillstand, Käfer tot. Nur die Doors-Cassette lief noch immer. Noch immer lief, and it's the fucking truth, "The End".
Ein Jahr später saßen Pjotr und ich in einem Kino in Marseille.
ein mir vor ewigkeiten sehr gut bekannter käfer war weiß. diese herbies haben auf jeden fall ein eigenleben. und sie betätigen sich dann und wann als schutzengel. vor allem dann, wenn im auto auf irgendeine art und weise 'the end' läuft. :-)
AntwortenLöschenYou're right, die HATTEN ein Eigenleben, und wahrscheinlich hat ER uns den Hals gerettet, niemand sonst. :) Du kennst die Schutzengelfunktion aus eigener Erfahrung?
AntwortenLöschenEr, als Käfer, hatte auch die seltsame Fähigkeit, traurig auszusehen danach. Bei Einbruch der Dunkelheit beschlossen wir, AND ALL THE CHILDREN eine Expedition in den nächsten Ort zu starten, von dem wir aber nur ungefähr ahnten, ARE INSANE wie weit er entfernt war, und packten Proviant zusammen. Wir hatten den niedergeschlagenen Käfer ein wenig vom Weg geschoben und waren ein paar Schritte mit unserer Funzel gegangen, da hörten wir DESPERATELY IN NEED OF SOME STRANGER'S HAND Motorengeräusch. Flackernde Scheinwerfer in der Ferne, wußtest Du, daß die wie eine göttliche Erscheinung wirken können? :) Drei Hobbits in Mordor, das wär's gewesen.
ja, aus eigener erfahrung. :-) dieser käfer hat im winter 89/90 mit seinen scheinwerferaugen radfahrer angestrahlt, die ich ansonsten höchstwahrscheinlich über den haufen gefahren hätte, weil ich sie nicht früh genug oder überhaupt gesehen habe. danach schock für alle beteiligten, auch der käfer hat traurig ausgesehen. fast so, als hätte er geahnt, dass dieses erlebnis bei mir eine erkenntnis und eine konsequenz anstoßen würde. inzwischen wüsste ich gern, ob es diesen speziellen käfer noch irgendwo gibt. besuche höchstwahrscheinlich demnächst wieder meinen onkel, der mir - neben einigen anderen, auch sogenannten fremden :-) - nach dem käfer-zwischenfall und allem, was danach kam, immer eine helfende hand entgegengestreckt hat.
AntwortenLöschenmuss ansonsten gestehen, tolkien nie gelesen zu haben. aber dafür kenne ich mich einigermaßen mit kindern und verrückten aus. vielleicht, weil ich selbst zumindestens zu den durchgeknallten gehöre.
Oh, I remember. Ja, Du hattest schon erwähnt, daß es ein Käfer war, when you told me of the day you parted ways. Da sogar Bowie in "Lady Grinning Soul" vermerkt: She'll drive a beetle car, steht uns wohl die Schlußfolgerung an, daß jeder Trottel Schicksalhaftes in irgendeinem Auto erleben kann, aber nur die Auserwählten in einem Käfer! - Besteht denn die Möglichkeit, daß dieser spezielle Käfer noch irgendwo existiert? - By the way, going to Sweden, back then, it was a kind of time-out, too, a hiatus in a chain of events, I had to make up my mind about something up there and I wasn't the only one involved. And even if that accident seems like a proof that a break in the chain of events is full of events too, there's been places up there that made me listen, and I listened until the rain in my heart had stopped. Until the "Train wheels runnin' through the back of memory" had stopped. So… well you know.
AntwortenLöschenDurchgeknallt? Ein Blick ins Escher-Forum reicht zur Vergewisserung, wo die wirklich Durchgeknallten stecken.
ob man von einer realistischen möglichkeit der existenz dieses speziellen käfers bis in dieses jahr hinein sprechen kann, weiß ich nicht, denn er hatte zum damaligen dekadenwechsel bereits einige jährchen auf dem buckel, hoher einstelliger oder sehr kleiner zweistelliger bereich. außerdem bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob er zum schluss wirklich weiß war, oder weiß war, bevor ein kumpel und ich ihn irgendwann einmal umgespritzt haben. ist ja auch egal, aber es war definitiv ein käfer, das weiß ich. in unseren breiten wahrscheinlich nicht, es sei denn, er ist in den händen irgendeines käferliebhabers mit garage gelandet. hmm, wahrscheinlich würde ich ihm gerne die kofferraumhaube schütteln und mich endgültig von ihm mit einem "hey danke noch mal, kugelfreund, für damals" verabschieden wollen. aber eigentlich muss ich das auch gar nicht wollen würden. ist auch so in ordnung.
AntwortenLöschen[…] and I listened until the rain in my heart had stopped. Until the "Train wheels runnin' through the back of memory" had stopped. So… well you know. - bin mir noch nicht hundertprozentig sicher, ob ich jetzt bereits weiß. was ich hingegen weiß, ist, dass diese auszeit dafür gedacht ist, mein persönliches schweden zu finden, wo ich herzberuhigend lauschen und zuhören kann, oder zumindestens schon einmal eine karte für den weg dorthin aufzutreiben. und irgendetwas sagt mir, dass das auch klappen kann.
Das meinte ich mit "well you know"... daß ich Dir genau das wünsche, einen Ort, one that's real or one that's in your mind, wo eine kommt wie Wehmut ("Was hatte sie denn angelockt? Was hatte Wehmut hier zu tun? Die Rede von Wahrhaftigkeit, die Rede von Wahrhaftigkeit."), oder eine andere, die Dinge wispert wie "Whatever needs to happen, let it happen, let it be, through all you are protected, grace is effected over you". Well you know. :)
AntwortenLöschen"Kugelfreund", that's beautiful. :) Mysteriös am Käfer war auch seine Fähigkeit, Dinge aufzunehmen, die normalerweise nicht in einen Käfer passen, ein Gefühl, das man gerade auch im hinteren Teil des Kugelfreunds hatte, zwischen den Schlafsäcken, dem Klimbim, der Gitarre, dem Cembalo, der Bibliothek, der Gemäldesammlung, den hängenden Gärten von Babylon, dem Waldesdickicht, Schneewittchen und den sieben Zwergen. Unglaublich, was da reinging. :)