"L'uccello dalle piume di cristallo" / "The Bird With
The Crystal Plumage" (deutscher Titel "Das Geheimnis der schwarzen
Handschuhe") aus dem Jahre 1970 war die erste Solo-Regiearbeit von Dario
Argento. Als einer der ersten kommerziell erfolgreichen Giallo-Filme steht er
am Beginn der Blütezeit des Genres zwischen 1970 und 1975. Phänomenal war die
Popularität des Films in Italien: in einem Mailänder Kino lief er 3 1/2
Jahre lang. Eva Renzi betrachtete ihre Mitwirkung in diesem Film als
Karriereselbstmord (natürlich war sie nie beeindruckender, vorher oder
nachher), Argento wurde für sein sensationelles Debut als "italienischer
Hitchcock" gefeiert.
Sam (Tony Musante) ist ein amerikanischer Schriftsteller, der auf der
Suche nach Inspiration seinen Wohnsitz nach Rom verlegt hat, zusammen mit
seiner Model-Freundin Julia (Suzy Kendall) wohnt er in einem Haus, das schon
dem Abbruch geweiht ist, andere Mieter gibt es nicht mehr. Eines Nachts wird
Sam Zeuge einer blutigen Attacke: in den hell erleuchteten Räumen einer
Kunstgalerie sieht er durch die Glastür eine rothaarige Frau im Kampf mit einer Person,
die schwarze Handschuhe und einen schwarzen Mantel trägt. Eine Klinge blitzt, Sam versucht, der Frau zu Hilfe zu eilen, doch die Glastür
läßt sich nicht öffnen. Die Gestalt im schwarzen Mantel flieht, löst aber noch einen
Alarm aus, durch den sich eine weitere gläserne Trennwand schließt, und Sam findet
sich plötzlich eingeschlossen zwischen zwei großen Sicherheitsglastüren:
so muß er machtlos mitansehen, wie die verwundete Frau blutend über den Boden
kriecht, die Hand flehend nach ihm ausgestreckt. Im Glasgefängnis ist Sam unhörbar; endlich
kann er einem Passanten bedeuten, die Polizei zu rufen. Die Frau wird gerettet.
Es ist Monica Ranieri (Eva Renzi), die Frau des Galeriebesitzers Alberto
Ranieri, der kurz nach der Polizei am
Schauplatz erscheint. Die Eingangssequenzen des Films haben uns wissen lassen,
daß im letzten Monat drei junge Frauen ermordet wurden, wir sahen Hände in schwarzen
Handschuhen mit einer Kollektion von Stichwaffen, und so vermuten wir auch
Monica als Opfer eines Serienkillers. Sam
erklärt Inspector Morosini, "There was something wrong with that scene,
something odd." Zunächst behandelt die Polizei
Sam jedoch auch als Verdächtigen, und Morosini konfisziert Sams Passport.
Die für den nächsten Tag geplante Rückkehr in die USA zerschlägt sich
also mit dem klassischen Hitchcock-Szenario: ein Mann, der sich in einem
fremden Land aufhält, gerät in Verdacht. Tatsächlich hofft der Inspektor jedoch
auf Sam, der das Gefühl hat, daß ihm bei der Erinnerung an die Gewalttat ein
entscheidendes Stück fehlt; Morosini glaubt, daß Sam tatsächlich das Gesicht
des Killers gesehen hat und somit der einzige Zeuge ist. Bei den Morden gab es
kein offensichtliches Motiv, und Morosini geht von einem maniac aus.
Sam darf das Revier verlassen und entgeht schon auf dem Heimweg im
Morgengrauen nur knapp einem Mordversuch. Der Inspektor teilt mit Sam von nun
an seine Informationen, beteiligt ihn an der Investigation, und Sam, immer mehr
in Bann gezogen, wird selbst zum Detektiv: die Szene, die er sah, wird zur Obsession,
dieses entscheidende something odd, das zum Geheimnis führt; es wird ihm
zur Obsession, den Killer zu finden. Noch mehr junge Frauen werden sadistisch
ermordet, doch der mysteriöse Killer hat es nun vor allem auf Sam und Julia
abgesehen.
Wer unbedingt muß, findet in "The Bird With The Crystal
Plumage" möglicherweise peinigende Plotlöcher, was aber für die Qualität des Films ganz
irrelevant ist. Italian horror war nie berühmt für banale Kohärenz.
Die Rätselhaftigkeit, die aus der Verachtung konsequenter Nachvollziehbarkeit entsteht, gehört quasi per se zum Giallo. Im Labyrinth der plausiblen
Implausibilitäten, in dem wir uns mit Entzücken und so williger wie totaler suspension
of disbelief verlieren, in dem wir einer eigenen, bizarren Logik folgen und uns nie
enttäuscht fühlen, begegnen wir unter anderem: zunächst Tony Musante und der
recht berauschenden Suzy Kendall, ein überaus einnehmendes Paar, sehr funkensprühend, tatsächlich haben sie in einer Szene beinahe Sex im Beisein
eines Freundes (ob der Freund ein Freund ist, bleibt lange undurchsichtig).
Werner Peters erscheint als homosexueller Antikhändler, Mario Adorf als
exzentrisch-wirrer, katzenessender Maler. Von ihm stammt das Gemälde, das einen
Schlüssel zu den Morden darstellt, das Gemälde wiederum ist inspiriert von
einer wahren Begebenheit. Es gibt eine unvergeßliche nächtliche Verfolgungsszene
mit dem ohnehin stets unvergeßlichen Reggie Nalder (-> Alfred Reginald Natzler), wir begegnen dem stotternden Zuhälter einer ermordeten Prostituierten
und einem zwie-lichtigen Mann namens Faiena, der hartnäckig jede
Aussage umgehend durch eine zweite relativiert. Als der Inspektor für Sam mit
"Bring in the perverts!" eine Gegenüberstellung veranlaßt, erscheint
unter den vorgeführten Verdächtigen ein Mann in Frauenkleidern, und der Inspektor
schimpft: "How many times do I have to tell you, Ursula Andress belongs
with the transvestites, not the perverts!" Es gibt Anrufe des Killers, bei
denen einmal im Hintergrund ein seltsames Geräusch zu hören ist - "What
makes a sound like that?", ein Audiolabor isoliert das Geräusch, beißt
sich an dieser Frage aber die Zähne aus, jemand anders findet mehr heraus.
Es gibt die atemberaubende cinematography von Vittorio Storaro,
der später drei Oscars gewinnen wird für seine Kamera-Arbeit (u.a. für "Apocalypse
Now"); dies ist sein erster Farbfilm. Es gibt dunkle phantastische Treppenhäuser
und verlassene Pin-Up Girls an einer schäbigen Wand, es gibt ein Messer,
das in eine Holztür eindringt, hinter der Julia sich verbarrikadiert. So wie im
Film ein Gemälde, Kunst also, die Gewalt inspiriert, so wie es am Ende eine
sadistische Szene gibt, in der ein Kunstwerk (fast) zum Mordinstrument wird, so
steht Argento hier am Anfang seines sehr eigenen Weges, Gewalt und Sadismus zu
Kunst zu machen. Es gibt am Ende die Erklärung eines Psychologen, wie in
"Psycho", und es gibt für Argento-Verhältnisse noch recht wenig Blut:
erst nach "The Bird With The Crystal Plumage" werden die
Giallo-Thriller zusehends blutiger und sleazy.
Intelligent, fesselnd, vielschichtig, erfindungsreich vom Beginn bis
zum fuck-me-Jesus-Ende, für das es clues gibt, die aber nicht zwingend
beim ersten Sehen auffallen: sich der traumgleichen Atmosphäre von "The
Bird With The Crystal Plumage" zu entziehen, ist sicher möglich, bedarf
aber zutiefst unerfreulicher Anstrengungen.
Und dann ist da der exzellente, eindringliche, absolut wunderbare Score
von Ennio Morricone, furchteinflößend, atonal, dissonant, erotisch, unheimlich,
voller Suspense, Edda Dell'Orso breathing heavily, erregend, haunting.
Einer der nicht wenigen sehr seltsamen Soundtracks in Morricones
unüberschaubarem Oeuvre. Angeblich schätzt Morricone diesen Score besonders.
Argento hat erzählt, daß Morricone die Stücke nicht schon vorher geschrieben
hatte, daß sie auch nicht entstanden, nachdem Morricone den Film gesehen
hatte, sondern daß Morricone und eine Gruppe ausgesuchter Musiker diese Stücke
größtenteils improvisierten, während der Film lief.
Verneigen Sie sich bitte gen Rom.
[erstveröffentlicht / first published 17.12.2019]