Mittwoch, 12. November 2014

Vorweihnacht mit Cured Catherine (19): Langsam und unbeschreiblich ausführlich



 
 
Unvorhersehbar ausgewählt ist doch immer noch besser als vorhersehbar unausgewählt. Jeder nur ein Kreuz. Die Welt geht zu Phillip Boa, stattdessen bestellte ich grad ein Ticket für Combichrist und hab nicht die leiseste Ahnung, warum. Na, vielleicht doch, aber wer will schon die Wege der Katzen wirklich verstehen. Vielleicht nicht mal sie selbst.














Wenn Combichrist live so klingen wie auf MySpace, wird das genau das Richtige zum Wegblasen dessen, was unbotmäßig in den kommunizierenden Röhren sitzt. Habe mir gerade in der Küche, dort, wo ein alter Sessel steht und i-net-Anschluß nicht hinkommt, einen Schreibtisch gebastelt, ach was, eine Secret Window-Hütte ohne Hütte. Zuviele, die glauben, mit einem Streichholz in der Hand Licht im ganzen Haus machen zu können, das macht auch sehr müde. Stattdessen Rilke:

"Nein, nein, vorstellen kann man sich nichts auf der Welt, nicht das Geringste. Es ist alles aus so viel einzigen Einzelheiten zusammengesetzt, die sich nicht absehen lassen. Im Einbilden geht man über sie weg und merkt nicht, daß sie fehlen, schnell wie man ist. Die Wirklichkeiten aber sind langsam und unbeschreiblich ausführlich." 
 
Heute hat David Sylvian Geburtstag.
 






























Combichrist klingen im Tanzpalast eigentlich noch viel rotziger, live hoffentlich auch. Zwingen mich auf die Tanzfläche, manche nennen es aber auch Weiberelectro.
 
Wegblasen ist wohl der Sinn der Übung, denke ich. So ein Secret Window brauche ich auch, schöne Idee. Leider reicht mein Kabel locker in die Küche und für die Terrasse ist es nun wirklich noch zu kalt. Ich musste heute stundenlanger Kolloquiumslaberei beiwohnen, um Himmels willen, was für überflüssiges Gesülze. Seine eigene Unwichtigkeit so dermaßen abzufeiern ist ja schon fast wieder brillant. Ich dachte schon nach 10 Minuten daran, doch lieber wieder im Krankenhaus zu schichten, als meine Zeit so sinnlos zu verjubeln, aber ich werde es natürlich doch tun, es gibt keinen Weg zurück. Mit einem Streichholz Licht im ganzen Haus? Ein treffendes Bild für viele Situationen. Ein Rilkezitat steht auch am Anfang der Arbeit, die Grundlage der meinigen ist: "Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt?" 
 
Wie haben sich Oasis geschlagen? Ich konnte es leider nicht miterleben.















Weiberelectro? Klingt gut für mich, aber ich sehe das wohl aus der falschen Perspektive. Würde ich musikalisch eher mit Ladytron oder Client verbinden. Die faszinierende Kombination zarter Handgelenke und kalter Maschinen. Stundenlange Kolloquiumslaberei, boy I remember well. Und immer sind es die Vollhonks, die sich am liebsten reden hören, bis man garstige Visionen von Mundzunähen im Schädel hat, schließlich hat man mal "Murders In The Zoo" mit Lionel Atwill gesehen, aber diesen essentiellen Bestandteil im Kulturgut der Menschheit, mit der mysteriösen Kathleen Burke, kennt dann eh keiner. Rilke ist ja auch der Weltinnenraum-Mann. Hab gerade U2 auf SPON verteidigt mit: Weltinnenraum ist Matrix. Weltinnenraum ist da, wo Außenwelt und Innenwelt die Subjekt-Objekt-Trennung aufheben. Der Raum, wo du dir selbst zum Mysterium wirst, und das Mysterium der Realität dich treffen kann. Oasis haben sich gut geschlagen, HariboMan meinte zu Liam, "Jennifer (Aniston) was desperate to see you", und Liam meinte, "Desperate? Sind wir doch alle irgendwie." 













Weltinnenraum, da tut sich viel grad. Weltaußenraum – keine Auffälligkeiten, Chief Commander. Genaueres vielleicht, wenn ich Sie anlässlich Ihres Jubeltages aufsuchen werde, am Brunnen. Nein, Sie sehen es aus der richtigen Perspektive. Es gibt aber andere. Ich weiß, dass diese Interpretation Ihnen in jenem Zusammenhang eher unbekannt ist, aber Weiber wäre in Weiberelectro eher abwertend und bezöge sich auf die Zuhörer.

Hah! Das war aber ein Touchdown von Liam. Sehr schön! TV sucks mal wieder. Als ich kürzlich Götz Alsmann bei seinen ewig gleichen Scherzchen zusah, erinnerte er mich an Sartre, so als wäre er die heutige Version. Und wenn ich das so empfinde, bin ich offensichtlich bereit, ein gewisses Niveau zu billigen!? Seitdem lese ich wieder mehr.
 
:) Sie haben U2 verteidigt? Warum und warum war das notwendig? Ein geschmackloser Fall von: Bands, die länger als zwei Monate im Geschäft sind, doof / überholt / zu alt / zu kommerziell finden?













Suchen Sie mich um Gottes Willen nicht an meinem Geburtstag am Brunnen auf, das ist ein Sonntag!

Kennen Sie übrigens Flann O'Brien? "At Swim-Two-Birds"? In "The Third Policeman" entwickelt er die Mollycule-Theorie, nach der die Persönlichkeit eines Mannes sich mit der Persönlichkeit seines Fahrrads vermischen kann, an interchanging of mollycules, was nicht zuletzt an den huckeligen irischen Landwegen liegt.
 










 






Das weiß ich auch, dass es (ein) Sonntag ist. :) Ich sagte ja auch > anlässlich. Nicht > an. Siiigh, finally sind die Ferien rum, Cathy allein zuhaus mit einer Tüte Chips und den zwei Babyratten, die seit Montag in ihrem Käfig die Nacht zum Tag machen, raven, futtern, raven, schlafen, wieder raven. Sehr lustige Fellknäuelchen named Paula und Louise. Habe heute entdeckt, dass sie Schokoladenpudding mögen und sich auf Kämpfe um Stroh einlassen. Von Ratten und Menschen oder wie das heißt.

Ich betrat heute Nachmittag das Museum für Kunst und Gewerbe und fand ein paar samtene Treppenstufen höher, das knarrende Parkett durch Zeitkorridore führend - far away and long before –, einen warmen Frühlingstag 1973 in Paris. Romy Schneider auf einer Bank sitzend, ladylike in weißer Leinenbluse, ein brauner Gürtel mit goldener Schnalle um die schmale Taille, neben ihr zwei alte Frauen in einfacher Kleidung und mit gebührendem Abstand. Sie sah aus wie eine Königin, nur schöner. Freier. Auf anderen Bildern dann ihre Einsamkeit, ihre Traurigkeit. Es gab ein Foto, ein viel früheres, Anfang der 60er, da sieht man schon, wie zerbrochen sie war. Ihre Augen erzählten von Verletzung, die nie mehr heilen, nur noch betäubt werden konnte. Und ich habe mich gefragt, was wohl Ihr favourite film mit Romy ist? Es gibt ein Video mit einer Hommage von Alain Delon, wie Sie sagten, sie fehlt ihm immer noch und am Ende sagt er: Für Disch, mein Puppele. Pour toi, mon amour.

Elevation in Chicago - grand! U2 haben Intensität, ja. Magie für mich in Zooropa, aber das liegt am damaligen Zeitgeist, meinem persönlichen. Wie es immer so ist. Die Iren mögen wohl Zooropa im Allgemeinen nicht, betrachten Bono aber als Volkshelden, soweit ich weiß. Flann O'Brien schon mal gehört. Wie war Marc? Gab er Brilliant Creatures? Mein favourite von ihm.















Mein favourite film mit Romy? Am schönsten, für mich, ist sie wohl in "Das Mädchen und der Kommissar". Sehr beeindruckend: "Death Watch", mit Harvey Keitel. Wenn ich einen Film von ihr für die Insel auswählen müßte, dann vielleicht Viscontis "Ludwig II." Und dann ist da natürlich noch "Nachtblende". Und für Sie, was ist Ihr favourite? – Das Museum für Kunst und Gewerbe ist überhaupt ein seltsamer, wunderbarer Ort. Manchmal meint man, ein Zug fährt direkt durch, und dann plötzlich, völlig zeitenthoben, strange silences falling down there. Ravende Babyratten, that's beautiful. Manchmal denke ich auch an sowas, aber ich hab schon tagelang geheult, als mein Meerschweinchen starb. Und das war nach meinem Examen, Grundgütiger. 
 
Marc Almond – sigh mit drei iii, wenn ich Sie zitieren darf. Der Tod hatte ihn zu 99% auf der Schippe nach seinem Motorradunfall, sein Kopf war Matsch, seine Stimme weg, Gedächtnisstörungen, hat unter Panikattacken im Internet nach der besten Suizidmethode gesucht. Und dann dies. Wiederauferstehungsfeier also sowieso.

Das Phantastische ist aber, daß er besser ist als jemals, und er war schon immer groß. Es ist so schön, daß auch die Engländer das jetzt so sagen, endlich: der beste torch singer der Gegenwart. Und so traurig, wenn es heißt, "ach, der mit Tainted Love?" 30 Platten Herzblut, "ach, der mit Tainted Love?" Glorious, I Have Lived, A Lover Spurned, Tragedy, The Idol, Variety, Child Star, Hand Over My Heart, The Days Of Pearly Spencer, Something's Gotten Hold Of My Heart, The Devil (Okay), Brilliant Creatures, My Love, Jacky, Amsterdam, Sandboy, If You Go Away, Bitter Sweet, Bluegate Fields, Tears Run Rings, Ruby Red, Torch, Bedsitter, I Close My Eyes And Count To Ten, Friendship, Mother Fist, Tainted Love, Say Hello Wave Goodbye. So ungefähr. Fast 30 Songs, ungefähr zweieinhalb Stunden, als ob er gar nicht aufhören konnte. Einmal vermuddelte er den Text, und als ob das irgendjemanden irgendwie gestört hätte, entschuldigte er sich dafür mit: normalerweise sei er um diese Zeit schon im Bett. Ho ho, ho. "Amsterdam" hat er aus dem Ärmel gezogen, extra für das Docks. What a performer. Genaugenommen hatte ich eine tonnenschwere Träne im Auge. Als er Brels "If You Go Away" sang.
 
 






Und noch ein zweites Evangelium nach St Markus, derzeit.







Und Combichrist? Blies weg? Lese gerade "Eine blaßblaue Frauenschrift" von Franz Werfel.















Freitag, 24. Oktober 2014

Zwei Raben / Im Walsertal













Liebesdienste fürs SPON-Lyrik-Forum







Zwei Raben

Und ich fühl' mich immer schlimmer
Tasche Knochen aus dem Schrecklabor
Mein Aufwachblick verwüstet Zimmer
Zwei Raben raunen mir ins Ohr

Ich höre Stimmen aus dem Wasserhahn
Und mein Spiegel raucht vor Wut
Alle Überreste sind vertan
Zwei Raben geht es gut

Ich versink' im öden Weltenstaub
Bald wird man tief zu graben haben
Von der Beute aus dem letzten Sündenraub
Bleibt nur das, woran sich Raben laben

Ungefragte Antwort die ich bin
Keinem Raum bin ich geheuer
In grauer Kälte ziehe ich dahin
Zwei Raben machen sich ein Feuer

An Weißglut kühle ich mein Herz
In deine Fußspur setz' ich einen Huf
Der letzte Reim ist immer Schmerz
Zwei Raben und umsonst ihr Ruf

(12.11.2006)










Im Walsertal

Im Walsertal, im Walsertal,
hyperionaktiv vertraklt,
hat Schiller sich, der Geisterseher,
mal ganz verzweigt verkakelt.

In seelischer Verzuckmay'rung,
befeuchtwangt bis zur Stirn,
tat er Büchner schlegeln
bis ein Lichtenberg im Hirn

ihm die pöbelscheue Grille parzte.
"Musil denn, Musil denn zum Schädele hinaus!"
verhebbelt' er im Werfeldaus -
das Eichendorff, es brentanarzte.

(16.07.2007)













Mittwoch, 13. August 2014

Diana Lorys in "Gritos en la Noche"






 


 
 



 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 


 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 

 
 
 
 
Gritos en la Noche / The Awful Dr. Orlof / L'horrible Docteur Orlof
Jesús Franco 1962


















Samstag, 2. August 2014

Today's Best Song Ever: Alba - Only Music Survives












Die Handlung: 1985, der erste Auftritt der italienischen Sängerin Alba im französischen Fernsehen, in der Show von Christophe Dechavanne. Als Fernsehen noch unvorhersehbar war, zumal mit einem Special Guest wie Serge Gainsbourg, der erstmal um Feuer für die Gitanes bittet. Spaß beiseite, der Song ist wunderschön, und die ganze Sache nicht cheesy, sondern sehr bewegend. Alba erscheint wie eine Göttin in langen schwarzen opera gloves, gorgeous, während Gainsbourg vor trunkener Begeisterung die Studiocouch zerturnt, vulgär und charmant zugleich, vier Minuten lang die perfekte Umsetzung der Songzeile von Iggy Pop: "Calling Sister Midnight / I'm an idiot for you". In einem Interview mit Alan Bangs irgendwann in den 80ern sagte Iggy Pop übrigens: "Die neue italienische Pop-Musik gefällt mir sehr, aber mir fallen keine Namen ein." So schön, wie Alba auf Gainsbourgs naughtiness reagiert, throughout; und dann seine Augen, als er ihre Hand küßt und zu ihr aufsieht, voller Bewunderung, mit tiefem, ehrlichem Respekt vor der Frau, der Frau als Frau, Künstlerin, Göttin. Ein so phantastischer, erhabener Moment. Der Mann, der die Frauen liebte.




 




















Donnerstag, 17. Juli 2014

Sergio Larrain





Sergio Larrain, geboren am 5.11.1931 in Santiago de Chile, gestorben am 7.2.2012. Aus wohlhabender Familie, arbeitet in einem Café, um das Geld zusammenzubringen für seine erste gebrauchte Leica, die sein Schicksal als Vagabund besiegelt. Ab 1954 als freier Fotograf unterwegs, Straßenszenen aus Santiago, aus Andendörfern, oder aus Valparaiso, der Stadt, die er "die schönste der Dichtungen" nennt. In den 1950ern reist er auch durch die europäischen Metropolen und den mittleren Osten, 1958 bringt ihn ein Stipendium nach Großbritannien, die Bilder, die dort entstehen, vor allem in London, faszinieren Henri Cartier-Bresson, der Larrain nach Paris einlädt. Ab 1959 arbeitet Larrain zunächst assoziiert, seit 1961 als Mitglied für Cartier-Bressons Agentur Magnum Photos. Er fotografiert Reportagen über den Algerienkrieg oder, als Mission Impossible, über den von Interpol gesuchten sizilianischen Mafiaboss Giuseppe Russo, dem Larrain monatelang auf den Fersen ist, bis er ihn in Caltanissetta ausfindig macht. Der zurückhaltende Larrain fühlt sich der journalistischen Auftragsarbeit jedoch fremd, 1963 geht er zurück nach Chile. 1966 erscheint ein Fotoband über das Haus von Pablo Neruda, der Poet selbst schreibt den Text dafür. Von Neruda stammt auch der Text für das Buchprojekt "Valparaiso", darin das surrealistisch anmutende Foto der beiden Mädchen auf der Treppe in der Mittagssonne ("Bavestrello-Passage, Valparaiso, Chile, 1952").

Beeinflußt vom bolivianischen Mystiker Oscar Ichazo zieht sich Larrain in ein kontemplatives Leben zurück, studiert Religionen, Kalligraphie, Malerei, Yoga, Meditation, lebt ein zunehmend isoliertes Leben in den Bergen von Tulahuén im Norden Chiles. Er schreibt Briefe über den traurigen Zustand der Menschheit, in den 1980ern schickt er zuweilen Fotos von Objekten, vornehmlich aus seinem Haus, mit der Post an Freunde, hat die Fotografie aber aufgegeben wie Rimbaud die Poesie, desillusioniert von einer Welt, in der die Reinheit zerschellt; einer, der die Fotografie zu sehr liebte, um sie zur Karriere zu machen.

Larrain hat zu Lebzeiten nur vier Buchprojekte veröffentlicht, professionell kaum mehr als 10 Jahre gearbeitet, lehnte in späteren Jahren die Idee von Retrospektiven ab. "He was unique", sagt Agnès Sire, Directrice der Fondation Henri Cartier-Bresson, "he was really a free man."

Eines Nachmittags in den 1950ern macht Larrain in Paris Aufnahmen bei Notre-Dame, erst beim Entwickeln des Films bemerkt er, daß er dabei auch ein Liebespaar fotografiert hat. Die Episode inspiriert Julio Cortázar zu seiner Geschichte "Las Babas del Diablo" (1959), die wiederum Ausgangspunkt ist für den Film "Blow-Up" von Michelangelo Antonioni.
























































"Ich habe begriffen, daß Fotografie wie jeder künstlerische Ausdruck im tiefsten Innern zu suchen ist. Das perfekte Foto ist eine Art Wunder, es scheint in einem Lichtblitz auf - Thema, Form und perfekter Seelenzustand -, beinahe zufällig drückt man auf den Auslöser und das Wunder geschieht." - Sergio Larrain, 1960