Donnerstag, 26. Januar 2012

Nick Cave, And The Ass Saw The Angel







SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

März 2007






Mixolydian:
Und übrigens: eine ähnlich verstörende Atmosphäre wie McCarthys Anti-Western versprüht Nick Caves notorisch unterschätztes Swamp-Delirium "Und die Eselin sah den Engel". Cave schreibt wie im Rausch, rüstet seine Prosa immer wieder zu Feuerreden auf, die wie aus dem Mund eines wahnsinnig gewordenen Predigers gefallen wirken. Das literarische Äquivalent zu seinen frühen, völlig zerballerten Blues-Vergewaltigungen.







Diese Empfehlung kann ich nur unterschreiben, aber wenn's geht, das Original lesen, "And the Ass saw the Angel"... "Sucked by the gums of this toothless grave, ah go" klingt vielleicht nicht besser als "Der Gaumen dieses zahnlosen Grabs saugt mich hinab", rollt aber besser im Swamp-Idiom, wo jedes "I" zu "ah", jedes "my" zu "mah" wird. Zerballerte Dramatik schon, aber ein erstaunlich strukturierter Roman, konzipiert mit einer Disziplin, die man Cave zur damaligen Zeit wohl nicht zugetraut hätte. Lohnt sich eben doch, wenn der Papa (Englischlehrer) dem kleinen Nick Dostojewski und Nabokov vorliest. Cave ist nicht nur musikalisch ein Meister im Heraufbeschwören einer unheilschwangeren Atmosphäre ("The Carny" war ja quasi Brownings "Freaks" in 8 Minuten) und wartet mit so alttestamentarischer Sprachgewalt auf, als hätten sie damals sein Kapitel aus der Bibel rausgeworfen. Ukulore Valley ist ein böser, böser Ort, wo bei der Geburt gestorbene Zwillingsbrüder (klar: God help Tupelo) in Pappkartons begraben werden, Junkyard-Göttinnen Cosey Mo heißen und vergöttlichte Mädchenheilige Beth, und wo die Krähen nicht einfach nur so kreisen.







Mixolydian:
Das "zerballert" war auch eher auf den Inhalt bezogen: kaum eine Figur, die nicht wahnsinnig, vom Alkohol zerfressen, gewalttätig oder zutiefst bigott und böse ist. Caves Beschreibung des schrecklichen Todes der Mutter Euchrids ("a scum-cunted, likkered-up, brain-sick swine") hat mich damals um den Schlaf gebracht, so aufwühlend ist die Passage. Und das Zwiegespräch mit dem totgeborenen Bruder fand sein Echo kürzlich auf Scott Walkers "The Drift" (im Song "Jesse", in dem Elvis den Geist seines "stillborn brother" anruft). Weitere Szenen von ähnlicher Intensität sollten folgen...

Cave hat einmal in einem Interview gesagt, dass das Schreiben ihm leicht von der Hand ging, aber dass es die Hölle war, Struktur in die Aufzeichnungen zu bringen. Deshalb lasse auch ein weiterer Roman immer noch auf sich warten: er, Cave, wolle sich diesen Wahnsinn nicht noch einmal antun. Das Interview hat er vor ca. 8 Jahren gegeben, mittlerweile arbeitet er mit einer Beamtenmentalität an seinen Alben, von Rock 'n' Roll-Exzessen keine Spur mehr. Das hat er alles durch. Eigentlich eine perfekte Ausgangsposition für kommendes Großschriftstellertum. So wie bei Cohen, nur anders herum.
 

Von einem neuen Buchprojekt habe ich aber leider noch nix gehört. Vieleicht nagt ja das Euchrow-Trauma immer noch allzu arg am Gemüt des Meisters...







Ich hatte das Vergnügen, einer Lesung von Cave beizuwohnen, als der Roman noch nicht erschienen war (unter anderem las er das "Atra Virago"-Kapitel), er las im Stehen, und klang wirklich wie der Wanderprediger zwischen Sumpfland und Strumpfband. Außerdem ist meine englische Ausgabe von Nick signiert – eines meiner kostbarsten Bücher fürwahr.







Mixolydian:
DAS lässt mich jetzt aber wirklich vor Neid erblassen! Gerade weil ich immer noch Trauer trage, da der Meister kürzlich auf Solotour auch meine Stadt beehrte, während ich mir grippekrank die Seele aus dem Leib kotzen durfte :-(.
Aber wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, geht er demnächst mit "Grinderman" auf Tour.







Neues Buchprojekt wohl noch nicht, aber er hat ja jüngst das Drehbuch für "The Proposition" auf sein Konto gebracht, ein Film, der im australischen Outback am Ende des 19.Jahrhunderts spielt. Nach eigener Aussage mit Skrupeln, da er das Narrative als seine Stärke ansieht und nicht wußte, ob er überzeugende Dialoge schreiben könne. Scheint aber gut gelungen, betrachten wir es als Fingerübung für sein Großschriftstellertum.
 

Bevor er dazu ansetzt, hat er sich selbst und drei der Bad Seeds aber ja nun erst einmal genötigt, für Grinderman wie Nebenfiguren aus einem Italo-Western auszusehen (früher oder später landen ja alle bei Morricone), und der hier besser nicht zitierte Text der ersten Single legt nah, daß Nick erst noch ein paar Dinge dringend ventilieren muß, die ihm in der Einsamkeit seines berühmten "Büros" offenbar schwer zu schaffen machen.
 

Wünsche Dir jedenfalls, daß es klappt mit einem Konzertbesuch; ich habe ihn zuletzt auf der "Abattoir Blues / The Lyre of Orpheus"-Tour gesehen, mitsamt Frauengospelchor; wenn deren "Get Ready! Get Ready! Get Ready!" durch den Rabatz von ca. 20 (gefühlten) Bad Seeds schnitt, während Cave "Praise Him till you've forgotten what you're praising Him for!" stöhnte, war klar: in den Zug zu Jesus steigst du niemals ein... aber du hängst hinten am Seil am ratternden Zug, polterst über die Gleise... und du genießt es. :)
 

Cave hat auch mal einen Essay zum Markus-Evangelium geschrieben, als Einleitung für eine Ausgabe der King-James-Bible, und es ist interessant, daß seine Lyrics von englischsprachigen Theologiestudenten mittlerweile zu seriöser Arbeit herangezogen werden.































10 Kommentare:

  1. Was Mixolydian da sagte, ist genau der Grund, warum ich es bis heute nicht fertiggebracht habe, Bunny Monroe zu lesen, obwohl das Buch hier seit garantiert einem Jahr im Regal steht. Die Ass/Angel-Erfahrung wirkt noch nach und ich muss nachts gut schlafen. :)

    Heute bei mir: Kino. Faust.

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    1. "Je mehr die Reflexion entwickelt ist, um so geschwinder weiß sie sich zu fassen, sie wird, wie ein Paßschreiber für ausländische Reisende, mit dem Anblick der abenteuerlichsten Gestalten so vertraut, daß sie sich nicht leicht verblüffen läßt." - Hat Kierkegaard doch für Dich geschrieben. :) Nah, versteh schon. Aber bei Cave gibt es (für mich) eine Komponente, die entschärft; eine, die es bei Kafka nicht gibt. Kafka hat zwar slapstick-artige, sicher auch vom Stummfilm inspirierte Szenen galore, aber sie sind nicht dazu angetan, zu entschärfen, sie steigern immer nur die Beklemmung. Hab gerade "Der Proceß" (hab die Fassung der Handschrift) wieder gelesen, es gibt wahrscheinlich kein schrecklicheres Buch.
      Mixolydian: war großartig. Fand jeden seiner Beiträge inspirierend oder dachte einfach: damn right.
      Bunny Munro: war weniger aufwühlend im "And The Ass Saw The Angel"-Sinne, hat mir am Ende aber die Tränen in die Augen getrieben.

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  2. Hail mortal,
    I thought I give you a hand with the re-broadcast of Nick Cave and the Bad Seeds live performance at Los Angeles' Fonda Theatre, as Youtube regularly blocks access to the original live footage for longing landlubbers. ;)

    Just watch or download it here for eternity ;)

    As there was no sun today we went snowkiting all afternoon, that's why I have to sleep now to not betray the Lord's creation.

    May the night be honey-sweet for you,
    Z

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  3. Hannah Gordon25.2.13

    Thanks for the prezzie,
    well, frankly, I don't think someone who looks like the owner of a furniture rental store after having an eight ball has what it takes to tempt moi, besides I'm not really into black-hearted guys living in Brighton, but thanks anyway :P
    Far be it from me to not return a favour to a pure heart:

    Oscar Suave - No Direction

    Indian Jewelry - Eva Cherie

    Kadavar - All Our Thoughts

    Baden Baden (from Paris)

    for all my deceased caretakers,
    Z

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    1. Why, what's wrong with being the owner of a furniture rental store having an eight ball? :)
      Oh, New Romantics. Not too excited about Blitzkids mvt. but I liked this actually. Best act by far. Germany's preselection for ESC proved, though, it ain't over till the fat lady sings. And so it happened. Blue blue electric blue that's the colour of my room where I will marvel at coolness & vulnerability.

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  4. Hannah Gordon27.2.13

    re: "Blue blue electric blue that's the colour of my room where I will marvel at coolness & vulnerability."

    white

    electric blue

    deep red

    unreal violet

    earthy brown

    azure

    warm orange

    Z

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    1. Dancing with a distant friend2.3.13

      Echo And The Bunnymen, c'est fantastique!
      "No it wasn't drugs. I'd always been like that, at school people used to ask my mates. 'What's he on?' just 'cos I wasn't particularly into being excited by boring things - like staying awake." -- Ian McCulloch, 1983

      Oh, and I knew about Candy Gold by Rykarda Parasol, for reasons beyond me YouTube dared to wipe this colour from my favourites, would you believe!
      Now with this nuisance taken care of, I'm delighted to present you four more colours. ;)

      Dunkelfuchs

      Sněhobílá romance

      Moon daemon blue

      Champagne interdit


      Z ;

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    2. ♥♥♥ Anna Karenina

      From Heaven Up Here to Ocean Rain Echo & The Bunnymen were the best band in the world hardly anybody noticed. Love the 1987 album too although they were so unhappy with the Laurie Latham production. Mylady, did you indulge yourself in listening to "The Next Day"? I did. A voice inside my head shouted "Breathe! Breathe!", and sometimes I did. What a gift to us earthlings it is.
      So, now that they can come in, we add some

      Gold

      Silver Pinions

      Crystalline Green

      and a lot of

      Deep Blue

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