John Cale erschien mir immer wie eine
Shakespeare-Gestalt, der sinistre Calevolio, freilich ist da sein Song "Macbeth" und sein diabolisches
Gekicher auf "King Harry" ("All hail, King Harry, all hail! But a
whisper of your former self! Your wives, your wives, your wives
are all dead!"), die Anspielung auf "a second hand Shylock" in
"Wilson Joliet", einem Song von "Honi Soit" (1981), der mit
"We are shuffled like a pack of cards in the dead of night" auch eine
der besten Shakespeare-Zeilen enthält, die Shakespeare nie schrieb, da ist das Shakespeare-Zitat auf dem Cover
von "Fragments Of A Rainy Season" (Banquo: "It will be rain
tonight." - 1st Murderer: "Let it come down.") und weiß Gott was
noch, vor allem aber hatte Cale immer diese Aura des hintersinnigen Bösewichts,
des undurchschaubaren Verschwörers, des Mannes mit dem secret plot, den er unter durchgedrehtem wit und gnadenlosen Sprachspielen verbirgt: bösartige Intelligenz in
paranoischer Spannung und over the top.
Songs "wie unlösbare Rechenaufgaben" über "das Trügerische in
uns allen", wie Jan Wigger schrieb.
Nach Erscheinen von "Honi Soit" bezeichnete
Cale sich als "musikalischer Hamlet", der sich auf Worte konzentriere,
"weil mich die Musik langweilt, ich will mich von der Musik absondern. Ein
ironischer Schritt (murmel murmel)." Tatsächlich befindet sich Cale in
ironischer Position zu allen Ironie-Behauptungen. Über Rockmusik despektierlich
zu sprechen, war ein täuschendes Markenzeichen des klassisch geschulten Musikers
und Komponisten, während das Oeuvre seiner "Rock"-Platten immer
weiter anwuchs mit Songs, die zwischen fragiler Schönheit und Psychose oszillierten,
Songs über die seltsamen Beziehungen der Menschen aus der Perspektive eines
Mannes, der dabei ist, jeden Respekt für anything
human zu verlieren und doch Zärtlichkeit für something human aufrechterhält. Songs, deren Urgrund eine
überwältigte, überwältigende Melancholie ist, a most humorous sadness, die eben nur noch in Shakespeareschen
Verkleidungen auftreten kann.
"I have neither the scholar's melancholy, which is
emulation; nor the musician's, which is fantastical; nor the courtier's, which
is proud; nor the soldier's, which is ambitious; nor the lawyer's, which is
politick; nor the Lady's, which is nice; nor the lover's, which is all these:
but it is a melancholy of mine own, compounded of many simples, extracted from
many objects; and indeed, the sundry contemplation of my travels; which, by
often rumination, wraps me in a most humorous sadness." - Shakespeare, As
You Like It
Was kann ein Mann noch tun, der auf "All Tomorrow's
Parties" und "Venus In Furs" mitgespielt hat? Vom Donner gerührter Hausmeister der
Wahnideen, als ich dieser Frage nachging. (Ledas Frage "Kann traurige
Musik dich traurig machen?" galt dem Widerschein, den sie bei einem Song
von John Cale sah. Es war "Riverbank".)
"Vintage Violence", "Fear",
"Slow Dazzle", "Sabotage", "Honi Soit" und vor
allem "Paris 1919" sind Platten, denen ich immer dankbar sein werde. Für die Weite,
die sie eröffneten in der traumhaften Schwere eines Zimmers. Sie sind, alle
zusammen, wie ein einziges Bild in allen Farben von Schönheit und Wahnsinn,
Melancholie und Surrealismus. Weite:
allein das Piano auf "Charlemagne" kann Verzweiflung exorzieren.
Diedrich Diederichsen über "Paris 1919" von
1973: "Sagen wir mal: die beste Kollektion romantischer Songs seit
Schuberts 'Winterreise'. Der Titelsong 'Paris 1919' war für mich immer eng an
Proust-Lektüre geknüpft."
Cale: "Paris 1919 ist über Sehnsüchte. Diese Platte
hat mit den Sehnsüchten nach anderen Zeiten und Umgebungen zu tun. Nostalgie
eben. Ich bin wahrscheinlich nicht Realist genug, um Nostalgie für ein Gift zu
halten."
Stephen
Holden im Rolling Stone: "The subject of Paris 1919 is nothing less than the
entirety of Western European high culture, viewed roughly from a post-World War
I, Dada-Surrealist perspective. The album is an epic reassessment of history,
geography and art itself. At its most accessible, the poetry is highly
illusory and multifaceted. The clearest example is in the album's most
beautiful cut, Andalucia, in which
impressions of a woman, a place and history are woven inextricably into a
moving and mysterious entity."
Wolfgang Bauduin nannte
"Paris 1919" ein "mit Stahlnägeln angereichertes Glas
Honig". Half Past France:
Vielleicht stammt Cales Macht, Schönheit nicht geheuer
erscheinen zu lassen, schon aus der Konstellation bei Velvet Underground, die
Cale in die Rolle des Sideman
drängte, der Finsteres im Schilde führt. In den 80ern ist Unberechenbarkeit Cales zweiter Name. Eine meiner liebsten Reliquien
aus dieser Zeit ist ein Zeitungsausschnitt mit dem Titel: "Cale not
normal, claims critic". John Cale am 7. März 1983 in der Hamburger
Markthalle: die bedrohlichste Präsenz, die ich jemals auf einer Bühne sah. Auch
wenn sich über einer verstimmten Gitarre die unheilschwangere Spannung
schließlich löste. Damals war Cale wie Captain Kurtz: horror has a face
and you must make a friend of horror. Man wußte einfach
nicht, wo er noch hingeht, nachdem er etwas wie "Fear Is A Man's Best
Friend" auf der Bühne hinter sich gebracht hatte, und seine
Schwarz-wie-die-Nacht-Version von "Heartbreak Hotel", bei der man ihn
zu 90% sterben sah, war so haarsträubend intensiv, daß ich bis heute jedem
seiner gutgelaunten Scherze nur zu 90% traue.
Als Cale 1977 auf dem Höhepunkt von Punk durch England
tourt, ist er angewidert von den Gewalttätigkeiten und der zur Schau gestellten
toughness der Pogo-Meute. Er nimmt
ein totes Huhn mit auf die Bühne und köpft es während der zweiten Strophe von
"Heartbreak Hotel".
"Thwock!
I decapitated it and threw the body into the slam dancers at the front of the
stage, and I threw the head past them. Everyone looked totally disgusted. The
bass player was about to vomit and all the musicians moved away from me. Even
the slam-dancers stopped in mid slam. It was the most effective show-stopper I
ever came up with."
Angeblich
sollen auch die Worte gefallen sein: 'Okay, if you're into violence, here's
some Haiti for you."
Bald
darauf: "Sabotage". R. Jäger auf amazon.de:
"Sabotage,
live mitgeschnitten im New Yorker CBGB's im Juni 1979, ist reine
Klaustrophobie, eine der radikalsten Aufnahmen des Rock'n'Roll, die bis heute
viele, die sich aus vergleichbaren Positionen heraus explizit zu vergleichbaren
Thematiken äußern, fast harmlos erscheinen läßt. Cales Hass ist reif,
unerbittlich, unanfechtbar, systematisch und niemals kopflos. Ebenso radikal
wie subtil entstellt der ausgebildete Orchestermusiker und Cage-Schüler die von
Deerfrance gesungene, trügerisch hübsche Ballade 'Only Time Will Tell' durch
eine einzelne, wohlgesetzte, disharmonische Note (...) Exzellente Band mit u.a.
dem (kurz darauf verstorbenen) Ex-Contortion George Scott, dessen knurrend
kriechender Bass einem wirklich den letzten Nerv rauben kann, und dem späteren
Lounge Lizards-Drummer Doug Bowne. Eine ähnliche Platte existiert nicht."
"Mercenaries (Ready For War)": psychotischer
Rasseldassel ohnegleichen.
Mercenaries
are useless, disunited, unfaithful
They have nothing more to keep them in a battle
Other than a meager wage
Which is just about enough to make them wanna kill for you
But not enough to make them wanna die for you
I'm just another soldier boy
Just another soldier boy
Looking for work
Looking for work
Looking for war
My rifle is my friend
My rifle is my friend
I clean my rifle every day
I clean my rifle every day
That's why my rifle is my friend
Ready for war, ready for war
Ready for war, ready for war
Did some work in Zaire, the jolly old Belgian Congo
Went back to Geneva to get paid
Back there in Geneva, that's were the money grows
That's were the money grows, that's were the honey flows
They didn't wanna pay me
They didn't wanna pay me, but they did
Tryin' to separate me from my money is like separate me from my life
Ready for war, ready for war
Ready for war, ready for war
Let's go to Moscow, let's go to Moscow
Let's go, let's go, let's go to Moscow
Find the backdoor to the Kremlin
Push it down and walk on in
Say Howdy-owdy-doody-aye-doody-aye-a
5000 feet and closing
Target visibility 1-9
4000 feet and closing
Target visibility 3-6
3000 feet and closing
Target visibility 7-9
2000 feet and closing
Visibility 1-10
1000 feet and closing
Visibility 7-4
500 feet and closing
Visibility zero!
Ready for war, ready for war
You better be ready for war
Deerfrance:
"He was decades ahead of his time, always has been. John never left a room
in the state he found it, onstage or off. I have never seen a performer give
more and being on stage with him was like being strapped into an Apollo
spacecraft. There was nothing he wouldn't do to make the performance
unforgettable, or to raise the consciousness of the crowd. He really never left
a performance without rearranging the audience's chromosomes. All life must be
lived that way. There is an expression in France about being serious. Really,
if you are not serious, what are you, kidding?"
Ahnte schon, dass Du in Sachen Cale ein Brett liegen lassen würdest. Aber musste es gleich eins von diesen Portraits sein, das alle anderen Portraits auslöscht? :) Oh boy, danke. Wunderbare Flaschenpost.
AntwortenLöschenThank you, dabei fehlt noch so viel. :) Über etwas wie "Child's Christmas in Wales" hinaus gibt es diese Unterströmungen bei Cale, die in die Kindheit führen. Eine Art von Imagination, die half, eine traumatische Kindheit zu überstehen, in reverse now: Bilder, in denen Fragmente stecken, die von weit her kommen. Aber auch diese Dringlichkeit, in "What's Welsh for Zen" schreibt er, als Kind haßte er es, schlafen zu gehen: "somewhere in the world there was something going on, and I'd miss it". Direkte Linie von dort zu einem Satz wie "You can't take a vacation in the middle of an idea, you've got to go push it." - Anyway: "Holding on, with both eyes, to things that don't exist" aus "Gideon's Bible", der ganze Text des Songs scheint von Kindheitserinnerungen durchsetzt ("a messy day with Clancy"), von Kindheitsphantasien (China), auch eine "grand old mother greedy" erscheint, man denkt an Cales walisische Großmutter, die den Gebrauch der englischen Sprache aus dem Haus verbannte, Cale konnte sich mit seinem englischen Vater erst unterhalten, als er mit 7 Englisch in der Schule zu lernen begann ("My grandmother, I really didn't like her and she didn't like me"), mit alldem im Sinn fand ich in diesem Früh-80er-Artikel über Cale, wie er, nachdem er gerade wieder in den wildesten Verschwörungstheorien unterwegs war, über die DDR sagt: "Aber sie haben viele Spielsachen in der DDR. Sie haben Spielzeug-Eisenbahnen und sie haben diese altertümlichen Puzzle-Spiele aus festem dickem Holz. Ich liebe die." :)
LöschenThank you for that. Nothing more to say.
AntwortenLöschenOleg
Don't misunderstand me. Your comments and analysis are as sharp and entertaining as ever. Danke, dass wir das gemeinsam erlebt haben.
AntwortenLöschenOleg
"When someone takes you on that journey down": doing time in Nookie Wood. Headphones make it open up like a huge voluptuous blossom, it swallows you, and in there / down there you marvel at all the details. Unbelievable. Waving to Sandman, leaving, laughing. Спасибо.
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