Samstag, 26. Januar 2013

5 bessere Lolas






SPIEGEL ONLINE Forum

20.03.2007





anselmi: 
Verzeihung, aber was ist an "Lola rennt" so toll? Ich empfand dieses Werk als ziemlich hohl. Die Dialoge bewegen sich auf Abreißkalender-Niveau, die Inszenierung ist prätentiöser Blubb (ich möchte nicht ins Detail gehen) und zu allem Übel spielt Armin Rohde mit. Als ob die grausige Frisur von Frau Potente nicht gereicht hätte... Wenigstens ist der Kram schnell vorüber.
Es wäre sehr nett, wenn Sie mir ein wenig auf die Sprünge hülfen, was Ihnen an diesem Film gefallen hat. :-)






5 bessere Lolas: Lola Lola, Lola Montès (Martine Carol), Lola, das Mädchen aus dem Hafen (Anouk Aimée), Marie-Luise ("Lola") (Barbara Sukowa) und... Lola ("I met her in a club down in old Soho where you drink champagne and it tastes just like Coca Cola").




























































Demy loved women, and all of his major films concern the bittersweet stories of young femmes and their romantic desires, which often clash with the harsher surrounding reality. 

Demy's films are noted for their stylish, bitter-sweet romanticism, meticulous mise-en-scene, and superlative production values. This is evident in his very first film, "Lola", in which every moment, every encounter, and every frame is staged and shot with remarkable precision and attention to detail, laced with affection, some irony, and more than anything else joy and delight that he wished to share with his audiences. 

(Emanuel Levy)








Grab von Jacques Demy auf dem Friedhof Montparnasse, Paris
Photo CE 2002














































Sonntag, 20. Januar 2013

Sechs Schuss







Im Geschwefel getafelt mit dem Teufel
Geschwafel pachtet Pech
Faust in meiner Tasche und die Schatten
so schwarz wie das Pik-As
Zeit, mein unfreundlicher Freund
Weißt du nicht mehr, wie ich einen Traum
hoch in rotes Nordlicht warf
Weißt du denn kein Sterbenswörtchen mehr
Vom Traum, der flog und flog
niemals mehr die Erde fand
Über Wasser und vergessene Berge
Heimsuchung für einen
den schon lang kein Heim mehr band
Sing mir eine Hymne, Freund
Alles ist so weit entfernt
Ich ziehe mit dem Wanderzirkus
durch den regnerischen Herbst
Zersägte Jungfrau liegt im Schönheitsschlaf
Bald ist schneeverweht mein Name
Wir ziehen durch den Regen, Tag für Tag
für Tag für Tag für Tag
All die Nächte
da sie in ihrem Schoß das Gold auffing
wie die Plane über uns den Regen
und vor dem ersten Wagen
saß der Tod auf einem hohlen Pferd
Sing mir eine Hymne, Freund
Sie sind siebzehn und ein Zwerg
und ich habe nur sechs Schuß
Die Puppenballerina aus dem Kabinett der Wunder
mit ihren kalten Händen, die Augen flehend blau
mit dem Orakelmund und ihrer Geisterschau
mit ihren Tränen auf rokokogeweißten Wangen
Schmuck der fassungslos Geliebten
Sie zirkuliert in achtzehn Schädeln
seit ich sie fand auf dem Fatalitätenbasar
und dem Schwertschwinger abrang
für einen stolzen Preis und das Mal auf meiner Stirn
Violett verdoppelt sich zu Purpur
Donnergrollen, am Kreuzweg fahler Schein
Lichter aus dem Noch Nicht
auf dem Endlosmeer des Nicht mehr
und die Meute rückt zusammen
bis der Krug bricht und die Scherben
einer ganzen Welt den Hals aufschlitzen
Dann sing mir eine Hymne, Freund
für den Tag der Freiheit
Nie mehr sinkt die Hoffnung in ein nasses Grab
Nie mehr pilgern durch die Plagen
Nie mehr schlafen im stummen Schrei der Sterbenden
Nie mehr sie verlieren an ein widerliches Lachen
Laß uns warten, wispert sie
Nur ein wenig noch


























Sonntag, 13. Januar 2013

Tausend Tränen tief















Laut: Warum Berger? 

Jochen Distelmeyer: Wenn ein Video, dann mit ihm. Ich halte ihn für einen aussergewöhnlichen Schauspieler - die Visconti-Filme beispielsweise. Ausserdem stellt er eine Art "Old Nobody" dar. Das Video ist insofern auch als Video zum Album konzipiert und zu verstehen. 

Laut: Wie lief es mit seiner Zusage? 

Jochen Distelmeyer: Wir haben ihm die Nummer geschickt und er rief dann irgendwann spät nachts an, im Hintergrund dröhnend laut der Song laufend, und gratulierte uns, fand das super und wollte unbedingt dabei sein. So kam das zustande, schliesslich reiste er nach Hamburg, zwei Tage essen gehen, sich unterhalten und kennenlernen und dann zwei Tage ziemlich straighter Dreh. 


[laut.de, November 1999]





 see here:

















Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders






SPIEGEL ONLINE Forum

"Literatur - was lohnt es noch, zu lesen?"

05.11.2007


 
Christian Erdmann: 

Um kurz zu intermittieren: Carl Einstein, Bebuquin. Ein Gefühl beim Lesen, als würde man durch Bilder von Clovis Trouille wandern.

Durch die regengepeitschte Nacht fuhr in ihrem Auto die Schauspielerin Fredegonde Perlenblick. Sie hörte außerdem auf den Namen Mah bei jüngeren Liebhabern, Lou, wenn sie dämonisch war, und Bea, wenn sie eine Familie zu ersetzen suchte. Sie fuhr mit zwei erschrecklich blendenden Scheinwerfern, die im glitschrigen Asphalt, in dessen Regenwasser die Schatten der letzten Trotteurs gaukelten, weiße Lichtgruben aufrissen. Ihre Autohuppe hatte entschieden dramatische Kraft. Der Chauffeur hielt einen tragischen Recitationsstil inne, die Huppe hatte das dramatische R. Auf dem Dache des Coupés war ein Kintop angebracht, der den verschlafenen Bürgern zeigte, wie die Schauspielerin Fredegonde Perlenblick sich auszog, badete und zu Bett ging. Ehe es dunkel wurde, erschien über dem Bett kalligraphisch 'Endlich allein?' Unter der Bilderreihe des rasenden Kinema stand zum Beispiel "Ich trage den Strumpfhalter 'Ideal'" oder sonst irgend eine wertvolle Empfehlung. Die Schauspielerin ließ vor der Bar halten. Sie stieg aus, es war noch niemand da. Ihr erster zündender Blick, der das Lokal durchkreiste, blieb unerwidert.
Sie setzte sich hin und war schön für sich selbst.
Bebuquin stieg über die Schwelle.
"Gnädigste, Sie sitzen auf einer Hypothese." 



Bebuquin fuhr Euphemia an die Nase und umarmte sie zugleich leidenschaftlich.
Ein Sturmregen pointilliert die großen Scheibenfenster.
"Man hat bis jetzt die Vernunft benutzt, die Sinne zu vergröbern, die Wahrnehmung zu reduzieren, zu vereinfachen. Im ganzen, die Vernunft verarmte; die Vernunft verarmte Gott bis zur Indifferenz; töten wir die Vernunft; die Vernunft hat den gestaltlosen Tod produziert, wo es nichts mehr zu sehen gibt. Noch für Dante war der Tod ein Vorwand für Glanz, Farbe, Reichtum und Lust. Nehmen wir unsere Sinne, entreißen wir sie der Ruhe der Stupidität platonischer Ideen, beobachten wir den Moment, der viel eigenartiger ist, als die Ruhe, weil er differenziert und charakteristisch ist, gar keine Einheit hat, sondern sich zwischen vorn und hinten restlos aufteilt."
Der tote Böhm tanzte dankend auf Euphemias Hut und versank im Buffet; er legte sich wieder in eine seltsame Cognacsorte, die er von jeher geliebt. 


 

Weiter mit dem regulären Programm.








06.09.2010 



I'm a Substitute:

... und der angeschlagene Tonfall muß der Sache selbst angemessen sein. Wahrscheinlich konnte ich deswegen bei aller Verehrung für Carl Einstein mit seinem "Bebuquin" nichts anfangen...




Christian Erdmann:

Schade. Aber genau darum ging es Einstein ja auch nicht, um das "der Sache Angemessene", wäre schlecht möglich bei einer Kampagne wider erzählerische Mimesis & "wirklichkeits"-verhaftetes Erzählen, da entsteht "die Sache" von vornherein anders, im ästhetischen Experiment selbst. Und wenn, erstes Kapitel erster Satz, die Scherben eines gläsernen, gelben Lampions auf eine weibliche Stimme klirren, dann ist die Sache einfach da, bereit für Faszination oder Verständnislosigkeit. Was wäre denn für diesen Satz jene Sache, zu der es "angemessen" zu sein gälte?
 
 








 Clovis Trouille, Le palais des merveilles (1907 - 1927 - 1960)












"Man muß einsehen, ihr Dummköpfe, daß die Logik nur Stil werden darf, ohne je eine Wirklichkeit zu berühren. Wir müssen logisch komponieren, aus den logischen Figuren heraus wie Ornamentkünstler. Wir müssen einsehen, daß das Phantastische die Logik ist."


(Carl Einstein, Bebuquin, Stuttgart 1985, 7)




"Bebuquin, sehen Sie einmal. Vor allen Dingen wissen die Leute nichts von der Beschaffenheit des Leibes. Erinnern Sie sich der weiten Strahlenmäntel der Heiligen auf den alten Bildern und nehmen Sie diese bitte wörtlich."


(ebd. 12)
 
 
 
"Man muß das Unmögliche so lange anschauen, bis es eine leichte Angelegenheit ist. Das Wunder ist eine Frage des Trainings."
 
(ebd. 19)












Donnerstag, 3. Januar 2013

Streng geheimer Geheimdienst-Scheiss















SPIEGEL ONLINE Forum

25.10.2008 





BerSie: 
Es gibt einen Faden, der viele Coen-Filme verbindet. Ein "Durchschnittsbürger" wird durch eine moralisch fragwürdige, aber günstige Gelegenheit zu Geld zu kommen dazu verleitet, diese Chance zu ergreifen. Diese Entscheidung führt ins Verderben.

Hat jemand schon "Burn After Reading" gesehen?










Ja, und ich würde sagen, ein anderer "Faden" ist, daß Beknacktheit einfach nicht stillhalten kann.

Klasse Film darüber, wie ständig Bedeutungen produziert werden, die dann, wegen gleichzeitiger randomness der Dusseligkeit, zielsicher aneinander vorbei jagen.

Sehr schön auch, wie vier Ikonen selbstironisch bestimmte *images* bis zur Farce überhöhen, George Clooney den konfusen womanizer, Brad Pitt den Body mit Hohlkopf, John Malkovich den verbissenen Choleriker, Tilda Swinton the icy bitch. Krönung allerdings das Gesicht des CIA-Abteilungsleiters – "Repeat back to me when... it makes sense." Irgendwann, nach einer Stunde etwa, dachte ich an den Satz, den mal jemand über Computer sagte: strohdumm, das aber mit rasender Geschwindigkeit. Ein etwas distanzierterer Blick auf die Comédie humaine als sonst, ähnlich wie eins der Mädchen, die in Peter Weirs "Picnic at Hanging Rock" den Felsen hochklettern: "Was treiben die Leute da unten eigentlich? Wie ein Haufen Ameisen." Nur, daß die Ameisen nicht immer das Problem haben, an ihren eigenen Mißinterpretationskünsten zu scheitern, fragt sich noch, wessen Gewimmel letztlich strukturierter ist.