Freitag, 1. November 2019

Traum ohne Ende / Dead of Night (1945) - Teil 1











Dead of Night, oder: Horror als Identitätskrise männlicher Architekten des scheme of things 

Teil 1



DEAD OF NIGHT [1] ist ein Film mit einer überaus vertrackten und raffinierten Komposition. Zum einen reiht er Episoden aneinander, die vom Übernatürlichen handeln: als Riß im Gewebe der Realität, als Erfahrung, die das gewohnte Weltbild und die wahrgenommene Regelhaftigkeit des "Normalen" zersetzt, eben den "natürlichen" Lauf der Dinge. Der kumulative Effekt von vier solcher Episoden suggeriert, daß auch in der fünften und berühmtesten, bekannt als "The Ventriloquist's Dummy", Übernatürliches geschieht; bedeutendes Thema in "Dead Of Night" ist jedoch auch die Desintegration des Selbst.

Zum anderen - dies die Rahmenhandlung - werden diese Geschichten erzählt von Personen, die in einem Landhaus versammelt sind und die gleichzeitig als Charaktere in der endlosen Alptraumschleife eines Mannes existieren, der, wenn er sich im Wachzustand wähnt, seinen eigenen Traumgestalten auch noch begegnet, um mit ihnen die ganze Vertracktheit zu besprechen, wobei ein Punkt des Übergangs von außerhalb des Traums zu innerhalb des Traums nicht greifbar wird und nicht einmal klar ist, ob es ihn gibt. Während besagte Personen von einer Wirklichkeit erzählen, in der es einen Riß gab, sucht dieser Mann – Walter Craig, ein Architekt – verzweifelt nach einem Riß in seiner Wirklichkeit, die darin besteht, daß der unnatürliche Lauf der Dinge nicht unterbrochen wird; sie ist ein "Traum ohne Ende" (so der deutsche Titel des Films).

Der Film setzt damit ein, daß Craig mit dem Wagen zu dem Landhaus namens Pilgrims's Farm fährt, in das er telefonisch bestellt wurde. Er hält kurz an, wirft einen Seitenblick auf das hinter einem Waldstück zum Vorschein kommende Haus, schüttelt ratlos den Kopf und fährt weiter. Er scheint verwirrt von dem, was er sieht, und da er nur ein Landhaus gesehen hat, sind auch wir bereits verwirrt. Aber Craig bewegt sich durch ein endloses Déjà vu, und er befindet sich an dem Punkt, an dem sein Bewußtsein dafür langsam wieder erwacht.

Vor dem Landhaus wird Craig von dem Mann begrüßt, der ihn angerufen hat, Eliot Foley. Foley entschuldigt sich dafür, daß er Craig ein Wochenende mit "für Sie wildfremden Menschen" [2] zumutet, und spricht dann von dem Plan für zwei neue Schlafzimmer; Craig, zunehmend nervös, weiß bereits: "And with only one living room", obwohl er direkt danach erklärt, noch nie in der Gegend gewesen zu sein - "not... not actually." In der nächsten Dialogsequenz nimmt Craig seinem Gastgeber das Wort aus dem Mund – weil er es schon kennt. Als Craig das Cottage betritt, weiß er nach kurzem Nachdenken, wo er Mantel und Hut aufzuhängen hat. Und er weiß, ihn erwarten noch weitere Gäste, deren Begrüßungen und ausgestreckte Hände er mit der Benommenheit des sich das Hirn Zermarternden ignoriert. Er glaubt, dieses Mal sei es kein Traum, sinniert: "As it isn't a dream this time, I must be going out of my mind", geht auf den Psychiater Dr. Van Straaten zu und vermutet, daß dieser wohl wieder seine Behandlung übernehme. Craig erklärt, daß jeder der Anwesenden ein Teil seines Traums sei, den er wieder und wieder träume: "... meeting you all together, here in this room that I've neer been in, in my life, until today". Van Straaten fragt, ob Craig erzählen könne, was im Traum passiert sei, und Craig erzählt nach, was bisher im Film geschah; er wisse aber auch, daß noch eine weitere Person hinzukomme – eine Frau, attraktiv, dunkles Haar; "She comes in quite unexpectedly and says something about not having any money". Nach dem Erwachen bleibe die Erinnerung nur für ein paar Sekunden, "and none of it ever comes back to me until the next time it starts."

Die Anwesenden versichern Craig, keine Zweifel darüber zu hegen, daß sie in seinem Traum vorkommen. "Keiner von uns existiert wirklich... wir sind alle nur Figuren in Mr. Craigs Traum", sagt mit charmantem Lächeln die schwarzgekleidete Joan, während sie die Beine übereinanderschlägt und sich eine Zigarette anzünden läßt.

Im Anschluß an die Frage, ob ein Blick in die Zukunft möglich sei, was Van Straaten ausschließt, erzählt der Rennfahrer Hugh Grainger "something I'll not forget to my dying day. Matter of fact it very nearly was my dying day." Grainger ist bei einem Rennen verunglückt. Nach dem Unfall liegt er physisch wie psychisch schwer versehrt und fiebernd im Krankenbett, wie ein verwundeter Soldat im Lazarett. Er redet die Krankenschwester an: "You are here, Peggy? All the way from Scotland?" Die Schwester: "All the way from Scotland." Grainger, langsam zu sich kommend: "But... you're not Peggy, are you?" - "No, I'm awfully sorry... you've been calling me Peggy for days. My name is Joyce." Grainger erklärt Joyce dankbar, von ihr gehe "eine unheimliche Ruhe" aus, und bittet sie, nicht fortzugehen, ihn nicht allein zu lassen; sie verspricht es, wenn er brav wieder einschlafe, und er schwört: "Ich tue alles, was Sie verlangen". Grainger erholt sich langsam, "it was a grand job of nursing on Joyce's part."






Die Profession des Autorennfahrers läßt sich vergleichen mit dem "conventional male heroism provided by the war" [3]; Hutchings argumentiert, "no male in the film as a whole quite recovers from the crash". Der Film, unmittelbar nach Ende des II. Weltkrieges entstanden, handelt nicht nur vom Unfall des männlichen Heroismus, er handelt überhaupt von verunsicherten Männern, die sich nicht mehr zurechtfinden.






Die nächste Szene zeigt, wie Grainger und Joyce sich offensichtlich näher gekommen sind; wie nah aber, bestimmt Joyce. Beim verliebten Dialog ist Grainger, symptomatisch, noch passiv ans Bett gefesselt, während Joyce Aktivität und muntere Dominanz verströmt: "Well, you've stopped being delirious. At least I think so, it's hard to tell, you talk such nonsense!". Als Inhalt seiner "Alpträume" bezeichnet Grainger die Angst, Joyce könne ihm einen Korb geben und Doktor Albury heiraten; Joyce antwortet "You needn't worry", aber ihre Begründung gibt kaum Anlaß, den verunsicherten Mann mit der Gewißheit auszustatten, sie würde ihn in jedem Fall vorziehen: "He has a wife and three children." Banter, klassisch britisch, aber Geplänkel in "Dead of Night" ist immer zugleich tongue-in-cheek und beredt. Als Grainger sie bittet: "Es gibt nur ein Mittel, mich endgültig zu heilen: heirate mich!", läßt sie ihn neckisch stehen bzw. liegen: "Du machst mir Laune!" (You've got a hope!") und verläßt das Zimmer. Es ist 21:45.

Grainger bleibt allein in der Nacht seines Zimmers. Er nimmt ein Buch. Musik aus einem Radio ist zu hören, der Sänger singt: Why do you pass me by? How can you treat me so when you know all that you mean to me? Dann verschwinden die Musik und das Ticken der Uhr im Nichts - "to signal a slip into a non-rational world" [4] Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Autos hinter den geschlossenen Fenstervorhängen. Es ist nur eine Minute vergangen, seit Joyce das Zimmer verließ. Doch als Grainger auf die Uhr blickt, ist es 4:15.

Die Kamera fixiert die Fenstervorhänge, bis es nur noch eine Frage gibt: was ist hinter diesem Vorhang? "This is a noticeably evocative shot (...) it is the first supernatural event of the film and it is presented unambiguously and tangibly - we have slipped through the boundaries with the hapless racing driver" [5]. Grainger steht auf und geht langsam auf das Fenster zu. Er zieht die Vorhänge auf. Vogelzwitschern. Grainger sieht das Haus gegenüber in einiger Entfernung – im strahlenden Sonnenschein eines hellichten Tages.

Die Verstörung liegt darin, daß man das Panorama - der friedlichste Anblick, den man sich vorstellen kann - nach einem Schock absucht, während man begreift, daß dieses Panorama selbst der Schock ist. Direkt unter Graingers Fenster wartet unbewegt ein Kutscher. Schwarze Pferde, schwarze Kutsche. Ein Leichenwagen. Plötzlich hebt der Kutscher sein Gesicht und ruft Grainger zu: "Einer hätte eben noch Platz drin, Sir!" ("Just room for one inside, Sir!").





 
Grainger wendet sich ab, setzt sich aufs Bett, fährt sich durchs Haar. Das Ticken der Uhr und die Musik kehren zurück. Es ist 21:50.

Die nächste Szene zeigt Grainger im Gespräch mit Dr. Albury. Der fragt: "In der Zehntelsekunde, als Ihr Wagen aufprallte, waren Sie überzeugt, Sie müßten sterben?" Grainger bestätigt dies; auch, daß er diese Furcht noch immer nicht ganz losgeworden sei. Die Todesvisionen seien die psychische Krisis, die der physischen folge, so der smarte Albury, doch "ich wette, wir haben Sie hier raus binnen einer Woche". Nach einer Woche verläßt Grainger tatsächlich die Klinik. An der Bushaltestelle fragt ihn ein Mann nach der Uhrzeit. Grainger antwortet, es sei viertel nach 4. Als er einsteigen will, sagt der conductor zu ihm: "Einer hätte eben noch Platz drin, Sir!". Der conductor ist der Leichenkutscher. Grainger steigt nicht ein, den conductor als Todesboten erkennend – und sieht dann fassunglos zu, wie der Bus nach der Kollision mit einem Lastwagen von einer Brücke stürzt. Graingers Leben ist gerettet, doch die letzte Szene, in der Grainger erkennt, daß seine "psychische Krisis" buchstäblich der Blick durch den Riß in der Wirklichkeit war, exponiert ihn im close-up als stummen, machtlosen Zuschauer, entsprechend seiner passiven Rolle als Opfer übernatürlicher Abläufe, die keine smarte Psychologie wegerklären kann.

Die Anwesenden im Cottage diskutieren über die Geschichte. Grainger selbst besteht darauf, "that hearse driver was sent to me as a warning", der als doubting Thomas angesprochene Van Straaten will Grainger davon überzeugen, es sei nur eine phobische Reaktion auf das Einsteigen in ein Fahrzeug gewesen: "You were still obsessed by your crash". Craig mischt sich ein: "No use, Grainger. We're both in the same boat. We'll never convince him." Van Straaten wolle handfeste Beweise ("genuine first-hand evidence"), zu denen bisher keiner in der Lage war. "Bisher...", stutzt er, denn in diesem Augenblick erscheint überraschend die von Craig prophezeite attraktive, dunkelhaarige Person. Es ist Schwester Joyce, nunmehr Mrs. Grainger, die Geld für den Taxifahrer braucht. Joyce wundert sich, daß sie die Erfüllung eines Traums sei, Foley bestätigt: "Bargeldlose Brünette, erschienen nach Plan" ("Penniless brunette, laid on according to plan."), und Mrs. Foley, Eliots Mutter, klärt sie auf: "Mr. Craig träumt seit vielen Jahren von Ihnen!"

"Dead of Night's raison d'être", so Dyson, ist der Konflikt "rationality / psychiatry vs the supernatural" [6] wobei gilt: "(...) we are not encouraged to side with Van Straaten". Der die Strategie der Ratio vertretende Skeptiker artikuliert diese Stimmung auch im Plot selbst: Van Straaten mutmaßt, die anderen Versammelten hätten sich vorgenommen, ihn mit einer Inszenierung in die Falle zu locken ("An extraordinary elaborate practical joke at my expense.") Joan Cortland antwortet ihm: "Welchen Grund sollten wir haben, um uns eine solche Geschichte auszudenken?" - Welchen Grund haben wir, fragen die Traumgestalten im Cottage des psychischen Apparats die skeptizististische Ratio; eine Frage von feinster Ironie, bedenkt man, daß Ratio auch Grund heißt und für die Strategie des Logos die Welt ohne Ratio eine Welt ohne Grund ist.

Van Straaten spielt mit seiner Brille, was Craig aus seiner vorübergehenden Lethargie weckt; er sieht Schreckliches voraus: "That's it! Your glasses!" - "What about my glasses?" - "It's later on. We're having drinks. You break those glasses of yours, and then, quite suddenly, the room goes dark. And then, Foley, you say something, something about the death of a man I've never heard of. And that's where my dream becomes a nightmare. A nightmare of horror." – "Horror? What sort of horror?" fragt Joan. "Ich spüre", so Craig weiter, "wie meine Willenskraft dahinschwindet... ich fühle mich im Würgegriff einer schlimmen Macht, die mich zu etwas unaussprechlich Bösen zwingt..." Für Van Straaten ist klar: "It shows that you have some heavy weight on your conscience." Craig wird immer unruhiger. Warum könne gerade er in die Zukunft blicken? Je mehr Begebenheiten er antizipiert und voraussieht, je mehr Craig das Gefühl hat, daß er selbst dem scheme of things in diesem Landhaus zugrundeliegt, "the more he begins to crack-up" [7]. Das Irrationale ist immer auch eine Bedrohung der sozialen Norm. Als die Stimmung unbehaglich zu werden droht, meint Mrs. Foley, Sally möge jetzt vielleicht lieber gehen; die 14jährige Sally aber erklärt, ihr sei ebenfalls schon äußerst Sonderbares widerfahren, und Van Straaten will ihre Geschichte hören.

Sally erzählt von einem Weihnachtsfest, das sie in Somerset verbrachte. Im großen alten Haus einer Mrs. Watson findet eine Kinderparty statt. Sally und Jimmy Watson sind die Ältesten, aber auch Jimmy ist noch kein Mann; "significantly", beobachtet Hutchings, "aside from a briefly glimpsed aged butler, there are no adult men present" [8] Die Kinder spielen Versteck; Sally soll gesucht werden. Sie läuft die Treppe empor zu den oberen Räumen des Hauses und versteckt sich hinter einem Vorhang. Jimmy findet Sally, bringt sie auf den Dachboden und macht ihr ungeschickte Avancen; Sally, "dressed and made-up like a young woman", reißt sich los und läuft noch tiefer hinein in die entlegensten Winkel des Hauses, "giving us the impression that [she] has travelled a long way from the rest of the guests, and from help" [9].






Jimmy hatte versucht, Sally Angst zu machen mit einer Gespenstergeschichte: in dem Haus sei ein grausiger Mord verübt worden. Die Täterin, ein Mädchen, sei wohl verrückt gewesen; sie habe ihr Opfer erdrosselt und halb geköpft.

Sally findet einen alten Korridor und hört in einem abgelegenen, vergessenen Zimmer das Schluchzen und Wimmern eines Kindes. Sie findet einen weinenden Jungen, nimmt ihn in den Arm und tröstet ihn. Der Junge bittet Sally, sie möge hier oben bei ihm bleiben. Der Junge sagt, er heiße Francis Kent, und dieses Zimmer sei das Schlafzimmer von ihm und seiner Halbschwester Constance, die sehr garstig zu ihm sei: "Constance haßt mich... sie sagt, eines Tages tötet sie mich."

Unten sucht man Sally, während diese den kleinen Francis zu Bett bringt und ihm ein Lied vorsingt. Dann erscheint sie wieder in der Halle und berichtet von ihrer Begegnung. Mrs. Watson ist verstört: "Was für ein kleiner Junge?" Jimmy bemerkt lachend, Sally habe es also die ganze Zeit gewußt? Sally hat nicht gewußt, "daß Constance Kent ihren Bruder ermordet hat, den kleinen Francis!"; daß sie einem kleinen toten Jungen begegnet ist, dem seine Halbschwester 80 Jahre zuvor den Hals aufgeschlitzt hat. [10] Hutchings bemerkt:

"The method of killing is important. Constance Kent cuts her brother's throat. This act, this cutting of the human body has often been read as an inscription or writing of sexual difference onto the body, particularly in the context of the horror film where the body in question is usually female, the wielder of the weapon usually male and the outcome a reassuring (for men) reimposition of traditional gender roles. In Dead of Night this is reversed, so it is the male who is marked by what can be read in this context as a symbolic castration (...) Moreover, this castrating act is shown as causatively linked with Sally's violent rejection of the advances of a pubescent boy, someone who is not completely a man." [11] 

Selbst das Noch-nicht-Mann-Sein wird in Dead of Night zum Symbol des verunglückten Männlichen; das Mädchen Sally muß sich um einen verunsicherten, verängstigten, kleinen Jungen kümmern; wie fast alle Männer in Dead of Night verunsicherte, ängstliche, kleine Jungen sind. Dead of Night präsentiert bezaubernde Frauen, die unter zuckersüßer Glasur Nurse und Castratrix in einem sind. Aufgeschlitzt, entmannt, entmachtet, verunsichert, passiv, versehrt und verstört, ist das männliche Geschlecht in Dead of Night dem überlegenen Lächeln der Frau ausgeliefert, das den Stachel nur noch tiefer eindringen läßt. Die männlichen Figuren der Geschichten in Dead of Night sind phallischer Macht beraubt. Einige von ihnen suchen verzweifelt Ersatz. So wie der Film "the independent / strong woman and the weak / emasculated man" gegenüberstelle, evoziere er "a sense of there being something wrong with conventional heterosexual relationships" [12]. 

Die Runde nimmt ihre angeregte Diskussion wieder auf; Joyce Grainger bemerkt, sie glaube sowohl an Sallys Geschichte als auch an Craigs Traum, und Foley nörgelt: "Mit anderen Worten, wir sind ihm hilflos ausgeliefert, dem Traum, ist ja wundervoll." Van Straaten wirft ein, wenn er nur eine Marionette sei und Craig an den Fäden ziehe, könne er ja wohl Auskunft erwarten über die Rolle, die er spielen soll, doch Craig meint, das sei nicht so einfach. Er ahne, daß er Sally Gewalt antue, doch das sei wiederum auch nicht konsistent, denn er wisse auch, daß Sally die Runde plötzlich verlassen werde. Gerade als die Runde beschließt, daß Sally zu ihrem Schutz hierbleiben solle, erscheint ihre Mutter, um Sally abzuholen. Sally protestiert: "Mom, das geht nicht, schau, das ist Mr. Craig, und ich spiele eine wichtige Rolle in seinen Träumen!" – "Oh, freut mich ganz ungeheuer, Sie kennenzulernen" ("Oh, how do you do? Such fun, charades.") "Mom, jetzt, wo es so aufregend wird, er... er schlägt mich nachher zusammen!" ("Mother, you must listen. You see Mr. Craig is going to hit me savagely!") Sallys Protest ist umsonst, Sallys Mutter nimmt ihre Tochter mit aus dem Haus.

Van Straaten fällt auf, daß Craig sich nicht an Sallys Mutter erinnert hat, aber Joan bekräftigt mit laszivem Selbstvertrauen: "Mister Craig! Je weniger der Doktor Ihnen Ihre Einlassungen abnimmt, desto mehr tue ich es!" Und sie fordert Van Straaten heraus: "Doktor! Haben Sie zufällig eine Erklärung für Folgendes?" Folgendes ist Joans Geschichte, die kurz nach ihrer Verlobung begann.

Joan überrascht Peter an dessen Geburtstag mit einem teuren Geschenk: einem alten Spiegel. Sogleich fällt auf: Joan bringt die kostspieligen Überraschungen mit in das Zuhause, in dem Peter im Sessel sitzt und auf Joans Rückkehr wartet. Beim Auspacken fragt Peter: "You haven't gone and had your portrait painted, have you?" - "No, I thought you'd like to look at yourself." - Portraits lassen Mächtige und Bedeutende von sich anfertigen. Joan, dies ist nach Sekunden klar, beherrscht diese Beziehung. "Darling, it's a beauty!" befindet Peter (quasi auch über sich selbst), effeminiert vor dem Spiegel posierend, während die starke, dominierende Frau gurrt: "Gefällt er dir?" – wie es tausend Helden in tausend Filmen zu einer den Ring oder das Collier forciert atemlos bestaunenden Frau sagten.

Die nächste Szene offenbart, daß Joan sich von einem Bekannten namens Guy nach Hause fahren ließ; Peter macht ein paar schnippische Bemerkungen über ihn, auf die Joan erwidert: "Vorsicht, mein Freund! Ich mag diesen Jungen nämlich!" ("Be careful! I'm very fond of Guy.") – "Es schmeichelt doch nur deiner Eitelkeit, den Knaben an der kurzen Leine zu halten!" ("Meaning that it pleases your disgusting feminine vanity to have him on a string.") Die Szene suggeriert, "that Joan is enjoying the company of two men (...), as if one is insufficient" [13]. Als Peter den Spiegel aufgehängt hat, sagt Joan: "I'm glad to see you're going to be useful about the house." Ist ein Mann auch inadäquat, ist es gut, wenn mehrere in irgendeiner Hinsicht adäquat sind. "Hmmm... handsome couple", sagt Joan, als sie und Peter vor dem Spiegel stehen, erneut ein Satz, auf den es eigentlich ein männliches Vorrecht gab, und in diesem Augenblick blickt Peter über seine Schulter zurück, als hätte er im Spiegel etwas hinter sich gesehen.






Als Peter sich am Abend vor dem Spiegel für eine night out fein macht, verwandelt sich das Spiegelbild vollständig. Der Spiegel bedeutet jetzt endgültig die Präsenz einer anderen Welt. Im Spiegel sieht Peter sich in einem Zimmer stehen, das nicht das Zimmer ist, in dem er tatsächlich steht. Als er sich umdreht, einmal die Augen schließt und wieder öffnet, scheint der Spuk vorbei. 

Von ausgiebigem Tanz erschöpft bemerkt Peter: "Should have worn our grass skirts". Blink and you miss it: Peter empfiehlt seiner Missus und sich selbst ein bei heißen Temperaturen getragenes Röckchen. Auch hier: banter, und doch vielsagend. Joan: "Darling, is anything the matter? You seemed to have been a bit broody all evening." - "(...) 'broodiness' another conventionally feminine attribute" [14]. Nachdem er zunächst vorschiebt, es sei nur die Hitze, kommt Peter schließlich doch auf den Spiegel zu sprechen. "Es war nicht mein Raum, den ich gesehen habe. Es war ein anderes Zimmer." ("The reflection was all wrong.")

In der Nacht tritt Peter noch einmal vor den Spiegel; erneut ist dieser andere Raum zu sehen. Es ist sichtlich ein Zimmer aus einer früheren Epoche. Im Hintergrund des dunklen Salons brennt ein Kaminfeuer. Und jetzt verschwindet die Erscheinung nicht mehr.

Joan und Peter sind in den nächsten Wochen damit beschäftigt, ein Haus zu suchen (in der kurzen Szene, die eine Besichtigung zeigt, können wir an der Körpersprache erkennen, daß Joan die Entscheidung trifft); dann folgt das Chaos der Hochzeitsvorbereitungen. Peter wird immer unkonzentrierter und reizbarer, so als wären es die "again conventionally feminine eve-of-wedding nerves" [15]. Joan organisiert alles und herrscht Peter dafür an, daß er, ständig zu Hause, nicht einmal an ein Telefongespräch gedacht hat.

Es ist der Spiegel. Peter sagt, es gelinge ihm nicht mehr, durch Willenskraft dem Spiegel seine normale Reflektion aufzuzwingen. "The only thing to do is to try not to look in it at all. But in a queer sort of way it fascinates me." Peter fühlt, daß der Spiegel Gewalt über ihn hat ("I feel as if that room, the one in the mirror, were trying to... to claim me"), daß der Spiegel versucht, ihn in das fremde Zimmer hineinzuziehen. Es scheint ihm jetzt, als wäre das fremde Zimmer sein Zimmer und sein eigenes Zimmer imaginär. Und er fühlt, daß da etwas auf ihn wartet, jenseits des Spiegels; "etwas Böses... unwahrscheinlich Böses". ("Something evil. Monstrously evil.") Wenn er die Trennlinie überschreite, werde etwas Furchtbares geschehen.






Joan, pragmatisch, will den Spiegel zurückgeben, doch Peter erwidert: "The trouble's not in the mirror - it's in my mind. It must be." Der Spiegel sei nur Holz und Glas. Peter bittet Joan: "Laß uns die Hochzeit verschieben, bitte". Joan ist vor den Kopf geschlagen, faßt sich aber rasch wieder, nimmt Peter an die Hand und führt ihn vor den Spiegel. "Schau in den Spiegel!" befiehlt sie. Peter sieht nur das fremde Zimmer und sich selbst; Joan sieht er nicht. "In the other room I'm alone!" Joan befiehlt ihm, exakt zu beschreiben, was er sieht. "Anstelle meines Bettes steht da ein anderes Bett (...) Die Vorhänge sind aus dunkelroter Seide, die Wände sind getäfelt". Dann erzählt ihm Joan, was sie sieht: "Just your ordinary room with you and me in it. Listen to me! You're going to look in this mirror again, you're going to see exactly the same as I do! Come here!" Zunächst gelingt es nicht. Joan ermuntert ihn: "You can, darling, if you try!", ergreift fest seine Hand – und es gelingt.

Im neuen Haus fühlt sich Peter zunächst durchaus wohl mit dem Spiegel – solange Joan bei ihm ist. Joan hat die Hochzeit und ihren Willen durchgesetzt. Als sie eines Abends bei ihrer Mutter weilt, ist das ominöse Spiegelbild wieder da. Peters erste Reaktion ist es, Joan anzurufen, aber er legt wieder auf, weil der Spiegel ihn ruft.

Joan erkundigt sich bei dem Antiquitätenhändler nach dem Spiegel, entdeckt in dem Laden jenes Bett, das Peter stets im Spiegel sieht, und erfährt: das Bett und der Spiegel gehörten zu den Privaträumen eines gewissen Francis Etherington, der im Jahre 1836 starb. Die Räume blieben vom Todestag bis zum Verkauf des Interieurs unbenutzt und verschlossen. Etherington, so der Antiquitätenhändler, "war ein Mann von äußerst dominantem Charakter. Arrogant, rücksichtslos, blendend aussehend, aber von ungezügeltem Temperament." Etherington machte eine reiche Erbin zu seiner Frau. Eines Tages fiel Etherington bei der Jagd vom Pferd und erlitt eine Wirbelsäulenfraktur, die ihn ans Bett fesselte. Er wurde verbittert, traute niemandem mehr und verdächtigte seine schöne Frau, ihn mit Freunden, Fremden und Dienern zu betrügen. In einem Anfall von rasender Eifersucht habe er sie schließlich erwürgt. Dann habe er sich vor den Spiegel gesetzt und sich die Kehle durchgeschnitten. Joan erkennt: "Dieser Spiegel... ist seitdem also nie wieder benutzt worden..."

Der Spiegel hatte gewissermaßen viel Zeit, das Erlebnis, das er "gesehen" hat, zu behalten. Er hat, spiegelpsychoanalytisch gesprochen, das ihn traumatisierende Erlebnis nicht verarbeitet und reproduziert den Schauplatz seines Traumas – mit dem Ziel, das zu dem Schauplatz gehörende Ereignis zu reproduzieren.

Und das Ereignis lautet: der ursprünglich und eigentlich sich als dominant verstehende Mann ist entmachtet (man darf ersetzen durch "kastriert") und abhängig geworden von der Frau, die in seiner Phantasie zum männermordenden Vamp wird – erneut verschmelzen Nurse und Castratrix –, und tötet sie. Peter befindet sich Joan gegenüber, nur scheinbar weniger dramatisch, in derselben Situation: in widerwillig submissiver Position gegenüber einer – unwiderstehlich sympathischen – Dominatrice, und eifersüchtig. Joan ist eine starke, unabhängige, sexuell selbstbewußte Frau, und so sehr Peter es zu überspielen sucht: die Rolle, die er in dieser Beziehung spielt, behagt ihm nicht. Der Spiegel, der Vergangenheit reflektiert, zeigt auch: all is not well, in dieser Beziehung.






Auffällig ist, daß Peter äußerte, etwas Furchtbares werde geschehen, wenn er die Trennlinie überschreite, und unmittelbar darauf Joan bittet, die Hochzeit zu verschieben – vordergründig, weil er Angst hat, verrückt zu werden und dies einer Ehefrau nicht zumuten will. Aber ebenso scheint die Hochzeitsnacht die Trennlinie zu sein, die zu überschreiten "Furchtbares" nach sich zieht. Was immer es ist – Widerstand gegen Joans Dominanz, unterdrückte Homosexualität, unterdrückte Erotik, unterdrückte Aggression, unterdrückte gewalttätige Impulse -, es geht, wie in so vielen Horrorfilmen, um male sexual trouble, und, damit einhergehend, um ein männliches Identitätsproblem. Das Spiegelbild lädt ein in den "monströsen Raum" auf der anderen Seite, lädt ein zur Transformation in einen Anderen. "[Peters] transformation into that other man is prefigured in passing comments about Joan's relationship with another man" [16]. 

Peter läßt sich auch verstehen als Apolliniker, der die dionysische Verschmelzung – mit Joan, mit dem Spiegel – zugleich faszinierend findet und panisch davor zurückschreckt. Dabei zeigt der Spiegel gerade dann sein normales Bild, wenn Joan und Peter – sowohl psychisch als auch dadurch, daß Joan fest seine Hand nimmt – ein Stadium der Verschmelzung erreichen. Aber Peter bleibt eingeschlossen in seinem apollinischen Solipsismus. In der Kunst wurde der Spiegel als Symbol für weibliche Eitelkeit verwendet; Peter zeigt vor dem Spiegel ein gewisses Maß an Effeminiertheit, vor allem aber auch an narzißtischer Faszination. Es scheint – zumindest bis zu einem gewissen Punkt -, als schließe Peter mit besagter "Willenskraft" Joan davon aus, im Spiegel das zu sehen, was er sieht. Im Verhältnis zwischen ihm und dem Spiegel bleibt Joan ausgeschlossen, weil der Spiegel ihm sein eigenes Innenleben zeigt – es als ein mörderisches vorwegnehmend. "In Dead of Night, men seem to spend most of their time staring anxiously into space (and, implicitly, into their own minds)" [17]. Narzißtische Introspektion als "Waffe gegen die Verschmelzung mit dem Anderen, als "Rache" für die Einbuße phallischer Macht, als Kompensation für die Unfähigkeit, an der Seite weiblicher Stärke keinen Minderwertigkeitskomplex zu entwickeln. Joan strahlt Lebenslust, wenn nicht Libertinage aus; Peters Beruf ist accountancy. Ironischerweise sagt Joan zu Peter: "I thought you'd like to look at yourself."

Der Spiegel verstärkt Peters "weibliche" Seite, die er aber nicht zu akzeptieren bereit ist. Im Spiegel muß er sich selbst ansehen als Mann des Ressentiments, gefangen in einem Rahmen, der sein Innerstes als mörderische Umgebung zeigt. 

Als Joan von dem Antiquitätenhändler zurückkehrt, ist Peter völlig verändert: "Something gone wrong with your plans for a weekend?" wirft er ihr aggressiv entgegen. Seine Eifersucht eskaliert. "Du hast gedacht: dieser Einfaltspinsel, der merkt überhaupt nicht, wenn ich mich amüsiere - nicht wahr?" Peters Rede ist bereits speaking in tongues: "Noch bin ich in der Lage, mich zu bewegen! Wie schön für dich und deinen Liebhaber, daß ich mich so elend fühle! Könnte ich heraus aus dem Raum, würde ich den Burschen in Stücke reißen!" ("But I won't stand it. Not while I've strength to move at all (...) If I could move out of this room and break him in pieces...") Joan streitet ab, Guy überhaupt gesehen zu haben. Peter aber ist jetzt außer sich, versucht, sie zu strangulieren; bei ihrem Kampf fällt Joans Blick in den Spiegel – und jetzt sieht auch sie das Zimmer from another time, sieht sie Peter und sich selbst darin. Sie ergreift einen schweren Kerzenleuchter und zerschmettert den Spiegel. Der Bann ist gebrochen. Peters erste Worte: "I seem to have cut myself..." Die Wunde des Mannes hinter dem Spiegel fügt sich vor dem Spiegel zu. Peter fragt, was denn mit dem Spiegel passiert sei; Joan demoliert auch noch dessen Reste. Für einen Augenblick war es dem Spiegel gelungen, auch die Identität zwischen Joan und dem Opfer des Mörders hinter dem Spiegel herzustellen.






Joan sah das Zimmer im Spiegel genau wie Peter, bemerkt Joyce. Van Straaten erklärt: "Dieses war ein Kasus von Kryptoamnesie". ("This was a case of crypto-amnesia. The transmissibility of an illusion by one person to one or more other persons...") Und Van Straaten ist ein Kasus von Kaschieren eines Erklärungsnotstands. Craig erklärt, er habe jetzt verstanden: der stets wiederkehrende Traum solle ihm zur Warnung dienen vor den Schrecken, die hier auf ihn lauern. "Es ist etwas Grauenhaftes, was mich hier erwartet – möglicherweise sogar der Tod!" Er will das Haus verlassen. Foley, ganz englischer "Alter-Knabe"-Typ, bringt Craig auf den Korridor und erzählt ihm "eine Story für den Heimweg". "Jolly unpleasant when you come slap up against the supernatural."













Anmerkungen:

1 GB 1945, Regie Alberto Cavalcanti, Charles Crichton, Basil Dearden, Robert Hamer
2 Deutscher Dialog wird zitiert aus der Synchronfassung, die vom ZDF 1988 für die deutsche TV-Ausstrahlung (28.09.1991) hergestellt wurde und die der für die DVD 2008 produzierten Fassung weit überlegen ist. Die Kinosynchronisation von 1947 scheint komplett verschollen.
3 Peter Hutchings, Hammer and Beyond - The British Horror Film, Manchester / New York 1993, 31
4 Jeremy Dyson, Bright Darkness. The Lost Art of the Supernatural Film, London 1997, 170
5 Dyson 170 ff.
6 Dyson 170 
7 Dyson 172
8 Hutchings 31
9 Dyson 172
10 Die echte Constance Kent wurde 100 Jahre alt und starb 1944.
11 Hutchings 31
12 Hutchings 30
13 Hutchings 31 ff.
14 Hutchings 32
15 Hutchings 32
16 Marcia Landy, British Genres, Cinema and Society 1930 - 1960, Princeton 1991, 393 
17 Hutchings 32




















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