Diskussion über "Sherlock - Ein Skandal in
Belgravia" im Blog Café de Flore, direkt nach der deutschen Erstausstrahlung. Mai 2012.
Catherine:
Endlich, endlich, es ist wieder Sherlock-Zeit! Der erste Teil der Series
2 von BBC's Sherlock lief gestern abend im deutschen TV. Unzählige Male sah ich
schon die ersten drei Teile und wartete sehnsüchtig auf die Fortsetzung. Nun
also! Und was für ein Wiedereinstieg! Irene Adler, die einzige Frau, die es mit
Sherlock's mind aufnehmen kann. Sie umkreisen sich, sie kämpfen mit
Wortspielen, mindtricks und Blicken. Am Ende siegt Sherlock, durchschaut ihren
Bluff, sie habe ihr Interesse an ihm gespielt. "Sie konnten nicht
widerstehen." I AM SHERLOCKED. Und der Code ist geknackt. Es
bleibt eine Art Freundschaft? Whatever. Er rettet sie und das Handy
verschwindet in der Schreibtischschublade, ganz wie in "A Scandal in
Bohemia", nur dass es dort ein Foto der Dame war. Diese in die Moderne
übersetzten Gleichnisse aus den Originalgeschichten gelingen den Produzenten
Gatiss und Moffat immer wieder ausgesprochen genial.
Auch wieder grandios: die vielen Einfälle zur Verschrobenheit der
beiden colleagues and friends Sherlock Holmes and Dr. Watson. Sherlock verlässt
die Wohnung nicht mehr für die einfachen Fälle. Wird folglich durch Dr. Watson
vertreten, der am Tatort ein Notebook mit Webcam herumträgt, um Sherlock einen
Überblick zu verschaffen. "Halten Sie mich höher, ich spreche nicht von
unten mit ihm!"
Als dritte im Bunde auch diesmal wieder zu schön: Mrs. Hudson.
"Daumen!!" Im Kühlschrank.
Noch schöner – die Christmas Party! Hach, bunte Lichterketten in den
Fenstern, verschneites London, Sherlock spielt Geige und zerstört die Stimmung,
indem er Molly mal wieder bloßstellt. Am Ende des Abends stehen die beiden
Brüder Holmes vor der Morgue. "Gefühle bringen keinen Vorteil." -
"Frohe Weihnachten, Mycroft."
Aber herrje, die Synchronisation! Schluckt eine Menge des british
understatement, des Charmes, der Besonderheit dieser Serie. Und dennoch: so
hochwertige Fernsehunterhaltung sieht man im deutschen Fernsehen sonst nie. Who
cares for Tatort anymore!?
"Sie reden einfach weiter, wenn ich weg bin?" - "Keine
Ahnung, wie oft sind Sie denn weg?"
"Und wie oft genau ist er aus dem Fenster gefallen?"
Aaah,
Irene Adler. The woman. "Wo ist sie?" -
"Wer?" - "Na, die Frau! Die Frau Frau!"
Christian Erdmann:
Ah Dear. Ich wußte, wie Sie von Christmas & New Year in 221 B
bezaubert sein würden. "Frohes neues Jahr, John." Das Fenster, die
Atmosphäre, die Lichter, die Violine.
"Who
cares for Tatort anymore?" Well, wenn das nicht alles
über Deutschland sagt: der unsägliche Pilawa hatte doppelt so viele
Zuschauer, selbst eine Tatort-Wiederholung im Dritten hatte mehr Zuschauer als
"Sherlock". Man faßt es kaum mehr, weder, wie phantastisch diese Folge war, noch die
bräsige Ignoranz dieses Volks, Folge langjähriger systematischer
Verblödungsarbeit, auch die "Sherlock"-Synchro entgeht, soviel ist
schon klar, ohne daß ich die Originalfassung von "A Scandal in
Belgravia" nun schon komplett gesehen hätte, diesem
Den-Deutschen-bloß-nicht-überfordern-Verbindlichkeitsdreck nicht vollends, aber
gut, bedecken wir diese Tatsache unter 243 verschiedenen Arten von Tabakasche.
Die Szene vor I AM *SHER*LOCKED, in der Sherlock Irenes Handgelenk nimmt
und in ihr Ohr flüstert: "Nein. Weil ich Ihren Puls genommen habe... die
Frequenz erhöht... die Pupillen erweitert", ist das Erotischste, was ich
seit langem sah.
Lara Pulver ist die perfekte Irene, dieser gleam in ihren Augen,
making every move credible. Aber gerade die Sekunden, wenn sie John in der
Battersea Power Station entgegengeht, beweisen, wie vollkommen diese Frau in
dieser Rolle ist, diese attitude in diesen Sekunden, ihr Gang, ihr Blick.
Sherlock & Irene, die obsessive Faszination der beiden füreinander,
so brilliantly done, das ist einfach nur atemberaubend. Alles an dieser Folge
funkelte nur so. Man kann jede einzelne Minute nehmen und verfolgen, was alles
darin untergebracht ist, so wie man staunend einen Ballon verfolgt, der immer
höher fliegt. Die Szene, in der Sherlock die liebeskummerige Molly mit ihrem
Weihnachtsgeschenk praktisch öffentlich hinrichtet, weil er sich als "high
functioning"-Soziopath nicht kontrollieren kann, und dann der Moment, in
dem er tatsächlich versteht, was er angerichtet hat, "Es tut mir leid.
Verzeihen Sie mir. Frohe Weihnachten, Molly." So unerwartet und berührend,
man muß als Cumberbitch in diesem Augenblick zerfließen, aber steht diese Szene
nicht auch in unendlich komplexem Zusammenhang mit dem ganzen impact, den
Irene Adler auf Sherlock hat, ist nicht auch sie ein mögliches Indiz dafür, daß
dieser impact tatsächlich auch emotional ist und nicht "nur"
(Goodness sake!) Erotik als Machtspiel, Machtspiel als Erotik, die erregende
Qualität der Intelligenz und die intelligente Art der Erregung? Daß er,
Sherlock, vielleicht tatsächlich nicht nur deshalb in Karachi auftaucht, um
Irene zu retten, weil sie - full circle - am Anfang auftauchte, um ihn zu
retten?
Und tat SIE das nur, um das einzige Katz-und-Maus-Spiel mit einem Mann
zu inszenieren, das diese High Class-Dominatrix faszinieren könnte? Ihn dabei
für ihr Spiel zu instrumentalisieren? Schon die Art, wie sie am Anfang über
Sherlocks Bild streicht, läßt anderes ahnen. Faszinierend, wie sich in diesem
komplexen Geflecht an Motivationen und entsprechenden plot twists doch immer
wieder playing the game zwischen Sherlock und der FrauFrau als eigentlicher
plot bestätigt, und, wiederum, was unter playing the game verborgen ist.
Die Szenen, in denen man hintenüberfällt - ungezählt. Die
Hommage an "Where it is always 1895". Sherlocks
Sockenordnung. "Er wird Gott überleben, nur damit er das letzte Wort haben
kann." Runter von meinem Laken. Das erotische Stöhnen, das Irene auf
Sherlocks Phone spielt, und das dann eben doch mehr als nur ein running gag
ist.
"Hamish. John Hamish Watson. Nur, falls Ihr noch einen Babynamen
sucht." :)
Catherine:
Absolutely yes. Nun ja, vergesse in der Aufregung immer, dass das, was
im TV geboten wird, auch von Menschen gesehen wird. Also, das andere Zeug, das
es meistens gibt. Aber Menschen wollen immer das, was ihnen vertraut ist und
wenn es noch so schlecht ist. Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass überhaupt
Sherlock gezeigt wird. Downton Abbey hat es ja nicht mal in die Hauptkanäle
geschafft, die zweite Staffel wurde dann gar nicht erst gekauft.
Aber zurück in die Baker Street. Yes, brilliantly
done. Obsession, fascination, ja. Auch bei ihm. Was leicht entgeht:
die Story zieht sich über Monate. Monate, in denen Dr. Watson und Mrs. Hudson
sich heimlich über den ungewöhnlichen Zustand Sherlocks Sorgen machen. Ein
weiteres Indiz für Ihre Vermutung, es sei mehr als nur "das": Irene
Adler flüchtet sich in die Baker Street, liegt in seinem Bett, sitzt in seinem
dressing gown und mit gewaschenen Haaren in seinem Sessel. Würde dieser
sociopath das zulassen, nur um einen interessanten Fall verfolgen zu können,
als Teil des Spiels? Nein, jede/r andere wäre längst rausgeflogen oder teilte
Mollys Leid.
Aber Mycroft oder das holmesianische Familiensystem setzt sich durch,
als es darum geht, zu siegen. Das letzte Wort zu haben. Und nicht zuletzt: sie
erwähnt Moriarty. Brillant hier eingeschoben, dass Moriarty auch hier wieder
die Fäden zieht als consulting criminal. (By the way: im "Reichenbach
Fall" wird Ihnen übrigens die Luft komplett wegbleiben. Jede Minute ist
dreimal so vollgepackt, jede kleinste Kleinigkeit zählt.) Man kann genau
beobachten, wie Sherlock sich in dem Moment, als Irene Adler Moriarty erwähnt,
die connection zu Ms. Adler durchtrennt, emotional disadvantages, - für
den Moment -, um zu siegen.
Muß zugeben, dass mir manche Zusammenhänge immer noch nicht ganz klar
sind. In manchen Szenen wird unfassbar schnell gesprochen. Benedict Cumberbatch
spricht im Making of darüber, dass diese Szenen auch für ihn schwierig waren,
so las ich heute. Und doch, sogar mit Synchro, didn't get everything. Das
Coventry-Dilemma. Warum ist überhaupt Moriarty involviert? SIE hat ihn
konsultiert, ja, aber warum Mycroft? Und warum sollte die Maschine nicht
fliegen? Hm. Brauche dringend die DVD. Oh, allein das Seufzen der Ms. Adler auf
Sherlocks Handy. In der Synchro viel zu tief, viel zu albern. Im Original much
lighter, mädchenhaft und vor allem glaubhaft. Und "Brainy ist the new
sexy" wurde zu "Grips ist sexy". Ich bitte Sie! Wer verwendet
heute das Wort "Grips"? Liegt doch seit den 80ern auf der
linguistischen Müllhalde. Das "battle dress" , das zum
"Kampfanzug" wurde. Naja.
Christian Erdmann:
"... als es darum geht, zu siegen. Das letzte Wort zu haben." Der
Moment, in dem Sherlock die connection durchtrennt, - für den Moment -, um zu
"siegen". Gut, ja. Und ich las nun, daß Steven Moffat von
feministischer Seite Kritik eingesteckt hat sowohl für Irene Adlers
"defeat" als auch dafür, sie schließlich nur zum "pawn of
Moriarty" zu machen. Und dann wieder dafür, daß Sherlock / masculine
presence sie am Ende rettet (impliziert wohl: daß sie sich nicht selbst
rettet). Also, diese Übellaunigkeit ergrimmt einen. Wenn da eine Frau ist, die
an Intelligenz, List und Einfallsreichtum allen Männern außer einem :)
überlegen ist, wird all das also praktisch zunichtegemacht, annihiliert, weil
dieser eine Holmes ist? Also bitte. Das ist logisch nicht haltbar, mathematisch
nicht haltbar, sherlockologisch nicht haltbar.
Das Schöne an Irene Adlers Blick am Ende ist, daß man in ihn auch
hineinlesen kann: sie wußte, daß Sherlock zu ihrer Rettung eilen würde. Was die
"Niederlage" auch wieder relativiert, oder besser: letztlich spielen
Sherlock und Irene einfach ihr eigenes Spiel, retten es am Ende gewissermaßen
selbst noch vor allen anderen Plot-Verwicklungen, und sogar vor der
"Sieg / Niederlage"-Idee.
"Warum ist überhaupt Moriarty involviert?" Also, wenn Irene,
wie gesagt, vorhat, das einzige Katz-und-Maus-Spiel mit einem Mann zu
inszenieren, das sie faszinieren könnte (weil Holmes der einzige Mann ist, der
sie wirklich fasziniert), dann muß sie Sherlock vor Moriarty retten.
Offensichtlich hat sie Sherlock seit längerem im Visier, und nun muß sie sehr
dringend einschreiten. Und Moriarty etwas anbieten, das wiederum diesen genug
faszinieren könnte, um ihn davon abzuhalten, Sherlock in diesem Moment tatsächlich
aus dem Weg zu räumen ("Ich kann nicht zulassen, daß Sie
weitermachen"). ("Stayin' Alive" als ring tone auf Moriartys
Phone in diesem Moment - so bescheuert obvious, daß es schon wieder klasse
war).
Ausschließen kann man wohl, daß schon diese Szene von Moriarty und Irene
fingiert war, Moriarty scheint ehrlich überrascht von dem Anruf, sein
"Natürlich, wer sonst!" läßt auf etwas wie "Ist dort..." am
anderen Phone schließen. Insofern verstehe ich auch den "pawn of Moriarty"-Gedanken
nicht. Irene eröffnet, weil sie Moriarty in diesem Moment von seiner Beute
abbringen muß (SIE! will mit Sherlock spielen!), und geht wahrscheinlich davon
aus, ihn auch weiter in Schach halten zu können. Die Royal Family und die
Geheimnisse des Verteidigungsministeriums sind ihr vollkommen gleichgültig. Sie
will Sherlock, und es bietet sich ihr die Gelegenheit, an Sherlock
heranzukommen, indem sie den born villain Moriarty von der Möglichkeit in
Kenntnis setzt, eine Regierung über den Haufen zu werfen.
Das bedeutet natürlich, wenn sie nicht zu "Schuhen"
verarbeitet werden will, daß sie weiterhin irgendwie mit Moriarty
zusammenarbeiten muß, ihn sich aber auch von den High Heels zu halten gewillt
ist. Er ist, wie alles andere, nur Peripherie in ihrem Spiel mit Sherlock.
Die kompromittierenden Fotos, die sie von sich und dem jungen weiblichen
Mitglied der Royal Family hat (sehr schön Mycroft: "Eine phantasievolle
Palette, hat man uns versichert."), beschreibt Irene ja immer nur als
Versicherung, das Eigentliche ist dieser Plan der englischen und
US-Geheimdienste, von dem Irene weiß, weil ein Regierungsmitglied bei ihr
geplaudert hat. Terroristen planen, ein Passagierflugzeug in die Luft zu
sprengen, und die Geheimdienste wissen davon. An einem bestimmten Punkt (als er
im Auto zum Flugzeug gebracht wird) interpretiert Sherlock "Coventry"
als: sie wußten es, aber sie haben es zugelassen. Tatsächlich plant Mycroft
aber eben, das ganze Flugzeug auszutauschen, um die Terroristen zu täuschen,
und dieses Flugzeug mit den Toten abstürzen zu lassen. (Die Szene, als Holmes
dieses Flugzeug betritt, ist schon sehr eerie!). Aber das Projekt wird
gestoppt, "die Terroristen haben erfahren, daß wir von der Bombe
wissen", Sherlock hat Irene und daher Moriarty zu dem Code verholfen (die
airline seat numbers). Irene erscheint im Flugzeug und hält Mycroft das Phone
vor die Nase, "das Ihre ganze Welt zum Einsturz bringen könnte",
übergibt ihm die Liste ihrer Forderungen, um dafür im Austausch die
Informationen auf ihrem Phone herauszugeben. Und dann eben der Moment, in dem
Sherlock sie damit konfrontiert, daß sie lügt, wenn sie sagt: "Sie denken
doch nicht wirklich, daß ich an Ihnen interessiert war". Genau der Moment,
in dem ihm auch der Code klar wird: I AM SHERLOCKED. - Bei mir Mattscheibe:
warum Mycroft zu Sherlock sagt (im Flugzeug): und ICH habe dich in ihren
(Irenes) Bannkreis gebracht.
Ich LIEBE diese Szene, Schnitt - Gegenschnitt, Irene betrachtet die
Photos von Sherlock im Bettlaken auf ihrem Smartphone, Sherlock betrachtet die
Photos, die Mycroft ihm im Buckingham Palast reicht, die Bilder von THE WOMAN,
die Domina auf ihrer Website - beide ultimately sexy, und doch - obwohl
Sherlock ja nachweislich no stranger to Reitpeitschen ist - ahnen wir hinter
dem faszinierten Blick auf das, was zu sehen ist, die Faszination an den
Sphären, in die sie einander führen können.
Verstehe auch nicht, wie man darauf kommen kann, zu argumentieren, es
sei enttäuschend, daß Irene nudity einsetze. So vom feministischen Standpunkt
aus enttäuschend. Sie tut es souverän und dominant, sie setzt sich einfach -
mit ihm zusammen! - komplett über diese albernen Ideen von "Frau als
Objekt" hinweg, sie zieht ihn in diese wunderbare Dialektik - ihn damit zu
faszinieren, daß sie ihm überlegen ist. Sie "setzt Nacktheit ein"
gerade, um ihm zu zeigen, daß sie ihm NICHTS zeigt (ihm, der aus jedem
Detail von Kleidung wie rasend Deduktionen aneinanderreiht) - außer dem Code
für ihren Safe (ihre Maße). Die Dialektik, sich ihm überlegen zu zeigen und ihm
gleichzeitig die Gelegenheit zu geben, seine Überlegenheit über ihre
Überlegenheit zu demonstrieren.
Phantastische Idee auch, Irene und Sherlock "zusammen" in die
Szenerie mit der Bumerang-Geschichte zu versetzen, sie "zusammen" die
Geschichte aufklären zu lassen, von der ich jetzt öfter gelesen habe, sie habe
keine Bedeutung für den Plot, die aber eben ganz zentral ist für den Plot, wenn
der Plot eben die entfesselte Dialektik dieser obsessiven Faszination der
beiden füreinander ist.
Schön auch der Blick, den sie teilen, der als kaum merklich inszeniert
ist, vor ihrem Safe sieht er im Augenwinkel, wie sie ihn mit einer Kopfbewegung
warnt.
Göttlich, wie Mycroft Mrs Hudson anfährt, und beide, Sherlock und John,
mit ihrem "Mycroft! Oi!" den großen Bruder veritabel erschrecken.
Wie John seiner Freundin anbietet, ihre Hunde auszuführen, und es waren
die Hunde der letzten Freundin. Wie diese Szene Irene bestätigt: Oh doch, ihr
seid ein Paar.
Anyway, Moffat ist fortan mein top hero, für die Selbstverständlichkeit,
mit der er in Irene Adler Ultra-Attraktivität und Ultra-Intelligenz
zusammenbringt. Würde sich in D keiner trauen, so eine Frauenfigur, und die
Art, wie sie schon wieder zugequatscht wird, ist eben Teil des Problems und
nicht der Lösung.
Bin vorbereitet darauf, daß mir bei Reichenbach komplett die Luft
wegbleibt, aber nach diesem Spiel zwischen Cumberbatch und Lara Pulver ist eh
nicht mehr viel übrig. :)
Catherine:
Thank
you so much für the enlightenment! Habe nun noch einmal mit neuen
Augen geschaut, mit Ihren wunderbaren Erklärungen und neuer Aufmerksamkeit.
"Und ich habe dich in ihren Bannkreis gebracht." Weil Mycroft Sherlock mit dem Irene Adler / königliches Familienmitglied - Problem von der Coventry Geschichte ablenken wollte. "Es war vor deinen Augen." Die Kinder, die ihren Opa nicht noch mal sehen durften und der Mann mit der Urne, in der keine menschliche Asche war. Sherlock reagiert darauf nicht, aber es ist gefährlich nah an ihm dran, deshalb muß Mycroft sich was überlegen, um seinen Bruder zu beschäftigen, solange das Coventry Dilemma nicht ausgestanden ist. Allerdings war es wiederum sein Fehler, im Beisein Sherlocks am Telefon "Bond Air hat grünes Licht" zu sagen. Sherlock spricht ihn darauf auch an, Irene Adler wisse noch viel mehr, als ihm bekannt sei und es ginge noch um andere, viel größere Dinge hinter all dem. Mycroft schweigt.
Und dann macht Sherlock den Fehler, auf Moriartys Plan reinzufallen, dass Irene's Wiederauftauchen ihn dazu bringt, ihr den Code zu knacken. Somit schließt sich der Kreis. Hätte Mycroft nicht Sherlock auf Irene Adler angesetzt, hätte sie ihn zwar trotzdem gefunden, aber er wäre nicht der Initiator gewesen. Denn Mycroft hat nicht damit gerechnet, dass Irene Adler mit der Coventry Geschichte in Berührung kommen könnte, da er die Verbindung zu Moriarty nicht kannte. Also hat Mycroft indirekt durch die Vergabe des Falls Irene Adler / Königshaus an Sherlock dafür gesorgt, dass die Terroristen vom Vorhaben der Regierung, den "Flug der Toten" zu starten, erfahren.
Vermute, dass Moriarty von vornherein alles genau so geplant hat, weil ja schon vor und während des Palastbesuchs Fotos von Sherlock gemacht werden, die Irene postwendend erhält. Bin ich eigentlich die einzige, die die Anspielungen auf die junge, weibliche Person aus der allerhöchsten Familie mit Kate Middleton assoziiert? Vermutlich darf man sowas nicht zu laut denken. :)
Oh ja, die Parallelszenen sind großartig! Beide betrachten die Bilder des anderen, beide "kostümieren" sich für die erste Begegnung (Gatiss/Moffat haben sich viel mehr am Original orientiert, als mir zunächst aufgefallen war. Zu sehen auch in der Verkleidungsszene, Sherlock als Pfarrer, eine schöne Reminiszenz an die Vorlage.) Beide haben Assistenten zur Seite. Auch die Szene während Sherlocks drugged sleep, genial, wenn Traum und Wirklichkeit ineinander fließen und er noch im Halbschlaf mitkriegt, dass sie da war und dann seinen Mantel an der Tür hängen sieht auf der Suche nach der Ursache für das unbekannte Geräusch, welches sein Handy von nun an von sich gibt.
Aber diesmal fiel mir deutlicher auf, dass Sherlock fast durchgehend misstrauisch bleibt. Er beobachtet genau, er überlässt sich eventuellen Gefühlen nicht, sondern nimmt ihre Maße auf den Inch wahr, nimmt ihren Puls, nutzt ihre gespielte oder eben nicht gespielte Annäherung jeweils für präzise Beobachtung. Auf Watsons "Hamish! ... falls ihr noch einen Babynamen sucht." folgt ein komplett irritierter und entsetzter Blick. (Benedict Cumberbatch wird ebenso mit jeder Folge präziser und brillanter in Mimik und Gestik, I say!). Während der Zeit, als er denkt, sie sei tot, interessiert ihn ausschließlich, das Handy zu knacken. Sherlocks Obsession bleibt gedeckelt. Sie setzt Nudity ein, ja, aber sie bleibt Objekt in seinen Augen. Er ist auch Narzisst, nicht nur Soziopath, wie die Kommentare zu Watsons Blog sehr deutlich machen. Frauen sind für ihn Objekte, wie Molly, so zunächst auch Irene Adler. Erst als es nicht im geringsten langweilige Rätsel zu lösen gibt, wird es für ihn interessant und dann führt die Bewunderung, die er für Irenes scharfen Verstand empfindet, zu anderer Sichtweise in Bezug auf Frauen, siehe Molly again.
Dazu schrieb Conan Doyle in "Ein Skandal in Böhmen": "Für Sherlock Holmes ist sie immer noch die Frau. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er sie jemals unter einem anderen Namen erwähnt hätte. In seinen Augen überflügelt und überragt sie ihr ganzes Geschlecht. Es war aber nicht so, dass er so etwas wie Liebe für Irene Adler empfunden hätte. Alle Gefühlsregungen und insbesondere die der Liebe verabscheute sein kalter, analytischer, aber bewundernswert ausgewogener Verstand. (...) Für einen geschulten Denker wie Holmes bedeutete das Eindringen von Gefühlen in sein eigenes kompliziertes, letztendlich hochempfindliches Wesen einen Störfaktor, der möglicherweise Zweifel an seinen logischen Schlüssen aufkommen lassen konnte. (...) Und doch gab es nur eine Frau für ihn, und das war die verstorbene Irene Adler, obwohl die Erinnerung zwiespältiger Natur ist."
Zwiespältiger Natur, weil sie ihn verraten hat und das darf man bei Narzissten nicht unterschätzen. Trotzdem hat er begonnen sie zu respektieren und zu bewundern. Zwiespältigkeit lässt beide Stränge zu. Er rettet sie aus Respekt, Verehrung und Loyalität. Und weil er damit letztlich seinem Bruder wieder einen Schritt voraus ist, ebenso den Terroristen und nicht zuletzt Moriarty.
Nein, natürlich ist nichts haltbar, was diese feministischen Kritiken angeht. Es ist evolutionär gegeben, dass Männer und Frauen voneinander abhängen und es besteht dabei nun mal keine Gleichheit. Es ist großer Unsinn, von einer Frau zu verlangen, neben Frau auch noch Mann zu sein. Wenn Irene Adler nicht als Frau agieren und einen mächtigeren oder sagen wir schlaueren Mann suchen, herausfordern und bewundern würde (ob nun Moriarty oder Sherlock), wäre grundsätzlich was komplett abhanden gekommen, nämlich die dringend erforderlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau, die dann ja auch überhaupt erst zur Faszination führen. SIE bewundert IHN wegen seines schnellen, scharfen Verstands und weil er in der Lage ist, sie zu retten. ER bewundert SIE, weil sie ihre Attraktivität einsetzt (nudity), um seine Kategorisierung zu umgehen, ein Rätsel zu sein, und er fühlt sich ihr verbunden und bestätigt als Mann, weil er etwas für sie tun kann, nämlich sie zu retten.
Oh, like you said it, ein großes Problem: nicht nur die Ultra-Attraktivität und Ultra-Intelligenz der Frau, sondern auch des Protagonisten. Dazu die Vielschichtigkeit der Story und das hohe Tempo. Alles sehr undeutsch.
Ja, großartig, dass die beiden Mycroft gegenüber Mrs. Hudson in Schutz nehmen, nur um sie dann selbst anzufahren, die Klappe zu halten. Und wie sie dann am Weihnachtsabend zu Molly sagt, dies sei der einzige Abend im Jahr, an dem die Jungs nett zu ihr sein müssen.
"Was tun wir hier eigentlich, Sherlock, was? Treffen wir die Queen?" Mycroft tritt auf. "Oh, offenbar ja." :)
Christian Erdmann:
Vermute, die Kate-Middleton-Assoziation dürfte jedem gekommen sein, der
"Britishness" so schätzt, daß er dem "Scandal in Belgravia"
entgegenfieberte, ich stelle mir nur vor, daß Kate selbst gar nicht unbedingt
etwas dagegen hat, in fiktive Szenen mit Irene Adler verwickelt zu werden. :) Im
übrigen ist der Name von Irenes Gespielin ja auch Kate!
Der Satz von Mycroft - Sherlock hat den Code der email entschlüsselt,
Irene sendet den Code heimlich zu Moriarty, der wiederum diesen schadenfrohen,
hämischen Text an Mycroft sendet. Irgendwie hatte ich daraus geschlossen,
Mycroft müsse eigentlich in dem Moment, als er diesen Satz sagt, schon mehr
klar sein als das, was "Und ich habe dich in ihren Bannkreis
gebracht" aussagt; daß er, als Irene Adler im Flugzeug auftaucht, wissen
müßte, daß ein Plot im Gange war, der dem von ihm im Buckingham-Palast
Initiierten voraus war.
Vielleicht, das weiß ich ja nun noch nicht, geben die zwei weiteren
Folgen noch clues dazu, aber für mein Empfinden geht Irene tatsächlich so
vor, wie sie es Sherlock bzw. Mycroft gegenüber am Ende formuliert: daß
Moriarty für sie ein consultant war; der dann zwar with glee zugreift, daß
sie aber bei dem für sie Wichtigen unabhängig von ihm agiert. Schickt
Moriarty ihr die Fotos von Sherlock im Bettlaken? "Ich schicke Ihnen einen
Leckerbissen" kann von Moriarty sein, muß aber nicht. Ich denke vielmehr,
Irene hat ihr eigenes Netzwerk. Because, wir sehen, zu Beginn, daß Irene
Moriarty kontaktiert, während Her Naughty Royal Highness noch gefesselt
daliegt. Right during a session. Wenn Irene nur vorhat, Moriarty mit ihrem
Material zu kontaktieren, könnte sie ja das Ende der Session durchaus noch
abwarten. So aber wäre meine Interpretation, daß sie eine dringende Mitteilung
bekommen hat, wegen Sherlock in distress, eben von ihrem eigenen
Überwachungssystem. Wie gesagt, sie hat Sherlock im Visier, und nun muß sie
sehr dringend einschreiten. Und dafür die interessante Stunde mit der
Prinzessin unterbrechen, die Peitsche noch in der anderen Hand, und Moriarty jetzt anbeißen lassen. Nur so wird auch die Rettung, die Sherlock dann am
Ende erwidert, nicht zum bloßen Zufall. Aber sagen Sie mir, wenn da irgendwo
ein Fehler drinsteckt!
Ja, Sie beschreiben das sehr schön, daß Sherlock sich eventuellen
Gefühlen nicht überläßt. Aber wir können nicht in ihn hineinsehen. :) Wir
wissen nicht, ob ihn wirklich nur das Phone interessiert, in der Zeit, als er
Irene tot wähnt. Natürlich ist es main concern des Sherlock-Geistes, aber es
ist wohl auch ein Fetisch. Der Fetisch, den er auch am Ende an sich nimmt.
Mycroft faßt im Flugzeug Sherlocks Geschichte mit Irene ja mit "Das
Versprechen von Liebe, der Schmerz des Verlustes" etc. zusammen, zugleich
ironisch und nicht ironisch. "Liebe" wäre natürlich das falsche Wort,
darum "obsessive Faszination" etc. Aber die ist reziprok, und, in a
way, alles andere ausschließend. Mag sein, daß Frauen für Sherlock
grundsätzlich "Objekte" sind, aber auch nicht mehr als alles andere
bzw. jeder andere, abgesehen von John Watson, Mrs. Hudson und Mycroft. Aber
Irene ist anders, unvorstellbar anders. :) Sie ist, in a way, the perfect
match. Weil sie nicht nur die exzeptionellen Vorzüge Sherlocks teilt bzw. von
ihnen erregt wird; auch, weil sie sich in derselben, sagen wir ruhig,
Einsamkeit auskennen. Sie erkennen sich. "Die Gleichen erkennen sich im
Feindesland". Sein Mangel an Empathie, Pendant dazu bei Irene etwa ihre
Bemerkung, als Kate bewußtlos ist ("Daran ist sie weiß Gott
gewöhnt."). Die ruthlessness. Aber was so wunderbar ist an Lara Pulver,
so genial an der Besetzung: wie sie vermag, auch Verletzlichkeit auszustrahlen.
Einfach ein Geniestreich ohnehin, aus Irene Adler eine Domina zu machen.
Lust an der Macht und Lust an Inszenierung. Sherlock ist ja der klassische
Apolliniker. Für den Apolliniker ist die Frau am attraktivsten, wenn sie sich
völlig selbst kontrolliert – aber auch am gefährlichsten. Und Moffat / Gatiss
hatten den Mut, aus Irene Adler die ideale Dominatrix zu machen. Camille
Paglia schrieb einmal: Konversation mit einer Dominatrix ist wie ein Mikado-Spiel
mit Rasiermessern. Sherlock darf genau diese Erfahrung machen. :)
Die Femme fatale ist ja deshalb fatal, weil sie die apollinische
Verobjektivierung, Verbildlichung und Vergegenständlichung untergräbt - aber
seltsamerweise auch gerade deshalb für einen Hyperapolliniker wie Sherlock so
attraktiv wird, eben weil sie die Macht hat, das alles zu übersteigen. Irene
ist DIE FRAU, weil sie den Distanzierungsprozeß des Apollinikers in eine Art
Obsession umwandeln kann. Und Irene als Domina ist eben deshalb so ideal, weil
keine Figur schlagender (oh what a pun) die Überlegenheit, mit der sie wiederum
selbst den apollinischen Genuß an dieser Obsession genießt, verkörpert.
Sherlock und Irene spielen ein intellektuell-erotisches S/M-Spiel (und
gewiß genießt er es am Ende, ihr "Erwarten Sie, daß ich um Gnade
flehe?" mit "Ja" zu beantworten), aber beide geben dabei auf
eine Weise, die zumindest strukturell mit Liebe vergleichbar ist, einander
das Gefühl, absolut einzigartig zu sein für den anderen. Eine so phantastisch
komplexe Beziehung! Wie sie ihn anschaut, als er S-H-E-R ins Phone zu geben im
Begriff steht, und sie weiß! es, daß er es jetzt weiß, so voller Angst und
zugleich voller Bewunderung, einfach überwältigend.
"Der einzige Abend im Jahr, an dem die Jungs nett zu mir sein
müssen." - ha, diese Mrs Hudson hat es in sich. Ja, auch wenn Sherlock ihr
dann selbst sagt, "Besser Sie halten wirklich die Klappe"
(schließlich hatte Mrs Hudson auch gerade einen wunden Punkt berührt -
Familie!) - fest steht, wer sich mit Mrs Hudson anlegt, fliegt ungeklärte Male
aus dem Fenster. Der CIA-Mann fliegt da hinten übrigens dermaßen da hinten
vorbei, daß ich an diesen Monty Python-Sketch dachte. "Fine, fine.
Fine."
Schön auch, wie im Palast the priceless giggle in ein unvergleichliches
Lachen bei BC übergeht. Genial natürlich auch das komplexe Bruderverhältnis,
sehr bewegend die "Fragst du dich je, ob mit uns etwas nicht
stimmt?"-Szene, einfach großartig, wie Cumberbatch und Gatiss diese
belastete Geschichte in jeder Szene präsent sein lassen. Ach,
alles genial.
Catherine:
"Wilkins!"
"Robertson!" "Wilkins!" "Robertson!" "THAT
was Wilkins!" "That was Wilkins." Hach, young John Cleese!
Gorgeous! :)
Ah,
I see! Vermutlich sind wir im Grunde wieder mal ähnlicher
Meinung, nur anders. Obsessive Faszination bei Irene Adler, ja. ER ist
unvorstellbar anders. :) But you got me by that pool scene. Hatte das noch nicht, dass Irene in diesem Moment anruft. ("Stayin'
Alive" > wait for Reichenbach.) Aber, yes, sie rettet ihn,
fantastisch beobachtet, dass sie ihren "Job" unterbricht, weil die
Nachricht von Sherlock in Gefahr sie alarmiert. Aber am Ende sagt sie auch,
Moriarty habe ihr gesagt, wie man die Holmes-Brüder am besten manipuliert.
Warum dann beide? Weil es auch um ihre Rettung, ihren Schutz geht?
Nein, hineinsehen können wir nicht, aber wir können beobachten und
unsere Schlüsse ziehen. :) Deshalb zitierte ich den Originaltext:
"... bewundernswert ausgewogener Verstand". Zunächst ist er
tatsächlich verstört, sein Unterbewusstsein reagiert mit eben dieser
dionysischen Obsession, die Sie meinen, wie die Traumsequenz zeigt. Er kennt
diese Gefühle bis dahin nicht am eigenen Leib ("Sex beunruhigt mich
nicht." - "Woher willst du das wissen?"), er ist quasi asexuell
und auch, wie wir wissen, antisozial, wenn es sein muss. (Übrigens auch falsch
übersetzt, als er das Smartphone röntgt und Molly sagt, Menschen tun verrückte
Dinge aus Liebe oder so ähnlich. Er sagt dann in der Synchro sowas wie
"Tun wir das? Ja, das tun wir, nicht!?" Aber im Original sagt er
"Do THEY? Yes, THEY do!" Er sieht sich davon nicht betroffen.)
Er erinnert sich im Traum auch, dass Moriarty geschworen hat, "to
burn the heart out of you". Und er sagt, er habe die Chemie der Liebe
analysiert, sie sei ebenso simpel wie sinnlos. Und das bewundere ich wiederum
an Gatiss und Moffat, dass sie genau diese Klarheit bewahren, dass Sherlock
sich nicht auf die körperliche Sinnlichkeit der Irene Adler einlässt. JEDE
andere Filmproduktion wäre aufs Dionysische verfallen, hätte eine sexuelle
Affäre erzwungen, wo sie nicht hingehört. Genau das, dass die beiden auf
geistiger Ebene einen intellektuellen Machtkampf oder meinetwegen auch eine Art
S/M-Spiel spielen, bis es eben ausgestanden ist, macht alles glaubhafter. Und
ja, Lara Pulver spielt unverschämt gut.
Die Irritation, die Sherlock am Anfang durch sie erlebt, ärgert ihn, ja,
das Rauschhafte, Sinnliche, das sie in ihn legt, ist ihm fremd und
unwillkommen, aber er kann sich (noch) nicht dagegen wehren. Auch weil er
glaubt, dass sie tot ist. Ein unglaublich cleverer Schachzug, übrigens. Als er
dann in der Battersea Power Station erkennt, dass sie lebt, und die SMS bei ihm
ankommt, er entdeckt ist, dreht er sich um und geht. Warum? Ein weiteres Mal
fällt er auf sie rein, weil er nicht damit rechnet, dass der Code, den er für
sie knackt, nur kurze Zeit später in den falschen Händen landet. Er hasst es,
zu verlieren. Dass sie ihn rettet, dass sie ihm geistig und in der Gerissenheit
ebenbürtig ist und er Bewunderung und Faszination empfindet, einerseits, dass
er sich auf eine Obsession, die ihn als high functioning sociopath, als
Hyperapolliniker stört, nicht einlässt, andererseits. Zwiespältig. Ja, ein
Machtspiel, und alles ist immer erotisch motiviert, das Begehren ist das, was
vorantreibt. Er spielt mit, bis es eben vorbei ist und die Erinnerung, die
Ehrerweisung an DIE Frau in der Schreibtischschublade verschwindet. Und so ist
es richtig, denn er hat sich - ganz apollinisch - dem Aufklären von Verbrechen
verschrieben. :)
Was offen bleibt: was machte Irene in Karachi?
Möchte schon jetzt darauf hinweisen, dass im Reichenbach-Fall Katherine
Parkinson auftritt. Für mich als Psychobritin ein weiteres Highlight, für das
ich Gatiss und Moffat gern mal die Hände schütteln würde. Katherine Parkinson
spielte die "Jen" in der "IT-Crowd" und ist eine der besten
Schauspielerinnen, die das englische Fernsehen derzeit vorweisen kann, und das
kann ich sagen, ohne überhaupt mehr als drei oder vier derzeitige britische
Fernsehschauspielerinnen zu kennen. :) Natürlich kann sie es nicht mit Lara
Pulver aufnehmen, aber sie ist dennoch ganz wunderbar "fitting" oder
so.
Christian Erdmann:
Denke, das haben Sie jetzt unübertrefflich zusammengefaßt. Auch darum,
wenn ich das noch hinzufügen darf, ist die Idee so phantastisch, aus Irene eine
Domina zu machen, weil es die herkömmliche "sexuelle Affäre" nach
mainstream-Muster im Grunde schon ausschließt. Irene ist, als Dominatrix,
mittels stilisierter Erotik, ohnehin Expertin darin, Begehren - eben dadurch,
daß sie es zum Innehalten zwingt - zu höherer Bewußtheit zu schärfen. Und sie
genießt das Kenntlichwerden des männlichen Eros als begehrendes Streben, über
das sie Macht hat. Es ist einfach logisch, daß sie auf mehreren Ebenen Sherlock
als einzige echte Herausforderung betrachtet. :)
Ich finde es faszinierend zu sehen, wie diese beiden Menschen sich verstehen, fast wie Spiegel füreinander sind, aber auch wissen, daß sie sich
gegenseitig zerreißen würden - Irene sagt am Ende etwas wie "Sie haben
recht, es würde nicht einmal sechs Monate dauern" - ich war zuerst nicht
sicher, was sie meint - bis man sie erwischt? Nein, ich glaube, sie meint genau
dieses Wissen, wie sie sich gegenseitig zerstören würden, in diesem -
hocherotischen - Machtspiel. Ich denke, daß beide in diesem Moment, da sie es
erkennen, traurig sind. Irenes Verzweiflung in diesem Moment ist echt und
sichtbar, Sherlock kennt keinen anderen Weg als: den bitteren Triumph
durchzuspielen mit fast grimmiger Verzweiflung. Und dann zu gehen. Wie er auch
vor Watson, als dieser einmal durch den Türspalt fragt "Alles in
Ordnung?", einfach die Tür zuknallt. Es ist der Moment, in dem er vermuten
muß, daß Irene tot ist.
Ich dachte einmal sogar, vielleicht ist der Grimm dieses Sherlock, des
Cumberbatch-Sherlock, auf seinen Bruder eben auch darin begründet: einerseits
kann Sherlock es nicht einmal im Ansatz ertragen, in irgendeiner Form - auch
intellektuell - der "kleine" Bruder zu sein (die Szene im Palast, als
Mycroft Tee eingießt!), in irgendeiner Form unterlegen. Sherlock ist Sherlock
aus 27 Gründen, aber auch nur als brilliant superbrain hat er ein Mittel
gegen die ironisch lächelnde Herablassung Mycrofts - even if Mycroft really cares for his brother. Aber er zahlt einen Preis dafür, und die Begegnung mit
Irene wirft Schlaglicht auf das Defizit. So daß, andererseits, Sherlock seinem
Bruder wenigstens für Momente eigentlich etwas anderes übelnimmt, jedenfalls
schwingt es für mich in der "Fragst du dich je, ob mit uns etwas nicht
stimmt"-Szene mit. Ja, er hat sich - ganz apollinisch - dem verschrieben,
was er tut, es ist seine Leidenschaft. Aber in der Szene deutet sich etwas an
wie Bedauern, Vorwurf an Mycroft, etwas wie: you made me like this, weil ich deine Anerkennung wollte, und das wird verstärkt durch Mycrofts Antwort, die
Sherlock daran erinnert! (das Mitschwingen einer langen Geschichte, like I
said), daß Gefühle und Empathie nur hinderlich sind.
Ah, dankeschön für den Hinweis auf das Original bei "Do THEY? Yes,
THEY do!" - spricht Molly nicht überhaupt nur von Frauen da? Was Sherlock
dann auf eine Idee bringt beim Smartphone-Code? Mit "221B" ist er ja
schon fast auf der richtigen Spur, in dem Sinne jedenfalls, daß der Code direkt
auf ihn bezogen ist.
Habe auch erst beim zweiten Sehen einige Sätze verstanden, bei denen die
Synchro versagen muß, z.B. die "Bauchnabelbehandlung" - wohl
"navel treatment" im Original? - Verweis auf "The Naval
Treaty" *stirnklatsch*, bleibt natürlich im Deutschen komplett im
luftleeren Raum.
Nochmal zu Irenes eigenem Netzwerk, John wird ja von dieser Frau
abgeholt, die dann in der Battersea Power Station Irene mitteilt, daß John
kommt. Und daß John davon ausgeht, Mycroft zu treffen. Diese Frau ist nicht
Kate. Und John hielt sie vor 221B, nach kurzem Zweifel, für die Frau, die ihn
schon einmal zu Mycroft brachte (Staffel 1). Vielleicht hat sie die Photos von
Sherlock gemacht, jedenfalls: großes Netzwerk. :)
Was machte Irene in Karachi? Also, das Fake-Flugzeug fliegt nicht, aber
die reguläre Maschine ist sicher auch nicht gestartet. Also dürften die
Terroristen sehr übellaunig gewesen sein. Moriarty ist skrupellos genug, denen
zu vermitteln: diese Frau hat eure Pläne durchkreuzt. Also wird Irene
aufgespürt (vielleicht mit Moriartys Unterstützung) und nach Pakistan
verschleppt. So ungefähr? :)
Oh, Jen! "It's the internet, Jen."-Jen. Sehr schön, ja! Aber
daß es niemand, nie mehr, mit Lara Pulver aufnehmen kann, haben Sie auch
unübertrefflich zusammengefaßt. So sagten Sie doch? :)
Catherine:
Yes, "The Naval Treaty". Und es
gibt noch einige "links" zu Originalgeschichten. Hatte mich
gefragt, warum Sherlock beim Öffnen des Safes (und nach Irenes angedeutetem
Hinweis) "Vatikanische Kameen" ruft. Soll aus einer der
ungeschriebenen Geschichten sein, die am Anfang von Baskerville im Original
erwähnt werden. Und, wie ich jetzt im Booklet zur DVD las: Moffat schätzt den
"Das Privatleben des Sherlock Holmes"-Film. Die Nacktszene zum
Beispiel findet hier ihren Ursprung. Ebenso die "Hinrichtung" der
FRAU am Ende.
Ihr eigenes Netzwerk - ja, da haben Sie natürlich Recht! Und da sie exakt den Stil der Mycroft'schen Entführungen inklusive Anthea und des dunklen großen Autos kopiert, müsste sie Holmes und Watson auch schon viel länger beobachtet haben, als sie Moriarty kontaktiert hat, nicht!?
Ja, da haben Sie die Dynamik zwischen Mycroft und Sherlock sehr interessant beleuchtet! Und umso eindrucksvoller für den Fortgang der Geschichte, dass das System "Familie", das Sich-Behaupten gegen den Bruder und das Ausbügeln seines begangenen Fehlers sich für Sherlock über die Obsession für DIE Frau erheben muss.
Christian Erdmann:
Genau, Irene kopiert den Stil der Mycroft'schen Entführungen nach langer
Beobachtung, genau!! :)
Wir müssen feststellen, die "Vatican Cameos" sind in ihrer
eigenen Szene nur noch von sekundärem Interesse gegenüber dem Cumberbum. :)
Irgendwo in der Mitte der Kommentare: "To be fair, that arse could stop
the London traffic, so it's hardly surprising that everyones eyes would be
glued to it when shown in slow-motion."
Ich verstehe, daß unter diesen Voraussetzungen, soweit ich das sehen
kann, nur noch ein einziger Kommentar darauf abhebt, daß Irene hier Sherlock
mit ihrem Blick-zu-Boden warnt, und ihn damit schon zum zweiten Mal rettet.
So daß er die Balance diesbezüglich wiederherstellt, indem er sie in Karachi
rettet. Ich möchte ja denken, daß er am Ende nicht Irenes emotional glitch
verachtet hat, sondern es ihr übelnimmt ("Sie konnten einfach nicht
widerstehen, oder?!"), daß dieser glitch das einzigartige,
elektrisierende, erotische Spiel der beiden beenden mußte. :)
Für das die feministische Kritik an dieser Folge ja offensichtlich
stockblind ist. Bei sowas habe ich immer das Gefühl, mir wachsen Haare auf der
Hand, und den nächsten Vollmond erlebe ich als Werwolf. Sehen die KritikerInnen
wenigstens, wer smarter ist, ausgebildete CIA-Killer oder Mrs Hudson? :)
Ich lebe ja als Verfügbarkeitsverweigerer ohne Handy, aber die
Vermutung, daß es Irene Adlers erotisches Stöhnen längst als ringtone gibt,
könnte mich verleiten, bei irgendeinem Euro 2012-Gewinnspiel ein Smartphone
gewinnen zu wollen. Da dies ja die beste aller möglichen Welten ist, gibt es
sicher auch eine "Irene Adler Text Messages"-App.
Irene kann fühlen, ob es echt ist. :)
"Ich hatte auch schon Tee im Palast, falls es jemanden
interessiert." John und Irene, gebannt von demselben Mann: einfach
großartig in dieser Folge auch, wie Johns Kampf, Sherlocks Fixpunkt zu bleiben,
sein Schutz, sein humanizing factor, und Irenes Wissen darum
aufeinandertreffen.
Was nehmen wir, die wir die Wohnung auch für eine 6 verlassen müssen,
noch mit? Verkleidung ist immer Selbstportrait. 60 Jahre Queen Elizabeth, aber
jetzt wissen wir, wann England wirklich untergeht.