Samstag, 4. Mai 2013

Black Rebel Motorcycle Club, Hamburg, 08.04.2013











 
Am 19. August 2010 verstarb im Backstagebereich des Pukkelpop-Festival in Hasselt, Belgien, Michael Been an den Folgen einer Herzattacke. Michael Been hatte in den Achtzigern mit seiner Band The Call einige Erfolge verzeichnet, ohne daß es, bei allem Kritikerlob, je zum Meisterstreich und zum prophezeiten Kapitel in der Musikgeschichte gekommen wäre. 1988 erschien Been mit seiner Jedermannphysis als Apostel Johannes in "The Last Temptation of Christ" von Martin Scorsese. Eine Dekade lang widmete Michael Been dann sein Leben jener Band, die sein Sohn, Robert Levon Been, 1998 zusammen mit Peter Hayes in San Francisco gegründet hatte. Michael Been begleitete Black Rebel Motorcycle Club als Soundman auf Konzerttourneen, trat bei BRMC-Alben zuweilen als Produzent in Erscheinung, vor allem aber war Michael Been ein liebevoller Mentor, dessen Rat auf persönlicher wie kreativer Ebene für die Band von unschätzbarem Wert war. Eine inspirierende Kraft, ein Schutzengel, und wie ein Vater auch für Peter Hayes. Robert Levon Been im Februar 2013 auf qthemusic.com:

"We all went through a pretty great loss with my father passing away. He was a really important person in our lives. He really held us together through a lot of hard times. And that was from the very beginning. As an example, I don't know a lot of people know, but at high school Peter [Hayes, guitarist] was having a lot of trouble at home and was living in a van. So when I started playing guitar with Pete he would end up parking in the driveway. We'd go to school, play at night and he'd crash in our driveway, and so my father ended up taking him in and he became part of the family. It's where he's lived ever since. So it's a huge thing to lose him. He went out on the road with us, every tour doing the front of house sound, so all us - not just me - were hit pretty hard."

BRMC sagen im August 2010 zunächst alle weiteren Konzerte ab, treten dann aber doch, drei Tage nach Michael Beens Tod, am 22.8. beim deutschen Area 4-Festival auf. In einem der 6 Short Films zu "Specter At The Feast" sagt Robert: "I decided that if I didn't get back on stage and start playing again, then I might... I'd never pick myself back up."

Es gießt in Strömen beim Area 4, Monitore fallen aus, Gitarren auch, "I looked over to Peter and Leah", erzählt Robert rückblickend, "and I just felt so honored" - mit diesen beiden Menschen auf einer Bühne zu stehen. In der Menge wissen zu diesem Zeitpunkt nur die Wenigsten, unter welchem Schock die Band steht. WDR-Kameras halten die Verzweiflung fest, auf YouTube werden die Ausschnitte mittlerweile kommentiert mit Sätzen wie: "I couldn't watch it at first because they all looked shattered." - "Fuck, I'm in tears. Area 4 festival was really intense." - "Everything fell apart... but the gig was in a strange way intense... At that time, nobody knew that his dad had just passed away..." - "I just watched Berlin from that concert... hard as fuck to get through the whole video."

Was vermutlich auch kaum einer wußte oder im Sinn hatte: der 22.8. ist Robert Levon Beens Geburtstag.






 
 
 
Drei Monate vorher hatten wir BRMC in der Hamburger Markthalle live erlebt. Und aus meinem Bericht für die Akademie von 2010 darf ich zitieren:
 
"Beat The Devil's Tattoo. Und genau das ist der Auftrag dieser gebeutelten Band. Diesen Sommer starb Robert Levon Beens Papa, der ex-Frontmann von The Call, der für BRMC als Soundmann arbeitete, kurz vor einem Festivalauftritt. Robert kniete mit seinem Bass und seinem Schmerz im Schlamm, überwältigt von der Bürde, gegen all die Verwünschung und Verdammnis anzugehen, gegen die der Sound der Band revoltiert. Auf "Beat The Devil's Tattoo" rauhbauziger denn je. Daß jetzt wie bei Velvet Underground eine Frau am Schlagzeug ist, paßt ja nur ins Bild. Aus einem glitzernden Schlitten mit Hochgeschwindigkeit ein Wrack machen, und sich dann den Staub aus den schwarzen Anziehsachen klopfen und weiterstiefeln, um im nächsten Gotta go do wrong die Unverwüstlichkeit zu prüfen."
 
Es heißt, daß Robert auf den Knien noch ein R.I.P. in den Schlamm malte. Warum, so dachte man bei diesem Anblick, warum schleudert das Schicksal dieser Band, die sich mit Leah Shapiro am Schlagzeug gerade wieder konsolidiert hatte, immer wieder einen Blitz ins Speichenrad?

Trauer und Erschütterung waren nachhaltig. Es war durchaus nicht sicher, daß die Band weiterbestehen würde, und es brauchte die Monde von zwei Jahren, um eine Tragödie zu überstehen. "Specter At The Feast" erscheint fast genau drei Jahre nach "Beat The Devil's Tattoo", der Albumtitel verweist auf eine literarische Tragödie (Macbeth), Michael Been ist noch überall in dieser Musik - als presence. Kein Fest ohne Geist: es gibt kein Weitergehen ohne den Schmerz der Erinnerung. "Music began as the best way to escape what was out there, all the shit in the world that feels false, everything you want to say against it", so Robert. Und jetzt? "Music becomes the one place where you can't escape."

Der ubiquitäre Dave Grohl stellte sich zum richtigen Zeitpunkt als Katalysator zur Verfügung:

"Our record actually started when Dave invited us to come down and record on the sound board at the studios again. It felt really good recording the song on the equipment we used for the first record [2001's B.R.M.C.], it was so tempting that we asked: Would it be too much to ask if we snuck in here and tracked some of the songs we're working on right now? It all spun out from that. Dave was completely gracious and said Come in, use what you want. So we got the run of the place to make our album. From there we hit the ground running, we were in good hands. Before that though, writing the songs, was a lot of work. All of us were all in very different headspaces and we were trying to figure out where we wanted to go - if we wanted to write and play music at all."
[qthemusic.com]

Mit "Love Burns", dem ersten Song auf dem ersten Album, beschrieben diese drei - noch mit Nick Jago am Schlagzeug -, daß SIE Himmel und Hölle auf zwei Beinen ist, und eine höhere Wahrheit kenne ich nicht.

She cuts my skin and bruise my lips
She's everything to me
She tears my clothes and burns my eyes
She's all I want to see
She brings the cold and scars my soul
She's heaven sent to me






Dunkel, mysteriös, sexy, cool: wer sich so durch die Wirrnis bewegt, wer mit dem dritten Song Rock 'n' Roll definiert,







wer mir in "Awake" - so mächtig, samten und hypnotisch - Zeilen überläßt wie

I've been awake through the wrong decisions
I've held my ground now I'm gaining some
I've held my tongue through the cold realizations
I've been accused but I've only begun








hat mich für immer auf seiner Seite. "Howl", das phantastische (umstrittene) dritte Album, ist nach dem Poem von Allen Ginsberg benannt, und im neuen Video zu "Let The Day Begin" erscheint als die einzige mir bekannte Person Jack Kerouac. Beat Generation: besiegt / müde / heruntergekommen, zugleich wach / euphorisch / auf der Suche nach Salvation. "Specter At The Feast" hat wohl eher verhaltene Reaktionen ausgelöst. Wer sich wirklich einläßt auf die Platte, findet etwas, das stärker und tiefer geworden ist nach dem alchemistischen Prozeß, der schmerzhaften Transformation, dem Umschmelzen des Bleiernen. Introspektiv, zornig, herzzerreißend, tapfer und bittersüß bis zum Äußersten. Songs wie "Some Kind Of Ghost" und "Sometimes The Light" suchen Verbindung zur anderen Welt.











Gegen 21 Uhr kommen sie auf die Bühne der Großen Freiheit, Leah als erstes, Robert mit Kapuze, Peter mit obligatorischer Zigarette im Mundwinkel, mit "Let The Day Begin", dem Salut für Michael Been - The Call hatten mit dem Song Ende der 80er einen Hit -, beginnen sie, Herzenssache, der Empfang für die fast schon Verlorengeglaubten ist überwältigend. München und Berlin haben sie als Stationen in Deutschland schon hinter sich, am Abend zuvor in Berlin ist Robert Levon Been nach dem Auftritt in der Columbiahalle mit einer Akustikgitarre nach draußen gekommen, um mit einer Schar von Fans ein paar Songs in den Schoß der Nacht zu legen.


 

Und am Nachmittag in Hamburg spielten BRMC ein "Schaufensterkonzert" bei Michelle Records, auf den Mitschnitten wirkt Leah ein bißchen krank, hustet in ihren Pullover, und wenn sie an diesem Abend in der Großen Freiheit tatsächlich mit bösen Bakterien zu kämpfen hat, steigt meine Bewunderung ins Unermeßliche. Ich sehe dieser Frau wahnsinnig gern beim Schlagzeugspielen zu. Soviel Körperspannung in jedem einzelnen Schlag, konzentriert, präzise, druckvoll, und doch mit einem femininen Rest von "Frauen schlagen anders zu".

Jacke überm Geländer, wir haben uns auf Peters Seite in der ersten Reihe installiert, "Rival" vom neuen Album, Leben mit dem Verlorenen, den Verlorenen, und so leben, als wüßte man, was zur Hölle man sucht, Orte aufsuchen, die man nicht aufsuchen sollte, carry on, Seele finden und in Flammen setzen. Noch kurz das süße Gift Suspense mit "Red Eyes And Tears", dann geht der Höllenritt los, Schlag auf Schlag, und der Saal tobt. Das neue "Hate The Taste" ("Got a tortured soul, I can't give it away"), dann "Beat The Devil's Tattoo", "Whatever Happened To My Rock 'n' Roll" und "Ain't No Easy Way" nacheinander, danach muß man erstmal die Orientierung wiederfinden. BRMC geben einem ja abwechselnd das Gefühl, auf einer Triumph Thunderbird zu sitzen (nachdem man gerade "Whaddaya got?" genuschelt hat) und den ganzen Dreck hinter sich zu lassen, oder mit dem Teufel Karten zu spielen um die aufreizend langsamen Schritte, die den Raum elektrisieren, und einer von euch beiden sagt "SIE ist die Kugel, auf der mein Name steht", bloß du weißt nicht wer, der Teufel oder du.

Drittens treibt einen immer spiritual thirst, auch wenn man jede Nacht in den Abyssus fällt, viertens kann man ja wohl nichts dafür, wenn man bei dieser Musik an drei Dinge denkt, Sex, Sex und Sex. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen in Zeiten des Neo-Biedermeier.

Nach "Berlin" und "666 Conducer" folgt mit "Returning" einer der bewegendsten Momente von "Specter At The Feast". Fünftens, das Hinübergehen auf die andere Seite. Robert Levon Been stürzt sich hinab in tiefste emotionale Tiefen, auf der Platte ist die Zeile "You found yourself inside a tomb, screaming to the sun" kaum überstehbar, ohne daß es einem das Herz anhält. A part of you is ending, a part of you holds on. But you must leave and not turn back, knowing what you hold. How much time have we got left, it's killing us, but carries us oncarries us all. I will follow you till we all return, till we know our souls survived. Till we know you'll carry us on, carry us on, carry us all.

Plötzlich steht zunächst Robert Levon Been allein auf der Bühne und spielt "Mercy", dann Peter Hayes mit Akustikgitarre, ein magisches "Devil's Waitin'". Wäre das nicht so hypnotisch, würde man sich umdrehen, um der quatschenden Sippschaft im hinteren Teil des Saales ein "Curse active!" zuzurufen. Mit "Fire Walker" bricht quasi ein zweites Konzert an, insgesamt spielen BRMC an die 150 Minuten.

"Fire Walker", der erste Song auf "Specter At The Feast", beginnt mit Bass-Flageoletts, die der Textzeile "We pass through the gates" Vorschub zu leisten scheinen, bis Schlagzeug und knarzender Bass einen Soldier On-Rhythmus aufnehmen, der das anfänglich noch schleppende Weitermachen beklemmend illustriert, aber auch den Willen zu Selbstbesinnung statt Selbstmitleid, den Willen, nicht in Depression zu versinken. Die leicht bedrohliche, leicht unheimliche David Lynch-Stimmung, die der Anfang evoziert, weicht nicht völlig, die dunkelste Nacht von allen dauert nicht nur eine Nacht, "Fire Walker" gemahnt nicht zufällig an "Fire Walk With Me", im Text erscheint die Zeile "And maybe I'm too blind to see, the fire is all that walks with me". "Specter At The Feast" geht unter die Haut mit ergreifender Trauer, doch die Seele in dieser Musik und diesen Lyrics hält Verbindung mit dem, der vorausgegangen ist, "through the gates", und mit einer elementaren Kraft, die durch alles Verlorensein im dunklen Wald, durch alle Verletzlichkeit führt. Nie klang Robert Levon Beens Stimme so ernst und so zerbrechlich, so weit entfernt und so gespenstisch nah.

"Windows" mit Robert am Piano, und irgendwann im Lauf des Abends, vielleicht jetzt, spricht der außerhalb der Musik nicht gerade als mitteilsam bekannte Club (böse Zungen sagen "maulfaul") ein paar Worte für die Ewigkeit. Robert möchte sich bedanken. Er sagt etwas wie: "We had such a good time in Germany, the last couple of days. And I mean you guys are like the best crowd we ever had." Peter Hayes applaudiert dazu. Nach dem Konzert in Köln, einen Tag später, hieß es auf derwesten.de:

"Es war die letzte Station auf ihrer einmonatigen Tournee quer durch Europa. Aber das Beste hebt sich auch der Black Rebel Motorcycle Club offensichtlich immer bis zum Schluss auf. Denn Auftritte in Deutschland genießen bei der Alternative-Rockband aus San Francisco einen ganz besonders hohen Stellenwert. Weil ihnen das Publikum hierzulande eine innige Sympathie und Feierlust entgegenbringt, die ihresgleichen sucht."

Mit "Conscience Killer", "Stop" sowie "Love Burns", nacheinander, explodieren "innige Sympathie und Feierlust" in ein Inferno. Immer wieder, wenn Hayes singt, kniet Been vor dem Monitor mit seinem roten, abgeschabten Bass, die Augen schließend, verloren in einem Film, der nur hinter seinen Augenlidern läuft. Dann "Lullaby" von "Specter", Been singt: "We move through the dark, helpless", und "You are the hand I can't reach, you are the words I can't speak". Aber auch: "I will walk till I've no shadow".

Mit "Funny Games" folgt ein weiterer Song von "Specter" ("You stray in the dark but cut through the light of day" / "Our normal life won't be the same, there's no one safe from this" / "You tell yourself, leave the calling moans"), dann das furiose Finale mit "Six Barrel Shotgun" und "Spread Your Love". Das Haus brennt ab. Als Robert Levon Been seinen Bass schließlich abnimmt und an der ersten Reihe entlanggeht, um ein paar Hände zu berühren, erwischt er Madames und meine, und dreht sich auf dem Weg ins Dunkel noch einmal kurz um zu uns. Meine von Robert Levon Been berührte Hand kennt auch Mark Lanegans Hand und verlangt von mir nunmehr, daß ich sie "Sir" nenne. 

Als Zugabe noch zwei der neuen Songs, "Sell It" - dicker Matsch und so zornig und bösartig wie nur irgendwas, das BRMC je auf Platte preßten, schließlich "Lose Yourself", das hymnische, fast neunminütige Finale von "Specter At The Feast", ein einsamer, melancholischer Gang durch Morgendämmerung, das Ende eines langen Abschieds, der Wunsch nach Wiederauferstehung.

Breaks in the light only shape what you see
You hold it in a word but never speak
Why won't you lose yourself
At all
Climbed so high, can't escape what you dream
You feel it in your bones but never ease
It's in your touch but you can't feel a thing
You're trying not to look at the face you see
Tiny little lies replace what you need
I see it in your eyes but never reach
You can't keep quiet, you can't even scream
You hold it in your heart but the rest you leave
Why won't you lose yourself
At all

Und am Ende dieses Songs geht Robert Levon Been mit Tränen in den Augen von der Bühne.

In die Phase des postkathartischen, noch ungläubigen Sichzurechtfindens in der hellen Welt schaut uns eine junge Frau unentwegt mit großen Augen an, schließlich spricht sie Madame an, aber wir sind zu sehr in den Seilen und hängen im Funkloch. Sie hat uns für irgendwen gehalten, aber wir sind es nicht. Erst draußen kehrt Bewußtsein langsam wieder.

Wir biegen ein in die Schmuckstraße, wo der Tourbus steht und dahinter der Truck, in den schon Equipment geladen wird. Wir schauen eine Weile zu. Madame hat das "Specter"-Booklet in der Tasche und einen Silberstift, also eine Mission.

Nach vielleicht 20 Minuten erscheint eine Gestalt mit Kapuze über dem Kopf und obligatorischer Zigarette im Mundwinkel. Peter Hayes. Er scheint zu erkennen, daß wir ihn erkennen, geht auf der Straße sehr langsam am Truck vorbei, bleibt stehen, ein Taxi will durch, er schaut sich um. Madames Minute, also bleibe ich zurück. Als ich zwischen Truck und Tourbus auf den Bürgersteig komme, sehe ich noch, wie er sagt, "I'll be right back", und in den Bus steigt. Als sie da stand mit ihm, so erzählt Madame, hätten zwei, drei andere ihn erkannt und um ein Foto gebeten.
Excuse me, Sir? Would you be so kind to sign this? - Sure! - Awesome show tonight. - Oh, thank you.
So hat Madame also seinen Schriftzug auf dem Booklet und wir sitzen da auf einem dieser gemauerten Vorsprünge an der Halle und versuchen immer noch, uns zu fassen. Nach fünf Minuten kommt er, Peter Hayes, durch die Lücke zwischen Tourbus und Truck. Auf uns zu. Er ist auf der anderen Seite ausgestiegen, auf der Straßenseite. "Have they gone away?", fragt er uns, und meint die Leute, die ein Foto mit ihm wollten. "Yeah, I think they're gone, actually", sage ich. Das hätte er auch vom Bus aus sehen können, daß die weg sind. Es scheint, als hätte er wenig Lust auf ein Foto gehabt.

Und so sitzen wir da, und vor uns steht Peter Hayes, und wir plaudern ein Minütchen. "It's so good to have you back", sage ich. "Please come back soon." - "Thank you!" - Leicht überraschter Blick von ihm, etwas, das wie echte Dankbarkeit aussieht. Und als ich sage, daß ich, schließlich bin ich Untoter, "Robert's dad" mit The Call noch live gesehen habe, im Vorprogramm von irgendwem, daß ich mich aber for the life of Jehovah nicht mehr erinnern könne, für wen The Call damals als Support spielten, "maybe Iggy Pop or The Church", sagt Peter, "Oh yeah? They toured with Chrissie Hynde... and The Pretenders...?" - Nein, nie gesehen… - "Echo & The Bunnymen?" - "Yeah, possibly!"

"Thank you guys for coming", sagt Peter Hayes und schleicht auf demselben Weg zurück, den er gekommen ist.

Alles durchdringt Schmerz. Aber das Leben ist episch und großartig. Let The Day Begin.


Sometimes the silence is all we know, in every picture a fallen love
Sometimes the light turns out to right all of these wrongs
Sometimes the fallen are all we know, in every picture a silent home
Sometimes the light turns out to shine with everyone

BRMC, "Sometimes The Light", 2013.





Peter Hayes
























Let The Day Begin
Rival 
Red Eyes And Tears
Hate The Taste
Beat The Devil's Tattoo
Whatever Happened To My Rock 'n' Roll
Ain't No Easy Way
Berlin
666 Conducer
Returning
Mercy (Robert Solo Acoustic)
Devil's Waitin' (Peter Solo Acoustic)
Fire Walker
Windows
Conscience Killer
Stop
Love Burns
Lullaby
Funny Games
Six Barrel Shotgun
Spread Your Love

Sell It
Lose Yourself













Photos courtesy of Björn Wilke, blog des pieux:






 




















Montag, 8. April 2013

Babel / Sanjuro
















SPIEGEL ONLINE Forum "Lieblingsfilme - Was ist großes Kino?"

Juli 2010 





ray05:
In Babel [2006] von Alejandro González Iñárritu, den ich mir gestern abend im WDR-TV ansah, wird die These durchdekliniert, dass es kein "globales Dorf" geben kann, das auf "Kommunikation" aufgebaut ist, weder Face-to-Face noch hochtechnisiert vermittelt, sondern nur eins, das die monadischen Individuen in einer Art "Umarmung im Schmerz" existenziell verbindet. Nicht mal der Vorteil einer gemeinsamen Sprache und schon gar nicht die Tatsache, dass wir heute in Quasi-Echtzeit zwischen Hamburg und München oder zwischen Tokio und LA irgendwie "kommunizieren" täuscht also darüber hinweg, sagt der Film, dass wir im Grunde immernoch die gleichen armen Schweine sind wie zu Kain & Abels und Hiobs Zeiten. Auf uns selbst zurückgeworfen und existenziell verlassen. :) Ein Verstehen des Anderen gibt es nur in der gemeinsamen Erfahrung der Not und des damit verbundenen Schmerzes, sagt der Film, der Rest ist Illusion.








Ja, so sagt der Film vielleicht. Vielleicht sagt er aber auch nur, daß alles, was uns auseinanderbringt, die Vorstellungen sind, die wir voneinander haben und übereinander hegen, Images, die so gut wie immer falsch sind und eine endlose Kette von Mißverständnissen produzieren.
 

Andererseits sagt der Film aber auch ganz nach Zizek und Erdmann *g* : alles mit allem verbinden, weil alles mit allem verbunden ist.
 

Wer nach diesem Film Brad Pitt als "primär Schönling, als Schauspieler nicht der Rede wert" qualifiziert, redet einfach Brölk. Kein Film, der mein "Lieblingsfilm" werden könnte. Aber einer, der einem elend unter die Haut geht, Szene für Szene. Weil er im Zeigen der Distanz zwischen den Menschen eine Nähe zu ihnen herstellt, die ihresgleichen sucht. Fühlst Du Dich nicht, als hättest Du Cate Blanchetts blut- und dreckverklebtes Haar berührt? 








Poppins, Mary: 
"Babel" ist wahrhaftig ein Film, wo wir alle klein werden angesichts der Ungerechtigkeit der Welt: Die Szene, eine von vielen, wo Pitt am Ende, wo sie gerettet werden, seinen Gastgebern und Helfern dankend Geld zustecken will und der Mann abwinkt, es nicht annimmt, hat mich irgendwie gerührt: denn wenn wir alle auf das Allzumenschliche zurückgeworfen werden, dann zeigt sich wahre menschliche Größe, ich glaube Schiller würde sagen "Der Adel großer Seele zeigt sich in der Not".

Sonst kann ich nur Aljoscha zustimmen (schön, "Sie" wieder zu lesen).
Liebe Grüße 








chevy57:
Zitat von Aljoscha der Idiot 
Andererseits sagt der Film aber auch ganz nach Zizek und Erdmann *g* : alles mit allem verbinden, weil alles mit allem verbunden ist. 

Hat die Kanzlerin nicht neulich etwas ganz ähnliches verlauten lassen? Euer Einfluss auf die Realpolitik scheint doch intensiver zu sein, als ich vermutet hätte. ;)








Keine Ahnung, höre grundsätzlich nie auf irgendwas, das die Kanzlerin verlauten läßt. Zeitverschwendung, man lebt schließlich nicht ewig. Kürzlich "Sanjuro" von Kurosawa gesehen. Aus der Serie "Ah fuck. I can't believe you've done this":

Ebenso epochal betont der Film auch Nylonstrümpfe als unverzichtbar. In einer ähnlich berühmten Szene dieser phantastisch photographierten Schwarzweißperle galt es, eine einzelne Blüte in einem strömenden Flüßchen zu filmen. Um die zu dirigieren, überlegte man, sie an Klavierdraht zu befestigen, aber die Gefahr bestand, daß das Licht auf dem Draht reflektiert. Eine Kostümdesignerin am Set kam dann auf die Idee, einen Nylonstrumpf zu opfern, um die Blüte am festen, im Film aber nicht sichtbaren Nylonfaden zu befestigen. Es funktionierte, und Kurosawa fühlte ein unbeschreibliches Glück darob. Zen.



Zitat von Poppins, Mary 
Sonst kann ich nur Aljoscha zustimmen (schön, "Sie" wieder zu lesen).
Liebe Grüße
 

Eh, arigato :)






















Sonntag, 10. März 2013

Today's Best Song Ever: Dig, Lazarus, Dig!!!















SPIEGEL ONLINE Forum

Januar 2008





"I don't know what it is but there's definitely something going on upstairs!"

Was macht eigentlich Lazarus, nachdem er von den Toten erweckt ist? Er hollert "increasingly neurotic and obscene" durch die Mean Streets der 70er.








Zum Schießen. Klingt wie eine Paarung aus Grinderman mit Discosoul-Stringenz und dem Alten Affen Sleaze. Seit "Babe I'm On Fire", dem endlosen Ende von "Nocturama", hat der als Düstermann Verschrieene offenbar gesteigerte Lust daran, den Leuten den absurden Humor seines epischen Ansatzes so richtig vor den Latz zu hauen.

Erst weicht man ein wenig zurück, weil man meint, dieser Pornofilmdarsteller fummelt einem gleich im Gesicht herum, und dann hört man's rauf und wieder runter, und leichtes Befremden am Anfang ist immer ein gutes Zeichen. Während die Rest-Bad-Seeds offenbar sagten, wir wollen auch Grinderman sein, sagte Cave offenbar, aber nur unter meiner strengen Long-John-Silver-Exegese.







kleintal:
Unglaublich! :-)) Allein mit diesem Song raucht der gute Nick sämtlichste "wichtigsten CDs" des letzten Jahrs in der Pfeife. Dann wollen wir mal hoffen, dass das Album hält, was Lazarus verspricht...







dj1204:
... irgendwie hat man immer das Gefühl, der mache Musik für den Mitte fünfzigjährigen Onkel, der im Herzen doch noch ein Rocker geblieben ist.
Der Song: Sehr bluesig, würde ich jetzt mal sagen. Von der Orchestralität eines "No More Shall We Part", für das ich mich damals begeistern konnte, weit entfernt. Aber: Rock'n'Roll kann er meiner Meinung nach nicht so gut, der Nick Cave. Er ist viel besser in den Intimitäten des kleinen Lebens down under oder in der Erzählung schlimmer Moritaten wie auf "Murder Ballads". So verbleibt uns nur noch seine Stimme, die ist wie immer eindringlich und faszinierend.

Der beste Nick Cave Song ist und bleibt "Red Right Hand". Schon uralt.







kleintal:
Nick Cave hat mehr Sex im kleinen Zeh als die gesamte megagehypte BritPop-Milchbubi-Bagage zusammen.
Die beiden besten Cave Songs sind natürlich "The Mercy Seat" und "The Ship Song". Das ist noch länger her.
Die Murder Ballads ist für mich dagegen eine seiner schwächsten Platten. Live dagegen kam "Where The Wild Roses Grow" ziemlich gut, als Blixa Bargeld den Part von Kylie übernahm.







@dj1204
Oha, Nick Cave ist so ziemlich der letzte, der mir einfällt bei "Musik für den Mitte-Fünfzigjährigen-Onkel, der im Herzen doch noch ein Rocker geblieben ist". Ich muß Dich enttäuschen: Nick Cave ist musikalisch ein womanizer. Er macht Musik für die Mitte 20-Literaturstudentinnen mit den langen schwarzen Haaren, die sich in Foren "Cavie" nennen. Und mit "down under" spielst Du sicherlich auf die Schichten der Psyche an? Denn in Australien treibt sich Cave schon seit Dekaden nur noch herum, wenn er Mama besucht. Du weißt schon, die Frau, die auf "Muddy Water" Violine spielt.







ralfons:
Ja, da soll noch einmal einer sagen, Metal wäre langweilig, vorhersehbar und würde sich ständig selbst kopieren! Aber Nick Cave darf einen kompletten Song lang ein Riff runternudeln, das schon in Jugendzeiten meiner Oma maximal Gähnen ausgelöst hätte, und dazu 'nen 08/15-ich-wär'-jetzt-gerne-lasziv-aber-es-klappt-gerade-nicht-Sprechgesang dahernölen, der einem die Zehennägel senkrecht stellt? Ich war mal einigermaßen großer Nick-Cave-Fan, aber irgendwie löst er mittlerweile bei mir nichts mehr aus.







Leck' Deine Wunden bitte nicht auf dem Rücken eines Nick Cave-Songs. Zeig mir die, die in ihrem Oeuvre derartige Kontraste vorweisen können wie Cave zwischen Tosen und Toben der Hölle, heiliger Melancholie und unfaßbarer Zärtlichkeit... und ich rede nur von der Musik. Die Lyrics stehen noch auf einer ganz anderen Papierrolle von hier bis Omsk.







ralfons:
Dass Nick Cave einiges auf dem Kasten hat - sowohl musikalisch als auch auf die Lyrics bezogen - streite ich überhaupt nicht ab, das hat er oft genug bewiesen. Aber mittlerweile fall' ich halt auf einen sturzlangweiligen Song nicht mehr rein, nur weil Nick Cave draufsteht.







Gib's zu, der Song ist zu tough für Dich! :) 







Zitat von kleintal
Unglaublich! :-)) Allein mit diesem Song raucht der gute Nick sämtlichste "wichtigsten CDs" des letzten Jahrs in der Pfeife. Dann wollen wir mal hoffen, dass das Album hält, was Lazarus verspricht...
Nick Cave hat mehr Sex im kleinen Zeh als die gesamte megagehypte BritPop-Milchbubi-Bagage zusammen.

Das ist genauso evangeliumswürdig und tongue-in-cheek zugleich wie Cave selbst, darum doppelt gut, obwohl ich nie behaupten würde, daß Nick Cave sexier ist als Sharin Foo, aber die ist ja auch a) Frau und b) dänisch, das verkompliziert die Sache, jedenfalls wissen wir doch im tiefsten Grunde unserer Herzen, daß Kylie M sich nicht von irgendeinem banalen Britpopper ins Wasser legen lassen würde.







GeneMachine:
Aber der gute alte Johnny Cash hat Nick damals mit seiner "Mercy Seat" Coverversion dennoch ziemlich deklassiert. Das hat er natürlich gleichsam mit jedem getan, den er im Rahmen der American Recordings mit einem Cover gewürdigt hat. Aber das ist nun wieder eine andere Geschichte...







Wahrhaftig. Und dieselbe Geschichte wie bei "Hurt" von Nine Inch Nails. Ich würde nicht sagen "deklassiert", aber zwei Stücken, die an sich schon überdimensional waren, noch eine weitere Dimension hinzuzufügen, das konnte und durfte nur er. Sowohl Trent Reznor als auch Cave haben das aber auch als die in etwa größte Auszeichnung ihrer Karriere aufgefaßt.

Reznor: "By the end" (von "Hurt") I was really on the verge of tears."

Cave: "Johnny Cash recorded one of my songs so you can all get fucked."







kpone:
... erinnert leider zu stark an Eagles of Death Metal (Aussehen & Musik).







Auch stimmlich kaum auseinanderzuhalten, Nick Cave und Jesse Hughes. :) Seufz. Okay, alles, was irgendwie nützt, damit hier bloß keiner von Mars Volta anfängt.







kpone:
:-), da stand Aussehen und Musik und nicht Aussehen, Musik & Stimme... über die Stimme muß man nix sagen, die ist über alle Zweifel erhaben.







Mein türkischer Gemüsehändler sagt: "Ich hab das optische Auge." Soll ich mal fragen, ob er's verleiht? :) Njet, Aussehen zählt auch nicht. Ich stürbe ja eher, bevor mir ein Moustache über die Lippen käme, aber Cave trägt diese haargewordene Italowestern-Sidekick-Hommage seit 2005, da war Jesse Hughes noch ein recht kleiner Teufel. Ich zähle ihn zum Gesamtkonzept Caveschen sardonischen Humors.
 
 















Dienstag, 26. Februar 2013

Anna Domino






"The Hunter Gets Captured By The Game ging ihm im Kopf herum, die russische Weise vom Tölpel, der sieben Tölpel übertölpelt, in der Version von Anna Domino, der subtilen Chanteuse. Während er sich also dem Hauptgebäude näherte und voluminöse Wassertropfen von den Zweigen der schon blätterlosen Bäume auf sein Haar fielen, stand im Säulenportal des Hauptgebäudes eine Frau, die ihren Schirm aufspannte. Dann trat sie hinaus in den Regen."


Christian Erdmann, Aljoscha der Idiot




 


Around the time of Cat People. In einem Szene-Magazin fand ich diesen Text:


Erwachen. Orientierungslosigkeit. Unter der Bettdecke die Hitze des Orients. Eiswürfel in den Mund. Der Körper wird steif - Autobie. Der Zug Hamburg - Paris nähert sich Brüssel. Geduckte Häuser wie bei Lovecraft. Am Bahnsteig stehen einige niedere Chargen aus dem NATO-Hauptquartier, ein verruchtes Wochenende in (Tout)rist-Paris steht ihnen bevor. Ich denke an den 4.4.49 und setze den Walkman auf - Sixteen Tons von Anna Domino - und pfeife auf Paris und verlasse den Zug und suche Anna Domino. Hier in ihrer Stadt, hier in Brüssel. You sent a signal / strong and true enough / love rose up from its sleep ... diese Stimme macht süchtig. In einer Fritten-Bude bewirtet mich ein alter Japaner. Tiere im Taxi. Er kannte sie noch als kleines Gör in Tokyo. Vielleicht sei sie ja auch mit Karl Roßmann in New York und entwerfe wieder Kostüme für Rock-Videos. Im übrigen sollte ich doch die Depro-Men von Tuxedomoon oder zumindest Blaine Reininger aufsuchen, die wüßten Bescheid. Dann fragte er mich, ob ich den Witz kennen würde von dem Belgier, der auf dem Eiffelturm die Rue Stalingrad suchte. Den Witz kannte ich nicht. Alle Gäste lachten, und einer fragte mich, ob ich den Witz von dem Deutschen kennen würde, der in Brüssel in einer Schnell-Fresse stand. Anna Domino, am 21.4. um 21 Uhr im Kir_____________







Kein Hinweis auf den Verfasser. Kein Bild. Der Text stand rätselhaft auf Seite 125, auf einer ansonsten weißen Seite. Viel Weiß. Weiß war der Staub, den ich einmal auf einer Zugfahrt durch Belgien auf einer alten Fabrik liegen sah, und als der Zug daran vorbeirollte, dachte ich: wie bei Lovecraft. Wenn es also zwei Menschen gab, die bei Zugfahrten durch Belgien an Lovecraft dachten, und einer davon war ich, dann gab es guten Grund, dem anderen zu trauen. Erst recht, wenn er in einem Promotext Karl Roßmann unterbringt.

Während der mysteriöse Text mit "Erwachen" begann, fiel ich, nachdem ich ihn gelesen hatte, in Schlaf. Es gab kein Internet, keine Möglichkeit, sofort mehr über Anna Domino zu erfahren. Stattdessen träumte ich, daß ich in einer Bar sitze und ein Szene-Magazin durchblättere. Auf dem Barhocker neben mir sitzt eine vollkommen zauberhafte Frau, die mich anspricht, schon nah bei mir: "Darf ich sehen?", sie meint das Titelbild, sie schaut es sich an, ich schaue es mir an, wir schauen uns an, das Funkeln in ihren Augen, sie sitzt sehr aufrecht auf ihrem Barhocker, und ich vergleiche ihr wunderschönes Gesicht mit dem Gesicht auf dem Titelbild, denn es ist dasselbe Gesicht, und wir ertrinken in Verlangen, als ich ihr das Magazin aus der Hand nehme. Sie hat ihre Hand wie zum Gruß erhoben, meine Hand liegt an ihrer, unsere Finger spielen miteinander, die ganze Zeit, während wir uns in die Augen sehen, das Schicksal sagt: es liegt in deiner Hand. Sie hat lange und kurze Haare zugleich, sehr kunstvoll. Dann sehe ich, daß an ihrer anderen Hand zwei Finger verbunden sind.
"Wie ist das passiert?"
"Ich habe bei einer Geburt geholfen. Oh, arme Elise. Es war furchtbar anstrengend für sie. Ich habe sieben Tote herausholen müssen vorher."
Es war die Vega-Bar.

Am nächsten Tag besaß ich "Anna Domino" von Anna Domino. Und die subtile Chanteuse half Aljoscha bei einer Geburt mit sieben Toten.











I wanna step out of the shade of a place
That's half aware but never truly wakes
I know there is
More to love than this
I know courageous stranger places
Every movement forward must be right
The process is the purpose








I know the station
I go there every night
Dreaming of leaving








Chosen by the dealer's hand
Answering a higher call
A hint to us of bigger plans
Sudden rise and early fall
Emotions are the facts
The real world sorely lacks
With the agents of a promise above them
And the precipes in view
And the place of the chosen ones
Is in the safety of the tower


















 Half of myself would sell my soul
Everything else says wait / control
Half of myself speaking and the
Other half goes on dreaming










 








Faszinierende Melange aus Coolness und Verletzlichkeit, out of step with the rest of the world.


Frank Lähnemann traf Anna Domino für die spex, irgendwann vor "This Time". Auszüge: 

"Das Leben beginnt mit einem gebrochenen Herzen", weiß Anna Domino, die zierlich-zerbrechliche Interpretin spannungsgeladener Nachtgesänge aus Brüssel, auch allein. Nachtmenschen scheuen nicht nur das Licht, sondern auch das Leben in aktiver Form. Wenn die Dunkelheit hereinbricht, dann beginnt dafür ihr Gehirn auf Hochtouren zu arbeiten. Nachtmenschen betätigen sich als stille Beobachter und bereiten sich auf diese Weise auf den Tag vor, den sie so fürchten. Das Leben spüren sie aus der Distanz. Für diese Spezies ist Anna Domino - "Watch The World At Night / Edge Up Against The Lives" - ein klassisches Beispiel. [...] Nervös fingert sie an ihren Zigaretten, ehe der Redeschwall auf mich niederprasselt. Manchmal hält sie abrupt inne, gibt eine Kostprobe ihres trockenen Humors, lacht sympathisch schüchtern und sucht verzweifelt nach den richtigen Worten, ein häufig erfolgloses Unterfangen. Anna Domino kämpft, und keiner merkt's.

"Jeder hat eine Haltung, nur wenn du schüchtern bist, dann behältst du sie eher für dich. Es ist aber nicht so, daß du keine hast, das denken nur die anderen. Meine erste Platte war viel furchtsamer als meine letzte, und die Leute hielten mich für sensibel. Aber in Wirklichkeit war das alles sehr kalt."

Coolness? Distanz? Reduktion? Irgendwann hatte ich über meine Gesprächspartnerin mal gelesen, daß sie sich eine Band wünsche, in der jeder so wenig wie möglich spielt. Die Musik ist bei ihr, genau wie das Vokabular (und sind noch so verletzte Gefühle das Thema), auf ein Minimum beschränkt. Eiswürfel, die Flammen entfachen.

[...] Natürlich wird man nicht als Anna Domino geboren. Auch nicht in Tokio. Eher schon als Anna Taylor. Von Japan kam sie nach Kalifornien und Detroit, ging danach mit ihrer Mutter nach Italien, landete dann in Norwegen... ach, so genau weiß sie es auch nicht mehr. Jedenfalls besuchte sie irgendwann eine Art School in Kanada, wechselte nach New York, bis sie ein Flugticket, spendiert vom Chef des Labels "Les Disques du Crépuscule", nach Brüssel beförderte. Zum Gesang kam sie erst sehr spät. Mit 12 Jahren traktierte sie ihre erste E-Gitarre, spielte in etlichen kleinen Combos und nahm für sich selbst Tausende von Tapes auf.

[...] Erwarten tun insbesondere die Kritiker eine Frau, die zwar nicht unbedingt die personifizierte Laszivität ist (...), aber doch jede Menge Erotik ausstrahlt. Während des Soundchecks fiel mein Blick kurz auf den Oszillographen. Was sich dort abzeichnete, war alles andere als abgehackt, es waren wohlig vor sich hin wogende Wellen, die ich dort erspähte.

"Wenn die Leute sich den Text von 'My Man' durchlesen, sagen sie meist: 'Aha, du liebst es, geschlagen zu werden.' Nein, das habe ich nicht gemeint. Das Stück ist über eine Liebe, an die man so stark glaubt, daß man sich ihr ganz unterwirft, egal, ob es nun die Liebe zu einem anderen Menschen, zu einem Land, zu einem Idol oder einer Band ist. Man verliert die Kontrolle, das ist wie eine Art Religion. (...) Die Welt ist sehr intolerant und realistisch in bezug auf exzessives Verhalten. Was ja ein sehr emotionelles Verhalten ist. Künstler leben diese Emotionen zum Nutzen der gesamten Menschheit, stellvertretend für die anderen. (...) Es geht um den Gedanken, daß man auf der einen Seite ein wahres Genie und auf der anderen Seite ein kompletter Idiot ist. (...) Du weißt von früher Kindheit an, daß du nicht fähig bist, dich mit allen Tatsachen dieser Welt abzufinden, weil du vielleicht eine andere Sprache sprichst."



 









"The voice of the erotic, tense, despairing, Peggy Lee-meets-Nico, thinking woman - i.e., postmodern platinum." (Smart Magazine)




I can't say why, I won't say when
I'll ever find my place inside this race to win
There's nothing new in this dirty old town
My friends are all off somewhere else when I'm around














These things we feel they threaten to betray us










My favourite, von "Colouring In The Edge And The Outline". 

Lost in imaginary mystery
Away, a view that has no end
I'm alone without laws of time or gravity
And I can dream where reality can bend
And the light shimmers all around
And bolts of electricity release
Everywhere
Will wonders never cease?
And no-one comes here at all
Clouds roll back and the angels in the sky
Hover overhead about to fall
And radiant and terrified
Sending showers of sparks
They see it all
Reflected in my eyes
One thing leads to another and
Daylight into dark
This must be the way the world began
Before it lost the spark







"Mysteries of America":














Nach "Mysteries of America" schien Anna Domino zu den spurlos Verschwundenen zu zählen. 1999 war sie dann mit Michel Delory plötzlich zurück in der Welt; zwei Alben des Duos Snakefarm sind bisher erschienen, "Songs From My Funeral" und, 12 Jahre später, im Oktober 2011, "My Halo At Half-Light".













Und zwischendurch war sie noch einmal in der Vega-Bar. 2010 nahm Anna Domino den Song "Blood Makes Noise" auf. Er ist von Suzanne Vega.

Und noch ein Geheimnis: auf dem Tribute "Kerouac: Kicks Joy Darkness" von 1997 gibt es drei phantastische Momente: Johnny Depp liest "Madroad Driving", John Cale vertont "The Moon" - und Anna Domino mit Kerouacs "Pome on Doctor Sax".