Samstag, 28. Oktober 2017

Vorweihnacht mit Cured Catherine (31): Exile On Main Street















Hmm, bedeutungsgleiten wir später, ich verbrachte die Nacht am englischen Hof und in mehreren Landhäusern an Orten, die alle ein -shire im Namen tragen. Was sind Ihre Glücksmomente derzeit? Haben Sie "Die wilden Jahre" gesehen? Uschi und Keith? My goth, was für schöne Klamotten. :)











Lovely u.a. gerade Diego "Godfather" Maradona, schließlich trage ich mein Argentinien-Shirt ja nicht zum Spaß. Traumfinale Argentinien – Uruguay. Miss B fragt mich nach den Kosten eines Estate in Montevideo. Billets und eine Unterkunft auf der Kleinseite für eine hoffentlich Meyrinksche Reise nach Prag x 2 erworben. More Glücksmomente © Lush. In den 90ern entdeckt, vergessen, gerade wiederentdeckt. Wie Cocteau Twins mit Knochenbau, wenn auch fragilem.






Und, wenn jemand sagt: "Du mußt schreiben, das ist doch völlig klar." André aus der BS nämlich, nachdem ich ihn mit sonnenverbranntem Gesicht antraf. "Wo warst DU denn?" – "Im Park. Mit deinem Buch." – Non, verpaßte Die wilden Jahre, war aber, nach "Waren die Beatles die beste Band aller Zeiten?"-Threadschlacht, auf Zeitreise im Silver Train. Habe genau so einen Teppich wie der, auf dem Keith und Anita (Pallenberg) -> da sitzen, ägyptisch, eine Freundin meiner Maman hatte einen Sohn, der sich in allen Ecken Afrikas herumtrieb, irgendwie ist dieses Stück dann zu mir gekommen, jetzt weiß ich warum.








Die legendäre "Exile On Main Street" –  aufgenommen in der Villa von Keith Richards in Südfrankreich. Las kürzlich mit Vergnügen seinen Report, WIE ES WIRKLICH WAR, und wie dieser grandios vermuffelte Sound zustandekam.

I remember it was like trying to make a record in the Führerbunker. It was that sort of feeling, you know - it was very Germanic down there for some reason. Swastikas on the staircase. And also, like all basements, it had never been used for anything. So basically it was a dirt floor and some concrete. If somebody got lost, there'd be a little trail of dust in the darkness... It was a labyrinth, in actual fact. It was a concrete labyrinth, subdivided here and there, and we would go around testing to see which one had the best echo or was the best sound for a particular instrument. That sort of thing. But it was also sort of like the netherworld. Upstairs it was fantastic. Like Versailles. The south of France in the summer - la, la, la. Beautiful. Who could ask for anything more? But down there, it was another thing. It was Dante's Inferno...

There were all these little subdivisions in the basement, almost like booths. So what would happen was that, for a certain sound, we'd schlep an amp from one space to another until we found one that had the right sound. Sometimes the guitar cord wasn't long enough! That was in the beginning, anyway. But once we started to work there, my little cubicle became my cubicle, and we didn't change places much. But at first, it was just a matter of exploring this enormous basement, saying, What other sound is hiding 'round the corner? 'Cause you'd have weird echoes going on. Sometimes we wouldn't be able to see each other even, which is very rare for us. We usually like to eyeball one another when we're recording.

It was a dirt floor. You could see somebody had walked by, even after they disappered 'round the corner, because there'd be a residue of dust in the air. It was a pretty thick atmosphere. But maybe that had something to do with the sound - a thick layer of dust over the microphones. It wasn't a great environment for, like, breathing. Mick Taylor and I would just peer through the murk at each other and say, OK, what key is it in?

You'd sort of jam an acoustic guitar into the corner of one of these cubicles and just start playing and you'd hear it back you'd think, that doesn't sound anything like what I was playing, but it sounds great. So you started to play around with the basement itself, aiming your amplifier up at the ceiling instead of like normal.

I mean, it's France, man. They were still using horses to plow - a TELEPHONE CALL would take half an hour. Apart from the fact that everything would go out of tune every two minutes because of the heat, then you had to deal with the electricity going down - and this would be when they were actually playing in tune. For the first time in four hours.

On Ventilator Blues we got some weird sound of something that had gone wrong - some valve or tube that had gone. If something was wrong you just forgot about it. You'd leave it alone and come back tomorow and hope it had fixed itself. Or give it a good kick.





Zum Geburtstag 5 Männchen auf einer Torte mit einem der göttlichsten Richards-Riffs, beachten Sie, wie er das Riff bei 1:53 / 1:54 so gerade noch mit leichter Verzögerung um die Ecke bringt, rowr...





 ... ein schönes Schaumbad ...







... tickets for the dance...







... alles Liebe zur Sternstunde, Dear, Schockblitzbuntes on your silver screen and ALL IN GOOD TIME!



















Oh ja, Sie ganz in weiß mit Argentinien-Shirt, I remember. Aber nun Uruguay! Die geschickteste Spielweise, die schönsten Spieler dieser Chaos-WM! Und Diego heißen die allerhübschesten auch. :) Somit ebenso hingerissen von der Idee eines Estates mit Blick auf den Berg. Traumfinale dito und dann die Urus siegreich - seit Tagen meine Rede! Zum Meyrinkschen Pragbesuch nur: awwwww, jetzt schon Vorfreude auf das, was die goldene Stadt mit Ihnen tun wird und was Sie zu berichten wissen werden. So sehr danke schön, wie es nur geht. Wunderschöne Momente mit Torten- und Matrosen-Stones und GARBAGE, (warum vergesse ich die immer, obwohl die so wunderbar Jetzt-erst-recht-Musik machen?) und Oasis-Licht! Great! Love it! Die Sonne strahlt so hell derzeit und ich strahle zurück. 










Ein Viertelfinale Uruguay - Ghana, reine Poesie. Schon im ersten Spiel gegen La France wurde deutlich, daß die beiden Diegos den Laden zusammenhalten. Lugano sieht aus wie ein smarter Freund von Helmut Berger in einem 70er-Jahre-Film von Jess Franco mit Brett Sinclair / Danny Wilde-Autos, und Forlan liebe ich vor allem vor Freistößen - wie in seinen Augen da eine leicht manische Präzision die Situation antizipiert. :) Klasse, geradezu klassisch, schon frisurtechnisch, auch Edinson Cavani, großes Herz: wie er den flennenden Du Ri Cha vom Boden hochzog, fein. 

Garbage haben mit ihrem wiederholten internen Nichtklar- und weiterkommenkönnen ja eine eher zerfahrene Geschichte, und die Rezeption ist auch zerfahren, und jedesmal, wenn man Garbage neu entdeckt, gehen sie tiefer als zuvor. Ich liebe diese Band schon als Formation: drei nicht mehr ganz unerfahrene Herren, einer davon Legende Butch Vig, suchen eine Sängerin, und sie finden dieses Mädchen, das wie alle hinreißenden Mädchen voller Selbstzweifel steckt, und sie beginnen diese seltsame Reise mit Songs, die erstmal alle nur phantastisch produziert wirken, aber alle wie eine Peer Gynt-Zwiebel sind, und plötzlich findet man, jeder Garbage-Song ist der meistunterschätzteste ever. Bei allem Kampf gegen die eigenen Neurosen – oder wegen diesem – ist Shirley Mansons wunderbarste Stärke ihre Empathie. Und sie hat 197 Stärken.






















Montag, 16. Oktober 2017

Francoise Hardy - Die Diskrete







Interviewer: "Sie scheinen mir eher der einsame Typ zu sein?"

Francoise Hardy:




















(Francoise Hardy - La discrète, F 2016)
















Dienstag, 26. September 2017

Vorweihnacht mit Cured Catherine (30): Lacan N° 5













Mark Lanegan hat den BRMC weggeschwemmt!? Was für eine Stimme.

So. Wo waren wir? Coco. Woah. Eine der wichtigsten Frauen der Moderne und so kam auch ich nicht an ihr vorbei. Als ich in den 80ern die Vogue und so Zeug durchblätterte, liebte ich allein die Chanel-Anzeigen, weil sie die stilvollsten waren. Linda Evangelista und Christy Turlington in zarten schwarzen Tüllröcken und mit tiefroten Lippen.

Rot, das so rot ist wie Blut, wenn man "Blut" denkt. Und dann kamen die auch noch mit Rouge noir. Ich las damals dann auch diese schlechte, aber beeindruckende Biographie, die ein Roman ist. Ihr Klostertrauma, ihre Rebellion in Hosen, ihre Kühle, Strenge, Zähigkeit. Und das alles in Paris und Deauville, wo man nicht bereit war, es ihr leicht zu machen. Aber sie war auch gerissen, mutig und so schlau wie nur wenige Frauen. Auch eine meiner Wegweiserinnen, ganz klar, ich wußte alles über sie, was man wissen konnte und als ich Anfang der 90er in Paris war, besuchte ich mit großer Frechheit die 31, Rue Cambon. Schwarz und weiß, kühle Eleganz, kompromißlos und luxuriös. Stravinsky wurde in dem Buch kaum erwähnt, dafür die enge Freundschaft mit Misia Sert. Naja. Sahen Sie den Film bereits? Anna Mouglalis – mais oui, très bien.

Bitte sagen Sie, was Sie über Hegel-Freud-Lacan herausgefunden haben, Holmes. Über signifiants und signifiés. Sie wissen etwas, ganz sicher. Ich ließ beinah das Buch fallen, als es vom Auflösen im Anderen und der Rückkehr zu sich, wenn das Fremde im Anderen erkannt wird, sprach. Mein Gott, wie recht Sie hatten. Ganz am Anfang damals. Aber ich auch, weil alles erst dann schwierig wird, wenn man das Fremde zu überwinden und anzunehmen beginnt. Trotzdem, ein schweres Los, diese Lacan-Schriften. Ist denn nun Hegels Bedeutung des Unsichtbaren das, wovon Sie immer sagten, es sei nicht Positivismus, dem wir verfallen wollen? Ich hoffe, es macht Sie nicht alles sehr müde.











Den Black Rebel Motorcycle Club kann man nicht wegschwemmen. Bin eh Light Sitter, aber es kam mal wieder zur temporären Trennung Mann – Hocker. Ich hatte zwar die Ahnung, daß die es einem so richtig besorgen, aber ich hatte nicht gewußt, was die darunter verstehen, es einem so richtig zu besorgen. Die spielen, bis keiner mehr steht.

Mark Lanegan, Sonnabend – hypnotisch, unglaublich, unerklärlich. Faszinierend ist es da, im Uebel & Gefährlich. Als wir da so saßen auf einem der Sofas der Hinterzimmer mit den alten gemusterten Goldtapeten an der Wand: B fragte sich, wo sie in dieser Bunkeretage das Bett hinstellen würde, und ich spendierte derweil laneganesque einen Whiskey für jeden Geist, der hier noch seufzte. Sie ist einfach die Pragmatikerin, of us two.

Oui, wir sahen den Film. Loved it. Und es ist ein Film für jene, die wissen, daß schon die Auswahl der Knöpfe für einen Chanel-Entwurf eine Wissenschaft ist und nichts weniger; also für Sie. Und für jene, denen es Schauder über den Rücken jagt, die ersten Töne des Fagotts von "Le Sacre du Printemps" zu hören, im Orchestergraben so nah zu sein, daß man das leise Klappern der Mechanik des Instrumentes hört, weil es noch atemlos still ist – bevor alles im Inferno untergeht, das gleichwohl auch hier, wie ich u.a. von Misia Sert weiß :), noch recht zahm inszeniert ist. Leider gibt es auch hier keinen Nijinsky oder Diaghilev, wie sie zu sein hätten, aber das ist nebensächlich. Anna Mouglalis ist perfekt im Kühlen, Strengen, Zähen, Kompromißlosen. "Mögen Sie keine Farben?" – "Doch. Schwarz." Chanel N° 5: "Ich will wie eine Frau duften, nicht wie eine Blume." Vor allem ein Film für jene, die wissen, welche Lektion Anna als Coco erteilt, und warum das deutsche Feuilleton den Film nicht lieben kann; beides gehört untrennbar zusammen. In Marlene-go-home-Land, das jetzt Heidi-Klum-Land ist, bleibt die Empfänglichkeit für subtilere Ausdrucksformen erotischer Spannung eher rar gesät. Schon für das, was Lagerfeld über Heidi Klum sagte, muß man ihn lieben: "In Paris kennt die keiner." Danke für das Bild mit all der schwarzerotischen Eleganz und den tiefroten Lippen, Sie wissen, wie Sie mich ergetzen, Watson.

Lacan. Nie verstanden, ob ich auch nur ein Wort von Lacan wirklich verstanden habe. Aber wenn ich es richtig verstanden habe, ist für Lacan das Reale überhaupt nur in Vermittlung des Symbolischen erfaßbar, schon das ist eine antipositivistische Breitseite. Das Ich ist – als "Einheit" – eine imaginäre Funktion. Das Symbolische ist die fast apriorische Kategorie, in die wir eintreten: Sprache, Zeichensysteme, die "symbolischen Formen", von denen Ernst Cassirer spricht. Das Reale ist zwar da, aber wir können es immer nur in Annäherungen erfassen, mittels symbolischer Formen.

Fangen wir ganz vorne an, Watson: "Je est un autre", Arthur Rimbaud, 1871. "Subjekt" als abgeschlossene Ganzheit ist Fiktion. Lacan betreibt nicht Auflösung der Ich-Identität, wie ihm ja auch vorgeworfen wurde, doch er löscht "Identität" als umgrenztes Ich – da wurde er für mich im Horror-Zusammenhang interessant.

Die Genese der Einheit des Ich als imaginär (im Sinne von "scheinhaft" wie im Sinne von "auf ein Imago gründend") verläuft entlang der bilderproduzierenden Kraft der Form und einer wiederum formenden Kraft des Bildes. Spiegelstadium als eine durch Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung. Diese Form, die gespiegelte Gestalt des eigenen Körpers, situiert die Instanz des Ich (moi) auf einer fiktiven Ebene. Diese Form ist ihm als "Gestalt" gegeben, jedoch – Lacans Pointe – "in einem Außerhalb". Einheit des Subjekts ist auf die Ebene des – buchstäblich – Imaginären verschoben. Der gespiegelte lebendige Leib ist Gestalt, als Gestalt ist er Einheit, die sich auf das Ich überträgt. Das Kind, das sich mit dem Spiegelbild identifiziert, identifiziert sich mit der imaginär antizipierten Einheit. Das Bild des Ich ist also von Anfang an imaginär. Die das Eigenempfinden bis dahin beherrschende Impression der Zerstückeltheit weicht einer Projektion von Identität, die am Außerhalb des Bildes, am *anderen* orientiert ist. Der Spiegel gibt ein Ich ganz, aber als ein anderes. Diese erste Identifikation enthält eine Hochrechnung auf die Vollkommenheit, die später dem Anderen unterstellt wird. Soweit d'accord?











"Mögen Sie keine Farben?" "Doch. Schwarz." *seufz* *umfall* Müßte allein schon reichen, mich restlos zu überzeugen. Oui, soweit recht d'accord. Sein Spiegelstadium formte Lacan ja unter anderem aus der Grenzerfahrung des Narziss, "die Stimme der Nymphe Echo verdoppelt die visuelle Beziehung zwischen Narziss und seinem Bild". Und was er damit zeigen konnte, ist, dass das Ich nicht die autonome Instanz ist, die in der Psychoanalyse vorausgesetzt wird. Dann geht es weiter mit dem Symbolischen im Spiegelstadium als "strukturierende Instanz, ohne welche die spiegelbildliche Beziehung mit dem andern tödlich würde." Etwas später heißt es auch noch, dass "das Subjekt seinen Mangel im Angewiesensein auf die andern, in seinen Ansprüchen an sie, in der Liebe und vor allem in der Unmöglichkeit, restlos befriedigt zu sein, bemerkt. Im andern begegnet es erneut dem Mangel, dem des Andern. Damit ist das Drama jeder menschlichen Beziehung strukturell vorgezeichnet." Aber das ist auch nur aus der Einführung der Sekundärliteratur. :) Man kann Lacan wohl nie "verstehen", das liegt schon in der Struktur seiner Inhalte begründet, sagen alle, die über ihn schreiben und von ihm sprechen. Man kann sich wohl nur annähern, und das immer mal wieder. Äußerst spannend.











Gut, also: das "Ich" geht, bevor es eigentlich da ist, außer sich und findet sich als ein anderes; und es hebt insofern das Andere auf, als es sich selbst im Anderen sieht. Das Bild der Ganzheit wird dem Ich durch das Sichwahrnehmen im anderen, in einem außerhalb des Ich liegenden Bild vermittelt. "Ich ist ein anderer". Dadurch, meint Lacan, wird also gerade die Ganzheit des Ich das eigentlich andere seiner selbst. Werten wir das nicht, versuchen wir einfach, weiter zu folgen. Das Ganzheitsbild erscheint ja vor dem Hintergrund der "discorde primordiale". Wenn ich es richtig verstehe, meint Lacan, daß das Subjekt diese Erfahrung der Einheit, die "außerhalb" gefunden wurde, in der Begegnung mit dem Anderen zu wiederholen versucht, und daß da immer eine Produktion von Imaginärem stattfindet. Unauflösbarer Zusammenhang von "Einheit" und "imaginär".

Dann: das Symbolische. Also das Differente. Das Gesetz des Vaters, strukturierende Instanz. Was Sprache ist und gleich ihr strukturiert ist. Dabei entsteht die Absenz des Anderen, die symbolisch in der Sprache repräsentiert ist. Und dabei entsteht das Unbewußte. Aber wenn es heißt, "L'inconscient, c'est le discours de l'Autre" – das Unbewußte ist der Diskurs des Anderen – artikuliert sich das Ich in der Sprache des Unbewußten? Oder ist das Unbewußte der Ort des Anderen, das dem Subjekt vergessene Botschaften übermittelt? Oder beides? Oder ist dies ein Spiel mit Worten, welches das Unbewußte genau darin illustriert, daß die Reichweite des Sinns die gehandhabten Zeichen immer übersteigt? Daß in allem Gesagten Ungesagtes mitschwingt?

Irgendwie bleibt wohl, daß sich das Ich in der Sprache des Unbewußten anders als in seiner imaginären Einheit artikuliert, jenseits von ihr. Und das ist elementar z.B. im Hinblick auf das "Fremde sind wir uns selbst" (Julia Kristeva), im Hinblick auf "das Andere" als Konstante im Horror-Genre (und –Erlebnis), eben auch als internes Anderes, das helfen könnte, externes Anderes leichter zu akzeptieren.

In der Konfrontation mit der Sprache kommt es also zu einer Entfremdung, zu Spaltung und Dezentrierung des Subjekts; die sprachlichen Symbole vermögen nicht, die Totalität von Erfahrung abzudecken und alle Nuancen dessen auszudrücken, was ausgedrückt werden soll. Darum z.B. gibt es bestimmte Romane, die von vornherein dezentriert arbeiten, verschlossene Räume mitschwingen lassen, vergessene Botschaften evozieren und bestimmte Verleger zu der Aussage verleiten, der Autor sagt das Unsagbare. :) 

Gehen wir zum ständigen Bedeutungsgleiten über? :)

















Sonntag, 10. September 2017

Sonntag, 6. August 2017

Alfred Schnittke




Nicht weit entfernt von meinem Neorenaissance-Schlößchen (a.k.a. Zauberberg für Idioten) gibt es eine Straße namens Beim Andreasbrunnen. Würde ich nicht ohnehin in Hamburg leben, wäre sie für mich ein Grund, nach Hamburg zu pilgern, denn in dieser Straße hatte der Komponist Alfred Schnittke sechs Jahre lang sein Domizil: von 1992 bis zu seinem Tod im August 1998 wohnte der 1934 in Engels an der Wolga geborene Schnittke im Altbau Nr. 5.
 









Schon für "Endstation Sehnsucht" hatte John Neumeier, Choreograph, Direktor des Balletts an der Hamburgischen Staatsoper und godlike genius, ein Werk Schnittkes verwendet, die Sinfonie Nr. 1. 1985 bringt Neumeier sein atemraubendes, herzzerfetzendes "Othello"-Ballett auf die Bühne; Schnittkes Concerto grosso Nr. 1 ist im 2. Akt präsent, als Verzweiflung und Wahnsinn ihren Lauf nehmen. Ich sah dieses Ballett einige Jahre später zum ersten Mal, ich sah "Othello" insgesamt siebenmal, stets in der Besetzung mit Gamal Gouda  als Othello und Gigi Hyatt als Desdemona, beim ersten Mal ging ich allein, sechsmal dann mit IHR. Nach dem ersten Mal schrieb ich ihr.

"Gamal Gouda. Mein Gott, der 2. Akt - als sich die Musik von Schnittke in das Stück bohrt wie die nagenden Würmer der Eifersucht in Othellos Herz - wie er zusammenbrach unter dem Hohnlachen Jagos und der Primavera. Ich weiß nicht, irgendwas stimmt nicht mit mir, wenn ich im Ballett bin. All das nahm mich so sehr in Bann - so muß das griechische Theater gewirkt haben, mit dem, was Aristoteles Katharsis nannte. Jago trieb mich in die Vorstellung, wie es sein müßte, Dich in fremden Armen zu wissen - so zu fühlen, und - als Zuschauer - doch gleichzeitig zu wissen, daß Desdemona unschuldig ist ... es zerriß mich. Die Szene, als die letzte der Grazien - die letzte Erinnerung an das Schöne, das letzte mögliche Zurück - fällt, und Othello Desdemona festhält - ihr Entsetzen, namenlos - und wie Gamal Gouda von nun an für lange qualvolle Minuten nur noch düsterste Entschlossenheit ausstrahlt, das ist so erschütternd.
Und als Othello Desdemona schließlich tötet, gleich darauf mit der blitzartigen Erkenntnis ihrer Unschuld alles über ihm zusammenbricht - die Minuten, in denen Gamal Gouda vor ihr saß. Gebrochen, regungslos, leer, dumpf, mit einem Gesichtsausdruck, der nicht mehr von dieser Welt war, in dem alle Vergeblichkeit, alles Scheitern, alle Verblendung war, grenzenloses Geschlagensein, der allerletzte Blick, der dem Menschen möglich ist, der betrogen ist, der sich aufgelehnt hat und nun erkennt, daß er das einzige getan hat, was nicht wiedergutzumachen ist, daß er das einzige verloren hat, das einzige - ich hatte Tränen in den Augen.
Und all das geschah ganz in Deiner Welt."

Und all das geschah zur Musik von Schnittke, in der genau dies zu hören ist: "Selbst das Firmament ist erschüttert. Die Himmelssphären sind aus dem Gleichgewicht. Es ist, wie wenn der Wahnsinn von den Sternen auf die Menschen niederkäme." [1]

Desdemona. Der Shakespeare-Exeget Jan Kott sagt über sie:
"Sie weiß nicht einmal, daß sie durch ihre bloße Anwesenheit beunruhigt, daß ihre bloße Anwesenheit ein Versprechen ist. Othello wird es erst erfahren, Jago weiß es von Anfang an. Desdemona ist treu, aber sie muß etwas von einer Dirne an sich haben. Nicht in actu, aber in potentia. Sonst kommt das Drama nicht zum Tragen. [...] Desdemona ist besessen von Othello, aber alle Männer [...] sind besessen von Desdemona." [2]

Nach der ersten Liebesnacht verhält Othello sich so,
"... als hätte er eine andere Desdemona vorgefunden als die erwartete. [...] Es ist, als ob ihn die Explosion der Sinne bei dem Mädchen verblüfft und schockiert hätte, das noch vor kurzem mit niedergeschlagenen Augen seinen Erzählungen lauschte. Desdemona fühlt sich von der ersten Nacht an als Geliebte und Frau. [...] Je heftiger Desdemona sich in der Liebe vergißt, desto mehr wird sie in Othellos Augen zur Dirne." [3]

Jago, der dämonische, nihilistische Psychoanalytiker, bringt Othello dazu, Desdemona namenlose Orgien zuzutrauen. Und wenn seine Frau ihn betrügt, dann betrügt ihn das ganze Universum. "Die Engel verwandeln sich in Teufel. Allesamt." [4]

Ich verließ nahezu jedes Ballett von John Neumeier mit dem Gefühl, gerade sein bestes Werk gesehen zu haben - was nur beweist, daß er in Bereiche führt, in die das Sprechtheater - zumindest mich - niemals führen könnte. Der erste Pas de deux von Desdemona und Othello aber - zur Musik von Arvo Pärts "Mirror In A Mirror" - ist das Bewegendste & zugleich Sensationellste, das man in der Weltgeschichte der Choreographie erleben kann... bis zum letzten Pas de deux von Desdemona und Othello.

"Tante Anna fragt 'Geht ihr nur so hin, oder muß Deine Freundin auch tanzen?'
Wir gehen nur so hin, nehmen ab Mundsburg ein Taxi – so daß Madame sich in der Halle der blauen Lichtpunkte die Nähte richten lassen kann – wir sehen die weißen Kostüme mit den Schildern MAZON, HERRMANN, CAZZANIGA, FEUILLETTE –
Unser Platz ist ganz oben, am Rand, wenn wir uns umdrehen, sehen wir diesen kleinen Verhau, in dem Tänzer sich umkleiden – wir hören die Moresca-Glöckchen [5] – Eric Miot zieht den Vorhang zu und grinst zu mir hoch – I'll never forget the picture. Er zerbricht wieder seinen Stock. OTHELLO. Ich könnte es jeden Tag sehen."

Says my diary. Das Areal der alten Maschinenfabrik war noch angenehm unübersichtlich, und von der Halle der blauen Lichtpunkte bewegten wir uns unbemerkt an den Kanal, sie hielt sich fest an einem Geländer, und unter dem Großen Wagen schoß eine Fontäne Mondlicht in sie - Schnittke zum Concerto grosso Nr. 1:

"Das Klavier wird durch einige zwischen die Saiten geklemmte Münzen klanglich verfremdet und dabei durch ein Mikrophon verstärkt - es symbolisiert sozusagen eine äußere Macht in diesem Stück." [6]

Concerto grosso Nr. 1 (1976/77) für zwei Violinen, Cembalo, präpariertes Klavier und Streichorchester
Gidon Kremer, Tatiana Grindenko - violin
Yuri Smirnov - harpsichord & prepared piano
The Chamber Orchestra of Europe, Heinrich Schiff - conductor










1989 arbeitete Neumeier mit Schnittke für das Ballett "Peer Gynt" zusammen - extensive Würdigung meinerseits -> hier 

Schnappschuß daraus: 

26.10.2010, SPIEGEL ONLINE Forum

Wünschte, ich könnte Euch zu einer Synapsenkonferenz einladen, um 130 Minuten "Peer Gynt" von Alfred Schnittke zu hören.
Nach seinem Schlaganfall 1985, Schnittke war klinisch tot, sprach er von einer grundlegenden Veränderung seines Zeitgefühls, von einer neuen Fähigkeit, "die sich nämlich ausdehnende Zeit zu empfinden." Genau darin muß das Geheimnis seiner "Peer Gynt"-Musik liegen. Wie in Marienbad halt.

02.07.2011, SPIEGEL ONLINE Forum

Alfred Schnittke, der Epilog aus der phantastischen Ballettmusik zu "Peer Gynt", "Aus der Welt / Out of the World". Wenn man die ganze Ballettmusik durchgehört hat, ist man hier bereits komplett durch den Wind, und der Epilog stellt merkwürdige Dinge mit einem an. Die letzten fünf Minuten sind überirdisch. Kopfhörer sinnvoll.



"Peer Gynt" ist in einer Aufnahme mit dem Orchester der Königlichen Oper in Stockholm unter Eri Klas erschienen. "Oft trägt mich die Musik, dem Meere gleich, zu meinem bleichen Stern" (Baudelaire).

Die Schattenklänge, mit denen "Peer Gynt" endet, beschwor Schnittke auch am Anfang seiner 3. Symphonie, dieses "Moderato" beginnt so unwirklich, wie Musik nur selten wird - als wäre der Beginn des "Rheingold" in den Kopf eines Mannes verlegt, der soeben erkennt, daß es wirklich ein Traumland gibt: weil er sich darin in Zeitlupe bewegt und zusieht, wie die Dimensionen sich aufheben.

Meine Aufnahme ist vom "USSR Ministry of Culture Orchestra" unter Gennadi Roshdestvensky, ich weiß nicht, ob die noch erhältlich ist.











"I set down a beautiful chord on paper - and suddenly it rusts." - Alfred Schnittke












[1] Jan Kott, Die zwei Paradoxe des Othello, Programmheft zu "Othello", 13 (aus: Shakespeare heute, 1964)
[2] ebda. 19 ff.
[3] ebda. 20
[4] ebda. 23
[5] Soldaten mit Glöckchen / Schellen an den Knien, die Tänzer der Moresca, zu denen die von uns sehr geschätzten Eric Miot und Stephen Pier gehörten.
[6] ebda. 62










Donnerstag, 3. August 2017

Today's Best Scene Ever: Twin Peaks - The Return, Episode 11













"Psychedelic magic. This is a textbook on visual art, every sound, every word, every emotion, all in tact, everything forms a melody."

Candie.