Donnerstag, 10. Mai 2018

Ladytron: Gravity The Seducer














Neues Video von Ladytron, "White Elephant". Kommt bei einigen nicht so gut an, ich hingegen nehme diesen Kommentar hier als Arbeitshypothese: "They transcend the very fabric of our boring universe. Gods, they are. Gods." - "Müssen denn alle Menschen Menschen sein? Es kann auch ganz andere Wesen als Menschen in menschlicher Gestalt geben." (Novalis, Neue Fragmente, 739). Vielleicht auch nur Augen weit geschlossen in einem Mulholland Drive-Chambre, das sich wiederum in einem Normandieschloß befindet. 

"A white elephant is an idiom for a valuable but burdensome possession of which its owner cannot dispose and whose cost (particularly cost of upkeep) is out of proportion to its usefulness or worth." 

Bringt das weiter? Schließlich sind Ladytron nicht dazu da, Mysterien zu lösen, sondern sie zu personifizieren. Song / Video als Traumstruktur, erhaben, wunderschön, todtraurig. 

(30.07.2011, SPON)
 
 









Mädchen, die vom Himmel fielen, die kühle erotische Provokation immer mit Wissen um die Kompliziertheit von Kommunikation verbanden, und die bei der Rückkehr in die Satelliteneinsamkeit noch ein paar kryptische Abschiedsworte funken. Spaceship returns, "it's over", Stimmen von hinter der Schwarzen Sonne, verhallt und deadpan. Eine unendliche Melancholie, eine unbeschreibliche Traurigkeit können Ladytron in ihre Melodien legen. "Alles Gold der Welt für Menschen, die es beherrschen, solche Stimmungen aus Silizium und Strom zu zaubern", schreibt ein Rezensent auf amazon.de zu Witching Hour. Es ist der sense of detachment, der da zu hören ist, das Gefühl von Bindungslosigkeit, Schwerelosigkeit, Unerreichbarkeit. Wenn es da keinen Sinn macht, daß das fünfte Studioalbum von Ladytron Gravity The Seducer heißt, macht nichts Sinn.

Wenn scheue Menschen wie Helen Marnie die Hand aufs Herz legen, wirkt das für den flüchtigen Beobachter immer noch wie eisige Gleichgültigkeit, aber nur für den. Offenbarungen wie in "White Elephant" mögen rätselhaft erscheinen, "suggesting a lingering fear of the inability to connect emotionally, an android-like anxiety" (avclub.com), und wenn ein Song jetzt "Melting Ice" betitelt ist, bedeutet das vor allem immer noch, daß Vertrauen ein Eisberg ist, und melting ice leaves nowhere to go. Ace of Hearts schreiben Ladytron noch immer Ace of Hz,
 
 





 
 
 
aber Begegnungen finden jetzt an entfernten Gestaden statt, wo unwirkliches Licht auf Schiffswracks fällt. Metaphern für rätselhafte Vergangenheit gehören zu einem romantischen Mystizismus, den jede Unmittelbarkeit verschreckt.

Ladytron-Songs handelten schon immer primär von Beziehungen und Gefühlen, nur auf ungewöhnliche, distanzierte Weise, und, vor allem, mit einem latenten Versus-Gestus und einem leicht feindseligen Blick, dem blank-eyed electrogaze, der Gefahr signalisierte. Der auch bedeutete: man beherrscht die Kunst der Verführung, aber auch die Kunst, ihr zu widerstehen.

Seit Witching Hour wurde die Ladytron-Klanglandschaft zunehmend dichte Materie: dramatisch, mitreißend, mächtig, gorgeous, dahinfegender big beat auf fusseligen Riffs und mit subtiler Distortion, darüber meist Helen Marnies Stimme, die schon immer einen unwirklichen Hauch hatte, deren Ungerührtheit mit der präzisen Diktion aber auch einer Agentin der Disziplinierung zu gehören schien, die den tease-and-denial-Eindruck, den Ladytron vermittelten, vollendete. Manchmal meinte man, in der funkelnden Schönheit echte Wärme zu spüren ("All The Way"), dann wieder wirkte es wie Mimikry, Täuschung des Signalempfängers durch Nachahmung. 

Daß Helen Marnie als Nachnamen den Vornamen der Protagonistin eines meiner Lieblingsfilme hat, ist mir lange gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich wegen "Helen's ability to crash ships with the mythical purity of her vocal chords", wie ein Rezensent auf amazon.com schreibt. Nicht selten wurde aber auch der Eindruck beschrieben, "that Marnie is mocking 'you,' whoever 'you' are"; "there's a feeling of vicious contempt when she addresses 'you'; "Helen Marnie, her sweet, intoxicating yet eerie vocals"; "(Ladytron's) singers sounded sophisticated, remote and contemptuous." Sophisticated, mocking, contemptuous: durchaus wie Hitchcocks Marnie. Daß Mira Aroyo immer wieder Stücke auf Bulgarisch sang, was sich im Ladytron-Kontext anhört wie Extraterrestrisch, paßte dazu. 

Velocifero - lies: "Bringer of Speed" - war ein Werk von bedrohlicher Brillanz ("I wrote a protest song about you"), wo meist alle Maschinen auf Alarmstufe standen und mit Hyperenergie zündeten. Gravity The Seducer bringt Ladytron zurück aus der Satelliteneinsamkeit, bedeutet aber zugleich die Einladung, hinter die vermeintliche Indifferenz zu schauen, das Mysterium zu akzeptieren und in der leicht geisterhaften Ästhetik, im eisigen Hall, im Unwirklichen, Traumhaften, Versponnenen die Dinge aufzufinden, die direkt von Herzen kommen.

Ein feingliedriges Handumdrehen der kühlen Schottin und der bulgarischen Molekularbiologin, und ihre seltsam unheimlichen, herzzerreißenden Melodien erscheinen ätherisch, schwebend, verschwommen; "an airy feel that often sounds as if its creators' feet are barely touching the ground" (pitchfork.com), den Beat tragen Luftgeister, wir befinden uns in einem wunderlichen, aber faszinierenden Traum: "Surrender with me, we're walking in our sleep." Bring eine Violine, Photographien und verlorene Dinge.

Das Wagnis der Annäherung vollzieht sich im Unbestimmten, undeutlich und schemenhaft. Helen Marnies surreale Stimme vermittelt Unmögliches: entfernte Nähe. Sie kommt aus einer unwirklichen Sphäre, in der sie den Kampf zwischen Sehnsucht und Zurückweisung der Sehnsucht austrägt. "Holding hands with a mirage / You do not exist." Strange girl mit immer schon eigener Phänomenologie: das Geräusch von Schritten auf einem Schulhof, aber niemand ist zu sehen. Wenn Ladytron zur Bandgeschichte gern den Mythos erzählten, man habe sich zufällig in einem Zug in Bulgarien getroffen, gab schon dies der romantischen Möglichkeit den Vorzug gegenüber profaner Realität.

Daß kein Ladytron jemals lächelt, weiß man seit den Zeiten des "Blue Jeans"-Videos, als Helen Marnie und Mira Aroyo so aussahen und klangen, wie sowjetische Musik zu "Gorky Park"-Zeiten hätte klingen sollen.
 
 













Jetzt sehen sie so aus und klingen, als wären sie in ihrer eleganten Schönheit Schwestern von Delphine Seyrig in "Les lèvres rouges", oder überhaupt so, als würden sie ihr eigenes Marienbad durchqueren. Auf der Suche nach der verlorenen... Verlorenheit. Abstrakt und atmosphärisch, so war der Band-Plan für Gravity The Seducer. Helen Marnie erscheint als Hohepriesterin der schönen Priesterinnen,
 
 





 
 
 
um in ein Reich betörender Bilder zu führen, die auf magische Weise betrügerisch sein könnten, in dem aber nicht mehr kühle Verachtung das zu Fürchtende ist. Die Frage nach ihrem "favorite sci-fi movie" beantwortete Mira Aroyo einmal mit "Solaris", Tarkowski.

Der Planet Solaris wird von einem riesigen, mysteriösen Ozean bedeckt, dem eine Frau entsteigt, weil dieser ominöse Ozean in Wahrheit eine von menschlichen Kommunikationsversuchen gelangweilte, intelligente Wesenheit ist, die sich dann aber, mit Röntgenstrahlen gereizt, dazu entschließt, Träume und Gefühle der Raumfahrer-Störenfriede zu materialisieren. So ähnlich kommt das Strange Girl mit der eigenen Phänomenologie auf Gravity The Seducer zu uns, und ähnlich bewegend wie Natalja Bondartschuk in "Solaris" kämpft sie um ihre Identität, und was sie dazu braucht, ist unsere Wehmut, dieses seltsame Sehnen, von dem sie lebt. Darum ist Gravity The Seducer so haunting und so full of mystery. Suggerierten Ladytron ehedem mit unterkühltem Gestus "unusual sexuality", wie der Telegraph einmal schrieb, ist die Erotik von Gravity The Seducer im Grunde ein Austausch von Wehmut, der Überleben sichert.


















(erstveröffentlicht / first published 02.01.2012)



















Montag, 30. April 2018

Peter Murphy: Rosenspucken, Istanbul



















50 Peter Murphy-Songs, zu denen es 50 geöffnete Türen gibt, in meinem Leben. Aber wo soll man anfangen. Die tiefe Mitternacht, als ich zum ersten Mal "Bela Lugosi's Dead" im Radio hörte? Die Wahrheit, daß die bedeutendste aller Wirklichkeiten ein geheimer Garten ist ("Our Secret Garden")? "Hit Song", von hinten in den Himmel gestoßen vor unserer Nacht in Hagenbecks Tierpark? "Final Solution" im Roman? Das einzige Ticket, das ich jemals auf dem Schwarzmarkt erwarb, um die Bauhaus-Reunion zu sehen, 1998? Seine Minuten am Anfang von "The Hunger"? Diese ihn für alle Ewigkeit zum dear man machende Geste, "Marlene Dietrich's Favourite Poem" zu schreiben, diese Zeilen, mit denen er die Momente würdigt, in denen Marlene in Maximilian Schells Film Tränen vergießt zum Gedicht von Freiligrath, "My mother loved it so..." - ? Der Artikel über Murphys Leben in Istanbul, Beginn einer Entdeckungsfahrt durch orientalische Musik? Die Tatsache, daß ich die Begegnung mit Antonin Artaud eigentlich ihm verdanke? Das Video zu "She's In Parties"? Das Video zu "Spirit"? Überhaupt alle Videos? Daß "Roll Call" vermutlich der Song ist, den ich am längsten im Walkman hatte, ever? Diese Stimme, deren Tiefen dich "on a long and winding grey paved street, your breath the only friend, chattering others surrounding you" erheben? Den Tränen nah bei "Huuvola"?
Ich wüßte nicht wo anfangen.

Murphy ist ein Bruder. Always there.






 

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11.06.2008






"Cascade" hat mit "Huuvola" vielleicht den mysteriös-schönsten aller Murphy-Songs, aber "Dust" empfehle ich unbedingt! Daß Murphy auch ein Domizil in Istanbul hat, wußte ich zwar schon eine Weile, aber irgendwann erwischte ich auf TRTmal ein Konzert mit einem orientalisch-klassischen Ensemble, diversen anderen Musikern, kreiselnden Derwischtänzern; wunderbare, hypnotische Musik. Endgültig vom Stuhl fiel ich, als ich begriff, daß der Sänger, der sich in meinen ersten Minuten da gerade im Hintergrund hielt, Peter Murphy war. "Dust" ist ähnlich, die Musik wandert über Wüstensand, es dürfte sich um viele 7-Minuten-Stücke handeln, aber man verliert hier das Gefühl für Zeit.
















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Oktober 2009


Danke, mir ist gerade alles egal. Wenn der Peter Murphy nach 15 Songs plötzlich "Hello!" zu deiner Begleiterin sagt und ihre Hand hält, und anfängt mit "You're very attentive, thank you, it encourages us", und im Grunde das zu ihr sagt, was du ihr ein Leben lang zu sagen versucht hast, und das von der Bühne aus, ist dir nach Gang in die Nacht der Lotusesser. Sollte die Welt noch versäumen, auseinanderzufallen, verdurste ich in einer Wüste aus Goldstaub. Von den Mächten Die Da Sind als Konzert getarntes Satori – Kick In The Eye.




Landegaard:
Ohne Scheiß? :)




Ja.
Murphy ist ja mit einer Türkin verheiratet und lebt (auch) in Istanbul. "Dust" ist für jene, die was damit anfangen können, daß in der Sprache der Sufis das Wort für "Sünde" dasselbe bedeutet wie "Distanz". Distanz von truth & essence. Alle, die von "small intelligence" (Murphy) den Kanal voll haben und "thirsty for the water of life" (Murphy) lebende Reflexbrecher sein müssen. Oder einfach für jene, die immer wissen wollten, wie ein Mann mit goldenem Licht in der Stimme sich anhört.















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April 2011


Im Juni erscheint nun endlich das neue Album von Peter Murphy. Schon da: Rosenspucken mit PM.






Im September auf Tour in Deutschland, wenn nichts dazwischenkommt.





oasis:
Vornehm hin oder her, aber man kann's auch übertreiben *schelt*. :)
Murphy, welch phantastische Neuigkeiten!! Und dann so bescheiden mal nebenbei bemerkt vom Licht-unter-den-Scheffel-Steller himself.
Aber immerhin. Jetzt haben sie hier schon einen extra Thread für Dich eröffnet. :)

" ... wenn Jesus wiederkommt, so wird das vermutlich nicht in Gestalt eines Bundesministers oder eines Strommanagers sein. Er wird ganz schlicht und einfach daherkommen. Nicht in einer Luxuslimousine, sondern auf einem klapprigen Fahrrad."






Seit die rosenspuckende dunkle Lichtgestalt von der Bühne herab die Hand meiner, ähm, Begleiterin festhielt und ihre, ähm, inspirierende Ausstrahlung würdigte, ich meine so mitten im Konzert, - ich habe zwar einen Tonmitschnitt davon ergattert, aber das glaubt einem ja trotzdem kein Mensch - habe ich mein Jesustum an den Nagel gehängt. Irgendwann zwischen zwei Songs beklagte er die Schwierigkeiten, die Platte rauszubringen, die also im Oktober 09 offenbar schon fertig war, "very frustrated", und "There'll be a pot on the way out", für die Kollekte. So sieht's leider aus, daß eine Legende wie Peter Murphy von der Industrie praktisch ignoriert wird. Und darum ist das natürlich eine phantastische Neuigkeit, daß es jetzt endlich soweit ist. Er hat damals schon ein halbes Dutzend der Songs gespielt, die auf "Ninth" erscheinen werden, "Velocity Bird", "Peace To Each", "Memory Go", "Secret Silk Society", "Uneven & Brittle", "The Prince & Old Lady Shade". 




Peter Murphy, 15.10.2009, nimmt also vor "Deep Ocean Vast Sea" Birgits Hand
 & this is exactly what he said to her:





"Hello, how do you do? You're very attentive, thank you, it encourages us, me especially, when somebody's looking so... so inspired."













Excerpts from "The Fairy Godfather of Goth", Magazine Article on Peter Murphy, 1992
 
Text: Adrian Deevoy
Photos: Ken Sharp 









 
 
"The method I use to create lyrics hasn't changed. If I haven't written any, I just turn the microphone on and sing and words will just come out. There's no interference from anything cerebral. You see, instinct is distinct from rationale. The pure intellect is in the realm of the imagination which is a finer sensibility. So things can come through and you don't know where they come from and your conscious mind would have no way of reproducing those images in the conscious state. So, in a sense, you become as much of a listener as the, um, listener."

Today, Peter Murphy is in Istanbul. He met his Turkish wife, Beyhan, back in the Bauhaus days and now spends a couple of months each year resting on a small island north of the city.
"My only impression when I first came to Turkey," he says sipping water in the marbled bar of the hotel where the Orient Express used to stop, "was that Midnight Express cliché. Of course, that was immediately dispelled, although it can still be pretty scary."

"I think what people, the press in particular, didn't like was that there was an arrogance about [Bauhaus] which said, We don't need you. It was a very self-made band. And we attracted some very negative writing. Really seriously bad things were written about us."

Before visiting Istanbul's sense-scrambling bazaar, Murphy bumps into a Turkish friend. "Oh, Peter!" she gasps, motioning towards his stick-insect-on-steroids physique. "You've lost so much weight!" "No, I haven't," retorts Murphy indignantly, "I've always been skinny." This is true. In fact, it would come as no great shock if Murphy's passport described his full-time occupation not as "Songwriter" or "Musician" but as "Professionally thin person".

Although he still lives in North London, Murphy believes that the UK is a market that no longer requires his services. Following Bauhaus' disintegration in '83 (the orphaned members of the band went to America to gather modest underground garlands as Love And Rockets) Murphy (...) went to work as a solo singer on the USA club circuit in '86.
"The Bauhaus effect is odd in the States," Murphy muses, "because as a solo artist I sell a hell of a lot more records than Bauhaus ever did. But you still get people going out and buying Bela Lugosi's Dead and enjoying this wonderful cultish experience for the first time."

"If you were to stop the average music fan and ask them about Peter Murphy, they'd say, What's happened to him? What's he been up to since 1983? People still come up to me in the street and say, Wow, Peter Murphy, what have you been doing with yourself? And I say, I've actually had four albums out. I've been working solidly for five years, thank you very much. I just got bored of dealing with this negative attitude. In the end you just go where you're wanted."

Do people expect him to be weird when they meet him?
"There was a gentleman in LA last month who came along with the full baggage of misconceptions," he recalls fondly. "He was asking me, What is it that you know that we don't? Tell us about the secret message in these lyrics. What is the right religion to follow? Why do you wear black all the time? [...] I try to avoid the transference of their interpretation of my personality on to me, this preconceived montage of who you are."

Has Murphy ever experienced these feelings himself?
"I did when I met Bowie," he admits. "I played a part in the film The Hunger. Catherine Deneuve was there too, so it was doubly strange for me. But I sat there with Bowie and I thought, Well, there he is. And that was it. He was there as a human being and the whole thing was exorcised. I immediately felt OK about it. That first moment to me was very important."

"Why don't we just have a chat, a cigarette and a coffee?" Murphy sighs. "Let's be... Turkish."














(erstveröffentlicht / first published 30.08.2011)


















Montag, 23. April 2018

Monsters in the Parasol



























SPIEGEL ONLINE Forum

16.11.2009

Rykarda Parasol, kein Künstlername, Polnisch-Schwedischer Abstammung, ausgebildet in Operngesang, jetzt mehr betörendes Phantom der Oper mit Drawl und Make-Up, so blond das Haar, so tausend Nächte tief die Stimme. 

"For Blood And Wine", zweites Album, dramadunkel und von Dämonen verfolgt, luziferschöne Hymnen an die Ausschweifung, in der immer eine Schlange haust. Immer.












"Bei Rykarda Parasol wird das Dräuende, Abgründige und Dunkle zum Programm und zum wertvollen Pfand, mit dem sich die "fille noire" aus San Francisco in die Riege bemerkenswerter Debütantinnen gewuchert hat. Our Hearts First Meet heißt ihr erstes Album, nachdem 2003 bereits die EP Here She Comes erschienen war. Fünfzehn rätselhafte Folk-Songs, die schwere Titel tragen, etwa How Does A Woman Fall oder Lonesome Place, in denen verzweifelte Sätze fallen wie "The sky has gone black on us / Don't you weep" oder "I made a decision when nothing was good / And I knew I would lose". Worte also, die immer wieder auf das Abgründige unter der ansehnlichen Oberfläche verweisen (...) Es geht um Hereinfälle, verschmähte Liebe und Einsamkeit. Nur selten dringt durch den Sonnenschutz Licht an diese Lyrik (...), es sind gerade die obskuren Stellen, von denen eine eigentümliche Anziehungskraft ausgeht. (...) Und wenn die Musik den Hörer so erwischt wie auf Our Hearts First Meet, ist Stil ein willkommener Attraktivitätsbonus. Das nächste Album von Rykarda Parasol hat hoffentlich einen ähnlich hohen Lichtschutzfaktor. Der blasse Teint steht ihr nämlich vorzüglich." 

["Schwarzes Mädchen", Artikel einer/s "sz", irgendwo]












 (erstveröffentlicht / first published 07/2011)
 
 
 
 
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Samstag, 21. April 2018

Delphine Seyrig: Disziplinierte erotische Gier, Vorzimmer des Ungeheuerlichen, undefinierbare Determiniertheit, Kürtensache, Lukacs, Marienbad.













SPIEGEL ONLINE Forum

28.09.2010

Und Donnerstag gibt es auf arte um 0:45 "Blut an den Lippen" von 1971, Regie Harry Kümel, der auch "Malpertuis" gemacht hat, garantiert nicht jedermanns Sache, aber allein Delphine Seyrig als moderne Bathory-Vamp-Version lohnt das frühe Aufstehen.




 











30.09.2010

ray05:
... Wecker gestellt wegen Blut an den Lippen. Madame Seyrig ist außerhalb jeder Diskussion. Sage nur Nymphenburg. Und dann: Andrea Rau. Auch außerhalb jeder Diskussion. Lass mich raten, in wie vielen Produktionen die Frau ihre Ohren hingehalten hat: 500 in zehn Jahren? :)

Ach, ich schenk Dir jetzt was, schau:













Auf der Ile St. Louis, als wir die Regenrinne aus "The Ninth Gate" gefunden hatten und somit das Haus, aus dem Johnny Depp kommt, das sich dann auch noch als Hôtel de Lausun herausstellte, Club des Hashishins, 










stießen wir dann auch auf das Haus, in dem Nancy Cunard wohnte, die der dritte bedeutende Ray, außer Dir und Put a Raygun to my Head, so vortrefflich in Szene setzte, danke also fürs Geschenk, Du weißt einfach, wie Du "Jetzt reichts, du schläfst heute auf dem Sofa!" verhinderst. :)
 

Das Suchtmittel in Marienbad heißt Delphine, for sure. In "Le Rouge aux Lèvres" / "Daughters of Darkness" ist Andrea Rau eine Art, hm, Zofe für Delphine Seyrig, sehr entzückend mit ihrer Pagenkopf-Frisur, und sie wurde Kult als eine der schönsten - wie sage ich das, ohne zu spoilern - also es hat mit Wasser zu tun.

In den verfallenden Luxus eines riesigen, menschenleeren Hotels in Ostende tritt "die halluzinatorische Gestalt der Gräfin Bathory in enganliegendem Silberlamé, maskenhaft weiß geschminkt und mit tadelloser Dauerwelle - das genaue Abbild eines Vamps der dreißiger Jahre" - so David Pirie in "Vampir Filmkult", der auch Delphines "disziplinierte erotische Gier" und den "entsetzlichen Stil ihrer Grausamkeit" zu würdigen weiß. Mind you: 1971, Kunstkino, slow, mit allem strangeness-Pipapo, das der moderne Oberchecker "ungeschickt" nennen wird, heutigen "Twilight"-Aficionados und Herzog-Bashern muß das schrecklich langweilig erscheinen, was sich da abspielt, wenn gar nichts geht, bleibt immer noch Kümels "Malpertuis", der ist MUSS.






















ray05: 
... Club des Hashishins ...
















Klasse. Danke. Das Dritte, das mir bei Delphine Seyrig einfällt: ihr strahlendes "Wie Hitler!" in "Geraubte Küsse". Strömt einem doch die Libido über, da. Memo from Aljoscha: "The Hashishin", Ry Cooder, "Performance", im Film allzusehr im Hintergrund, kommt auf der Soundtrack-CD viel besser zur Geltung, es gibt kein besseres Sitar-Tabla-Dulcimer-und-Maultrommel-Stück, 'ma sagen.











04.10.2010

ray05: 
Oh ja! ... :)






Mise-en-scène: Wunderbar die folgende lange Coffee-for-two-Einstellung. Austausch der Figuren Ehemann / Dienstbote in EINEM Move mit Tempogewinn. Unmittelbare physische Aktivierung des Seyrigvampirs: Mit Herrschaft über das Tablett ("ICH werde servieren") Herrschaft über die Szene mit Raumgewinn und direktem Swing ins Vorzimmer des Ungeheuerlichen zwischen Moccatischchen und Musikapparat. Ist gleich Herrschaft über Doinel gleich Raumgewinn im Kopf des Zusehers. Hypnotisierendes Servierritual, Todesangst des Opfers mit strammer Eiffelturmsymbolik. Alles EINE Einstellung bis zur Vorbereitung des berühmten Flucht-Montageclashs durch Zwischenschnitt ins Opferantlitz. Alfredismus pur. :)














... kapital, kapital. :) Unvergeßlich auch der kurze Zwischenschnitt auf Lonsdale nach "Comme Hitler!": klonk. Messer auf Teller, klonk. Ein so wunderbar behämmert pißnelkiges Klonk gilt es erstmal zu leisten. Größer war Lonsdale nur noch mit Mademoiselle Rosenblum. :)

Bei "Daughters of Darkness" wurde auch nochmal klar, daß Delphine Seyrigs Stimme zu den drei erotischsten Stimmen der Filmgeschichte gehört. Das bringt uns zu Marie-France Pisier. Der nächste obskure Film der ewig quatschenden Baguettefresser, den ich unbedingt auftreiben muß, ist "Le Vampire de Düsseldorf" von 1965, mit Robert Hossein als Peter Kürten, Hossein auch Regie und Beteiligung an Story und Drehbuch. Das hier ist Hossein mit Marie-France Pisier, und da habe ich dann schon keine weiteren Fragen mehr. :)




















ray05: 
Nun, vor "Daughters" erfuhr Vaddern wieder mal, dass es eine direkte Proportionalität zwischen der Anzahl entgangener Filmgenüsse ab null Uhr und zu Klump gehauener Elektrowecker geben muss. Die Kürtensache kenne ich auch nicht, aber Pisier musste ja mal die Clawdia Chauchat geben. Beim Geissendörfer. Von wegen Steppenwolfslichter! Von wegen kirgisenäugig! Bin da wohl irgendwie kopfkontaminiert, aber ich kann mir beim besten Willen keine ordentliche Zauberbergverfilmung vorstellen; einfach, weil ich mir keine materialisierte Clawdia Chauchat vorstellen kann. :)











05.10.2010

Versteh schon. Hab Affinität zu dieser Verfilmung ja schon zugegeben, einmal, weil sie mir nach demotivierendem Deutschleistungskurs mal nahelegte, den "Zauberberg" endlich auch mal zu lesen, parallel zum Mehrteiler, aber zum anderen, Eichhorn als Castorp, Blech als Behrens, Rod Steiger augenrollend, auch MF Pisier als Clawdia, für mich gingen die Figuren dann gut durch, und später habe ich liebevoll Patina drübergestrichen, vielleicht über Gebühr. Wußte damals natürlich nicht, daß der kleine magere Mann von ätzender Häßlichkeit, an dem alles "scharf" ist, "scharf sentenziös", nach Georg Lukacs modelliert ist. Katia: "Er legte sofort mit der Entwicklung seiner Theorien los, redete ununterbrochen auf uns ein und dozierte eine volle Stunde lang in unserem Zimmer. Mein Mann kam gar nicht zu Wort; er konnte gerade sagen: Ja, ja, das war ja sehr interessant. Da ging Lukacs schon wieder weg." - Da wirkt Charles Aznavour vielleicht zu scheu, zu wehmütig, zu hintersinnig, nicht ätzend genug... mag sein. :)













22.10.2010

Monika Cate:
Sah "Last Year at Marienbad" drei Mal in drei Tagen, jedesmal ein anderer Film und er hätte diese Qualität auch beim nächsten und hundertsten Mal. Er bestätigte all das, was ich vorher gelesen hatte und was mich faszinierte Last Year und die Krönung war der tiefe persönliche Bezug, der sich herstellte, weil er mir bei aller Andersartigkeit soviel näher war mit dem, was er sichtbar machte, als die Mehrzahl von anderen Filmen, die ich bisher gesehen habe. Ich könnte fast sagen, er ist mein liebster Film, jedenfalls im Augenblick :) Er müsste mit auf die Insel, nein, er ist eine Insel. An keiner Stelle wiederholte er sich beim wiederholten Sehen, es waren immer neue Verbindungen, die sich fast wie von selbst herstellten zwischen den Figuren, den Korridoren, und mir. Nie fühlte ich mich als Betrachter, eher waren die Bilder, die Figuren, die Abläufe, die Gespräche Teile von mir, wie alte Bekannte.













"Am nächsten Morgen, nach Träumen schwer und süß, befindet sich Aljoscha in einem langen Korridor. Das Haupt-Gebäude, die Baukunst des Bewußtseins, muß von unermeßlicher Größe sein. Äußerst erstaunliche Architektur voller absurder, barocker, widersinniger, labyrinthischer, der Logik spottender und alles in allem doch wieder klarer Konstruktionen, die jedes Wort in Schweigen und jedes Schweigen in ein Wort verwandeln können. Das Echo ist eine Frage des Standpunkts. Die Begegnung ist eine Frage der Zeit."

Das ist Marienbad. Irgendwann vor "Cat People" war er Wegzeichen für Aljoscha, im Briefwechsel mit Pjotr würde man mehr darüber finden. :) Die Konstruktion des Roman-Anfangs trägt im Grunde dem in Filmthreads nicht beschreibbaren Phänomen Rechnung, daß sich Seinsströme durch Filme hindurch, nein, fast muß man sagen, in Form eines Films einen Weg in die Psyche bahnen und in der Innenwelt eine noch undefinierbare Determiniertheit mitgestalten. Nicht Determinismus, denn zwischen Erstaunen und Erkühnen machen wir dieses Schicksal. Just like you say: "nie fühlte ich mich als Betrachter". Genau! das erklärt, warum Aljoscha "am nächsten Morgen" von seinen nächtlichen Träumen in einen "langen Korridor" gelangt und dieser zur "Baukunst des Bewußtseins" gehört. Es ist das Wissen, daß es jetzt nach Marienbad geht, daß Marienbad schon immer da war.

Ich sah den Film seitdem nie wieder, wußte aber stets, wenn ich ihn wiedersehen würde, hätte ich dasselbe zu sagen wie Du, daß er auf bestimmte Weise beinahe zum "einzigen" Film wird.






















(erstveröffentlicht / first published 06/2011)