Dienstag, 1. Mai 2012

Wer einmal in einem Hitchcock-Film war, kommt nie wieder ganz heraus





 


SPIEGEL ONLINE Forum Lieblingsfilme - was ist "großes Kino"?

28.04.2010














Kryoniker: 
Gestern lief auf Bayern "39 Stufen" von Hitchcock. Der Film ist von 1935 und dafür in Sachen Storytelling und Schnitt erstaunlich modern. Hitchcock war ein Visionär seiner Zeit.
Aber das nenne ich mal einen "Agententhriller": Absolut null Insiderwissen über Spionage und Geheimdienste, da wird nur ominös von "Staatsgeheimnissen", "lautlosen Antrieben" und einer geheimnisumwitterten geheimen Geheimgilde orakelt, und das war's an Substanz.

Jedenfalls war das mal ein Film, den auch ich verstehen konnte.








So, dann rekapitulier' doch mal die Formel für den Flugzeugantrieb, die Mr Memory am Ende von sich gibt. :) – Georg Seeßlen hat mal geschrieben: "Man könnte sagen, wer einmal in einem Hitchcock-Film war, kommt nie wieder ganz heraus." So ist das. Jeder einzelne Film von Hitchcock erscheint mir mehr und mehr als vollendetes Wunderwerk, als ein Kontinuum, das man auch gar nicht mehr verlassen will, von dem aus man auch einen prima erbarmenden Blick auf das weniger Göttliche werfen kann. – Auch "North By Northwest" und "The Lady Vanishes" wurden ja gerade wieder gezeigt. Jeder einzelne Film wie eine Kunstsammlung, ein Louvre an Schätzen, man könnte höchstens sagen, daß Raumnot herrscht, so voll sind die von Brillanz auf jeder Ebene.

Wenn in "The Lady Vanishes" Paul Lukas als Dr. Hartz verkündet, er habe Michael Redgrave (Gilbert) und Margaret Lockwood (Iris) paralysierendes Hydrocin verabreichen lassen, sagt Gilbert zu Iris: machen Sie alles Mögliche, um nicht einzuschlafen. Dann schwingt er sich durchs Zugfenster, um Miss Froy zu retten. In deren Abteil trifft er auf die Nonne mit den High Heels, die ihm sagt, "It's all right, you haven't been drugged", sie habe den Befehl des Doktors nicht ausgeführt. Weitere Turbulenzen, irgendwann geht die Tür auf, hinter der wir kurz die entzückende Margaret Lockwood sehen, wie sie gerade Streckübungen macht, entschlossen und sexy. "Cut it out, kid, you're not drugged, I'll explain later!" Allein für so eine Szene weigere ich mich, diesen Film zu verlassen.

Überhaupt, die Chemie zwischen Redgrave und Lockwood, zwischen Robert Donat und Madeleine Carroll, zwischen Cary Grant und Eva Marie Saint - diesen Funkenflug zu inszenieren beherrschte keiner so wie Hitchcock. Und ich weiß nicht, wer es 1935 noch gewagt hätte, aus dem Klick einer Handschelle das zu machen, was Hitchcock in "The 39 Steps" daraus machte – darauf zu beharren, daß Madeleine Carroll sich in dieser Bondage-Situation die Strümpfe auszieht. :) Und so wenig sich Hitchcock-Filme insgesamt um Plausibilität zu bekümmern scheinen, so recht haben sie doch immer wieder auch darin: das Schicksal schliddert immer an der Farce entlang. Wie Hölderlin schon sagte: Wo aber Gefahr ist, wächst auch Screwball.































2 Kommentare:

  1. An meine Geburt kann ich mich nicht mehr erinnern, aber auch nicht an ein Leben vor Hitchcock! Ich habe ihn nie auf der Kinoleinwand kennengelernt, sondern "nur" im TV! Umso mehr musste ich vermutlich durch ihn sozialisierende Prägung erfahren! Hitchcock war immer! Übereinandergeschlagene Frauenbeine, gefangene Männerblicke, Strümpfe und Whiskey...! Ich wäre Ich, auch ohne Hitchkock!?
    Ja, aber anders!

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  2. Das ist wahr, Hitchcock war fast wie ein Familienmitglied, eine Art unberechenbarer Onkel, buchstäblich *a household name*. "Hitchcock" hieß: Angstlust will never end. Ja, er war immer, und meine Initiation war "Die Vögel". Abgesehen vom tagelangen Mißtrauen den Krähen gegenüber, den Tagen in der Zwischenwelt, eine dieser ersten Erinnerungen an die wunderbare Macht des Films, war es eben auch Hitchcock, der mich lehrte, daß schöne Frauen in eleganten Kostümen ultraperfekt in einer Nußschale sitzen und den Außenbordmotor bedienen wie nichts. :) Und daß da draußen, vor der Tür, überall Risse sind in der Wirklichkeit, durch die Ungeahntes einfällt.
    Bin eigentlich an dem Punkt angekommen, die Plausibilität bei Hitchcock plausibler zu finden als die Plausibilität selbst. Man könnte ja sagen, es sei unplausibel, daß Grace Kelly in "Dial M for Murder" am Hörer siebenmal "Hello" sagt.
    http://www.youtube.com/watch?v=LBoL2vMJkCs
    Und ich sage, wer das unplausibel findet, versteht nichts von Filmen, versteht nichts vom Leben, versteht nichts von Frauen, versteht überhaupt nichts und befindet sich auf einer Stufe mit Manni, Ralle und Dödel. :)
    Hitchcock, Strümpfe, Whiskey - war es nicht Brandy? Aber suspense [Hitchc.], suspenders [Brit.], wer wäre ich, da einen Zusammenhang leugnen zu wollen.:)

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