Freitag, 22. April 2011

Vorwitz und Verstrickung








Aus: Interview mit Christian Erdmann, Literatur-Feder Magazin, Ausgabe 5, Juni 2007

LF: Ihr Roman "Aljoscha der Idiot" ist Ihre erste Roman-Veröffentlichung. Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen und gab es dafür einen bestimmten Auslöser?

CE: Die ersten ernsthaften Schreibversuche waren Gedichte. Es gab auch mal einen Gedichtband, den ich zusammen mit einer Freundin gemacht habe. Wir haben beim Drucker die Seiten selbst geschnitten und geleimt. Das Bändchen hieß "Vorwitz und Verstrickung". Ein paar Hundert Exemplare im Eigenverlag, das war gnadenloser, furchtloser, furchtbarer Idealismus. 




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Ich weiß von 83 verkauften Exemplaren. Wieviele Exemplare über P.B. in die Weltgeschichte kamen - keine Ahnung. Der Preis wurde Pi mal Auge festgelegt, in der Regel waren es 7 DM. Das Bändchen trägt die Widmung "in ehre & furcht - für ulrike k." Ulrike K. war Deutschlehrerin. 






















Donnerstag, 21. April 2011

Cut-up under Prometheus








SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

August 2006






Mixolydian:
 
Ohne Cut-ups hätte es weder das Eno/Byrne-Referenzalbum "My Life In The Bush Of Ghosts" noch die in dessen Nachfolge immer ausgefeilter werdende Sampling-Technik in der Musik gegeben. Die Cut-up-Methode war ein Experiment, das sich als extrem einflußreich erwiesen hat. Hier wurden einfach neue Wege aufgezeigt. Ohne Innovatoren wie Burroughs, Gysin oder auf dem musikalischen Feld Eno, Byrne, Fripp oder Cale wären wir heute um einige Kunstwerke ärmer.








Christian Erdmann:
 
Ich denke, daß der Zufall stets in die künstlerische Arbeit integriert ist (Genie besteht ja auch in der Fähigkeit, sich den Zufall zunutze zu machen), und daß die Cut-up-Methode sozusagen nur die extremere Form des Sichauslieferns an dieses Prinzip ist. Sie legt den Akzent zunächst auf die reine Methode, den reinen Prozeß, ohne Vorplanung und vorgegebene Bedeutung. Indem Dinge zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen, entstehen neue Bedeutungen. Lautréamont sprach von der Schönheit der zufälligen Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf dem Seziertisch. Ich persönlich mag es als Leser sehr, mich zu fragen: wie kommt das denn jetzt da hin, solange all die Türen, die sich da öffnen, noch als einem Korridor zugehörig erkennbar sind. Burroughs oder Lautéamonts "Gesänge des Maldoror" können sehr labyrinthisch (minus Ariadnefaden) werden, zur sehr anstrengenden Reise durch einen Kopf. Hypertroph scheinende Willkür ist natürlich enervierend. Aber durch die offene Kollaboration mit dem Zufall sind Werke von unglaublicher Schönheit entstanden.

Für sein "Low"-Album, das er mit Eno zusammen aufnahm, wollte David Bowie ein langsames Stück mit nahezu religiöser Atmosphäre – das war alles, was er Eno vorgab. Eno schlug vor, erst einmal eine Spur mit Fingerschnipsern aufzunehmen. Das taten sie dann, ca. 430mal Fingerschnipsen. Das notierten sie. Jeder der beiden nahm sich dann willkürlich bestimmte Sektionen vor und spielte auf dem Synthesizer Sequenzen dafür ein. Dann löschten sie die Schnipser und schrieben, abgestimmt auf die zugeteilten Taktmengen, weitere Sequenzen darüber. Keine "Komposition" im eigentlichen Sinne also, aber dieser ungewöhnliche Entstehungsprozeß ist das letzte, woran man bei dem Stück "Warszawa" denkt, das einen noch immer auf die Knie sinken läßt – zeitgenössische Klassik eben.

Bowie hat sich auch in seinen Texten zuweilen der Cut-up-Methode bedient, auch für das "1. Outside"-Album, das so starken Einfluß auf David Lynch hatte ("Lost Highway"). Auf "1. Outside" erzählt Bowie zwar eine Geschichte, die Cut-up-Methode erlaubt es dem Autor einer Geschichte aber auch, der Geschichte dazu zu verhelfen, sich selbst zu erzählen und ihren Autor zu überraschen. Textsegmente arbeiten als Bedeutungsgeneratoren. Ein Titel des Albums lautet "The Hearts Filthy Lesson". Wer würde diese Worte schon zusammendenken? Nach dem ersten Schreck ergeben viele Dinge Sinn. Genau wie bei Träumen, und oft gleicht alles, was Cut-up-Methode gleicht, dem Vokabular von Träumen. Träume sind Cut-ups.

Aber zugegeben, es kommt sehr darauf an, wer sich dieser Techniken befleißigt. Grundsätzlich kann diese Technik natürlich schrecklich unsinniges Getröt produzieren, aber das gelingt auch Autoren, die sich ganz prometheisch sehen. Quod licet Bowie, non licet bovi.








Eliza:
 
Eben. Sich allein auf den Zufall zu verlassen, garantiert zunächst nur, dass was Zufälliges dabei rauskommt. 

Es muss ein gewisses, recht hohes Minimum an Gestaltung dabei sein, bevor mir der Ausdruck Kunst einleuchtet. 








Christian Erdmann:
 
Du kennst doch sicher Shaftesbury, den englischen Philosophen? (Ich meine den 3rd Earl). Der sprach vom Künstler / Schöpfer als "second maker", als "Prometheus under Jove". Der von mir oben angesprochene Typus wäre sozusagen "Cut-up-artist under Prometheus" (in einer Person).

Goethe hat von Shaftesbury den Begriff der "inneren Form" geklaut: die "inward form" des Kunstwerks / des Charakters / der vorbildhaft Teile zu einem Ganzen fügenden Natur. Wobei Shaftesbury für seine Zeit übrigens recht weit darin ging – sein Weg führte schon über das, was später deutlich als Begriff des "Erhabenen" erschien –, auch das "Dissonante" in diese "innere Form" einzugliedern. Die "innere Form" erlaubt vieles, eben auch Nutzbarmachung des Zufalls, Eingliederung sich selbst schaffender Bedeutungen etc., nur darum ging es mir, mein Respekt vor den Beherrschern der inneren Form ist grenzenlos.

Wenn poetische Sprache nicht auch zum Ziel hat, Vorstellungen davon, "was geht", hinter sich zu lassen, wozu dann überhaupt Poesie?


 





Stefan Möhler:
 
Der Künstler ist immer der zweite Schöpfer. Eigentlich eher ein Seher, der vermag, Dinge zu realisieren, die sich anderen eben nicht von alleine erschließen. Ob es ihm nun gelingt, diese Realisation für alle Menschen sichtbar zu machen oder nicht, ist dabei völlig unerheblich.

Immer ist ein Kunstwerk ein Aufruf zur Auseinandersetzung: mit eigenen Gedanken, Urteilen, Sichtweisen, Vorurteilen, eingefahrenen Denkstrukturen, Blindheit - letzten Endes mit sich selbst.

Wer dazu nicht in der Lage ist, und ja, solche Menschen gibt es tatsächlich, dem erschließt sich weder Kunst noch deren vielfältige Möglichkeiten der Rezeption. Daran werden weder Kunstwerke selbst noch Worte über dieses Faktum irgendetwas ändern können. Das kann man bedauern, aber nicht ändern.








Christian Erdmann:

Es spricht etwas aus dem Künstler, den Du "Seher" nennst, das er selbst nicht völlig kontrolliert, aber er muß versuchen, soviel Kontrolle wie möglich darüber zu gewinnen. Er muß das, "was geht", überwinden, und dieses "was geht" war nicht nur im Hinblick auf die Form gemeint, es ist immer auch das, was für die menschliche Realität bislang Gültigkeit besaß. Wäre der Künstler in glücklicher Übereinstimmung mit der Welt, wie sie ist, und den Konditionen, die sie stellt, würde er dann Kunst schaffen wollen? Das soll keine revolutionäre Pose der Kunst an sich beschreiben, aber ist der Künstler nicht immer der Träumer irgendeines "Anderen", selbst wenn der Unterschied zum affirmativ Säuselnden kaum noch spürbar sein sollte, auch die vehementeste Opposition zum Zeitgeist ist da vielleicht letztlich nur ein gradueller Unterschied, wiewohl die Skala derartige Unterschiede bereithält, daß vielen der Größten (Hölderlin, Artaud, Nijinsky etc) der Rückweg aus ihrer Kunst in die "normale Umgebung" nicht mehr gelang.

















Freitag, 8. April 2011

Ja was denn jetzt! (2)
























13 Fragen an Christian Erdmann auf netSkater.net








"Dieser Mann hat seine Hardcore-Fans, ganz ohne jede Frage: 'Sein Buch hat mein Leben verändert', wird schliesslich nicht jedem Schriftsteller nachgesagt ...

Christian Erdmann, Hamburger Jong, Fotograf, Frauenversteher, Katzenfreund und Autor des Buches 'Aljoscha der Idiot' im netSkater-Fragebogen-Outing des Monats Oktober."


















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Donnerstag, 31. März 2011

Small Faces, vom 19. Jahrhundert her











Die klaren Eisnächte. Die Vermutung, Zobelmäntelchen und Hermelinmuff nur aufgrund eines trick of the light oder ähnlichem nicht wahrzunehmen, unnötig zu betonen, wie vertraut und wie bedeutend. Sloterdijk nennt die Gegenwart das Zeitalter des Versicherungswesens. Zurückschwingen des Zeitgeistes in die Präferenz der mittleren Situationen. Dagegen: das Abenteuer der intellektuellen Existenz im 20. Jahrhundert. Da ist was dran, denke ich, obwohl ich selbst manchmal das Gefühl habe, ich versuche immer noch von der ANDEREN Seite ins 20. Jahrhundert zu kommen, also vom 19. Jahrhundert her. Wie ja auch das eigentliche Verbrechen nicht der Diebstahl von Tagen für die Bücherdiebin ist, sondern von der anderen Seite her kommt. Äh, wo war ich? Jetzt mal was ganz anderes. Ich mag die Small Faces mit "Tin Soldier".









British Mod Culture von 4 schmächtigen Lads. Noel Gallagher: "The singer looked like he was miming someone else's voice. Because he had such a strong voice." Als ich ein Junge war, lebte irgendwo in der Nachbarschaft einer, der wie Steve Marriott aussah. Ging so in Samthosen und Stiefeln irgendwelchen tragisch aufregenden Dingen entgegen. Und immer wenn Jörg und ich die Singles aus den Plattenalben seiner Schwester Andrea hörten, wenn Andrea nicht da war, also diese Alben mit so Pferdebildern drauf und Plastikhüllen innen, dann waren die Small Faces mit das erste, was ich wollte. Weil die so Melodien hatten, die tragisch aufregenden Dingen entgegengingen. It's all too beautiful, 16.1.2010.