Dienstag, 14. Juni 2011

The Aljoscha House

 

 

 


 


 









 
 
 
 
 



 


 
 
 
 
 
 
Art Glass Work by Monika Cate
 
2007



















Donnerstag, 26. Mai 2011

Claudio Caniggia und der rechtsfreie Raum







SPIEGEL ONLINE Forum, 2009






harm ritter:
Ich hätte ja eine schöne Idee: Wir erklären alle mal, was abseits ist!







Nein, Cesar Luis Menotti erklärt mal, was rechter und linker Fußball ist.
"Menotti haßt die Rechten und den Fußball, den sie spielen. 'Beim rechten Fußball wird viel von Opfern und Arbeit geredet. Er wirft den Blick nur auf das Resultat, er degradiert die Spieler zu Söldnern des Punktgewinns', sagt er. 'Der linke Fußball feiert die Intelligenz, er schaut auf die Mittel, mit denen das Ziel erreicht wird; er fördert die Fantasie, er möchte ein Fest feiern.'"







ray05:
Jaja, etwas ZU schnell, aber: DAS IS'N ALTER HUT! Lechts und rinks gibt's weder beim Fußball noch in der Kunst - es zählt nur ...







... das Vulgobrötchen, schon klar. Man hat auch früh einen gewissen Skeptizismus gelernt. Wenn ich als linker Läufer auf so einen Gegenspielerknirps zulief, rief unser Trainer immer gern rein: "Weiter! Der kann nix!" Und da kam man dann, den Ball am Fuß klebend, ins Grübeln. Was sind das eigentlich für Zuschreibungen, dachte ich. "Zweifel kommen Ihnen wohl nie, was? Mal Descartes gelesen?" So ähnlich endete meine Fußballerkarriere.







ray05:
Linker Läufer? Ich dachte, Du bist erst hundert ... :)
War auch im linken Mittelfeld und allen Verteiderpositionen - da kam allerdings ständig der Spruch von aussen: PACK IHN ENDLICH! DER ATMET NOCH! Da dachte ich mir: Klar, mach ich ...










Caniggia. Mein Top-Hero. Ich glaube, ich kenne alle Argentinierinnen der Stadt, weil ich von denen immer angesprochen werde, wenn ich mein AFA-Shirt trage. Mein Weg zu Jorge Luis Borges führte über Mario Kempes und Claudio Caniggia.










ray05: 
Nun gut, hier ein Tribute to whom it may concern, er hat ein hellblau-weisses Shirt an. Auf dass die Dinge immer in Fluss bleiben ... :)












Würde ich nicht einen Ray von so erlesenem Geschmack kennen, ich lebte dumm wie Brot.
Halten wir die Albiceleste-Geschichte im Fluß! : Schwalbe ist legitim, weil man ja überlegen war? Das ist ein ähnliches Rechtsempfinden wie das der Dame in dem "Chicago"-Clip, die erklärt: "I fired two warning shots into his head." :)
Strafe muß sein, trotz allem: ich verhänge einstweilige Entführung ins Argentinien der 1930er.










ray05:
Dort liesse es sich im Zweifel auch lebenslänglich aushalten ... erbitte also Haftverlängerung ...
Warnschüsse in den Kopf; das ist es doch: Tango bedeutet nicht bloß bedürftiger rechtsfreier Raum, sondern rechtloser Naturzustand. Wieviele Knochenbrecher haben die Hellblauen nicht schon aufgeboten, um Europäern und Brasilianern die Wahrheit ins Gesicht zu grätschen ... :)








 
Hast ja recht, Brüderchen: auch Barca steigt nur gelegentlich aus den Himmeln der Potentialität und vergeigt dann im nächsten Spiel gegen Kitten Natividad. – Aber, verwechselst Du, was die Wahrheitsgrätsche angeht, nicht die Albiceleste mit den Urus? Wobei die sich ihren Ruf als Knochenbrecher auch zu Zeiten erarbeiteten, als man noch nicht wußte, ob mit "Das Runde muß ins Eckige" Uwe Seelers Kopf gemeint war. Heute würden die Killer von damals doch "Mädchen" geschimpft.
Und da sind wir wieder beim Thema: der faszinierendste rechtsfreie Raum, schon für die Bebilderung dieser Erkenntnis muß man dem Film Noir dankbar sein, ist die Schönheit. Und darum jetzt nicht Carlos Gardel, der in Argentinien immer noch gleich hinter Maradona und Menotti kommt, sondern... uh...
 










Brieli: 
Außerdem würde vielleicht der "Name" Argentinien fehlen. Der argentinische Fußball fehlt aber keinem. 







Und wie ich die vermissen würde. Immer für ein Spektakel gut. 










ray05: 
Die TV-Berichte aus dem argentinischen Mannschaftsquartier würde ich auch vermissen. Herrlich: Rudelweise Boca-Bodyguards. Unfassbar blonde Spielerbräute in Albicelesteshirts, die sich in Fußballerbeine einhaken ... :)







Ich glaube, Du multiplizierst da im Geiste die Szene mit Claudio Caniggia und seiner Freundin im Stadiontunnel. :) 
















Freitag, 20. Mai 2011

Vorweihnacht mit Cured Catherine (1): Psychoanalyse des Milchreis-Es













 
 
 
 
Willkommen bei MySpace, Herr Erdmann.



 
 
 
 
 
 
"Später verließ ich das Kasino mit einhundertsiebzig Gulden in meiner Tasche." (Fjodor Dostojewskij). Wo bitte läuft denn die Muppets-Show?



 
 
 
 
 
 
Well, well, well, mir war, als würde in der entfernteren Nachbarschaft schon mit Pfeffernüssen geworfen... Nun ja, die Herzen Sterne Brezel-Fraktion bekennt: im September sind sie am besten - im Dezember sind sie ausverkauft.
Ich habe den deutschen Fernsehstationen übrigens verboten, die Muppets Show zu wiederholen. Wo kämen wir denn da hin, wenn bestens inszenierte, noch dazu amerikanische Puppenspielerei dem hiesigen Kulturverfall entgegenwirkte. Ich bitte Sie!










Herzen Sterne Tannebäumchen aus Metall hab ich auch, aber in der Küche kann ich einfach nicht die Form wahren, kürzlich habe ich in einem Kochtopf ein Plastiksieb geschmolzen... falsche Herdplatte. Sie wissen ja, Madame, auf welch Weise Schmalhans küchenmeistert – "Was gibt's heut?" – "Angebrannten Kochlöffel." Mit einem Jochlöffel läßt sich auch gut scheffeln und dann das Jochzeug so über die eigene Birne Helene gießen, mh mjam. Die Bestigkeit von Pfeffernüssen im September kam mir auch schon zu Ohren. Dumm, daß ich erst im Oktober eingestiegen bin. Wie ich höre, waren die Himbeeren dieses Jahr wieder ganz besonders frech.
Über Muppets-Shows kein Wort weiter, sonst empöre ich mich. Hoffe, das Wohlbefinden befindet sich irgendwo,
The Aljoscha of Idiots










Also, wenn wir schon aus dem Küchenkästchen plaudern, berichte ich Ihnen gern etwas zur Psychoanalyse des Milchreis (ääh... Milchreises, äähh, hä?). Also Milchreis eben, neben zu bulimischen Attacken neigenden Tomaten ein weiterer neurotischer Klient meiner Küchenpraxis. Beziehungsabbrüche führen hier zu schweren Traumata mit ausgeprägter autoaggressiver Neigung. Füllt man als Therapeut aber die Elternrolle in ausreichendem Maße aus und redet dem Klienten während der Latenzphase gut zu, erreicht man unter Verwendung eines intakten Kochlöffels zumeist eine Abspaltung der regressiven Neurose und stabilisiert die Beziehung. Aber das muss man auch erst mal wissen. Übrigens plädiere ich für das Verbot von nächtlichem "Jakob"-Rufen am Klosterstern. Man kann nicht alles durchgehen lassen. Bitte unterschreiben Sie die Petition, Monsieur! 










Erkenntnisse von bemerkenswerter Tragweite, Madame. Bei der Milchreisdiagnostik scheint mir die Konversionshysterie der Milch das dringlichste Problem, die lange Zeit Symptome des Verhaltens aufweist, das Charcot "la belle indifférence des hystériques" nannte, bis unterdrückte Affekte sich in völliger Ichveränderung äußern, während welcher ich indes zumeist schon aus Langeweile in den Nebenraum gewandert bin. Versuchsreihen ergaben zwar, daß sich Erinnerungsspuren mit einem Glitzischwamm tilgen lassen, aber nur jenseits des Lustprinzips. Bitte schlagen Sie doch mal nach, wie Landauer zur Libidobeziehung mit dem Gebrannte-Mandeln-Sahne-Joghurt von Zott steht. Lustschreie hinter Klostermauern sind Diderot zufolge gar nicht mal so unüblich, Madame, und bevor ich die Petition unterzeichne, muß ich herausfinden, ob ich Royalist oder Jakobiner bin.










Sag ich ja, sag ich ja. Ich ging sogar soweit, die erwähnte Langeweile mit einer erfrischenden Dusche totzuschlagen. Selbiges widerfuhr hernach dem Kochtopf.
Ich schlage gern für Sie nach, auch bei Landauer, jedoch erscheint mir zur Deutung einer Libidobeziehung zu an sich frigidem Joghurt, der zu Sublimierungszwecken mit Zuckerwarenbeimischung daherkommt, die erweiterte Gegenübertragung nach Ferenczi nicht unerheblich. Sollte es sich in diesem Fall um Sie selbst handeln, verweise ich auf Ihre offensichtlich ohnehin leidenschaftlichen Affekte bezüglich der alljährlichen Objektbeziehungsangebote zu Jesus Wiegenfest und weiterhin auf Jacques Lacan, der Folgendes postulierte: "Dem Begehren gegenüber steht das Genießen. Während das Begehren sein Objekt metonymisch wechselt und von der Entsagung des Begehrten lebt, gleicht das Genießen, die unmittelbare, 'idiotische' sexuelle Befriedigung, eher einem zähen Schleim [oder eben Joghurt (Anm. der Autorin)]. Das Genießen ist zugleich eine bestimmte Weise des Subjekts, seine Triebökonomie und damit sein Dasein zu organisieren." Sehen Sie? Alles in Butter... oder im Joghurt.

Hinter Klostermauern, Monsieur? Au contraire, sie standen VOR den Mauern! Ich muss Ihnen näher erläutern, welch wahrhaft empörende Szene sich unlängst zutrug: junge Damen, es könnten Studentinnen der Kunstgeschichte... aber wir wollen sachlich bleiben, junge Damen also versammelten sich zu später Stunde nah des heiligen St Benedikt und verursachten mit ihren plötzlichen "Jakob"-Rufen - und zwar just in dem Moment, als ich die Jungfern mit meinem treuen Fahrrad passierte – ein solches Getöse, dass ich zum einen entsetzlich erschrak und zum anderen fast einen Hörsturz davontrug. Was für ein Benehmen!? Meine Unmutsphantasien auf dem verbleibenden Nachhauseweg gingen hin zu feuerroten Verbotsschildern, die freundliche Stadtverwalter am Ort des Geschehens aufstellten und auf denen ein Querbalken durch eben den berufenen Jakob mit einer "Rufen in Hörweite untersagt"-Unterschrift prangte, womit ein solches Gebaren also zukünftig verboten wäre. Sollen sie doch rufen, aber nicht in meinem Beisein!










Ah, oho. Ich hingegen rettete erst kürzlich zwei Töpfe auf einmal vor ewiger Verdammnis, den einen mit einer langwierigen Prozedur des Restplastikschmelzens; der andere konterte boshaft meinen Stolz darauf, endlich beim Kartoffelschälen mehr zu produzieren als alberne Stempel, mit einer geradezu baudrillardsch zu nennenden Beschleunigung des Kochvorgangs, eventuell war mir auch nur meine Bergson'sche durée stehengeblieben, wie dem auch sei, es galt einen verkohlten Bodenbelag zu eliminieren.

In der Tat handelte es sich bei mir meistens um mich selbst, bis mir Lacan das idiotische Genießen weggeschlürft hat. Denn schließlich, wer sind ich? Kann das moi mit dem je einen Joghurt teilen? Hatte der Spiegelstadiumsspiegel einen Sprung oder ich?

Seltsame Dinge gehen vor. Schon hier und jetzt kann ich aber sagen, daß es sich meiner Einschätzung nach nicht um Kunstgeschichtsstudentinnen handelte. Die mir bekannten sind jedenfalls nie durch öffentlich-kollektives Jakobsgeschrei aufgefallen. Vielleicht die Nonnen von Loudon? Sie riefen einfach nur "Jakob"? Nicht "Bruder Jakob, schlürfst du noch?" oder irgendwas Identifizierbares? Ein einfaches nächtliches "Jakob"? Fragend oder fordernd? Man könnte anfangen, über diesen Jakob ins Grübeln zu kommen. Was führt der eigentlich für ein Lotterleben? Sagenhaft.










Und doch wage ich zu behaupten, dass wir im Grunde nicht ahnen, wozu perlenohrringtragende, hochwohlgeborene Damen im Schutz der Dunkelheit fähig sind.
 
Da Sie die Pinguinsprache beherrschen, sprechen Sie unter Verwendung dieser doch einmal mit der durée und bitten Sie sie in meinem Namen um etwas mehr Contenance. Und überhaupt, die Launenhaftigkeit, mit der die Zeit zu verrinnen scheint, geht mir auf den Wecker.
 
Unfassbar, dass in Madonnas Nachbarschaft Fahrräder entwendet werden. Das erhöhte Aufkommen von überdimensionalen Four Wheel Drive Jeeps in den schmalen Gassen meiner Kommune, vornehmlich übrigens von Müttern mit Kleinkindern gesteuert, lässt mich phantasieren, dass eines Tages Power Ranger kommen, um die Monsterfahrzeuge zu verschieben und das Lumpenproletariat zu rächen.










Und ob wir das ahnen. Im Traum versteht man 0 = 2. Warum eigentlich? Wenn Ihnen die Launenhaftigkeit der Zeit nun ausgerechnet auf den Wecker geht, ich brauche in der Früh übrigens dero zwei, wobei ich nie verstand, was Menschen im Frühtau zu Berge ziehn ließ, man ist noch nicht mal oben, schon ist man klamm, wobei ich aus Prinzip eher auf lumpenproletarische Weise klamm bin, und wenn dieses sich schon nicht mehr selbst rächt, und zwar mit Hyperpower, finden Sie übrigens "Year Zero" auch so großartig? Jetzt sagen Sie bitte nicht, zwei Wecker seien ein Zeichen von Dekadenz, noch dürfen Sie mich nicht Balzac nennen, dessen Fluchtwege aber überaus gewinnbringend zu studieren sind, Sie wissen schon.

















Freitag, 13. Mai 2011

Wie ich Jim Morrison entdeckte






Der See, über den bei Nacht der große Nordbär kommt, durchschwommen an einem glitzernden Morgen. Ein Füchslein pirscht um unser Zelt. Wolfsmond, dann nur noch Meilen und Meilen geradeaus, Sandstraßen auf dem Weg zur Mitternachtssonne.

Pjotr saß hinten, ich auf dem Beifahrersitz, Yuri am Steuer. Etwas Unheimliches lag plötzlich über diesem Tag. Keine Menschenseele mehr da draußen, seit Stunden kein Auto mehr hinter uns, niemand kam uns entgegen, nur noch dieser orangefarbene Käfer irgendwo in einer grünen Waldhölle in Mittelschweden. Der Himmel bewölkte sich, später Nachmittag. Irgend etwas schien an den Nerven zu zerren. Yuri hatte uns schon mit einem kleinen Schlenker aus der Trance gerissen, und wir blickten mit gespannter Konzentration umher. Irgendwas Beunruhigendes war in Yuris Augen gekrochen. Seltsam starrer Blick. Eine Doors-Cassette lief. Ich hörte die Doors zum ersten Mal. Yuri schien nicht zu spüren, daß er zu schnell fuhr, oder er spürte es, konnte aber nicht mehr dagegen ankämpfen, weil der endlose Weg tatsächlich in die Ewigkeit führte und Geschwindigkeit, Zeit und Raum eine Illusion waren. Jedenfalls in seinem Kopf. Wahrscheinlich wurde es einfach zu unwirklich, ein Gaspedal runterzutreten. Die Angespanntheit, das Erwarten von irgendwas, das nicht kam, schien ihn zu lähmen, und sicher fühlte er, daß sich unter der scheinbaren Beiläufigkeit von "He, fahr mal nicht ganz so schnell" ein ungutes Gefühl verbarg, das alles nur noch schlimmer machte - es war, als gerieten wir in einen unheilvollen Sog. Dieser Song hatte begonnen, der mir ganz besonders großartig schien, und ich sagte: "Das ist ja besonders großartig." Und Yuri sagte: "Das ist ja auch The End."

Und dann kam diese Linkskurve, der Sekundenbruchteil, in dem man es weiß, es im Magen spürt, daß wir zu schnell sind, daß wir es nicht schaffen. Yuri brachte das Auto schliddernd aus der Kurve, und vielleicht wäre alles gutgegangen, wenn der Weg geradeaus weiterverlaufen wäre, aber der Wagen beginnt sich querzustellen, rutscht auf dem Sand, und Yuri muß das Steuer rumreißen, um uns in die Rechtskurve zu kriegen, die plötzlich auch noch da ist, was er auch schafft, aber die Geschwindigkeit ist zu hoch, der Wagen ist außer Kontrolle jetzt und wir krachen in die Büsche, ich weiß, daß ich sehr ruhig dachte, jetzt könnte es eigentlich mal aufhören, es sah so aus, als würden wir uns überschlagen oder um einen Baum wickeln, aber Yuri hielt Zwiesprache mit seinem persönlichen Gott, zwei Sekunden lang, zwei Sekunden, in denen er nicht viel mehr tun konnte als das, dann hatte er sich mit seinem Gott auf irgendwas geeinigt und den Käfer wieder soweit unter Kontrolle, daß er ihn messerscharf an einer Baumreihe vorbei dirigieren konnte. Wir pflügten Büsche um, kleine Bäume, schrammten über Steine und Geröll, bis der Wagen an Geschwindigkeit verlor, das Rumpeln wurde sanfter, Yuri brachte uns auf den Weg zurück, all das dauerte nur ein paar Sekunden, aber der innere Film machte eine Ewigkeit daraus, der Käfer rollt aus, eine Ölspur hinterlassend, seine Blutspur, Stillstand, Käfer tot. Nur die Doors-Cassette lief noch immer. Noch immer lief, and it's the fucking truth, "The End".











Ein Jahr später saßen Pjotr und ich in einem Kino in Marseille.





















Samstag, 7. Mai 2011

I'm Eighteen







Ente hieß eigentlich Stefan, aber alle nannten ihn Ente. Nur seine Schwester nicht. Als ich einmal bei Ente anrief, war seine Schwester am Telefon, ich sagte, "Kann ich mal Ente sprechen?", sie sagte, "Wir sind doch keine Geflügelfarm!" und legte auf. Ente und ich wollten eine Band gründen, und er hatte die skurrilsten Pläne, wie wir uns das Geld für Instrumente beschaffen konnten. Von Iris lernte ich Ziggy Stardust, von Ente lernte ich Cockney Rebel. Es fehlte nur noch am läppischen Geld, unsere Bühnenshow hatte er bereits bis ins Detail durchkalkuliert. Ein vollkommener Spinner. Aber liebenswert. Mit Ente ging immer irgendwas schief. Einmal kauften wir ein halbes Reagenzglas Haschischöl, um in der Schule beim blühenden Handel ein Wörtchen mitzureden, aber niemand war an Haschischöl interessiert. Das Zeug landete im Gulli. Mit Ente funktionierte nichts. Wenn man mit Ente nach Scheeßel fuhr, brannte die Bühne ab.

Long Tall Ernie & The Shakers, dann Van der Graaf Generator. Peter Hammill, ganz in Schwarz, mit weißem Schal. Ich mochte seine Bewegungen, aber die Musik sagte mir noch nicht viel. Fünf Jahre später würde "Nadir's Big Chance" bei mir einschlagen wie ein Meteorit. Jetzt war Hammill mit seiner Band tatsächlich ins katastrophale Scheeßel gekommen, aufrichtig wie immer, eine von fünf (5) Bands, die den kümmerlichen Rest der angekündigten 22 darstellten.

Davon ahnte freilich noch niemand etwas, obgleich sich das Festival merkwürdig schleppend dahinzog, mit endlos langen Umbaupausen. Ente und ich ernährten uns von undefinierbaren süßen Klößen, in denen wir natürlich Dope vermuteten. Colosseum II in der Abenddämmerung, dann noch Camel und gegen Mitternacht Golden Earring, das war's.

Gerüchte machten die Runde: Klaus Schulze schlage Krach, weil es für seinen Auftritt zu spät geworden sei; Klaus Schulze schlage Krach, weil er nicht auftreten will, ohne vorher seine Gage erhalten zu haben; alle schlagen Krach, weil überhaupt keine Gagen gezahlt werden; der Veranstalter ist mit dem Geld über alle Berge. Schließlich sickerte durch, daß für heute Schluß sei, und wir legten uns aufs Ohr.

Infernalischer Krach weckte uns. Flaschen zerschlugen an der Stahlkonstruktion der Bühne, an den Boxentürmen, erst ein paar, dann tausende. Einer der bizarrsten Klänge, die ich je hörte. Gespenstisch. Wir konnten es nicht glauben. Eine entfesselte Menschenmenge, auf merkwürdige Art alleingelassen vor diesem schweigenden Stahlmonster. Das Mischpult wurde gestürmt, die Boxentürme kippten. "Hier findet kein Festival mehr statt, Mann", wir rafften unsere Schlafsäcke zusammen, kämpften uns durch bis zu dem Wald, in dem wir unsere Fahrräder versteckt hatten, fluchten und suchten wie die Deppen in der Dunkelheit, war ja nicht vorgesehen, daß wir die Räder mitten in der Nacht brauchen würden, und als wir endlich wieder aus dem verdammten Wald herauskamen, brannte die Bühne lichterloh.

Als ich den Lichtschein sah, hatte ich den seltsamen Gedanken, daß es langsam Zeit wäre, sich aufs Abi zu konzentrieren. Das stellte sich dann auch als Himmelfahrtskommando heraus, was aber ausnahmsweise nichts mit Ente zu tun hatte, jedoch viel mit









Kerstin.