"Tanz der toten Seelen", Originaltitel "Carnival of Souls", 1962. Candace Hilligoss spielt eine junge blonde Organistin, die sich nach einem Autowettrennen, bei dem ihr Wagen von einer Brücke in den Fluß fällt, schlammverschmiert aus dem Wrack ans Ufer schleppt. Von da an wird sie zu einer Figur, der man alle vorhandene Empathie schenkt, während sie durch eine beklemmende Welt wandelt, an der das Unheimlichste ihr Hyperrealismus ist. Regisseur Herk Harvey war mal Industriefilmer, und was diesen Horrorfilm auf spezifische Weise schauderhaft macht, ist die verstörende Art der – abgesehen von Hilligoss – Laiendarsteller, mit deren Normalität irgendwas nicht stimmt.
valasthor:
"Tanz der toten Seelen": Eine fantastische Candice Hilligoss (...)
Da ist ein seltsamer, faszinierender Kontrast an ihr, finde ich, die großen Augen mit dem zugleich aufgeschreckten und neugierigen Blick, und trotzdem wirkt sie an sich schon, also unabhängig von dem, was die Geschichte dann offenbart, seltsam distanziert. Damit ist sie die ideale Besetzung, für die Vorstellung, daß sie eventuell auch nur eine wunderschöne Frau sein könnte, die zuviel Schäbigkeit erlebt hat, als daß sie mit der Welt noch viel zu tun haben will. Wiederum trotzdem, oder gerade deshalb, wirkt sie jederzeit so schrecklich einnehmend in ihrer Verletzlichkeit und Verwirrung. Angeblich hat Herk Harvey es irgendwie vermocht, sie im Unklaren zu lassen darüber, wie Mary Henrys Weg durch diesen Film zu verstehen ist - oder der Weg der vierten Dimension durch ihr Bewußtsein in einem einzigen Moment -, weil er den Effekt, den Verwunderung und Desorientiertheit auf diesem Antlitz hatten, noch steigern wollte. - Wiederum andererseits hat sie zuweilen eine toughness, die bei der von uns imaginierten Geschichte dieser Frau einen glaubwürdigen Kontext hat. So klar die Geschichte also eigentlich ist, so plausibel könnte es uns auch erscheinen, daß sie langsam in eine Psychose driftet. Also kurzum, sie durch diesen Film wandeln zu lassen, war ein Geniestreich, ihre Ausstrahlung ist unwiderstehlich.
So viele unvergeßlichliche Details an diesem Film - plus der gruseligste Orgel-Score, den man diesem Instrument nie zugetraut hätte.
Es gibt übrigens einen Film von Claude Chabrol mit Sylvia Kristel, "Alice", der 1976 dieselbe Geschichte erzählt wie "Carnival of Souls", nur eben ganz anders, die Protagonistin eben mehr wie Emmanuelle im Wunderland wirken läßt, leider kaum bekannt.
21.01.2011
Christian Erdmann:
Carnival of Souls may be the ultimate horror film to watch late at night on TV. More than just scary, it's arrestingly odd, with a bats-in-the-belfry 3-a.m. loneliness that you plug into like a private dream. The film's stilted expressionistic no-budget atmosphere is one of a kind ...
Candace Hilligoss, who plays Mary, was a Strasberg-trained actress, and her mixture of slightly hysterical intensity and dinner-theater amateurishness keeps you solidly off-kilter: We're not sure if we're watching good acting, bad acting, or no acting at all. ... Fifty years later, Carnival of Souls still has the power to tantalize and disturb.
Entertainment Weekly, 94/2011
"Carnival of Souls" ist, so absurd das angesichts eines No-Budget-Movies klingt, ein perfekter Film. Er erreicht größtmögliche Effekte mit den einfachsten Mitteln, ohne dass diese je nur Mittel zu diesen Effekten wären. (...) Kein Bild zielt nur auf den Schrecken, den es hat. Der Schock verliert sich in der Unerbittlichkeit, die in den Bildern steckt von Anfang an. Es wird keinen Ausweg gegeben haben: das sagt, beinahe, schon die erste Einstellung. Es wird keinen Ausweg gegeben haben: das sagt, buchstäblich, jede Einstellung. Der Schrecken der Geschichte, die dieser Film erzählt: sie ist immer schon vorüber. Ein dem Tode bereits verfallenes Leben, oder: das Leben als vom Tod schon gezeichnetes. Insofern: ein existenzialistischer Film. Die Orgel spielt dazu.
"Carnival of Souls" besteht zur Hälfte, mindestens, aus seiner Tonspur. Orgelmusik, Stille, Modulation der Orgelmusik vom Sakralen ins Weltliche, das das Todesverfallene ist. Lebensmusik, Todesmusik. Schritte, nichts als Schritte. Ich kenne kein schöneres, kein traurigeres Bild der Einsamkeit, der totalen Verlassenheit mitten im Leben (natürlich: im vermeintlichen Leben). Und die Rückkehr, zweimal, wenn die Heldin sich, verzweifelt, an den Baum klammert, Vogelstimmen, die Sonne. Ich kenne keinen anderen Film, der von jenseits des Grabes gefilmt ist, dessen Perspektive keine andere ist als die einer Toten. Ein jenseitiger Film, der aus dieser Perspektive, dieser Entleerung, die noch in den schönsten Einstellungskompositionen steckt, sogar einen merkwürdigen Trost bezieht. Denn nicht zuletzt erzählt "Carnival of Souls", denkbar fern vom Christentum, auch die Geschichte einer Heimkehr. Der Untote, der nach der Untoten ruft, ist unheimlich vielleicht nicht als Wiederkehr des Vertrauten, sondern als Memento, insistent, aber beinahe sanft, das sich als das Vertrauteste präsentiert. Er ruft zum Tanz und erst, als die Heldin ihm gefolgt ist, setzt der Fluss der Zeit wieder ein, wechselt die Perspektive zurück auf die Seite der Lebenden. Der Film kehrt zurück zu seinem Ausgangspunkt, zum Fluss des Todes, über den eine Brücke führt. Wir sind zurück in unserem Raum, in unserer Zeit.
Ekkehard Knörer, filmzentrale.com