"... und stehe jetzt auf dem Sprunge nach Norderney.
Daß man sich in seinem vermögenslosen Zustand und bei dem Jammerertrage seiner
Feder einen solchen Luxus immer noch gönnen kann, ist eigentlich ein Mirakel.
Und das führt mich zu dem Ausdruck meines lebhaftesten Bedauerns über den
abermaligen Mißerfolg meiner Anstrengungen, den ich nun, durch Ihre
Zahlenangaben, schwarz auf weiß habe. Wer von uns beiden der beklagenswertere
dabei ist, ist schwer zu sagen, ich möchte aber leider beinah sagen dürfen, ich. Sie sind jung, und was Ihnen A.
heute nicht leistet, leistet Ihnen B. morgen; aber am Ende eines Lebens auf
eine 40jährige vergebliche Zappelei zurückzublicken ist ein schlechtes
Vergnügen. Tausendmal hab ich mir gelobt, gleichgültig dagegen zu sein (au fond
ist es gleichgültig), aber wenn einen
dann die Zahl 510 anstarrt, 510 auf 60 Millionen Deutsche, die über die Welt
hin wohnen, so kriegt man ein Zittern, und das Herz sinkt einem, um nicht einen
drastischeren Ausdruck zu wählen."
[Fontanes Erzählung "Schach von Wuthenow" erschien als Erstausgabe
in Buchform bei Wilhelm Friedrich, Leipzig, im November 1882.]
[Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde, Berlin, Juni 2013, Photo CE]
Ich
habe für eine Handvoll Euro einen Plattenspieler und dazu nun auch endlich die
Charlotte Sometimes Maxi für noch eine Handvoll ersteigert. Es knistert und
klingt nun ganz besonders curig in meinen vier Wänden – herrlich!
Zusammensammlung aller fehlenden Platten wird folgen müssen. Auch schön: die
guten alten Cover.
"Ungeduld des Herzens"? Hmhm, und wie hieß noch mal
dieses Südstaaten-Nordstaaten-Epos mit Patrick Swayze, so ein Mehrteiler, den
man sich immer wieder ansehen kann? Ihr Good–Old-Europe–Monopoly ist ja
eine grandiose Idee!! Sollten Sie sich patentieren lassen. Obwohl - auf sowas
kommt ja sonst niemand.
Ich lese grad das neue Werk von Zafón, "Das Spiel
des Engels". Dachte schon, es sei nur ein schnell zusammengehauener
Nachfolgeabklatsch von "Schatten des Windes", Verdacht bestätigt sich
bisher nicht.
>Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?< >Auch
zwei. Und eine Bibel. Eine handliche, wenn möglich.< >Das dürfte kein
Problem sein. Dalmau?< Ein Angestellter eilte herbei. >Dalmau, der liebe
Martín benötigt eine Bibelausgabe nicht dekorativer, sondern lesbarer Natur.
Ich denke an Torres Amat, 1825. Was meinen Sie?< Eine der Besonderheiten von
Barcelós Buchhandlung war, dass hier von den Büchern wie von edlen Weinen
gesprochen wurde – samt Bouquet, Aroma, Konsistenz und Jahrgang.
>Vortreffliche Wahl, Senor Barceló, obwohl ich eher zur aktualisierten,
duchgesehenen Ausgabe neige.< >1860?< >1893.< >Natürlich.
Stattgegeben. Packen Sie sie dem lieben Martín ein, geht auf Kosten des
Hauses.<
Sehen wir mal, was heute in Ihrem Adventskalender ist: ah
ja, Weihnachten ist ja auch die Zeit der charmanten Charmeure der 50er.
Wackeln im Sturm! Lief mal vor dem Karton mit den wie Flüchtlingen sich
zusammendrängenden Dingen, die keine Heimat mehr hatten. Lesley-Anne Down und
"The Joshua Tree" gehören für mich auch untrennbar zusammen, die John Locke'schen Ideenverbindungen halt.
Plattenspieler, schick! Ich hab meinen auch
noch, allerdings nur noch drei Singles aus den 60ern, zwei von Francoise Hardy
und eine von Michel Polnareff, die wir mal bei einem Pariser Bouquinisten erwarben,
der genauso aussah wie der jüngere Bruder von Michel Polnareff zu "La
Poupee qui fait non"-Zeiten. Die Cover allein sind göttlich. Die erste LP,
die ich erwarb, war übrigens "Sticky Fingers", die stellte ich immer
auf die Tastatur eines 100-Mark-Klaviers. Das hatte hübsche Beine und ich hab
mir später ein Regal aus denen gebastelt.
Bin schon puddingweich
gekocht, ersinne Strategien für Weihnachtsbaumanschaffungsüberredung, will
James Stewart mit Donna Reed und fürchtete vorhin schon, hierfür mit Pfeffernüssen
vom letzten Jahr beworfen zu werden, aber wie kann man dem widerstehen? Raveonettes, Christmas Song.
Hah, Wackeln im Sturm, ja! Kirstie Alley als zickige
Virgilia und diese puppige Blonde als Liebchengegenspielerin – zu schön. Und
Madeline im Rotsamtenen an der Kirchenruine auf Orry wartend. Die Dinge, die
sich "zusammendrängen wie Flüchtlinge", ein weiteres eindrucksvolles
Bild aus Ihrem Hauptwerk. Ebenso wie die Worte: "Ich werde nicht mehr
schön sein..." zusammengefasst ja auch in dem B-Seiten Stück von den
Sisters "I don't exist when you don't see me, I don't exist when you're
not here".
Sie bauten das Sticky Fingers-Klavier zum Regal um? Sehr
schön. Ich verwarf die Idee, Klavier spielen zu wollen, während ich unter dem
Wohnzimmertisch auf dem Teppich liegend meinem virtuos in die Tasten hauenden
Bruder lauschte. Da hatte ich keine Chance. Nicht, dass ich es nicht versucht
hätte, aber die Punkte und Striche auf den Zeilen blieben mir ein Rätsel und
langweilten mich nur, während die Buchstaben in den Büchern aufgeregt riefen
und winkten, bis ich mich ihnen wieder zuwandte. Heute morgen klaute ich mir
drei Stunden und las Zafón aus. Urteil kommt noch. Auf die 50er kommen wir noch
zurück, für heute - Advent, Tag 2: ein großartiger Song, - makes me dance -
und ein gutes Video mit einer STORY, nämlich einem MÄDCHEN in einem KLEID und
ihren rotzcharmanten RETTERN.
Mädchen-Kleid-rotzcharmante
Retter ist eine klasse Geschichte. Zum Regal, ja. Meine Mutter fand, es nehme
nur Platz weg, nahm eine Axt und zerlegte es für den Sperrmüll. Unfaßbar,
aber sie war immer eine unerschrockene Frau. Die Beine
rettete ich, jetzt steht mein Selbstbau im bordellroten Korridor. Apropos Architektur, ich sagte ja schon, daß ich auf Ihr Urteil
Häuser baue, muß mir dann nur noch einen Platz zum Zafón-Lesen suchen. "Assez,
Christian!" (Thomas Mann, Buddenbrooks). Türchen:
Süß ist die Frau Goldfrapp! She Wants Revenge sind ganz groß, ebenso wie die Editors. Bordellrot? Grins. Unsere Puppenstube erstrahlt in weiß, nur die
Küche ist bordeauxrot getüncht. Zafón. Hm. Ich hatte erwartet, befürchtet, dass
es ähnlich ist, und auch erhofft. Am Ende weiß man, es muß so sein. Gegen Ende
wird es mir eine Spur zu brutal, aber das ist in Ordnung. Hab erst gedacht, die
wunderbare Person fehlt, Sie wissen, wen ich meine, der Freund, der an der
Seite bleibt bis zum bitteren Ende. Fehlt aber gar nicht, ist nur ganz anders
und ganz wunderbar. Also, lesen! Egal wo, man vergisst eh Zeit und Raum und
zieht solange nach Barcelona, in ein altes Haus mit einem Turm.
Na toll, schieben Sie mich
nur in eine Muppets-Nacht. Tigellinus, meine Tränenvase! Zafón. Hm. Hm.
Bücherdiebstahl wird doch von den Göttern verziehen, oder? So, Sie wollten es
nicht anders!
Uaah, jetzt hab ich Monsterfutterklaubie – Q-CHEN!! :)
Ich bin da ja ganz altmodisch und leihe mir die Bücher
wieder aus. Am Hühnerposten gibt es so einen Bestsellertisch mit den
wichtigsten neuen Sachen gegen geringe Gebühr. Prima Einrichtung. Zwischen
manchen Regalen fühl ich mich zuweilen wie auf dem Friedhof der vergessenen
Bücher. Frau Paglia hab ich da auch ausgegraben. Da fällt mir ein, dass meine
Saturntochter mir kürzlich einen Vortrag darüber hielt, dass sie "Miete
zahlen" für absurd hält, schließlich müsse man ja irgendwo wohnen und es
sei keinesfalls haltbar, dafür Geld zu verlangen.
Saturnmädchen sind verkappte Altruisten. Sie
haben ständig Pläne zur Weltverbesserung, die schlagend einleuchtend und
radikal sind, müssen zur Umsetzung aber immer erst aus dem Blei raus. Auf dem
Friedhof der vergessenen Bücher weilt doch bestimmt auch "Malpertuis" von
Jean Ray? Es gab da mal eine phantastische Verfilmung mit Mathieu Carrière und
Orson Welles, aber der Roman ist noch ein anderes Kaliber. Könnte Ihnen
gefallen.
Moi, ich fand es nicht fair, daß der Protagonist auch noch Christian
hieß, ich liebe diesen Song mit David Bowie aus "Moulin Rouge", "Nature Boy", aber eben auch
besonders in dieser Version mit Massive Attack, der Song ist eigentlich schon
vorbei, und dann klingt es so, als würden sich die Maschinen nochmal von selbst
anwerfen. Ich liebe das.
Die erste
LP, die ich in meinem süßen jungen Leben von meinem eigenen Geld kaufte.
Ich war
gerade 12 geworden. Unter den ersten 20 Stücken, die ich mit meinem neuen
kleinen Grundig C 410 Automatic aus dem Radio aufgefangen hatte, war "Street
Fighting Man".Das Stück
hypnotisierte mich. Der Song war so anders als die anderen, so mächtig, daß mir
das Herz hämmerte in einem Leib, der Dinge tun wollte, die er noch nie getan
hatte. Die letzten 45 Sekunden von "Street Fighting Man" beendeten
meine Kindheit.
Heute weiß ich, daß Keith Richards den unfaßbaren Klang von "Street
Fighting Man" dadurch erreichte, daß er sich mit seiner Akustikgitarre vor
einen kleinen Philips-Kassettenrekorder setzte und die Aufnahme absichtlich
übersteuerte. Daß die donnernden, massiven Drums und die seltsam schleifende cymbal von Charlie Watts vor demselben
Rekorder auf einem 1930s toy drum kit
gespielt wurden, das er buchstäblich aus einem Koffer zauberte. Daß Richards
auch diese insistierende, ab- und wieder aufsteigende Bass-Linie spielt, die
dir das Versprechen abnimmt, die Spannung auszuhalten bis ans Ende
deines Lebens. Daß dieser fremdartige drone
von Brian Jones auf Sitar und Tamboura gespielt wird. Daß Jagger die Strophen
im Signalcharakter der Quarte singt, dem Intervall von Polizeisirenen. Daß der
Aufruhr, den dieser Song in mir verursachte, nie mehr rückgängig zu machen war.
Aber es
waren diese letzten 45 Sekunden, wenn dieser strange wailing sound einsetzt [Dave Mason auf einem Instrument
namens shehnai] und Nicky Hopkins über das ganze Gewirbel diese perlenden Pianoklänge legt - dieses Piano auf diesem Gewirbel, es war der
schönste Klang, den ich bis dahin in meinem Leben gehört hatte. Alles, was aus
mir geworden ist, put the blame on those
45 seconds.
Und dann,
Montags auf dem Schulhof, "Hast du das gesehen? Hast du das gesehen?"
Ich stellte die Platte, vielmehr diese Reliquie, auf die fortan also im
Wesentlichen zugeklappte Tastatur des 100-Mark-Klaviers, mit dem mein Chopin-begeisterter
Vater einen Horowitz aus mir machen wollte.
"Sticky Fingers" war das Portal, der Durchgang
zur anderen Welt, der Durchgangsritus selbst. Die 10 Songs sind immer noch
nicht einfach Songs. Jeder einzelne war ein Universum, ein Versprechen, ein
Pakt mit der Zukunft, in die Hirnrinde gebrannt. Ich kann jeden Song von Anfang
bis Ende träumen. In das Bild mit dem
gähnenden Jagger und Richards als Hosen-role model # 1 muß ich irgendwann ein
Loch gestarrt haben.
Rebellion
und Ausschweifung, Dekadenz und Grusel. "Sticky Fingers" war
faszinierend unheimlich, vor allem "Sister Morphine", die
Slidegitarre, die einem immer noch kalte Schauer über den Rücken jagt. "Why
does the doctor have no face?" Der Rhythmus von "Bitch" schien
mir unfaßbar böse, die "hey hey yeah"s am Ende wie Triumphgeheul bei
einer Auspeitschparty, und die Zeile "It must be love, it's a bitch"
offenbarte sich später als Kōan. -> Jörg Lorenzen besorgte sich "Sticky Fingers" ebenfalls, und als
ich ihn auf dem Schulhof fragte, welchen Song er am besten findet, sagte er:
"Wild Horses". Das überraschte mich damals, now I get it. Das
arrogant polternde "Brown Sugar", die zerlumpte Majestät von "Sway",
dieses dramatische Gitarrensolo von Mick Taylor, die 7-Minuten-Magie von
"Can't You Hear Me Knocking", der New Orleans-Begräbnismarsch-Sound
von "You Gotta Move", die Tore zu elegantly
wasted, die "Dead Flowers" für mich öffnete, die Geheimschrift
von "Sticky Fingers", die ich entzifferte, handelte von the grace of going astray. Der Song
aber, der in mir alle Lichter entzündete, war "Moonlight Mile".
When
the wind blows and the rain feels cold
With a head full of snow
With a head full of snow
In the window there's a face you know Don't the nights pass slow
Don't the nights pass slow The
sound of strangers sending nothing to my mind
Just another mad mad day on the road
I am just living to be lying by your side
But I'm just about a moonlight mile on down the road Made
a rag pile of my shiny clothes Gonna warm my bones
Gonna warm my bones
I got silence on my radio
Let the air waves flow
Let the air waves flow Oh
I am sleeping under strange strange skies
Just another mad mad day on the road
My dreams is fading down the railway line
I'm just about a moonlight mile down the road I'm
hiding sister and I'm dreaming
I'm riding down your moonlight mile
I'm hiding baby and I'm dreaming
I'm riding down your moonlight mile
Jon Landau im Rolling Stone nannte "Moonlight Mile"
... a masterpiece. The
semi-oriental touch seems to heighten the song's intense expression of desire,
which is the purest and most engaging emotion present on the record. The sense
of personal commitment and emotional spontaneity immediately liberate Jagger's
(double-tracked) singing [...] There is something soulful here, something deeply
felt [...] Paul Buckmaster [...] does the best job with strings I can remember in a
long, long time, while Charlie Watts only goes through the motions of loosening
up his style, as he comes down hard on the nearly magical line, "Just
about a moonlight mile."
When Jagger finally says
"Here we go, now" as Mick Taylor's guitar (Richard is inexplicably
absent) falls perfectly into place with a hypnotic chord pattern, it's as if he
is taking our hand and is literally going to walk us down his dream road. As
the strings push the intensity level constantly upwards and Charlie emphasizes
the development with fabulous cymbal crashes, the energy becomes unmistakably
erotic — erotic as opposed to merely sexual [...] The expression of need that
dominates so much of the record is transformed from a hostile statement into a
plea and a statement of warmth and receptiveness.
This cut really does sway and
when Jagger's voice re-enters, it is [...] with the kind of abandon that he seems
uniquely capable of. And unique is the best word to describe the cut as a whole
[...].
Dieses halb fernöstliche, halb orientalische Arrangement
brachte etwas so fremdartig Schönes und Mysteriöses in die Musik, und vermutlich
habe ich sie nie wieder verlassen, diese dream
road und die Stimmung dieses Songs. Lyrics, von denen
ein Kritiker schrieb: re-created all the
paradoxical distances inherent in erotic love with a power worthy of Yeats.
Die Anspielung auf snow,
Kokain, ist nicht das weiße Geheimnis von "Moonlight Mile".