LES
YEUX SANS VISAGE / EYES WITHOUT A FACE (Frankreich 1960, Georges Franju)
beginnt mit einer nächtlichen Autofahrt auf einsamer Landstraße. Am Steuer
eines 2CV sitzt Louise (Alida Valli), mit schwarzbehandschuhter Hand den
Rückspiegel verstellend und kontrollierend, was auf der Rückbank sitzt: eine in
sich zusammengesunkene Gestalt, das Gesicht unter einem großen Hut verborgen.
Auf dem Soundtrack ist ein derangierter Walzer zu hören. Louise hält an und
schleppt die Gestalt aus dem Wagen. Es ist eine junge Frau, deren Körper nur
mit einem Trenchcoat bedeckt ist. Louise wirft ein totes Mädchen in die Seine.
Während der Autofahrt haben wir Louise kurz aus der Perspektive der Gestalt auf
dem Rücksitz gesehen; aus toten Augen also.
Und wer ist Louise? Assistentin und Gespielin eines Arztes, Professor Génessier, der in der Nähe seiner Villa eine eigene Klinik führt. Eine Frau, deren Ausstrahlung sich zu gleichen Teilen aus kühler Grausamkeit und einer sinister glühenden Erregung zusammensetzt. Alida Valli eben.
Professor Génessier (Pierre Brasseur) hält einen Vortrag über die Möglichkeit, lebendes Gewebe zu transplantieren. Das dabei auftretende Problem der biologischen Kompatibilität, erklärt er, sei womöglich zu lösen mit modifizierenden Maßnahmen an dem Organismus, der fremde Gewebeteile empfangen soll. Eine Methode sei das Strahlenbombardement der Antikörper, die das transplantierte Gewebe abstoßen. Doch könne der Patient die dafür erforderliche Strahlenbelastung kaum überleben. Daher, so Génessier, praktiziere man Exsanguination. Das heißt, der den Strahlen ausgesetzte Patient wird blutentleert bis auf den letzten Tropfen.
Harter Stoff, der jedoch betagteren Damen Mut macht, die Génessier nach seinem Vortrag herzlich zu danken wünschen für die wunderbare Zukunft, die er ihnen und der Menschheit eröffne. Génessier erwidert kalt: was die Zukunft angeht, könne er nicht so lange warten. Eine wiederkehrende Angewohnheit Génessiers: sich bereits abzuwenden, während er noch spricht. Dieser Mann scheint angewidert von der Welt. Er ist gebrochen und genial, bleischwer bedrückt und brandgefährlich. Seine Stimme ist eine Grabesstimme. Ihn interessieren nur noch zwei Menschen. Einer davon ist Louise. Er hat sich verändert seit dem Verschwinden seiner Tochter, bemerken zwei Zuhörer seines Vortrags. Soviel ist sicher: dieser Mann hat sich mit Schaurigem beschäftigt. Ein Anruf zitiert ihn ins Leichenschauhaus.
Dort unterhält sich Dr. Lherminier mit Inspektor Parot, Abteilung Vermißte Personen. Man rekapituliert: als Dr. Génessiers Tochter aus der Klinik verschwand, war ihr Gesicht eine einzige Wunde. Man hat ein junges Mädchen im Wasser gefunden, nur mit einem Trenchcoat bekleidet, ohne Gesichtshaut, offenbar mit jenen schweren Verbrennungen und Entstellungen, die Génessiers Tochter bei einem Autounfall erlitt, die Augen aber unversehrt. Das scheint zusammenzupassen. Doch paßt die Beschreibung des Mädchens auch auf eine vermißte junge Frau namens Simone Tessot. Vorsorglich hat Parot auch ihren Vater herzitiert. Möglich, daß Génessiers Tochter aus Verzweiflung über ihre Entstellungen Selbstmord begangen hat, aber warum sollte sie sich zuvor bis auf den Trenchcoat entkleiden? Seltsam auch, daß die riesige offene Wunde, die ehedem ein schönes Gesicht war, so geometrisch ist; saubere Ränder, wie mit dem Skalpell geschnitten.
Dies ist die Art, die dem Zuschauer von Les yeux sans visage beibringt, 2 und 2 zusammenzuzählen und sich auszumalen, mit welch schaurigen Dingen sich Génessier beschäftigt.
Génessier erscheint in der Morgue. Man führt ihn zu der Leiche des an diesem Morgen in der Seine gefundenen Mädchens. Er bestätigt, die Tote sei Christiane - seine Tochter. Im selben Augenblick wird mitgeteilt, Monsieur Tessot sei hier. Lherminier gibt die Anweisung, man könne Tessot sagen, das Mädchen sei identifiziert, es handele sich nicht um Simone.
Dies war eine Frage von Sekunden, Génessier weiß es, und wir ahnen es. Um so unbehaglicher die Indifferenz, mit der Génessier Tessot begegnet, als er diesen vor dem Eingang der Morgue antrifft. Tessot ist verzweifelt; vor zehn Tagen habe man Simone zuletzt gesehen, etwas müsse ihr doch zugestoßen sein. Tessot hört von Génessier nur: Seltsam, daß ich Sie trösten soll, da für Sie noch Hoffnung bleibt. Nach nur wenigen Minuten des Films ist Génessier bereits atemberaubend unheimlich: die mit virtuoser Ökonomie verabreichten Informationen (das im Fluß versenkte Mädchen, Génessiers Vortrag über Hautgewebe-Transplantation, das gehäutete Gesicht der gefundenen Mädchenleiche) lassen ahnen, daß Génessier mit skrupelloser Gefühlskälte die Rollen tauscht. Tessot nimmt Génessiers abweisende Schroffheit als die Trance der Trauer eines Mannes, der seine Tochter verloren hat, blickt ihm beinahe mitleidsvoll nach, und wir, die Zuschauer, haben jeden Grund zu glauben, daß hier der Mörder den Vater des Mädchens, das er auf dem Gewissen hat, in der Dunkelheit stehen läßt.
Schnitt: Paris. Nähe der Sorbonne. Zwei junge Mädchen, Studentinnen. Der derangierte Walzer setzt ein, der sich als Leitmotiv für einen Todesengel entpuppt: das Intro für die schöne Stalkerin Louise, die ihre Opfer in die Falle lockt. Als eines der Mädchen ihren Freund trifft, folgt Louise dem Mädchen, das allein bleibt.
Bei der Beerdigung des Mädchens, das als Christiane Génessier begraben wird, unterhalten sich zwei Männer über den Professor: hat vor vier Jahren seine Frau verloren und nun seine Tochter, was nützen da Erfolg und Ruhm? Krähen krächzen, neblig das Land. Der Friedhof liegt abgelegen. Zu den Schlägen einer Glocke kondoliert man drei Personen: neben Génessier stehen Jacques, ein junger Doktor, Génessiers Assistent und Verlobter Christianes; sowie Louise, von der einer der beiden Männer sagt, man nenne sie Génessiers "Sekretärin". Eine Fremde im übrigen. Alida Valli eben.
Jacques verabschiedet sich. Génessier und Louise bleiben bei der Gruft der Génessiers zurück. Louise, aufgewühlt, fleht Génessier an, ebenfalls zu gehen. Génessier erklärt, daß er die Dinge ordnungsgemäß getan haben will. Er nimmt den großen Blumenkranz mit der Schleife, auf der steht A ma fille bien aimee (Meiner geliebten Tochter) und betritt die Gruft. Louise, im glänzend schwarzen Lackledermantel, folgt ihm hinein, Tränen glänzen in ihren Augen; sie bittet Génessier noch einmal, daß sie gehen mögen, sie ertrage es nicht mehr. Génessier ohrfeigt sie und befiehlt ihr, zu schweigen. Allein durch das schimmernde Licht des Wahnsinns in den Augen der dem Professor hörigen Alida Valli, allein durch ihr Zerrissensein zwischen Angst und bedingungsloser Ergebenheit, ist vollends klar: das in die Gruft gelegte Mädchen ist nicht Christiane.
Génessier und Louise fahren zurück in ihr Reich, vorbei am Klinikgebäude, vorbei am Schild, das Patienten und Besuchern den Zugang zur Nähe der Villa untersagt. Louise steigt aus dem Wagen und begibt sich ins Haus, Génessier fährt den Wagen vor seine Garage. Als er die Garagentür öffnet, ist das Bellen und Jaulen von offenbar sehr vielen und sehr aufgebrachten Hunden zu hören. Wie das Geheul von Kreaturen am Eingang in die Unterwelt.
Die Garage hat einen direkten Zugang zur Villa. Génessier steigt langsam die Treppen empor. Vor der letzten Tür ganz oben bleibt er stehen und horcht. Musik erklingt. Scheinbar munter, heiter, und doch wie derangierter Mozart. Im Zimmer befindet sich ein Vogelkäfig. Zarte, gefangene Kreaturen. Auf einer Récamière liegt eine junge Frau, das Gesicht in den Kissen verborgen. Im Zimmer befindet sich jetzt auch Génessier, der die Musik aus dem Radio abstellt. Auf dem Nachttisch ein Papier, das Génessier in die Hand nimmt. Barsch fragt er das Mädchen, wo sie dies Papier gefunden habe, das Herumstöbern gefalle ihm nicht. Das Papier ist die Todesanzeige für Christiane Génessier. Das Mädchen, das die Todesanzeige gefunden hat, ist Christiane Génessier.
Génessier fragt, was sie denn phantasiere, wenn sie ihren Namen schwarz umrandet sehe. Christiane antwortet, sie brauche nichts zu phantasieren. Sie sehe den Schrecken, sie lebe den Schrecken. Sie fragt ihren Vater: was hast du nun wieder getan; ein Augenblick, in dem ihre Stimme scharf und verzweifelt klingt. Ihr Gesicht bleibt abgewandt.
Génessier sagt: Ich tat, was ich tun mußte. Alles, was ich tue, tue ich für dich. Er sagt: Das Mädchen ist an den Folgen der Operation gestorben. Ich habe das Wagnis auf mich genommen, sie für dich auszugeben. Wenn die Leute dich für tot halten, werden sie keine Fragen stellen. Sie werden nicht versuchen, herauszufinden, was hier vorgeht. Génessier beugt sich über seine Tochter, berüht ihr Haar, ihren Arm. Das Mädchen hebt plötzlich und rasch den Kopf. Noch immer sehen wir nur ihr Haar. Génessier hält ihren Kopf fest und sagt: Christiane... deine Maske! Er sagt: Du mußt es dir zur Gewohnheit machen, sie zu tragen.
Wieder birgt Christiane ihr Gesicht in das Kissen. Sie beginnt zu weinen. Gewohnheit, wiederholt sie. Ein Wort nur, und die ganze Verzweiflung Christianes ist deutlich; ihre Vertrautheit mit der Hoffnungslosigkeit, der Vergeblichkeit, dem Wunsch zu sterben. Génessier streichelt seine Tochter tröstend und bittet sie, nicht mehr zu weinen. Er werde Erfolg haben. Sie sagt, sie glaube nicht mehr daran. Sie liegt auf dem Bett wie ein junges Mädchen mit Liebeskummer. Aber Christiane weiß, sie wird nie mehr Liebeskummer haben, wird nie mehr einen Menschen lieben, hassen, verwünschen oder herbeisehnen können, sie wird nie mehr unter Menschen sein. Christiane Génessier hat kein Gesicht mehr.
Louise erscheint im Zimmer. Zufall oder kein Zufall, daß Génessier im selben Augenblick seine verzweifelte Zärtlichkeit gegen patriarchalische Strenge eintauscht: Christiane habe keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Er sei ein Mann von hervorragenden Eigenschaften, oder nicht? Christiane werde wieder ein Gesicht haben, er gebe sein Wort. Langsam wendet er sich ab und verläßt das Zimmer.
Christiane sagt: Man erlaube ihr keine Spiegel, aber sie könne ihre Erscheinung im Fensterglas sehen. Und es gebe andere glänzende Oberflächen... Messerklingen, lackiertes Holz... ihre Stimme ist ein gehetztes Wispern jetzt. Ihr eigenes Gesicht jage ihr Schrecken ein; ihre Maske erschrecke sie noch mehr.
Louise sagt zu Christiane: Haben Sie Vertrauen. Sehen Sie mich an. War er nicht bei mir erfolgreich? Die Szene läßt das Blut gefrieren: Alida Vallis strenge, glühende Schönheit ist zustandegekommen unter einem blitzenden Skalpell. Christiane: Sie aber hatten noch ein Gesicht; verwüstet vielleicht, aber nicht zerstört wie meines. Er lügt mich an, weil er weiß, daß es seine Schuld ist.
Louise: Es war ein Unglück, ein Autounfall.
Christiane und Louise blicken sich an. Louise blickt ohne Schrecken in das Gesicht, das wir immer noch nicht sehen, anteilnehmend, mitempfindend.
Christiane: Er muß alles dominieren, immer, sogar auf der Straße. Er ist gefahren wie ein Dämon, wie ein Wahnsinniger. Ich wollte sterben nach dem Unfall - warum hat er mich am Leben gehalten? Ich möchte blind sein... oder tot.
Wieder beginnt sie zu weinen. Louise nimmt Christianes Kopf in ihre Hände, tröstet sie, hilft ihr, sich aufzurichten - und legt ihr die Maske an.
Und so sehen wir Christiane: die großen, traurigen, verzweifelten Augen hinter der unheimlichen weißen Maske.
Louise kämmt Christianes Haar. Christiane blickt Louise an mit Augen, die zu lesen versuchen. Die zu fragen scheinen: warum das alles noch. Warum tust du dies, was gibt es noch, das du mir sagen kannst. Augen, die hinter den ausgeschnittenen Löchern der Maske ein so einsames Leben führen, als blickten sie schon aus einem Jenseits durch zwei Löcher in der Mauer des Todes. Aber – und man kann es nicht beschreiben, man muß es gesehen haben – auch das Mädchen, das Christiane einmal gewesen ist, lebt noch in diesen Augen, und es lebt – dies die unfaßbare Leistung der Schauspielerin Edith Scob – nur in diesen Augen. Die zusehen, wie Louise den Raum verläßt, Augen voller Schrecken, aber zugleich endlos weit entfernt von allem, was sie sehen.
Und wer ist Louise? Assistentin und Gespielin eines Arztes, Professor Génessier, der in der Nähe seiner Villa eine eigene Klinik führt. Eine Frau, deren Ausstrahlung sich zu gleichen Teilen aus kühler Grausamkeit und einer sinister glühenden Erregung zusammensetzt. Alida Valli eben.
Professor Génessier (Pierre Brasseur) hält einen Vortrag über die Möglichkeit, lebendes Gewebe zu transplantieren. Das dabei auftretende Problem der biologischen Kompatibilität, erklärt er, sei womöglich zu lösen mit modifizierenden Maßnahmen an dem Organismus, der fremde Gewebeteile empfangen soll. Eine Methode sei das Strahlenbombardement der Antikörper, die das transplantierte Gewebe abstoßen. Doch könne der Patient die dafür erforderliche Strahlenbelastung kaum überleben. Daher, so Génessier, praktiziere man Exsanguination. Das heißt, der den Strahlen ausgesetzte Patient wird blutentleert bis auf den letzten Tropfen.
Harter Stoff, der jedoch betagteren Damen Mut macht, die Génessier nach seinem Vortrag herzlich zu danken wünschen für die wunderbare Zukunft, die er ihnen und der Menschheit eröffne. Génessier erwidert kalt: was die Zukunft angeht, könne er nicht so lange warten. Eine wiederkehrende Angewohnheit Génessiers: sich bereits abzuwenden, während er noch spricht. Dieser Mann scheint angewidert von der Welt. Er ist gebrochen und genial, bleischwer bedrückt und brandgefährlich. Seine Stimme ist eine Grabesstimme. Ihn interessieren nur noch zwei Menschen. Einer davon ist Louise. Er hat sich verändert seit dem Verschwinden seiner Tochter, bemerken zwei Zuhörer seines Vortrags. Soviel ist sicher: dieser Mann hat sich mit Schaurigem beschäftigt. Ein Anruf zitiert ihn ins Leichenschauhaus.
Dort unterhält sich Dr. Lherminier mit Inspektor Parot, Abteilung Vermißte Personen. Man rekapituliert: als Dr. Génessiers Tochter aus der Klinik verschwand, war ihr Gesicht eine einzige Wunde. Man hat ein junges Mädchen im Wasser gefunden, nur mit einem Trenchcoat bekleidet, ohne Gesichtshaut, offenbar mit jenen schweren Verbrennungen und Entstellungen, die Génessiers Tochter bei einem Autounfall erlitt, die Augen aber unversehrt. Das scheint zusammenzupassen. Doch paßt die Beschreibung des Mädchens auch auf eine vermißte junge Frau namens Simone Tessot. Vorsorglich hat Parot auch ihren Vater herzitiert. Möglich, daß Génessiers Tochter aus Verzweiflung über ihre Entstellungen Selbstmord begangen hat, aber warum sollte sie sich zuvor bis auf den Trenchcoat entkleiden? Seltsam auch, daß die riesige offene Wunde, die ehedem ein schönes Gesicht war, so geometrisch ist; saubere Ränder, wie mit dem Skalpell geschnitten.
Dies ist die Art, die dem Zuschauer von Les yeux sans visage beibringt, 2 und 2 zusammenzuzählen und sich auszumalen, mit welch schaurigen Dingen sich Génessier beschäftigt.
Génessier erscheint in der Morgue. Man führt ihn zu der Leiche des an diesem Morgen in der Seine gefundenen Mädchens. Er bestätigt, die Tote sei Christiane - seine Tochter. Im selben Augenblick wird mitgeteilt, Monsieur Tessot sei hier. Lherminier gibt die Anweisung, man könne Tessot sagen, das Mädchen sei identifiziert, es handele sich nicht um Simone.
Dies war eine Frage von Sekunden, Génessier weiß es, und wir ahnen es. Um so unbehaglicher die Indifferenz, mit der Génessier Tessot begegnet, als er diesen vor dem Eingang der Morgue antrifft. Tessot ist verzweifelt; vor zehn Tagen habe man Simone zuletzt gesehen, etwas müsse ihr doch zugestoßen sein. Tessot hört von Génessier nur: Seltsam, daß ich Sie trösten soll, da für Sie noch Hoffnung bleibt. Nach nur wenigen Minuten des Films ist Génessier bereits atemberaubend unheimlich: die mit virtuoser Ökonomie verabreichten Informationen (das im Fluß versenkte Mädchen, Génessiers Vortrag über Hautgewebe-Transplantation, das gehäutete Gesicht der gefundenen Mädchenleiche) lassen ahnen, daß Génessier mit skrupelloser Gefühlskälte die Rollen tauscht. Tessot nimmt Génessiers abweisende Schroffheit als die Trance der Trauer eines Mannes, der seine Tochter verloren hat, blickt ihm beinahe mitleidsvoll nach, und wir, die Zuschauer, haben jeden Grund zu glauben, daß hier der Mörder den Vater des Mädchens, das er auf dem Gewissen hat, in der Dunkelheit stehen läßt.
Schnitt: Paris. Nähe der Sorbonne. Zwei junge Mädchen, Studentinnen. Der derangierte Walzer setzt ein, der sich als Leitmotiv für einen Todesengel entpuppt: das Intro für die schöne Stalkerin Louise, die ihre Opfer in die Falle lockt. Als eines der Mädchen ihren Freund trifft, folgt Louise dem Mädchen, das allein bleibt.
Bei der Beerdigung des Mädchens, das als Christiane Génessier begraben wird, unterhalten sich zwei Männer über den Professor: hat vor vier Jahren seine Frau verloren und nun seine Tochter, was nützen da Erfolg und Ruhm? Krähen krächzen, neblig das Land. Der Friedhof liegt abgelegen. Zu den Schlägen einer Glocke kondoliert man drei Personen: neben Génessier stehen Jacques, ein junger Doktor, Génessiers Assistent und Verlobter Christianes; sowie Louise, von der einer der beiden Männer sagt, man nenne sie Génessiers "Sekretärin". Eine Fremde im übrigen. Alida Valli eben.
Jacques verabschiedet sich. Génessier und Louise bleiben bei der Gruft der Génessiers zurück. Louise, aufgewühlt, fleht Génessier an, ebenfalls zu gehen. Génessier erklärt, daß er die Dinge ordnungsgemäß getan haben will. Er nimmt den großen Blumenkranz mit der Schleife, auf der steht A ma fille bien aimee (Meiner geliebten Tochter) und betritt die Gruft. Louise, im glänzend schwarzen Lackledermantel, folgt ihm hinein, Tränen glänzen in ihren Augen; sie bittet Génessier noch einmal, daß sie gehen mögen, sie ertrage es nicht mehr. Génessier ohrfeigt sie und befiehlt ihr, zu schweigen. Allein durch das schimmernde Licht des Wahnsinns in den Augen der dem Professor hörigen Alida Valli, allein durch ihr Zerrissensein zwischen Angst und bedingungsloser Ergebenheit, ist vollends klar: das in die Gruft gelegte Mädchen ist nicht Christiane.
Génessier und Louise fahren zurück in ihr Reich, vorbei am Klinikgebäude, vorbei am Schild, das Patienten und Besuchern den Zugang zur Nähe der Villa untersagt. Louise steigt aus dem Wagen und begibt sich ins Haus, Génessier fährt den Wagen vor seine Garage. Als er die Garagentür öffnet, ist das Bellen und Jaulen von offenbar sehr vielen und sehr aufgebrachten Hunden zu hören. Wie das Geheul von Kreaturen am Eingang in die Unterwelt.
Die Garage hat einen direkten Zugang zur Villa. Génessier steigt langsam die Treppen empor. Vor der letzten Tür ganz oben bleibt er stehen und horcht. Musik erklingt. Scheinbar munter, heiter, und doch wie derangierter Mozart. Im Zimmer befindet sich ein Vogelkäfig. Zarte, gefangene Kreaturen. Auf einer Récamière liegt eine junge Frau, das Gesicht in den Kissen verborgen. Im Zimmer befindet sich jetzt auch Génessier, der die Musik aus dem Radio abstellt. Auf dem Nachttisch ein Papier, das Génessier in die Hand nimmt. Barsch fragt er das Mädchen, wo sie dies Papier gefunden habe, das Herumstöbern gefalle ihm nicht. Das Papier ist die Todesanzeige für Christiane Génessier. Das Mädchen, das die Todesanzeige gefunden hat, ist Christiane Génessier.
Génessier fragt, was sie denn phantasiere, wenn sie ihren Namen schwarz umrandet sehe. Christiane antwortet, sie brauche nichts zu phantasieren. Sie sehe den Schrecken, sie lebe den Schrecken. Sie fragt ihren Vater: was hast du nun wieder getan; ein Augenblick, in dem ihre Stimme scharf und verzweifelt klingt. Ihr Gesicht bleibt abgewandt.
Génessier sagt: Ich tat, was ich tun mußte. Alles, was ich tue, tue ich für dich. Er sagt: Das Mädchen ist an den Folgen der Operation gestorben. Ich habe das Wagnis auf mich genommen, sie für dich auszugeben. Wenn die Leute dich für tot halten, werden sie keine Fragen stellen. Sie werden nicht versuchen, herauszufinden, was hier vorgeht. Génessier beugt sich über seine Tochter, berüht ihr Haar, ihren Arm. Das Mädchen hebt plötzlich und rasch den Kopf. Noch immer sehen wir nur ihr Haar. Génessier hält ihren Kopf fest und sagt: Christiane... deine Maske! Er sagt: Du mußt es dir zur Gewohnheit machen, sie zu tragen.
Wieder birgt Christiane ihr Gesicht in das Kissen. Sie beginnt zu weinen. Gewohnheit, wiederholt sie. Ein Wort nur, und die ganze Verzweiflung Christianes ist deutlich; ihre Vertrautheit mit der Hoffnungslosigkeit, der Vergeblichkeit, dem Wunsch zu sterben. Génessier streichelt seine Tochter tröstend und bittet sie, nicht mehr zu weinen. Er werde Erfolg haben. Sie sagt, sie glaube nicht mehr daran. Sie liegt auf dem Bett wie ein junges Mädchen mit Liebeskummer. Aber Christiane weiß, sie wird nie mehr Liebeskummer haben, wird nie mehr einen Menschen lieben, hassen, verwünschen oder herbeisehnen können, sie wird nie mehr unter Menschen sein. Christiane Génessier hat kein Gesicht mehr.
Louise erscheint im Zimmer. Zufall oder kein Zufall, daß Génessier im selben Augenblick seine verzweifelte Zärtlichkeit gegen patriarchalische Strenge eintauscht: Christiane habe keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Er sei ein Mann von hervorragenden Eigenschaften, oder nicht? Christiane werde wieder ein Gesicht haben, er gebe sein Wort. Langsam wendet er sich ab und verläßt das Zimmer.
Christiane sagt: Man erlaube ihr keine Spiegel, aber sie könne ihre Erscheinung im Fensterglas sehen. Und es gebe andere glänzende Oberflächen... Messerklingen, lackiertes Holz... ihre Stimme ist ein gehetztes Wispern jetzt. Ihr eigenes Gesicht jage ihr Schrecken ein; ihre Maske erschrecke sie noch mehr.
Louise sagt zu Christiane: Haben Sie Vertrauen. Sehen Sie mich an. War er nicht bei mir erfolgreich? Die Szene läßt das Blut gefrieren: Alida Vallis strenge, glühende Schönheit ist zustandegekommen unter einem blitzenden Skalpell. Christiane: Sie aber hatten noch ein Gesicht; verwüstet vielleicht, aber nicht zerstört wie meines. Er lügt mich an, weil er weiß, daß es seine Schuld ist.
Louise: Es war ein Unglück, ein Autounfall.
Christiane und Louise blicken sich an. Louise blickt ohne Schrecken in das Gesicht, das wir immer noch nicht sehen, anteilnehmend, mitempfindend.
Christiane: Er muß alles dominieren, immer, sogar auf der Straße. Er ist gefahren wie ein Dämon, wie ein Wahnsinniger. Ich wollte sterben nach dem Unfall - warum hat er mich am Leben gehalten? Ich möchte blind sein... oder tot.
Wieder beginnt sie zu weinen. Louise nimmt Christianes Kopf in ihre Hände, tröstet sie, hilft ihr, sich aufzurichten - und legt ihr die Maske an.
Und so sehen wir Christiane: die großen, traurigen, verzweifelten Augen hinter der unheimlichen weißen Maske.
Louise kämmt Christianes Haar. Christiane blickt Louise an mit Augen, die zu lesen versuchen. Die zu fragen scheinen: warum das alles noch. Warum tust du dies, was gibt es noch, das du mir sagen kannst. Augen, die hinter den ausgeschnittenen Löchern der Maske ein so einsames Leben führen, als blickten sie schon aus einem Jenseits durch zwei Löcher in der Mauer des Todes. Aber – und man kann es nicht beschreiben, man muß es gesehen haben – auch das Mädchen, das Christiane einmal gewesen ist, lebt noch in diesen Augen, und es lebt – dies die unfaßbare Leistung der Schauspielerin Edith Scob – nur in diesen Augen. Die zusehen, wie Louise den Raum verläßt, Augen voller Schrecken, aber zugleich endlos weit entfernt von allem, was sie sehen.
Christiane erhebt sich, mit der Maske wirkt sie wie eine lebendig gewordene,
traurige Schaufensterpuppe, ihre Zerbrechlichkeit noch gesteigert durch den weiten
Kragen an ihrem hellglänzenden Engelsmantel. Sie geht zu einer Kommode, auf der
ein Bilderrahmen steht - Jacques, ihr Verlobter. Nur durch die Bewegung, mit
der Christiane sich davon wieder abwendet, erraten wir ihr Innerstes. Die
herzzerreißende Einsamkeit des Mädchens wird illustriert durch die Musik auf
dem Soundtrack, die an ein Karussell aus Kindertagen denken läßt. Christiane
lauscht vorsichtig an ihrer Zimmertür, huscht dann hinaus, schleicht die Treppe
hinab. Sie öffnet die Tür zum Arbeitszimmer. Sie berührt etwas an der Wand; ein
geschwärzter Spiegel. Sie nimmt den Telefonhörer ab und wählt eine Nummer. Die
Stimme eines Mannes: Hallo? Wer ist da? Antworten Sie doch! Christianes Augen
blicken sehnsüchtig in weite Ferne, während sie der Stimme lauscht; dem Mann,
den sie verloren hat für immer, einen Moment lang nah. Jacques legt auf.
Christiane weiß, daß es so sein muß. Mit hoffnungslosem Schmerz blickt sie sich
im Zimmer um. Ein Gemälde an der Wand zeigt ein junges, bezaubernd schönes,
anmutiges Mädchen mit einer weißen Taube auf dem ausgestreckten Arm. Wohin Christiane
sich auch wendet, ihr kann nur noch begegnen, was unwiederbringlich verloren
ist für sie.
Paris.
Eine lange Menschenschlange vor einem Theater. Am Ende der Schlange das
Mädchen, das Louise beobachtet hat. Dann der entstellte Walzer. Dann Louise. Im
Hintergrund ein Plakat: Victimes du Devoir,
Ionesco.
Louise gewinnt das Vertrauen des Mädchens, von dem sie weiß, daß es eine Unterkunft sucht. Edna Gruber ist ein Mädchen aus der Schweiz, weit weg von zuhause. Bald treffen sie sich in einem Café. Louise sagt, sie habe es kaum abwarten können, die gute Neuigkeit zu überbringen: sie habe für Edna eine Bleibe gefunden. Der Garcon fragt, was die Dame wünsche. Louise sagt: La même chose pour Mademoiselle. In der Tat. Edna erwartet dasselbe wie Simone Tessot.
So fährt Louise mit ihrem 2CV den langen Weg zur Villa Génessiers, und Ednas Unbehagen wächst mit jedem Kilometer. Als sie das Haus erreichen, bellen die Hunde ihr Höllenhundbellen. Edna fragt, was auch wir uns fragen: wie viele sind das? Die Begegnung mit Génessier entnervt Edna vollends. Im Innersten bereits zu Tode erschrocken, gibt sie vor, der Weg hierher sei ihr zu lang. Beide Seiten wahren Höflichkeit, die eine lauernd, die andere einen Ausweg suchend. Génessier gießt ein Glas mit Wein ein, den Edna bereits abgelehnt hat – und überfällt sie dann urplötzlich, das schreiende Mädchen mit Chloroform betäubend.
Génessier und Louise tragen das Mädchen ihrem Schicksal entgegen. Christiane sieht von der Treppe aus zu und folgt den beiden heimlich. Erneut ist das enervierende Gebell der noch unsichtbaren Hunde zu hören. Edna wird zunächst in die Garage getragen und dann durch eine geheime Tür, hinter der Génessiers chamber of horrors liegt. Christiane wartet in der Garage. Als Génessier und Louise wieder erscheinen, erklärt der Doktor, er werde nach dem Abendessen mit der Arbeit beginnen. Dieses Mal müsse er es mit einem größeren Transplantat versuchen, das er als Ganzes ablösen wolle.
Die Rede ist von Haut. Von der makellosen Haut einer jungen Frau.
Als die beiden die Garage verlassen haben, schleicht Christiane durch die offen gelassene Tür in das düstere Sanctum Sanctorum, die Arme gestreckt, die Hände leicht gespreizt - wie eine schwebende Sylphide.
Louise gewinnt das Vertrauen des Mädchens, von dem sie weiß, daß es eine Unterkunft sucht. Edna Gruber ist ein Mädchen aus der Schweiz, weit weg von zuhause. Bald treffen sie sich in einem Café. Louise sagt, sie habe es kaum abwarten können, die gute Neuigkeit zu überbringen: sie habe für Edna eine Bleibe gefunden. Der Garcon fragt, was die Dame wünsche. Louise sagt: La même chose pour Mademoiselle. In der Tat. Edna erwartet dasselbe wie Simone Tessot.
So fährt Louise mit ihrem 2CV den langen Weg zur Villa Génessiers, und Ednas Unbehagen wächst mit jedem Kilometer. Als sie das Haus erreichen, bellen die Hunde ihr Höllenhundbellen. Edna fragt, was auch wir uns fragen: wie viele sind das? Die Begegnung mit Génessier entnervt Edna vollends. Im Innersten bereits zu Tode erschrocken, gibt sie vor, der Weg hierher sei ihr zu lang. Beide Seiten wahren Höflichkeit, die eine lauernd, die andere einen Ausweg suchend. Génessier gießt ein Glas mit Wein ein, den Edna bereits abgelehnt hat – und überfällt sie dann urplötzlich, das schreiende Mädchen mit Chloroform betäubend.
Génessier und Louise tragen das Mädchen ihrem Schicksal entgegen. Christiane sieht von der Treppe aus zu und folgt den beiden heimlich. Erneut ist das enervierende Gebell der noch unsichtbaren Hunde zu hören. Edna wird zunächst in die Garage getragen und dann durch eine geheime Tür, hinter der Génessiers chamber of horrors liegt. Christiane wartet in der Garage. Als Génessier und Louise wieder erscheinen, erklärt der Doktor, er werde nach dem Abendessen mit der Arbeit beginnen. Dieses Mal müsse er es mit einem größeren Transplantat versuchen, das er als Ganzes ablösen wolle.
Die Rede ist von Haut. Von der makellosen Haut einer jungen Frau.
Als die beiden die Garage verlassen haben, schleicht Christiane durch die offen gelassene Tür in das düstere Sanctum Sanctorum, die Arme gestreckt, die Hände leicht gespreizt - wie eine schwebende Sylphide.
Sie öffnet eine weitere Tür. Da
sind die Operationstische, das kalte Labor des mad scientist. Das Hundegebell ist lauter geworden. Auf einem der
Tische liegt die bewußtlose Edna, der Génessier die Gesichtshaut abzulösen im
Begriff steht. Christiane tritt zu ihr. Wir sehen ihr Gesicht nicht, doch wir
sehen, was sie fühlt. Sie dringt tiefer in das Dunkel, öffnet eine letzte Tür
und macht Licht: da sind die Hunde, vielleicht ein Dutzend, einzeln eingesperrt
in Käfige. Das infernalische Bellen verebbt, als Christiane wortlos mit den
Tieren kommuniziert. Sie streichelt einen großen Hund, der sich aufgerichtet
hat, legt ihren Kopf an seinen, streichelt und beruhigt auch einige der
anderen Hunde - verlorene Kreaturen unter sich.
Christiane geht zurück in das Labor, macht auch hier Licht, nimmt vor einem kleinen Spiegel ihre Maske ab, doch ihr Gesicht ist noch nicht zu sehen. Sie geht an den Operationstisch, auf dem Edna festgezurrt ist. Mit ihren schönen, schlanken Händen tastet sie das Gesicht des Mädchens ab. Edna erwacht aus ihrem Chloroformrausch, blinzelt, und mit Ednas vernebelten Augen sehen wir jetzt zum ersten Mal das entstellte Gesicht Christianes - vielmehr, wir sehen leuchtende Augen in einer dunklen Masse. Ednas Augen fallen zu, doch als ihr Hirn begriffen hat, was sie da sah, reißt sie die Augen wieder auf und schreit; jetzt sehen wir Christianes Gesicht deutlicher, die Augen in dem hautlosen Gesicht. Christiane weicht langsam zurück. Die Hunde bellen.
Dann wartet Les yeux sans visage mit Szenen auf, die bis dahin medizinischen Ausbildungsfilmen oder Greueldokumentationen vorbehalten waren. Génessier und Louise in weißen Kitteln: sie ist ihm behilflich beim Anlegen des Mundschutzes, er spannt seine Chirurgenhandschuhe aus Plastik. Génessier zeichnet mit schwarzem Stift auf dem Gesicht des bewußtlosen Mädchens die Linie, an der er die Gesichtshaut abzutrennen intendiert. Vom Nachbartisch ist das noch in der Betäubung angstvolle Seufzen Christianes zu hören, ihr Gesicht ist mit einem Tuch abgedeckt. Dann reicht Louise ihrem Gebieter das Skalpell.
Génessier
schneidet an seiner Vorgabe entlang. Blut tritt aus, voluminöse Tropfen rinnen
an Ednas Hals herab. Louise tupft zunächst das Blut, dann den Schweiß von
Génessiers Stirn ab. Dann werden die Linien um Ednas Augen gezeichnet. Auch
dort trennt das Skalpell Edna von ihrem Aussehen. Das Geklapper der chirurgischen
Instrumente ist zu hören, Schnitt für Schnitt leidenschaftlos dokumentarischer
Blick, Zange für Zange wird festgeklickt an den Schnitträndern. Nur das schwere
Atmen Génessiers und das Geräusch, wenn Louise ihm ein Instrument aus kaltem
Metall in seine plastikumhüllte Hand klatscht, sind zu hören; ansonsten
peinigen die Minuten mit Stille: "(...) an almost believable surgical
accuracy that is nauseating" (Frank 1974, 108). Die Gesichtshaut des Mädchens beginnt sich auf ihrem Kopf zu bewegen. Und dann heben
Génessier und Louise an den Klammern das Antlitz ab, das Christianes werden
soll. Kurz ist darunter das nackte Fleisch zu sehen, dann - Schnitt.
Hellichter
Tag, Génessier: Hat sie gegessen? – Louise: Ja, sie hat gut gegessen. Sie
verging. Dieses Mal ist sie glücklich. Dieses Mal hat sie Vertrauen. – Génessier: Endlich. – Louise: Ich zeigte ihr, wie gut alles
verheilt. Es wirkt vollkommen. So viel besser als gestern. - Génessier: Ich habe Angst. – Louise: Nein. Auch ich glaube, dieses
Mal. – Génessier: Ich kann nur
hoffen. Könnte ich es wirklich erreichen... Gott, es wäre nicht mit Gold
aufzuwiegen. Ich habe so oft Unrecht getan, daß ich dieses Wunder vollbringen
muß. Ich habe auch dir Unrecht getan. – Louise:
Ich weiß. Doch ich werde niemals vergessen, daß ich dir mein Gesicht verdanke.
– Génessier: Ich vergesse es
zuweilen.
Mit schier unmenschlichem Kraftaufwand zischt Génessier all seine Worte hervor, steinern geworden vor innerer Anspannung.
Louise: Mit Recht vergißt du es. So wenig ist nur noch zu sehen.
Louise hebt ihre fünfreihige Perlenkette, die sie um den Hals trägt; eine Narbe wird sichtbar. Génessier küßt ihr beschwichtigend die Hand, die er damit zugleich von der noch sichtbaren Spur wegzieht.
Louise fragt, was mit Edna geschehen soll. Génessier antwortet: bring ihr etwas zu essen, ich werde es dich später wissen lassen. Bei seinen letzten Worten wendet sich Génessier schon wieder ab - letztlich unfähig, wie es auf Englisch heißen würde, to face someone. Übersetzt: jemandem ins Gesicht sehen. Génessier gibt der Wendung to face someone eine zweite Bedeutung: jemanden mit einem Gesicht versehen. Er, der seiner Tochter ein Gesicht zu verschaffen sucht, kann kein Gesicht ertragen.
Blick durch das kleine Fenster einer Tür, hinter der Edna auf einer Pritsche liegt, den Kopf bandagiert. Sie hört einen beunruhigenden, unidentifizierbaren Krach; nur ihre Augen sind durch den Schlitz der Bandagen zu sehen. Sie birgt den Kopf wie zuvor Christiane. Louise tritt ein. Wortlos wäscht sie sich die Hände. Den Krach hat der metallische Wagen verursacht, auf dem Louise das Essen bringt. Das Mädchen regt sich nicht. Louise tritt an den Wagen. Plötzlich richtet Edna sich auf und schlägt Louise eine Flasche auf den Kopf. Sie flieht in die Garage, will das Tor von innen öffnen, hört aber draußen Génessiers Wagen. Sie läuft zurück ins Haus, alle Treppen empor, Génessier folgt ihr. Edna ist in einem Zimmer verschwunden. Génessier hört einen Schrei. Edna hat sich aus dem Fenster gestürzt. Ihre toten Augen blicken blicklos aus dem Bandagenschlitz.
In
tiefer Nacht sind Génessier und Louise zum Friedhof gefahren. Während Louise
entsetzt Wache hält, öffnet Génessier die Gruft, dann das Grab, das langsam zum
Massengrab wird: Edna Gruber wird von Génessier in die Grube geworfen.
Auf der Polizeiwache erinnert sich Ednas Freundin an das Perlencollier, das die mysteriöse Frau, die ihnen gefolgt war, wie einen Schal um den Hals trug. Inspektor Parot und sein junger Kollege halten fest: eine Reihe von Mädchen, auf mysteriöse Weise verschwunden. Alle Studentinnen. Blaue Augen, dasselbe Alter, derselbe Typ. Der Kollege hat auch ein Mädchen mit blauen Augen am Tisch sitzen. Unbedeutender Ladendiebstahl. Französische Ermittler können jungen Schönheiten milde begegnen. Parot sagt: laß sie gehen, aber schreib dir ihre Adresse auf.
Génessier, Louise und Christiane beim Abendessen.
Génessier: Ich war meines Erfolges gewiß. Und du hast an mir gezweifelt. Jetzt hast du dein wunderschönes Gesicht.
Wir sehen es, Christianes wunderschönes Gesicht. Schön, fragil und traurig. Als könne sie nicht lächeln. Diese Szenen, in denen Christiane ein Gesicht hat, sind, bei aller Faszination, die von diesem Antlitz ausgeht, die surrealsten des ganzen Films.
Génessier: Dein wahres Gesicht.
Die großen Augen schillern zwischen Unbehagen und tödlicher Melancholie. Christiane nickt, zögernd, wie gegen ihren Willen. Die großen Augen schillern zwischen dem vergeblichen Versuch, zu vertrauen, und unterdrücktem Horror.
Auf der Polizeiwache erinnert sich Ednas Freundin an das Perlencollier, das die mysteriöse Frau, die ihnen gefolgt war, wie einen Schal um den Hals trug. Inspektor Parot und sein junger Kollege halten fest: eine Reihe von Mädchen, auf mysteriöse Weise verschwunden. Alle Studentinnen. Blaue Augen, dasselbe Alter, derselbe Typ. Der Kollege hat auch ein Mädchen mit blauen Augen am Tisch sitzen. Unbedeutender Ladendiebstahl. Französische Ermittler können jungen Schönheiten milde begegnen. Parot sagt: laß sie gehen, aber schreib dir ihre Adresse auf.
Génessier, Louise und Christiane beim Abendessen.
Génessier: Ich war meines Erfolges gewiß. Und du hast an mir gezweifelt. Jetzt hast du dein wunderschönes Gesicht.
Wir sehen es, Christianes wunderschönes Gesicht. Schön, fragil und traurig. Als könne sie nicht lächeln. Diese Szenen, in denen Christiane ein Gesicht hat, sind, bei aller Faszination, die von diesem Antlitz ausgeht, die surrealsten des ganzen Films.
Génessier: Dein wahres Gesicht.
Die großen Augen schillern zwischen Unbehagen und tödlicher Melancholie. Christiane nickt, zögernd, wie gegen ihren Willen. Die großen Augen schillern zwischen dem vergeblichen Versuch, zu vertrauen, und unterdrücktem Horror.
Génessier: Du kannst wieder beginnen zu leben.
– Christiane: Aber wie können wir den
anderen erklären, daß ich noch lebe? – Génessier:
Zuerst wirst du eine lange Reise machen. Ich werde dir Papiere besorgen. Du
kannst dir einen neuen Namen aussuchen. Das wird aufregend. Ein neues Gesicht;
eine neue Identität.
Als
Louise das Wort an Christiane richtet, wendet sich Christiane rehscheu zu ihr,
erschütternd in ihrer zerbrechlichen Schönheit.
Louise: Sie sind schöner denn je. Etwas Engelgleiches ist um Sie.
Christianes Antwort gibt dem namenlosen Horror einen Namen. Sie sagt: Wenn ich in einen Spiegel blicke, scheint es mir, als würde ich jemanden sehen... der aussieht wie ich, und der zurückkehrt aus weiter, weiter Ferne.
Wenn Christiane in einen Spiegel blickt, blickt sie in das Reich der Toten. Aus dieser weiten Ferne kommt ein Mädchen zurück, um stumm Christianes Antlitz zu beanspruchen.
Christiane: Und Jacques? – Génessier: Jacques? Gewiß, das ist natürlich ein Problem... ich werde es ihm erklären. Lächle doch.
Christiane sieht ihren Vater an mit Wehmut in den Augen und Bitterkeit auf den Lippen. Ihre Seele kennt kein Lächeln mehr. Sie versucht es dennoch, sich überwindend, die Augen schreien tausend Fragen.
Génessier: Nicht zu sehr.
Sofort verfliegt Christianes Lächeln und wandelt sich in Schrecken. Tausend Fragen wandeln sich zu einer: Warum?
Génessier macht nur eine Geste mit den Händen. Das Telefon hat geklingelt. Génessier wird zu einem Notfall gerufen. Er küßt Christiane auf die Stirn. Er scheint etwas an ihrem Gesicht zu entdecken. Er hebt sie an den Schultern aus ihrem Stuhl, um sie genauer betrachten zu können, streicht ihr das Haar aus der Stirn.
Louise: Sie sind schöner denn je. Etwas Engelgleiches ist um Sie.
Christianes Antwort gibt dem namenlosen Horror einen Namen. Sie sagt: Wenn ich in einen Spiegel blicke, scheint es mir, als würde ich jemanden sehen... der aussieht wie ich, und der zurückkehrt aus weiter, weiter Ferne.
Wenn Christiane in einen Spiegel blickt, blickt sie in das Reich der Toten. Aus dieser weiten Ferne kommt ein Mädchen zurück, um stumm Christianes Antlitz zu beanspruchen.
Christiane: Und Jacques? – Génessier: Jacques? Gewiß, das ist natürlich ein Problem... ich werde es ihm erklären. Lächle doch.
Christiane sieht ihren Vater an mit Wehmut in den Augen und Bitterkeit auf den Lippen. Ihre Seele kennt kein Lächeln mehr. Sie versucht es dennoch, sich überwindend, die Augen schreien tausend Fragen.
Génessier: Nicht zu sehr.
Sofort verfliegt Christianes Lächeln und wandelt sich in Schrecken. Tausend Fragen wandeln sich zu einer: Warum?
Génessier macht nur eine Geste mit den Händen. Das Telefon hat geklingelt. Génessier wird zu einem Notfall gerufen. Er küßt Christiane auf die Stirn. Er scheint etwas an ihrem Gesicht zu entdecken. Er hebt sie an den Schultern aus ihrem Stuhl, um sie genauer betrachten zu können, streicht ihr das Haar aus der Stirn.
Wir
müssen nichts sehen, um aus dem kurzen Moment des Glücks, den wir bei allem
Greuel, bei allem Metzeln und Morden, bei aller Monstrosität Génessiers mit
Christiane zu teilen wünschten, in neuerlichen Schrecken gestürzt zu werden. Wir
wissen, daß die Hoffnung vergeblich war. Wir hatten vergessen, daß Christiane
es von Anfang an wußte.
Génessier: Du benutzt kein Make-up, hoffe ich? – Christiane: Nein, warum? – Génessier: Nichts. Du bist schön, das ist alles.
Aber er scheint schwer besorgt. Auch Louise hat es gemerkt. Im Dunkel des Gartens fragt sie ihn nach der Wahrheit. Sie weiß, daß er lügt. Sie habe gelernt, in seinem Gesicht zu lesen. (Es sagt viel über ihre Beziehung zu Génessier, daß sie in einem völlig unbewegten Gesicht zu lesen weiß).
Mit tonloser Stimme gibt er zu: Es ist mißglückt.
Wir nehmen Abschied von Christianes porzellanschönem Antlitz. 20. Februar: Eine Woche nach der Heilung erscheinen kleine verfärbte Flächen. Eine niederschmetternd nüchterne Reihe von Großaufnahmen dokumentiert den Verlauf der von Génessier in voice-over beschriebenen Zerstörung von Christianes Gesicht. Nach ein paar Tagen: beim Abtasten werden subkutane Knötchen fühlbar. 12. Tag: Absterben des übertragenen Gewebes evident. 20. Tag: Geschwürbildungen; Entzündungen; Anzeichen der Abstoßung des Transplantats. Das tote transplantierte Gewebe muß entfernt werden.
Louise betritt Christianes Zimmer, die weiße Maske in der Hand. Christiane liegt stumm verzweifelt auf dem Boden, erneut ihr Gesicht verbergend.
Génessier steht vor einem auf dem Operationstisch festgeschnallten Hund und betrachtet ein an dessen Flanke transplantiertes Fellstück. Bei jedem Hund, so sagt er zu sich selbst, gelinge es. Doch er komme einfach nicht über das Bestialische hinaus.
Christiane schleicht in der Nacht zum Telefon. Jacques' Reaktion läßt erkennen, daß dies zum wiederholten Mal geschieht: er bittet die Person am anderen Ende, endlich zu sprechen. "Jacques..." haucht Christiane mit einer Jenseitsstimme, die ihm das Mark gefrieren läßt. "Jacques..." Er blickt ungläubig den Hörer an. Er den Anruf einer Toten erhalten.
Aber vielleicht hört er noch die Stimme von Louise am anderen Ende: "Christiane!" - Louise nimmt ihr den Hörer aus der Hand und legt auf.
Louise: Christiane, sind Sie wahnsinnig geworden? Wen haben Sie angerufen? – Christiane: Niemanden.
Jeder ist niemand für eine, die selbst niemand mehr ist.
Christiane: Ich weiß, die Toten sollten schweigen. Dann will ich aber auch wirklich tot sein. Ich ertrage es nicht mehr... Angst vor meinem eigenen Gesicht zu haben... Angst davor, es zu berühren...
Die Lippen der Maske bewegen sich nicht, wenn Christiane spricht. Das ist unheimlich. Dann rollen Tränen über die Maske. Das ist herzzerreißend. Louise nimmt Christiane verzweifelt in den Arm und versucht erneut, sie an Génessiers Erfolg glauben zu machen.
Christiane: Sie lügen! Er experimentiert mit mir, als wäre ich einer seiner Hunde. Ein menschliches Versuchsobjekt. Welch Gottgeschenk für ihn.
Christiane will sterben. Sie wispert Louise den heißen Wunsch ins Ohr, eine von den Injektionen zu erhalten, mit denen Génessier sich seiner Hunde entledigt, wenn etwas schiefgegangen ist. Dann sinkt sie ohnmächtig zu Boden.
Jacques erklärt dem Inspektor: es war Christianes Stimme, er sei sicher. Als der zunächst ungläubige Inspektor zufällig auf den Hinweis zu sprechen kommt, der das auffällige Perlencollier betrifft, läutet bei Jacques eine Glocke.
Die Trägerin der Perlenkette steckt sich derweil in ihrem 2CV entschlossen eine Zigarette zwischen die Lippen, in der Nähe der Sorbonne Studentinnen beobachtend.
Französische Ermittler sind nicht mehr so gönnerhaft weiblicher Schönheit gegenüber, wenn sie beim Ladendiebstahl erwischte Mädchen für ihre Zwecke einsetzen können. Dem Mädchen, Paulette Mérodon, wird erklärt, was sie tun muß, um Gerichtsverhandlung und Gefängnis zu umgehen: ihre Haare blondieren und sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen in Génessiers Klinik begeben. Jacques ist eingeweiht.
Am nächsten Morgen visitieren Génessier und Jacques das Krankenbett der jungen Paulette. Génessier stutzt nicht so sehr wegen des entzückenden Nachthemds, das sie trägt. Er ordnet eine Untersuchung der Augen und ein Elektroenzephalogramm an.
"Un eléctro... encéphalogramme..." wiederholt Paulette, als sie allein ist. Génessier hat bereits beschlossen, daß Paulette nicht mehr allzu viel Zeit bleiben soll, um neue Worte zu lernen.
Génessier: Du benutzt kein Make-up, hoffe ich? – Christiane: Nein, warum? – Génessier: Nichts. Du bist schön, das ist alles.
Aber er scheint schwer besorgt. Auch Louise hat es gemerkt. Im Dunkel des Gartens fragt sie ihn nach der Wahrheit. Sie weiß, daß er lügt. Sie habe gelernt, in seinem Gesicht zu lesen. (Es sagt viel über ihre Beziehung zu Génessier, daß sie in einem völlig unbewegten Gesicht zu lesen weiß).
Mit tonloser Stimme gibt er zu: Es ist mißglückt.
Wir nehmen Abschied von Christianes porzellanschönem Antlitz. 20. Februar: Eine Woche nach der Heilung erscheinen kleine verfärbte Flächen. Eine niederschmetternd nüchterne Reihe von Großaufnahmen dokumentiert den Verlauf der von Génessier in voice-over beschriebenen Zerstörung von Christianes Gesicht. Nach ein paar Tagen: beim Abtasten werden subkutane Knötchen fühlbar. 12. Tag: Absterben des übertragenen Gewebes evident. 20. Tag: Geschwürbildungen; Entzündungen; Anzeichen der Abstoßung des Transplantats. Das tote transplantierte Gewebe muß entfernt werden.
Louise betritt Christianes Zimmer, die weiße Maske in der Hand. Christiane liegt stumm verzweifelt auf dem Boden, erneut ihr Gesicht verbergend.
Génessier steht vor einem auf dem Operationstisch festgeschnallten Hund und betrachtet ein an dessen Flanke transplantiertes Fellstück. Bei jedem Hund, so sagt er zu sich selbst, gelinge es. Doch er komme einfach nicht über das Bestialische hinaus.
Christiane schleicht in der Nacht zum Telefon. Jacques' Reaktion läßt erkennen, daß dies zum wiederholten Mal geschieht: er bittet die Person am anderen Ende, endlich zu sprechen. "Jacques..." haucht Christiane mit einer Jenseitsstimme, die ihm das Mark gefrieren läßt. "Jacques..." Er blickt ungläubig den Hörer an. Er den Anruf einer Toten erhalten.
Aber vielleicht hört er noch die Stimme von Louise am anderen Ende: "Christiane!" - Louise nimmt ihr den Hörer aus der Hand und legt auf.
Louise: Christiane, sind Sie wahnsinnig geworden? Wen haben Sie angerufen? – Christiane: Niemanden.
Jeder ist niemand für eine, die selbst niemand mehr ist.
Christiane: Ich weiß, die Toten sollten schweigen. Dann will ich aber auch wirklich tot sein. Ich ertrage es nicht mehr... Angst vor meinem eigenen Gesicht zu haben... Angst davor, es zu berühren...
Die Lippen der Maske bewegen sich nicht, wenn Christiane spricht. Das ist unheimlich. Dann rollen Tränen über die Maske. Das ist herzzerreißend. Louise nimmt Christiane verzweifelt in den Arm und versucht erneut, sie an Génessiers Erfolg glauben zu machen.
Christiane: Sie lügen! Er experimentiert mit mir, als wäre ich einer seiner Hunde. Ein menschliches Versuchsobjekt. Welch Gottgeschenk für ihn.
Christiane will sterben. Sie wispert Louise den heißen Wunsch ins Ohr, eine von den Injektionen zu erhalten, mit denen Génessier sich seiner Hunde entledigt, wenn etwas schiefgegangen ist. Dann sinkt sie ohnmächtig zu Boden.
Jacques erklärt dem Inspektor: es war Christianes Stimme, er sei sicher. Als der zunächst ungläubige Inspektor zufällig auf den Hinweis zu sprechen kommt, der das auffällige Perlencollier betrifft, läutet bei Jacques eine Glocke.
Die Trägerin der Perlenkette steckt sich derweil in ihrem 2CV entschlossen eine Zigarette zwischen die Lippen, in der Nähe der Sorbonne Studentinnen beobachtend.
Französische Ermittler sind nicht mehr so gönnerhaft weiblicher Schönheit gegenüber, wenn sie beim Ladendiebstahl erwischte Mädchen für ihre Zwecke einsetzen können. Dem Mädchen, Paulette Mérodon, wird erklärt, was sie tun muß, um Gerichtsverhandlung und Gefängnis zu umgehen: ihre Haare blondieren und sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen in Génessiers Klinik begeben. Jacques ist eingeweiht.
Am nächsten Morgen visitieren Génessier und Jacques das Krankenbett der jungen Paulette. Génessier stutzt nicht so sehr wegen des entzückenden Nachthemds, das sie trägt. Er ordnet eine Untersuchung der Augen und ein Elektroenzephalogramm an.
"Un eléctro... encéphalogramme..." wiederholt Paulette, als sie allein ist. Génessier hat bereits beschlossen, daß Paulette nicht mehr allzu viel Zeit bleiben soll, um neue Worte zu lernen.
Im
nächsten Zimmer wartet ein kleiner Junge in seinem Bett auf Génessier und
Jacques. Génessier erscheint warmherzig, als er den Jungen zu beruhigen sucht.
Génessier will von dem Jungen wissen, wie viele Finger er hochhalte. Es sind
vier, die der Doktor nicht allzu weit entfernt in die Höhe hält. Der Junge
blickt angestrengt: "Drei." - "Und jetzt, wie viele?" (Es
sind 3).
"Drei.
Nein... zwei!"
Sehr langsam wechselt Doktor Génessier darauf seine Brille. Der Junge wagt ein scheues Lächeln zu seiner Maman.
Die Maman fragt den Doktor nach seiner Meinung. Mit Grabesstimme erklärt Génessier, er habe sehr viel Hoffnung. Ob er dem Jungen helfen könne? Auf die Worte, die er immer hört, sagt er die Worte, die er immer sagt: Gewiß. Vertrauen Sie mir.
Auf dem Korridor fragt Jacques ihn nach seiner Prognose. Génessier fragt zurück: was ist Ihre? Dabei blickt er Jacques nur kurz an, und ohne eine Antwort abzuwarten, sagt er, sich zum Gehen wendend: Wir stimmen überein.
Die schöne Paulette folgt mit Elektroden am Kopf den Anweisungen der Schwester: Augen schließen... Augen öffnen... Génessier betritt den Untersuchungsraum, wirft einen Blick auf die Aufzeichnungen der Nadel und einen merklich interessierteren Blick auf Paulettes Gesicht.
Sehr langsam wechselt Doktor Génessier darauf seine Brille. Der Junge wagt ein scheues Lächeln zu seiner Maman.
Die Maman fragt den Doktor nach seiner Meinung. Mit Grabesstimme erklärt Génessier, er habe sehr viel Hoffnung. Ob er dem Jungen helfen könne? Auf die Worte, die er immer hört, sagt er die Worte, die er immer sagt: Gewiß. Vertrauen Sie mir.
Auf dem Korridor fragt Jacques ihn nach seiner Prognose. Génessier fragt zurück: was ist Ihre? Dabei blickt er Jacques nur kurz an, und ohne eine Antwort abzuwarten, sagt er, sich zum Gehen wendend: Wir stimmen überein.
Die schöne Paulette folgt mit Elektroden am Kopf den Anweisungen der Schwester: Augen schließen... Augen öffnen... Génessier betritt den Untersuchungsraum, wirft einen Blick auf die Aufzeichnungen der Nadel und einen merklich interessierteren Blick auf Paulettes Gesicht.
In seinem Zimmer trifft er Jacques. Keine Anzeichen, daß dieser Paulette Mérodon etwas fehlt, raunt er. Auch das Elektroenzephalogramm ergibt nichts. Er weist die Schwester an, Paulette Mérodon noch am selben Abend zu entlassen. So werde ein Bett frei. Für eventuelle Notfälle.
Paulette tätigt, bevor sie die Klinik verläßt, an der Rezeption einen Anruf bei ihrer Mutter und fragt die Nachtschwester, wie man nach Paris zurückkomme. Die Bushaltestelle sei eine Viertelstunde entfernt, antwortet die Schwester. Doch gerade als Paulette einen langen Gang durch dunkle Nacht beginnt, ertönt das verdrehte Walzermotiv. Und kurz darauf steigt Paulette zu Louise in den 2CV.
Jacques informiert Inspektor Parot darüber, daß Paulette die Klinik verlassen hat. Parot will überprüfen, ob Paulette sicher zu Hause angelangt ist.
Paulette ist auf Génessiers Operationstisch angelangt, und da sie bewußtlos ist, spürt sie nicht, wie der Doktor eine schwarze Linie auf ihr Gesicht zeichnet. Und wir wissen nicht, was ihm die Gewißheit gibt, daß dieser Versuch gelingen wird. Wir wissen aber mittlerweile, daß Génessier diese Gewißheit hat.
Louise unterbricht die Vorbereitungen. Zwei Männer würden ihn in der Klinik erwarten. Das Mädchen mit dem markierten Gesicht bleibt angeschnallt zurück. Die Kamera schwenkt: in der Ecke sitzt Christiane mit ihrer Maske, denen nachblickend, die nicht das Wort an sie gerichtet haben.
Inspektor Parot ist mit seinem jungen Kollegen erschienen, um zu prüfen, ob Paulette Mérodon an diesem Abend die Klinik verlassen habe.
Génessier: Woher wissen Sie, daß sie heute entlassen werden sollte? – Parot: Sie hat ihre Mutter angerufen, um zu sagen, daß sie zurückkommt. Aber sie kam nicht zurück.
Génessier gibt die Frage, ob Paulette die Klinik verlassen hat, an die Nachtschwester weiter.
Génessier: Sie interessieren sich also für diese junge Dame? – Parot: Ja. Sie ist in einen Fall verwickelt, und wir wollten heute mit ihr reden. – Génessier: Ich fürchte, da kommen Sie ein wenig zu spät.
Die Schwester findet das Entlassungspapier und erinnert sich an Paulette. Parot und sein Kollege entschuldigen sich für die Störung. Jacques verläßt mit ihnen zusammen das Gebäude. Auch er entschuldigt sich bei den Ermittlern. Die beiden sind voller Verständnis. Parot sagt, sie seien es gewohnt, falschen Spuren nachzugehen. Und überhaupt verstehe Parot, was in Jacques vorgehen muß. Immer noch ein verständnisvolles Wort wird gesucht, und die Szene dehnt sich derart in die Länge, daß wir für Paulette schon das Schlimmste befürchten.
Endlich zurück zu Paulette. Sie atmet schwer, schluckt, erwacht. Festgeschnallt. Verfällt in Panik, bricht in Tränen aus. Christiane sieht ihr zu und schüttelt langsam den Kopf. Sie erhebt sich und geht langsam auf Paulette zu. Jetzt erst erblickt Paulette Christiane mit ihrer Maske. Christiane nimmt ein Skalpell, was Paulette aufschreien läßt; aber Christiane schneidet die Gurte durch, die Paulette fesseln.
Da erscheint Louise. Schweigend erhebt Christiane das Skalpell. Louise sagt: Legen Sie das hin. Von hinter der Maske ertönt ein gedämpftes "Non." Im nächsten Augenblick steckt das Skalpell zwischen den Perlenreihen des Colliers, das Louise trägt. Dort, wo die Narbe war. The old wound fever.
"Pourquoi?" haucht Louise, das Skalpell im Hals, Tränen treten ihr in die Augen, die ungläubig und fast mitleidig blicken, dann sackt sie an der Wand zusammen - der dunkle Engel des Todes vom hellen Engel des Todes getötet.
Paulette ergreift die Flucht. Christiane wendet sich stumm ab. Auch zwischen ihnen ist kein Wort gefallen. Christiane existiert außerhalb von allem.
Sie
geht zu denen, mit denen sie etwas gemeinsam hat. Sie läßt die Hunde aus den
Käfigen frei. Bellend jagen die Tiere davon. In die Richtung, in der es auch
für sie noch etwas zu tun gibt. Während Christiane auch die weißen Tauben aus
ihrem Käfig befreit, wird Génessier von seinen eigenen Hunden zerfleischt, sein Gesicht entstellt.
Eine Taube ist auf Christianes Schulter geflogen. Sie trägt sie auf ihrer Hand ins Freie. Mit märchenhafter Grazie, wie auf dem Gemälde. Christiane wandert hinaus in die Nacht, in der nur sie ist, sie und die weißen Tauben, die um sie herum schweben. Eine Szene von purer Magie, der Film erreicht mythische Qualität mit diesem Bild wie aus einem dunklen Märchen.
"The French news magazine L'Express noted the audience 'dropped like flies' during the heterografting scene." (wikipedia) Die Aufführung von Les yeux sans visage beim Edinburgh Film Festival 1960 führte zu sieben Ohnmachtsanfällen. Die Filmkritikerin Isabel Quigly schrieb in The Spectator, Eyes Without A Face sei "the sickest film", der ihr je untergekommen sei. Das Horrorgenre war ein verrufenes Genre, und Les yeux sans visage war ein verrufener Film, der ein traumatisiertes Publikum hinterließ. Allein, was Pierre Brasseur, Alida Valli und - vor allem, weil nahezu den ganzen Film hindurch ohne Mimik, nur durch die Augen und die Sprache ihres Körpers - Edith Scob in diesen Film veranstalten, erreichen andere Schauspieler im Leben nicht, selbst wenn sie King Lear oder Medea spielen.
Edith Scobs feinfühlige Fragilität und Alida Vallis dunkel glimmende Hingabe sind die Pole, zwischen denen die Grausamkeit des von Schuld zerfressenen mad scientist als Akt perverser Zärtlichkeit oszilliert. Génessier sucht Erlösung von seiner Schuld. Nur deshalb, nicht für sich, erduldet Christiane, die schon weit jenseits aller Tränen ist, seine Versuche, sie in ein Leben zurückzureißen, in dem es noch Tränen gibt, ein Lächeln indes nicht mehr.
Génessier, verantwortlich dafür, daß seine Tochter aus der Form des Menschlichen gerissen ist, lädt im manischen Versuch, seine Schuld zu tilgen, immer neue Schuld auf sich; für die Erlösung tötet er. Er scheitert immer fataler, je mehr er sich weigert, sein Scheitern hinzunehmen. Dieser scientist ist mad, weil er sich nicht mehr dafür interessiert, wieviel Schuld in seiner Sühne steckt. Mit diabolischem Ingrimm sucht er Verwüstung von Schönheit zu beheben, indem er andere Schönheit verwüstet, und Leben zurückzugeben, indem er anderes Leben vernichtet. Génessier selbst besteht aus unsichtbaren Masken: seine Schroffheit der Welt gegenüber maskiert Indifferenz, seine Indifferenz maskiert Obsession, seine Obsession maskiert Zärtlichkeit, seine Zärtlichkeit maskiert Grausamkeit.
Christiane erlebt mit dem Verlust ihrer Gesichtszüge den Verlust ihrer Identität. Als sie post-operativ für kurze Zeit in engelhafter Schönheit leuchtet, ist es die Schönheit einer Fremden für sie; mehr noch: sie muß das unfaßbare Gefühl durchstehen, mit der Schönheit einer Toten zu leben. Dann ist sie dem Horror der erneuten Desintegration ausgesetzt. Sie, die ihrer humanen Form beraubt ist, fühlt die inneren Grenzen des "Menschlichen": von Anfang an ungläubig, hoffnungslos und widerwillig, rebelliert sie schließlich dagegen, daß ihr Vater gegen das Unabänderliche aufbegehrt, und befreit, bevor sie sich ein- für allemal entzieht, die anderen Opfer der grausamen Experimente ihres Vaters. Sie selbst war schon immer jenseits der Erlösung.
Sie ist von Anfang an das Opfer ihres Vaters: vor dem Unfall offenbar ebensosehr wie nach dem Unfall. Génessier exerziert seine Obsessionen an seiner Tochter aus, ohne mit ihr zu kommunizieren. Franju "grabbed medical ethics by the horns" (Clarens 1971, 224); gewiß insofern, als er den Arzt, den klassischen Philanthropen, als Misanthropen zeigt, der für sein Ziel über Leichen geht. Medizin findet sich nicht ab: damit beginnt sowohl ihre Fähigkeit zur Heilung als auch ihr Sadismus. Der mad scientist ist die Extremform des Sich-Nicht-Abfindens, die zu extremen Mitteln greift. Verstörend erinnert Augen ohne Gesicht daran, daß medizinischer Fortschritt stets einhergeht mit exploitation.
Aber es geht nicht nur um medizinische Ethik. Die Obsession Génessiers ist privat. Anders als bei Frankenstein ist Génessiers Auflehnung gegen das "Schicksal" nicht durch universale Gegebenheiten motiviert. Génessiers Hybris wird virulent in dem Augenblick, da er erkennt, daß "Schicksal" ein Deckname für Schuld, für individuelle Verantwortung sein kann.
Der Film ist ein Gewebe aus Poesie und klinischer Kälte. Das Horrorpotential der Szenen im Operationsraum liegt in der peinlichen Genauigkeit, mit der die Kamera einen enervierend real wirkenden Vorgang zu übertragen scheint. Auch hier Repulsion und Faszination zu gleichen Teilen; während man sich vor Widerwillen im Sessel windet, wünscht man dem Operateur wenigstens eine ruhige Hand.
Alida Valli als Louise nimmt für Clarens "the bodeful presence of one of Cocteau's (...) messengers of death" (Clarens 1971, 225) an. Ein unheilverkündender, weiblicher stalker in den Straßen von Paris. Zwischen Cocteau (Christiane weht durch das Haus ihres Vaters in Szenen von traumhafter Schönheit, die, wie auch die Schlußszene mit den weißen Tauben, an La Belle et la Bête erinnern) und Pulp wird Les yeux sans visage angesiedelt. Augen ohne Gesicht ist getaucht in Ambivalenz: eine Atmosphäre von grausamer Zärtlichkeit, eine Mischung aus Intimität und Indifferenz, aus heißen Tränen und Erbarmungslosigkeit, aus Empathie und messerscharfer Kälte, aus Sehnsucht nach Schönheit und Destruktion von Schönheit, aus Traum und Albtraum; das Ineinander von Humanismus und Sadismus; Distanziertheit, die Abgründe menschlicher Verzweiflung fühlbar macht; ein Zugleich von klinischer Hyperrealität und märchenhafter Poesie; ein Realismus des Surrealen.
Ein Film, dem Hogan "unexpected sentiment" und "a melancholy beauty" (Hogan 1997, 66) zuschreibt und der anderen als "One of the most horrifying films of the genre" (Frank 1974, 108) gilt, als atemlos machende "alliance of poetry and terror" (Clarens 1971, 225). Les yeux sans visage ist ebenso einflußreich gewesen wie einzigartig geblieben.
Franjus Film hat, als er die Entfernung eines weiblichen Gesichts zeigt, bereits so viel Ergriffenheit und innere Beteiligung am Schicksal Christianes erregt, daß der einerseits durch die kaum erträgliche Deutlichkeit, mit der das Abtrennen der Haut gezeigt (und zu Gehör gebracht) wird, demoralisierte Zuschauer andererseits auch nahezu ent-moralisiert hofft, was auch chinesische Artisten sich vor den Auftritten wünschen: möge die Übung gelingen. Überdies transzendiert die Szene auch den bloßen Schockeffekt: man hat im Zusammenhang mit Les yeux sans visage von the poetry of gore gesprochen.
Als er den Film drehte, erinnerte sich Franju, lautete die Vorgabe: keine Blasphemien, wegen des spanischen Marktes; keine Nacktheit, wegen des italienischen Marktes; kein Blut, wegen des französischen Marktes; keine Grausamkeit zu Tieren, wegen des englischen Marktes. "Und da sollte ich einen Horrorfilm drehen!"
Es ist ihm gelungen.
Eine Taube ist auf Christianes Schulter geflogen. Sie trägt sie auf ihrer Hand ins Freie. Mit märchenhafter Grazie, wie auf dem Gemälde. Christiane wandert hinaus in die Nacht, in der nur sie ist, sie und die weißen Tauben, die um sie herum schweben. Eine Szene von purer Magie, der Film erreicht mythische Qualität mit diesem Bild wie aus einem dunklen Märchen.
"The French news magazine L'Express noted the audience 'dropped like flies' during the heterografting scene." (wikipedia) Die Aufführung von Les yeux sans visage beim Edinburgh Film Festival 1960 führte zu sieben Ohnmachtsanfällen. Die Filmkritikerin Isabel Quigly schrieb in The Spectator, Eyes Without A Face sei "the sickest film", der ihr je untergekommen sei. Das Horrorgenre war ein verrufenes Genre, und Les yeux sans visage war ein verrufener Film, der ein traumatisiertes Publikum hinterließ. Allein, was Pierre Brasseur, Alida Valli und - vor allem, weil nahezu den ganzen Film hindurch ohne Mimik, nur durch die Augen und die Sprache ihres Körpers - Edith Scob in diesen Film veranstalten, erreichen andere Schauspieler im Leben nicht, selbst wenn sie King Lear oder Medea spielen.
Edith Scobs feinfühlige Fragilität und Alida Vallis dunkel glimmende Hingabe sind die Pole, zwischen denen die Grausamkeit des von Schuld zerfressenen mad scientist als Akt perverser Zärtlichkeit oszilliert. Génessier sucht Erlösung von seiner Schuld. Nur deshalb, nicht für sich, erduldet Christiane, die schon weit jenseits aller Tränen ist, seine Versuche, sie in ein Leben zurückzureißen, in dem es noch Tränen gibt, ein Lächeln indes nicht mehr.
Génessier, verantwortlich dafür, daß seine Tochter aus der Form des Menschlichen gerissen ist, lädt im manischen Versuch, seine Schuld zu tilgen, immer neue Schuld auf sich; für die Erlösung tötet er. Er scheitert immer fataler, je mehr er sich weigert, sein Scheitern hinzunehmen. Dieser scientist ist mad, weil er sich nicht mehr dafür interessiert, wieviel Schuld in seiner Sühne steckt. Mit diabolischem Ingrimm sucht er Verwüstung von Schönheit zu beheben, indem er andere Schönheit verwüstet, und Leben zurückzugeben, indem er anderes Leben vernichtet. Génessier selbst besteht aus unsichtbaren Masken: seine Schroffheit der Welt gegenüber maskiert Indifferenz, seine Indifferenz maskiert Obsession, seine Obsession maskiert Zärtlichkeit, seine Zärtlichkeit maskiert Grausamkeit.
Christiane erlebt mit dem Verlust ihrer Gesichtszüge den Verlust ihrer Identität. Als sie post-operativ für kurze Zeit in engelhafter Schönheit leuchtet, ist es die Schönheit einer Fremden für sie; mehr noch: sie muß das unfaßbare Gefühl durchstehen, mit der Schönheit einer Toten zu leben. Dann ist sie dem Horror der erneuten Desintegration ausgesetzt. Sie, die ihrer humanen Form beraubt ist, fühlt die inneren Grenzen des "Menschlichen": von Anfang an ungläubig, hoffnungslos und widerwillig, rebelliert sie schließlich dagegen, daß ihr Vater gegen das Unabänderliche aufbegehrt, und befreit, bevor sie sich ein- für allemal entzieht, die anderen Opfer der grausamen Experimente ihres Vaters. Sie selbst war schon immer jenseits der Erlösung.
Sie ist von Anfang an das Opfer ihres Vaters: vor dem Unfall offenbar ebensosehr wie nach dem Unfall. Génessier exerziert seine Obsessionen an seiner Tochter aus, ohne mit ihr zu kommunizieren. Franju "grabbed medical ethics by the horns" (Clarens 1971, 224); gewiß insofern, als er den Arzt, den klassischen Philanthropen, als Misanthropen zeigt, der für sein Ziel über Leichen geht. Medizin findet sich nicht ab: damit beginnt sowohl ihre Fähigkeit zur Heilung als auch ihr Sadismus. Der mad scientist ist die Extremform des Sich-Nicht-Abfindens, die zu extremen Mitteln greift. Verstörend erinnert Augen ohne Gesicht daran, daß medizinischer Fortschritt stets einhergeht mit exploitation.
Aber es geht nicht nur um medizinische Ethik. Die Obsession Génessiers ist privat. Anders als bei Frankenstein ist Génessiers Auflehnung gegen das "Schicksal" nicht durch universale Gegebenheiten motiviert. Génessiers Hybris wird virulent in dem Augenblick, da er erkennt, daß "Schicksal" ein Deckname für Schuld, für individuelle Verantwortung sein kann.
Der Film ist ein Gewebe aus Poesie und klinischer Kälte. Das Horrorpotential der Szenen im Operationsraum liegt in der peinlichen Genauigkeit, mit der die Kamera einen enervierend real wirkenden Vorgang zu übertragen scheint. Auch hier Repulsion und Faszination zu gleichen Teilen; während man sich vor Widerwillen im Sessel windet, wünscht man dem Operateur wenigstens eine ruhige Hand.
Alida Valli als Louise nimmt für Clarens "the bodeful presence of one of Cocteau's (...) messengers of death" (Clarens 1971, 225) an. Ein unheilverkündender, weiblicher stalker in den Straßen von Paris. Zwischen Cocteau (Christiane weht durch das Haus ihres Vaters in Szenen von traumhafter Schönheit, die, wie auch die Schlußszene mit den weißen Tauben, an La Belle et la Bête erinnern) und Pulp wird Les yeux sans visage angesiedelt. Augen ohne Gesicht ist getaucht in Ambivalenz: eine Atmosphäre von grausamer Zärtlichkeit, eine Mischung aus Intimität und Indifferenz, aus heißen Tränen und Erbarmungslosigkeit, aus Empathie und messerscharfer Kälte, aus Sehnsucht nach Schönheit und Destruktion von Schönheit, aus Traum und Albtraum; das Ineinander von Humanismus und Sadismus; Distanziertheit, die Abgründe menschlicher Verzweiflung fühlbar macht; ein Zugleich von klinischer Hyperrealität und märchenhafter Poesie; ein Realismus des Surrealen.
Ein Film, dem Hogan "unexpected sentiment" und "a melancholy beauty" (Hogan 1997, 66) zuschreibt und der anderen als "One of the most horrifying films of the genre" (Frank 1974, 108) gilt, als atemlos machende "alliance of poetry and terror" (Clarens 1971, 225). Les yeux sans visage ist ebenso einflußreich gewesen wie einzigartig geblieben.
Franjus Film hat, als er die Entfernung eines weiblichen Gesichts zeigt, bereits so viel Ergriffenheit und innere Beteiligung am Schicksal Christianes erregt, daß der einerseits durch die kaum erträgliche Deutlichkeit, mit der das Abtrennen der Haut gezeigt (und zu Gehör gebracht) wird, demoralisierte Zuschauer andererseits auch nahezu ent-moralisiert hofft, was auch chinesische Artisten sich vor den Auftritten wünschen: möge die Übung gelingen. Überdies transzendiert die Szene auch den bloßen Schockeffekt: man hat im Zusammenhang mit Les yeux sans visage von the poetry of gore gesprochen.
Als er den Film drehte, erinnerte sich Franju, lautete die Vorgabe: keine Blasphemien, wegen des spanischen Marktes; keine Nacktheit, wegen des italienischen Marktes; kein Blut, wegen des französischen Marktes; keine Grausamkeit zu Tieren, wegen des englischen Marktes. "Und da sollte ich einen Horrorfilm drehen!"
Es ist ihm gelungen.
Literatur:
Carlos Clarens: Horror Movies, London 1971 (first published as "An Illustrated History of the Horror Film", New York 1967)
Alan G. Frank: Horror Movies, London 1974
David J. Hogan: Dark Romance. Sexuality in the Horror Film, Jefferson 1997 (Reprint der Erstausgabe 1986)
Carlos Clarens: Horror Movies, London 1971 (first published as "An Illustrated History of the Horror Film", New York 1967)
Alan G. Frank: Horror Movies, London 1974
David J. Hogan: Dark Romance. Sexuality in the Horror Film, Jefferson 1997 (Reprint der Erstausgabe 1986)
P.S.
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