Montag, 11. Mai 2020

Tourneur, Katzenmenschen. Teil 5

























"Was ich gemacht habe, das sind Filme über das Übernatürliche. Und ich habe sie gemacht, weil ich an seine Existenz glaube." - Jacques Tourneur [1]

Anders als Larry Talbot in THE WOLF MAN (1941), "who found redemption in death, being returned to his human form, Irena reverts to corruption, giving events a final, more tragic, twist" (Dyson, 121). Nicht das getötete "Monster" wird wieder menschlich im Moment des Todes, sondern das menschliche Selbst transformiert ins Animalische. Die Verse John Donnes weisen auf die zwei "Welten", die unvereinbar in Irena lebten und wegen ihrer Unvereinbarkeit beide zum Untergang verdammt waren. Zahlreich sind die Gewagtheiten des Films, deren Art der Darstellung so subtil ist, daß sie als Gewagtheiten kaum wahrgenommen werden; nicht zuletzt liegt, genaugenommen, "plot resolution through suicide" (Newman, 62) vor, was der Production Code verbot. Irena muß sterben, nicht für einen bewußt bösartigen Akt; eher dafür, daß sie Angst vor einer unbekannten, geheimnisvollen Sinnlichkeit geweckt hat, dafür, daß sie sich nicht in die konventionelle soziale wie erotische Norm fügt.

Irenas King-John-Statue und ihre Zeichnungen von schwertdurchbohrten Panthern verraten ihren Wunsch, daß ihr Fluch besiegt werden möge. Sie ist heimgesucht, verfolgt, entfremdet, verflucht, und sie gerät an die Falschen, aber sie ist nicht böse. Aus Empathie mit ihrem Drama vergeben wir ihr jede ihrer Handlungen: wenn sie ihrem Pantherfreund einen toten Kanarienvogel vorwirft, erst recht, wenn sie auf Heuchelei, Unverständnis, Mißbrauch ihres Vertrauens und schließlich sexuellen Übergriff reagiert. Sie ist nicht der mörderische Täter, sondern das ultimative Opfer des Films; sie bleibt der Charakter, um den wir uns sorgen, und sie ist der Charakter, den wir betrauern.

Das Verhalten und die Motive derer, die ihr nahekommen – Oliver, Alice, Dr. Judd – sind durchweg mehr als fragwürdig. "What lies behind a brownstone front" – daß die Fassade täuscht, gilt für diese drei mindestens so wie für Irena.

Oliver Reed mag zunächst einnehmend wirken, aber je mehr man von ihm sieht, um so weniger kann man ihn mögen: hilflos und, schlimmer noch, unwillig steht er vor dem ersten sign of trouble in seinem Leben. Er nähert sich Irena mit der Gewißheit, alles zu bekommen, worauf sein Blick fällt, drängt sie zur Hochzeit und rempelt durch ihre Ängste, die er als abergläubischen Unsinn abtut. Irena folgt ihm, weil sie sich einen Ausweg aus einem Leben voller Zweifel an ihrem Wesen erhofft. Dann bekommt Oliver von Irena eines nicht: Sex. Darauf wendet er sich enttäuscht ab. Die Frage ist: geht es dabei primär um den Mangel an Sex, oder primär darum, daß er zum ersten Mal etwas nicht bekommen hat? Oliver ist Designer; jemand, der Imagination nur im Büro benutzt, und nur, um damit Dinge zu bauen. Er ist square. Das Wort kann rechtwinklig bedeuten, aber auch Spießer. Er ist in seinem Job zuhause. In den Szenen, die in Irenas Apartment spielen, wirkt er wie ein Langweiler, der mit sich oder mit Irena nichts anzufangen weiß, blind für die wahre Natur der Erotik, die Natur wahrer Erotik. Als er sich Irena näherte, hat er sich verlaufen. Er wird sein Leben lang Apple Pie essen und voller Narrenglück kleine Masten auf Schiffsmodelle stecken.

Wenn dem Schauspieler Kent Smith "hölzernes Agieren" vorgeworfen wird, ist der Punkt haarscharf verfehlt, den Smith, ein erfahrener Theaterschauspieler, genau getroffen hat: zu zeigen, was für ein fades Etwas der gutaussehende all-American hero ist, der ebenso "straighte" wie seichte Kerl, der ohne rechte Legitimation so auftritt, als wäre das Leben ein Selbstbedienungsladen. Das Publikum sieht einen relativ gutaussehenden Helden, also erwartet es das Verhalten eines relativ gutaussehenden Helden; Oliver Reed liefert es jedoch nicht ab, und Kent Smith wird dafür die Schuld in die Schuhe geschoben. Das ist falsch; Smith demonstriert, wie der gutaussehende Held nur die Rolle des gutaussehenden Helden spielt. Lewton, Tourneur und Kent Smith verspotten in Oliver Reed einen bestimmten Typus.

Alice, für ihren Teil, ist sich sehr bewußt über die Art und Weise, in der sie Olivers Ehe unterminiert. Alles, was ihr in Irenas Gegenwart "herausrutscht", ist wohlüberlegt, ihr Tränenvergießen ist Taktik, und die verschwörerische Zeit, die sie mit einem frisch verheirateten Mann verbringt, spricht Bände. Dr. Judd schließlich ist so faszinierend unsympathisch, daß man schon aus Protest gegen ihn geneigt ist, seine Methodik abzulehnen und das Übernatürliche zu akzeptieren. Er ist eindeutig in seinen Avancen und doch seltsam zweideutig. Mit Irena hat Dr. Judd immerhin eines gemeinsam: in einer Gesellschaft, die stolz auf ihre eigene "Normalität" zu blicken gewillt ist, muß auch er als ein beunruhigender Repräsentant der Raffinesse und Dekadenz der Alten Welt rezipiert werden. Und darum muß auch er den Film tot verlassen.

Bemerkenswert ist übrigens, daß nur Irena, die Exilantin und Fremde, ein Refugium hat, das sie ihr eigen nennen kann. Alice bewohnt ein Zimmer im YWCA, Dr. Judd lebt, wenn er sich nicht gerade in seinem Büro aufhält, im Hotel ("I called your hotel", sagt Alice zu ihm am Telefon); wie und wo Oliver wohnt, bevor er bei Irena einzieht, bleibt ein völliges Rätsel.

DeWitt Bodeen, der Drehbuchautor, erinnert sich, wie auch hartgesottenes Publikum von der dunklen Magie des Films erfaßt wurde: "There were gasps and some screaming as the shock sequences grew. The audience accepted and believed our story and was enchanted." (zit. in: Dyson, 121). Menschen sahen sich den Film ein zweites und drittes Mal an; der Film brach Rekorde im Rialto in New York, und im Hawaii Theatre in Hollywood, wo er 13 Wochen lief: "This was unheard of for a cheap B-movie" (Dyson, 121). Dyson zitiert als Erklärung für den Erfolg des Films, der die bereits scheintote RKO wieder zu Leben erweckte, die Aussage Robin Woods: "Audiences responded to being treated like adults, and this was one of the first Hollywood movies to foreground the topic of sexuality in such an unashamed manner. Of course this isn't the only factor in its box-office success. The film is genuinely frightening, brilliantly made and completely different from anything that had come before it (...)" (zit. in: Dyson, 122).

Geoffrey O'Brien schreibt in "Cat People: Darkness Betrayed": "The actual supernatural menace in Cat People—which takes a long time to arrive—in a way comes as a relief from watching the painful disintegration of Irena and Oliver's relationship. Rarely had a Hollywood film of any genre so elliptically yet vividly expressed a fundamental inability to connect, a wounding sexual grief manifested in moods of frustration, mistrust, irritation, appeasement, yearning, hapless fascination, unbreachable depression. It is an intimate story about the terrors of intimacy. No mere otherworldly horror could match the shot of Oliver turning away in sheer incapacity, lighting a cigarette while Irena is attempting to convey the depth of her anguish." [2]

Ein Film mit dem scheinbar so bizarren Titel CAT PEOPLE bestätigte auf so ernsthafte wie berührende Weise: Liebesbeziehungen sind eine schwierige Angelegenheit.

Newman zitiert ein Memo Val Lewtons, das einen ersten Entwurf der letzten Szene enthält: "For the final scene, I'd like to show a violent quarrel between the man and woman in which she is provoked into an assault upon him. To protect himself, he pushes her away, she stumbles, falls awkwardly, and breaks her neck in the fall. The young man, horrified, kneels to see if he can feel her heart beat. Under his hand black hair and hide come up and he draws back to look in horror at a dead, black panther." (zit. in: Newman, 11). Irena als Panther ist dann in der letzten Szene zwar nicht deutlich zu sehen, aber die Deutlichkeit dessen, was zu sehen wäre, wenn etwas zu sehen wäre, steht trotzdem vor Augen.

Linaweaver bemerkt noch 1995 eine Kontinuität des Versuchs, den Film anders sehen zu wollen, als er ist: "(...) it should be noted that though materialistic explanations for the film's weird events are continuously offered, by the fade-out everyone has been forced to accept the reality of the supernatural (...)" (Linaweaver, 6).

Ähnlich Newman 1999: Dies ist nicht – "though many commentators have said it is or ought to be – a respectable psychological study of a woman with a neurosis; Cat People is a horror film about a woman who turns into a panther" (Newman, 36). In kontinuierlicher Folge hatten die Ereignisse auf der Leinwand den Erklärungen, mit denen die Existenz des Übernatürlichen bestritten werden sollte, bereits widersprochen, indes auf einer subtilen, nicht ausformulierten Ebene. "Irena's transformation takes on the aura of a holy of holies not to be profaned by being filmed" [2], indes, nochmals: am Ende bleibt nur das Akzeptieren des Übernatürlichen.

Hans Schifferle, der den Film ein "Kleinod dunkler Träume" nennt, getaucht in eine "Atmosphäre von Gefahr und Unterdrückung, von Schönheit und Traurigkeit", hat zu den Versen John Donnes eine Variante ausgesucht:

"Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, daß er nichts mehr hält. / Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt." (Rainer Maria Rilke, Der Panther, zit. in: Schifferle, 86).

Irena ersehnt, daß Oliver die Furcht in ihr verlöschen läßt; am Ende bleibt die quälende Frage, ob Liebe, eine Geste absoluten Vertrauens, ein Willensakt, eine Erotik machtvoller als die Macht in ihr, ob irgend etwas den Horror, der in Irena lauerte, verhindert hätte: die Metamorphose in etwas Nichtmenschliches, den vollständigen Verlust der Kontrolle über das Ich und den Körper.

Im Unterschied zu manch anderem Horrorfilm der "klassischen" Aera enthält CAT PEOPLE Sequenzen, die noch immer als "some of the most chillingly satisfying sequences of horrific cinema" (Pacific Film Archive) gelten können. Trotz dieses Potentials, so muß man beinahe formulieren, gilt für CAT PEOPLE wie für kaum einen anderen klassischen Horrorfilm: was früher Horror war, ist heute große Poesie. Der Film verliert sein Geheimnis nicht: "each viewing has revealed some new aspect, some unnoticed detail carefully crafted, some resonance perhaps unintended (...)" (Newman, 73). Und eben dies gehört zu den Kennzeichen großer Poesie.

CAT PEOPLE, sagt Robert Zion,

"... ist vielleicht sogar mehr als nur ein Film. Man könnte den Film ein visuelles Gedicht nennen, die vielleicht schönste Liebeserklärung an die Frau, die jemals von einer Gruppe von Männern - Produzent Val Lewton, Regisseur Jacques Tourneur, Kameramann Nicholas Musuraca, Drehbuchautor DeWitt Bodeen, Cutter Mark Robson, Komponist Roy Webb - auf die Leinwand gebracht wurde." [3].
















[1] Jacques Tourneur, zit. in: Arthaus Collection Klassiker - 11 [DVD]
[2] Geoffrey O'Brien, Cat People: Darkness Betrayed. On Film / Essays - Sep 20, 2016 -- https://www.criterion.com/current/posts/4228-cat-people-darkness-betrayed
[3] Filmblog von Robert Zion: http://filmblog.robert-zion.de/cat-people-1942-von-jacques-tourneur


Literatur:

Dyson, Jeremy: Bright Darkness. The Lost Art of the Supernatural Horror Film, London 1997.
Linaweaver, Brad: Spiritual Terror - The Horror Films of Val Lewton, in: Wonder Magazine # 11, Atlanta 1995.
Newman, Kim: Cat People, London 1999 (BFI Film Classics).
Schifferle, Hans: Die 100 besten Horrorfilme, München 1994.



























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