Ziemlich bald nach
"Aladdin Sane" besaß ich die LP "Images", auf der Bowies
prä-"Space Oddity"-Aufnahmen für das Deram-Label versammelt waren,
alle Songs auf dem Cover mit bunter Zeichnung illustriert. "The Laughing
Gnome" und der Friedhofsmonolog von "Please Mr. Gravedigger",
Duett für verschnupfte Stimme und sound
effects, dazwischen eine Anthologie wunderlicher Charaktere, seltsam old-fashioned anmutend, Bowies Old Curiosity
Shop, aber mit Bildern, die mich nicht mehr losließen, wie das schöne
einsame Mannequin aus "Maid Of
Bond Street":
This girl is a
lonely girl
Takes the train
from Paddington to Oxford Circus
Buys the Daily News
But passengers
don't smile at her, oh no, don't smile at her.
Oder die little backward steps aus "Sell Me
A Coat":
A winter's day, a
bitter snowflake on my face
My summer girl
takes little backward steps away
Bowies Method Acting als mädchenmörderischer
Grabschaufler war nicht gerade Erbauungsliteratur, aber extrem beeindruckend. Ich
schulte daran mein Cockney-Englisch und trug in der 8. oder 9. Klasse Passagen
aus "Please Mr. Gravedigger" in den Pausen vor. Half meinem Ruf als liebenswürdig aber spooky ganz ungemein.
Mikro-Epen von
schräger Theatralik, die durch alle Ritzen fielen, charmant bis faszinierend
bis wunderschön. (Bis unwiderstehlich: "In The Heat Of The
Morning", 2008 von Alex Turner folgerichtig für The Last Shadow Puppets
gekapert.) Themen, die wiederkehren würden: gender-Verwirrung ("She's Got Medals"), messianische
Figuren in apokalyptischen Szenarien ("We Are Hungry Men"), spirituelle
Suche: zwei Songs ("Silly Boy Blue", "Karma Man") künden
von Bowies Interesse an Tibetanischem Buddhismus. Harrers "Seven Years in
Tibet" hatte er im Anschluß an Kerouacs "The Dharma Bums" schon
als Teenager verschlungen. Bowie verstand Buddhismus als "a process of
self-discovery, of discovering the truth for oneself." - "Silly Boy
Blue" ist auf einfache Weise fremdartig schön, und Bowie singt Zeilen wie
"Yak butter statues that melt in the sun" vollkommen unbeirrt und absolutely gorgeous.
And I'm floating in
a most peculiar way
And the stars look
very different today
For here am I
sitting in a tin can
Far above the world
Planet Earth is
blue
And there's nothing
I can do
Bowie schreibt
"Space Oddity" um Weihnachten 1968. Apollo 8 erreicht am 24. Dezember
die Mondumlaufbahn, Astronaut Anders macht mit einer Hasselblad 500 das -> Earthrise-Foto - die Erde, kalt und blau
und allein.
Natürlich sieht Bowie Stanley
Kubricks "2001 - A Space Odyssey" im Sommer 1968 x-mal. Irgendwann
in dieser Zeit "a flirtation with smack". Die Actrice mit dem preziösen,
geradezu vernunftwidrigen Pseudonym Hermione Farthingale beendet die turbulente
Liebesbeziehung mit Bowie. Einen Tag danach entsteht die erste Version von
"Space Oddity". Mirakulös, wie Bowie es schafft, bei all der
Komplexität und all den Akkordwechseln des Songs die Leere und Stille des
Weltraums zum Basiseffekt der Musik zu machen.
SPIEGEL ONLINE Forum
"Elvis - immer noch der King?"
August 2008
eigentlicher_Schwan:
...
aber der Einfluss von Bowie geht so weit, ...
Christian Erdmann:
"There
is old wave, there is new wave, and there is David Bowie", sagte schon
Aischylos. Endlich mal ein Bowie-Rühmer. Zum Haarölpieseln,
wie der Mann in der Regel aus den falschen Gründen gerühmt oder gleich ganz
ignoriert wird. Was ist das nur für eine Welt. Sterndeuter anwesend? Bowie und
Elvis haben beide am 8. Januar Geburtstag. Gute Ecke da: Scott Walker und Jimmy
Page 9. Januar, Blixa Bargeld 12. Januar. Ziemlich revolutionäres Potential
beim angeblich so conservativen Capricorn.
eigentlicher_Schwan:
Endlich
mal jemand, der mir zustimmt, nicht widerspricht!
Ich
glaube das Älterwerden ist anstrengend für einen Popstar. Bowie hat es super
gelöst, könnte man meinen...
Christian Erdmann:
Vielleicht,
weil er sich nie als Popstar verstanden hat? Das wäre ja eben einer der
falschen Gründe. Stunning looks,
Bisexualität, Ziggy Stardust, alles geschenkt, kommt nur eben so ein Film wie
"Velvet Goldmine" dabei raus. Guter Film vielleicht, hat nur
letztlich wenig mit Bowie (oder Iggy) zu tun. Und wenn man weiß, wo
"Low" herkam, - dagegen produziert die Gothicfraktion das muntere
Geschnatter von Internatsschülerinnen. - Sicher konnte Bowie ja immer beides
zugleich, im Abgrund sein und Drüberstehen, sicher konnte er mit allem immer
auch spielen, aber am besten war er ja immer dann, wenn soul searching und Sinnsuche sein Großmeistertum übernahmen,
"Station To Station" zB, von Manierismus ist das alles ziemlich weit
entfernt.
eigentlicher_Schwan:
Ja,
vielleicht. Etwa so wie ich meinte, er wäre viel souveräner als Elvis.
"Station To Station" liegt bei mir seit vielen Jahren rum, wenig
gehört. Vielleicht liegt's daran, dass ich zu der Zeit dann doch eher Kraftwerk
oder Brian Eno gehört habe :o)
Memo: Finde soul searching im Frühwerk!
Christian Erdmann:
Bei "Word On A
Wing" beginnen, über "Quicksand" gehen, Ereigniskarte ziehen:
"Lady Grinning Soul", eigentlich immer schon mein Favorit von "Aladdin
Sane" (neben "Aladdin Sane" selbst), erschien auch gerade auf
einer UK-Kompilation, die Bowie selbst zusammengestellt hat, seine eigenen favourites also. Darauf ist auch
"Some Are", ein Track, der während der Arbeit zu "Low"
entstand, "Desolation Row" in vier Zeilen, von einem Berliner Fenster
aus.
eigentlicher_Schwan:
Bei
"Word On A Wing" beginnen, über "Quicksand" gehen,
Ereigniskarte ziehen...
Ich
seh schon, das ist die Glückskarte! Ein echter Bowie-Kenner! Thx!
"Aladdin Sane" hatte meine große Schwester, das war wohl meine
Küchenschrankkante... :-)
Christian Erdmann:
Verstehe.
"The cries of wolves in the background are sounds that you might
not pick up on immediately. Unless
you're a wolf." - Bowie
I'm
closer to the Golden Dawn
Immersed
in Crowley's uniform of imagery
I'm
living in a silent film
Portraying
Himmler's sacred realm of dream reality
I'm
frightened by the total goal
I'm
drawing to the ragged hole
And
I ain't got the power anymore
No I ain't got the power anymore
I'm
the twisted name on Garbo's eyes
Living
proof of Churchill's lies
I'm
destiny
I'm
torn between the light and dark
Where
others see their target
Divine
symmetry
Should
I kiss the viper's fang
Or
herald loud the death of Man
I'm
sinking in the quicksand of my thought
And
I ain't got the power anymore
Don't
believe in yourself
Don't
deceive with belief
Knowledge
comes with death's release
I'm
not a prophet or a stone age man
Just
a mortal with potential of a superman
I'm
living on
I'm
tethered to the logic of Homo Sapien
Can't
take my eyes from the great salvation of bullshit faith
If
I don't explain what you ought to know
You
can tell me all about it on the next Bardo
I'm
sinking in the quicksand of my thought
And
I ain't got the power anymore.
1997: "I have found over these last few years, that the one
continuum that is throughout my writing is a real simple, spiritual
search."
Aleister Crowley und der Hermetic Order of the Golden Dawn, dem
Crowley angehörte; Nietzsche-Obsession und der Übermensch;
"Himmler's sacred realm of dream reality": was Bowie schon 1971 als sinking
in the quicksand of my thought erlebt, treibt 1975 den Thin White
Duke, Bowie also zu jener Zeit, da er sich nur noch von Milch, roter Paprika
und Tonnen von Kokain ernährt, noch tiefer in esoterische Mythologie, sein
Wohnsitz in L.A. das Hauptquartier eskalierender Magick. "Don't look at the carpet / I drew something
awful on it" ("Breaking Glass", 1977). Bowie zeichnet Pentagramme an die Wände und -
wie auf dem back cover der "Station To Station"-CD zu sehen -
den kabbalistischen Baum der Sephiroth auf Fußböden. Der Dichter in
Cocteaus "Le sang d'un poète" springt durch einen Spiegel, Bowie
erschafft sich Durchgänge auf magische Weise:
"I took it all
most seriously, ha ha ha! I drew gateways into different dimensions, and I'm
quite sure that, for myself, I really walked into other worlds. I drew things
on walls and just walked through them, and saw what was on the other side!"
- Bowie, NME Interview, 1997.
Nichts bezeichnender
als dieses most seriously, ha ha ha.
Wie -> nebenan geschrieben:
"Zu Bowies
Ungreifbarkeit trägt bei, daß er zu zwei Arten von Interviews neigt: ein
ur-englisches an-die-Nase-Tippen, das sagt, haha, war alles nur Spaß, oder aber
eine Art, über seine Kunst zu reden, die klarmacht, daß alles noch viel tiefer
ging, als wir dachten."
Das
Interesse an den Nazis in Bowies Kabbala-Artus-Phase Mitte der Siebziger ist
nicht politisch, sondern gilt der okkulten Seite der Nazimythologie, ihrer
Suche nach dem Heiligen Gral. Du mußt mal was essen, Mann, sagt sein Gitarrist Carlos
Alomar zu Bowie, "der weißeste Mann, den ich je gesehen hatte", durchscheinend weiß, der nach Alomars
Schätzung nur noch 44 Kilo wiegt. Allerdings geht Alomar mit
Zahlen flexibel um; über das Feedback von Earl Slicks Gitarre am Anfang von
"Station To Station" sagt er: "Earl Slick was asked to do
something that was unnatural and that was, 'I want you to sustain a note for,
like, 15 years.'"
The
return of the Thin White Duke, throwing darts in lovers' eyes.
Here
are we, one magical moment
Such
is the stuff from where dreams are woven
Bending
sound
Dredging
the ocean lost in my circle
Here
am I
Flashing
no colour, tall in this room overlooking the ocean
Here
are we, one magical movement from Kether to Malkuth
There
are you
You
drive like a demon from station to station.
"Here am I,
tall in this room overlooking the ocean". Das könnte auch
der auf eine Insel vertriebene Duke
und Magier Prospero sagen, in Shakespeares "The Tempest". "Such
ist the stuff from where dreams are woven" variiert "We are such
stuff / As dreams are made on", The Tempest, Act 4, Scene 1. Bowie lebt 1975 in L.A. to the syllable
das Szenario aus "Quicksand": bedrohlicher Orientierungsverlust
im faszinierenden Labyrinth der Narrative vom Transzendieren des
Menschlichen/Allzumenschlichen.
Die Erschöpfung in
"Quicksand" - erst death's
release gewährt Wissen, Weisheit, Erkenntnis und Einsicht ("Bardo"
ist im tibetanischen Buddhismus der Zwischenraum zwischen zwei Existenzen,
zwischen Tod und Wiedergeburt also) - wird aufgefangen durch die traurig-strahlende
Schönheit von Arrangement und Gesang. Er, der sang: "Ain't there one damn
song that can make me break down and cry?" hat so viele Songs geschrieben,
die einen zum Weinen bringen können.
Auf "Station To Station" wirkt Bowie tatsächlich wie ein von dämonischer
Macht Besessener: bei den Aufnahmen ist er am Rande der Zurechnungsfähigkeit
und des mentalen Zusammenbruchs, und zugleich majestätischer Kommandeur
von Ozeanen, Elementen, Strömen, Richtungen, Schauspielen, Welten. Schwere,
dunkle Textur nach dem Intro, der Tempowechsel - und es ist schon der zweite
Tempowechsel des Songs - bei "It's not the side effects of the
cocaine" einer der großartigsten Momente der gesamten Kunstgeschichte.
Majestätischer Kommandeur auch einer Band, die dann den dramatischsten,
donnerndsten, pulsierendsten, euphorischsten funk abliefert, der je
einen Zug bewegt hat. Oder eine spirituelle Reise. Was hier Fahrt aufnimmt,
läßt sich nicht mehr aufhalten. "Do what thou wilt shall be the whole of
the Law", Aleister Crowley.
"Throwing darts in lovers' eyes": wie Prospero in his
circle einen Zauber zu wirken weiß, der Liebende macht. Selbstredend ist auch Tarot zu dieser Zeit für Bowie "a bit of an
obsession of mine ... along with most things alchemical (and chemical
I should think)". Crowley erwähnt im Buch
Thoth für seine Tarotkarte VI, The Lovers, den Pfeil als besonderes
Symbol der Richtung, direction, das die Dynamik des Wahren Willens
offenbart; darum hat Cupidos Köcher die Inschrift Thelema ("Wille").
Die Komplementärkarte zu The Lovers ist nach Crowley XIV, Art.
Die Kunst.
Immer wieder wird Bowie
"a real simple, spiritual search" als das eine Kontinuum seiner Kunst
bezeichnen, als den großen Zusammenhang in seinem Werk. Dabei ständig die
Grenzen zu verschieben, die wir um unsere Existenz gezogen haben, und in
Bereiche vorzudringen, die dazu neigen, sich zu entziehen, gehört zu Bowies
Unternehmen. Auch Bowies Songs sind gateways
in andere Welten.
"Searching for music is like searching for God", erklärt
Bowie in einem "60 Minutes"-Interview von 2003. "There's an
effort to reclaim the unmentionable, the unsayable, the unseeable, the
unspeakable."
Einmal sagt Bowie über sich: "I built models of the things that I
didn't fully understand." Genau
dafür aber weiß er alle vorhandenen Mittel wie ein Magier zu nutzen. Harry
Maslin, Co-Producer bei "Station To Station":
"David knows exactly what he wants, it's just a matter of sitting
there and doing it till it's done ... David knows a great deal about technical
things. He doesn't know everything, he's not an engineer, but he knows more
about arranging a song, he knows more about how to relate to people and get
what he wants out of them ... If you listen to the rhythms specifically on this
album, there are very strange things going on rhythmically between all the
instruments ... David's a genius when it comes to working out rhythmic feels. He was the mainstay behind it all."
Living in a silent film von "Quicksand" wird zu Flashing
no colour, auch das Albumcover für "Station To Station" läßt
Bowie in letzter Sekunde noch zu Schwarzweiß ändern.
The
return of the Thin White Duke, making sure white stains.
"White Stains":
dies, das, und Titel einer Gedichtsammlung von Aleister Crowley. Kether und
Malkuth: Sephiroth im System der Kabbala. Kether gilt als Ziel der spirituellen
Suche: das Verborgenste, das sich dem Begreifen entzieht.
It's
not the side effects of the cocaine
I'm thinking that it must be love
It's too late to be grateful
It's too late to be late again
It's too late to be hateful
The European canon is here
"The European
canon" - gewiß auch Bowies
Faszination für deutsche Bands wie Neu! und Kraftwerk, für Filme des deutschen
Expressionismus. Ein Europäer im Exil, der seine Rückkehr nach Europa
beschwört. Und dabei ein furchterregend makelloses Album von bösartigem Glamour
produziert. Jahre später erklärt Bowie, daß es ihm nicht gelinge, sich an die
Aufnahmen in irgendeiner Form zu erinnern.
"To understand
the way David works is to know that you can't understand the way David works."
- Harry Maslin
"It's the
tension between the artifice and the emotion, the sheer enigmatic complexity of
what's being expressed, and the uncanny feeling that the band are creating
something that's not entirely down to their own consciousness that has kept me
listening to Station to Station for more than 20 years." - Alex Needham
Should
I believe that I've been stricken
Does my face show some kind of glow?
Bowie kultiviert 1975
auch intensives Interesse an der Kirlian-Fotografie, der Visualisierung von
Korona-Entladung (vulgo: Aura). Thelma Moss von der UCLA konstruiert eigens
eine Kamera für ihn. "Does my face show some kind of glow?" heißt
natürlich auch: ist es denkbar, daß dies Antlitz einmal noch vor Liebe glüht?
Der Outsider, der Verbindung herzustellen versucht, emotional connection.
"Wild Is The
Wind", das blutende Herz eines Androiden. "Word On A Wing", ein
Song wie ein Schutzamulett. "Stay", der synästhetischste Song, den
ich kenne: an gewissen Stellen sehe ich ihn Funken
sprühen.
Gott. Liebe. Der
Heilige Gral.
"Every man and every woman is a star", Aleister Crowley. Zarathustra: eine andere Namensform von Zaraθuštra ist (mittelpersisch) Zardušt. Ziggy Stardust, Starman, waiting in the sky, he'd like to come and meet us but he thinks he'd blow our minds.