Dead of Night, oder: Horror als Identitätskrise männlicher Architekten des scheme of things
Teil 2
Diese
vierte Geschichte von Dead of Night
gilt manchen als unpassender humoristischer Exkurs, spoiling the atmosphere. Dabei gibt es in jeder englischen
Tragödie, siehe die Pförtner-Szene in Shakespeares Macbeth, eine burleske Einlage. [18] Es geht um zwei Golfer, George und Larry (Basil Radford und Naunton Wayne,
unzertrennlich seit Hitchcocks "The Lady Vanishes"), deren Rivalität
noch über das Grab hinaus besteht. Man könnte auch sagen, es geht um Männer,
die mit Instrumenten, die Freud als Phallusersatz zu deuten keine Mühe hätte,
versuchen, etwas in einem Loch unterzubringen ("Das war's! Drin ist
er!"). Beide verlieben sich in Mary, und Mary bleibt ebenfalls eine Frau
zwischen – oder mit – zwei Männern.
Ihre Rivalität tragen die Männer naturgemäß auf dem Golfplatz aus, bis
George
dank einer Schummelei Mary "in der Tasche" (" ... with Mary in
the bag") hat. Der unterlegene Larry geht auf der Stelle ins Wasser / in
den Tod und verfolgt George als Geist, greift ihm in den Schläger und
verhindert das Einlochen. Aber auch die Geisterrolle wechselt, und Mary
wird
vermutlich noch sehr lange eine Frau mit zwei Männern bleiben, die sich
gegenseitig am Einlochen zu hindern suchen. Man soll nicht überall
Symbole sehen, sagt Herodes in Ken Russells Salome's Last Dance.
Unübersehbar
allerdings ist der Phallusersatz in der fünften Episode. Als Foley seine
Geschichte erzählt hat, sehen wir auch Craig wieder in der Runde. Craig
rechtfertigt gleichsam den komischen Exkurs mit seiner Frage an Foley: "Sie
haben mir nur helfen wollen, nicht wahr?" Tatsächlich droht nun der Horror, den Craig voraussah: das Grauen würde ausbrechen, nachdem Eliot vom Tod eines
Mannes spricht, von dem Craig noch nie gehört hat. Aber das Grauen scheint nicht auszubrechen. Mrs. Foley erklärt
entzückt, da der Bann gebrochen sei, könne sie sich um das Essen kümmern, und
Van Straaten gibt zu, daß es auch in seiner Berufskarriere einen Fall gegeben
hat, der ihn erstaunte. Nämlich diesen:
Maxwell
Frere, ein Bauchredner, ist wegen versuchten Mordes an seinem amerikanischen
Kollegen Sylvester Kee angeklagt. Van Straaten wird in diesem Fall um ein
Gutachten gebeten. Frere äußert, keine Hilfe von Van Straaten zu wollen: "Nur
Hugo ist in der Lage, mir zu helfen!" Hugo ist die Bauchrednerpuppe, mit
der Frere aufgetreten ist. "Hugo should be here with me." ("Ich
rede kein Wort ohne meinen Hugo!") Aber Hugo wurde beschlagnahmt. Frere
erklärt, Hugo trage die größere Schuld. "Wie ist egal, Hugo muß zu
mir!" Frere wird wieder abgeführt, und Van Straaten liest Kees Aussage.
Kee und
Frere waren sich begegnet, als Frere in einem Pariser Nachtclub auftrat. Kee
erkundigt sich bei Madame [19]: "This guy Frere, they tell me he's pretty good." - "I'll say he
is!" - "What's he got that I haven't got?"
"Seine
Puppe." Die Bauchrednerpuppe Hugo gehört zu Frere wie ein Teil seines
Körpers. Wie ein bestimmter Teil
seines Körpers. Wir sehen Frere bei seinem Auftritt: Hugo, die Puppe, scheint
tatsächlich mit eigener Stimme, mit eigenem Geist begabt – zumal Michael
Redgrave, Darsteller des Frere, die Lippen über weite Strecken nicht einmal
ansatzweise bewegt. Nur zeitweilig zuckt sein Mund kaum merklich, und Redgraves
Virtuosität in diesen Szenen besteht darin, einerseits die Möglichkeit offen zu
lassen, daß Frere tatsächlich ein begnadeter Bauchredner ist, andererseits aber
den Anschein zu erwecken, daß Frere hier, nervös darum bemüht, den Schein zu wahren, Hugos Rede nur nachempfindet - weil er nicht
weiß, was Hugo sagen wird. Frere und Hugo setzen sich an Kees Tisch, und
Hugo findet Gefallen an Kee. Frere wird sichtlich unruhig, als Hugo Kee
vorschlägt, mit ihm zusammenzuarbeiten: "You interest me quite a lot. We
two could make beautiful music together." - "Das wär' wundervoll,
Hugo, aber wir machen lieber Musik mit Frank!" Als die Musik einsetzt und
Frere mit Hugo die Bühne betreten hat, erklärt Hugo, er habe jetzt keine Lust
zu singen. "Du machst heute mal
den Kanarienvogel", bestimmt er; Hugo will lieber mit Sylvester Kee
sprechen.
Es kommt
also zu keinem Lied; Maxwell scheint keine Kontrolle über Hugo zu haben. Am
Tisch mit Kee stellt die Puppe Hugo den Puppenspieler Frere als seinen Assistenten vor. Hugo fragt
Sylvester Kee erneut: "Wollen wir
zwei zusammen arbeiten?"
Zunächst
scheint es also, als wäre Hugo der operative Phallus, mit dem Frere die Welt
zugleich penetriert und auf Distanz hält. Bei ihrem Auftritt macht die
Frere-Hugo-Einheit spitze, anzügliche Bemerkungen über die Besucher des
Nachtclubs, insbesondere die weiblichen. Hugo erklärt, eine der Damen aus dem
Folies Bergères zu kennen.
Der
operative Phallus aber operiert selbsttätig; Frere ist vielmehr das Organon der
Puppe und in dieser Beziehung der passive Teil. Als Hugo äußert, "mit dem
billigen Kerl" Frere nichts mehr am Hut zu haben, versetzt Frere ihm eine
Ohrfeige, und Hugo kontert: "Immer diese Launen!" ("Temper, temper.
You'll
be sorry for this later, you know.")
Auch "Launen" sind weiblich konnotiert. Hutchings erkennt die
Situation als "representing (...) a homosexual love triangle, with
Sylvester (...) at one point, Maxwell (...) at the second, and the dummy, Hugo,
at the third. The 'bitchiness' of the dialogue between Maxwell and Hugo, and
Maxwell's neurotic fear of Hugo leaving him for Sylvester, both testify to this
level (...) Maxwell's highly pitched, nervous voice and his 'feminine'
mannerisms also signal him as the passive / 'female' half of the
relationship" [20].
Sofern
Frere also ein passiv homosexuell eingestellter Mann ist, der diese seine
Einstellung gleichwohl vor sich selbst zu kaschieren sucht, steht auch hier die
männliche Identität auf dem Spiel. In dieser Situation scheint Hugo als "a
kind of detachable phallus" [21] zu fungieren. Der Männlichkeit "sichernde" Hugo aber desertiert
Maxwell. Zum einen erscheint Maxwell damit als ein weiterer männlicher
Charakter dieses Films, der in gewisser Hinsicht nicht genügt und der in mörderische Eifersucht getrieben wird;
gleichzeitig aber agiert Hugo so autonom in seiner Partnerwahl, wie es Maxwell
möglicherweise gerne täte.
Das
heißt, der Phallus agiert autonom.
Mit Hugo versucht Maxwell sein Bild von "Männlichkeit" zu behalten.
Wenn Hugo eine Beziehung mit einem anderen
eingeht, wird auch Maxwell sich seiner Homosexualität bewußt. Genau das aber
bedroht seine männliche Identität. Sein Horror davor, daß Sylvester ihm Hugo raubt, bedeutet, daß Freres "very
identity, his 'completeness'" [22]
auf dem Besitz von Hugo ruht. Tatsächlich fühlt sich Maxwell ja außerstande,
ohne Hugo sprechen zu können - eine interessante Variante des von Lacan
betonten Zusammenhangs von Phallus und Sprache.
Hugo macht Maxwell vor dem Publikum lächerlich: "Would you believe
it, this guy thinks he carries the act." Nach Maxwells Auftritt ruft Hugo noch einmal durch
den Vorhang, Sylvester solle in seine Garderobe kommen. Als Sylvester dort an
die Tür klopft, ruft Hugos Stimme: "Come in!" Sylvester findet die
Puppe allein im Raum und hört wiederum Hugos Stimme: "Glad to see you,
Sylvester!". Erst dann erscheint Frere aus einem Nebenraum, Zigarette im
Mundwinkel. Sylvester
hebt Hugo empor, Maxwell reißt ihm Hugo aus den Armen: "Sorry, but I can't
bear anyone touching him."
Sylvester ist verwirrt: "Say, I sure liked
it how you pulled that gag." - "What gag?" - "For a moment,
I could've sworn it was the dummy speaking." Sylvester weiß nicht, was
er von Hugos Angebot halten soll, meint, Hugo scheine ja wirklich einen eigenen
Willen zu haben, "this fellow's almost human", worauf Hugo den Kopf
wendet, offensichtlich ohne daß Maxwell ihn bewegt, und feststellt: "Maxwell,
der Typ ist genauso blöd wie du. Vielleicht sollte ich ihn erstmal aufklären."
– Maxwell fährt mit unterdrückter Panik dazwischen: "Das läßt du schön
bleiben!" Das Wortgefecht führt dazu, daß Maxwell der Puppe den Mund
zuhält, und Sylvester wird die Sache unheimlich: "Sagen Sie mal, was geht
denn hier eigentlich vor?" Maxwell fordert Sylvester auf, endlich zu
gehen. Während Frere Hugo den Mund zuhält, hören wir Freres Stimme und die
unartikulierten Protestlaute, die Hugo von sich gibt, gleichzeitig. Sylvester meint, Maxwell solle dringend einen Arzt
aufsuchen: "Sie haben was am Kopf!". In diesem Augenblick preßt
entweder Frere die Zähne der Puppe so stark in seine Hand, daß blutende
Abdrücke zu sehen sind - oder Hugo hat Maxwell in die Hand gebissen. Hugo ruft
Sylvester zu: "Verlaß mich nicht, mein Freund!" Aber Sylvester hält
Maxwell für übergeschnappt und verläßt die Garderobe.
In London
begegnen sich Maxwell und Sylvester erneut. Frere sitzt an der Hotelbar,
abgerissen, betrunken und mit den Nerven sichtlich am Ende, Hugo stumm neben
ihm. Ein Mann erscheint mit zwei Frauen an der Bar, sie reden über Frere und
die Puppe, eine der Frauen sagt: "Ich würde ihn am liebsten mal anfassen,
den Burschen!" ("Oh, I'd just love to pick him up!") Gesagt,
getan. Hugo, schließlich macht er sich nichts aus Frauen, reagiert ungehalten
und droht der Dame mit Schlägen. "Hau ab! Was sagst du, Maxwell! Dieses
Flittchen geht mir glatt an die Wäsche!" Maxwell kassiert die weiblichen
Verwünschungen. Der Begleiter der "Ladies" stellt ihn zur Rede.
"Wo ist hier 'ne Lady?" quakt Hugo. Maxwell kassiert den männlichen
Boxhieb. Sylvester Kee hat die Szene beobachtet. Er bringt Maxwell auf sein Zimmer, legt den Betrunkenen ins Bett – und richtet zum ersten
Mal ein paar Worte an Hugo: "If my pal Fancy Pants got me down the way you
do your boss, well I guess I'd want to be rid of him."
Nachts
wird Sylvester in seinem Hotelzimmer von Maxwell geweckt, weil Hugo
verschwunden ist. "Er ist hier! Ich weiß, daß er hier ist!"
Tatsächlich ist Hugo anwesend. Hat er sich heimlich in Sylvesters Zimmer
begeben? Maxwell schießt auf Sylvester.
Das Ende
der Episode zeigt, wie Van Straaten Hugo zu Maxwell bringen läßt. Maxwell sitzt
apathisch in seiner Zelle, die rechte Hand so erhoben, als würde er mit ihr eine Puppe
dirigieren. Als Maxwell Hugo sieht, reagiert er zunächst panisch, dann erfreut
und erleichtert: "I knew you wouldn't leave me, Hugo. I knew
you'd come back!"
Aber Hugo blökt: "Not for long, my boy. Not for
long!" Van
Straaten beobachtet, wie Maxwell Hugo anfleht, für ihn auszusagen; Hugo erklärt jedoch, daß er für seine Karriere schließlich einen neuen Partner brauche, wenn Maxwell im Gefängnis sitze, und Sylvester werde bald aus der Klinik entlassen.
Als Maxwell erkennt,
Hugo nicht behalten zu können, zerstört er die schreiende Puppe, auf ihrem Kopf
herumtrampelnd. Van Straaten ruft - für einen Rationalisten sinnloserweise - in
die Zelle: "Stop, Frere! Frere! You fool!", wie um Maxwell von einem
Mord abzuhalten. Später, in der Irrenanstalt, bringt Van Straaten Sylvester zu
Maxwell, der nicht mehr spricht (schließlich hat er keinen Phallus mehr).
Endlich spricht er doch - mit Hugos Stimme. "The destruction of
the dummy / phallus – equivalent to the self-inflicted throat-cutting in 'The
Haunted Mirror' – has, quite simply, left Maxwell a castrato" [23]. Nicht nur das. Maxwell
sagt: "Why hello Sylvester... I've been waiting for you.." - mit Hugos Stimme, unter Anstrengung, als
wäre sein Kiefer der einer Puppe. Selbst nun ohne Phallus, ist er bereit,
Sylvesters Puppe zu werden, aber der Preis für diese Erkenntnis ist Wahnsinn.
Seine unterdrückten (homosexuellen) Wünsche vermag er nicht in seine Identität
zu integrieren.
Die personifizierte
Ratio Van Straaten behauptet all dies als Fall von Schizophrenie, von
gespaltener Identität: die eine Hälfte von Frere war er selbst, die andere war
seine Puppe. "Schön und gut", bemerkt Foley, "nur, wie konnte
Hugo die Zimmer wechseln?" Schön und gut, warum liegen in einer Szene zwei Stimmen übereinander? Warum
versucht Van Straaten offensichtlich, den Mord an einer Puppe zu verhindern? Hugo eignet sich eine Persönlichkeit an, und
mit der Persönlichkeit kommt der Nachname: irgendwann im Lauf der Geschichte
heißt die Puppe Hugo Fitch.
Als Grainger
Van Straaten ein Glas Whiskey reicht und der Psychiater im selben Moment seinen
Arm hebt, zerbricht dessen Brille. Dies ist der Augenblick, den Craig
vorausgesehen hat. "It's... started.", sagt er düster. Die anderen
Anwesenden versuchen Craig zu beruhigen, doch der will mit Van Straaten
alleingelassen werden. Van Straaten erklärt Craig, er habe sich dazu
durchgerungen, dessen Traum zu akzeptieren. Jovial fordert die Stimme der Ratio
den Träumer auf, nur weiter zu sprechen. Aber Craig erhebt sich
langsam aus seinem Sessel und sagt: "If only I'd left here when I wanted
to... when I still had a will of my own. You tried to stop me... you wouldn't
have done it if you'd known..."
Craig
tötet Van Straaten. Das träumende Ich würgt die Stimme der Ratio ab, der
Psychiater bezahlt seinen Skeptizismus mit dem Leben. Der Verfechter der
psycho-logischen Erklärung ist aus dem Spiel, und in den folgenden Sequenzen
eskaliert das Schreckensszenario mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Craig
empfängt den Impuls, sich zu verstecken, und wird dabei im surrealistischen
Schnelldurchlauf noch einmal durch die Schauplätze der erzählten Episoden
gejagt, ist jetzt
selbst ihr Bestandteil, fragt Peter, ob er sich im Spiegelraum verstecken
könne, schleppt Sally in eine Rumpelkammer; das Mädchen ruft den Verfolgern zu
"Here he is, up in the lumber room!" Craig schlägt Sally nieder.
"Ist ein Polizist anwesend?" keift Hugo im Nachtclub, auf Sylvesters
Knie sitzend, und der Leichenkutscher / Busschaffner wiederholt sein "Just
room for one more inside, Sir!" jetzt vor einer Gefängniszelle.
Als Craig
auf der Gefängnispritsche liegt, erhebt sich - für Dyson "the film's most
horrific moment" [24],
für Justin Mory "one of the most frightening images in horror movies bar
none" [25] - ein mannsgroß gewordener Hugo und beginnt Craig zu würgen, der Mob der
Verfolger, zombiehaft gewordene Besucher des Nachtclubs, schaut durch die
Gitterstäbe zu.
Ein
Telefon klingelt. Craig erwacht, völlig verstört. Seine Frau betritt das
Zimmer. "Darling, whatever's the matter?" - "Another
nightmare." - "You poor sweet." Seine Frau geht ans Telefon. Es
ist für Craig.
"Wie war der Name, Sir?"
"Eliot Foley! F-o-l-e-y!" [26]
Craig steht auf, erklärt seiner Frau, ein Freund von Bill habe angerufen und ihn zum Weekend eingeladen. "Die Leute wollen ihr Haus umbauen, ziemlich alter Kasten." ("A reconstruction job.").
Seine Frau rät Craig zu, spielerisch
wirft er eine Münze: "Kopf ist annehmen, Zahl ist ablehnen." Kopf.
"Ich tu's." - "That's just what you need, Darling. It'll
help you get rid of those horrible nightmares."
Craig
fährt mit dem Wagen zu dem Landhaus, in das er telefonisch bestellt wurde. Er
hält kurz an, wirft einen Seitenblick auf das hinter einem Waldstück zum
Vorschein kommende Haus, schüttelt ratlos den Kopf und fährt weiter. Er scheint
verwirrt von dem, was er sieht. Aber Craig bewegt sich durch ein endloses Déjà vu, und er befindet sich an dem
Punkt, an dem sein Bewußtsein dafür langsam – wieder – erwacht.
Ad
infinitum, ausweglos. Es sei denn, einmal erscheint Zahl, vielleicht. Oder Van Straaten wird einmal nicht erwürgt, vielleicht.
Nach dem
"Aufwachen" also spricht Craig darüber, daß er geträumt habe, erinnert
sich aber noch nicht daran, daß er, wenn er mit dem Wagen auf das Landhaus
zufährt, wieder zur Traumfigur werden wird, die mit den Figuren seines Traums
auf einer luziden Ebene über seinen Traum sprechen wird. Dead of Night verleiht dem Zuschauer nicht das versichernde Gefühl,
alles war nur ein Traum, und ersetzt
es durch das zutiefst verunsichernde Gefühl, daß der Punkt, an dem man zwischen
Wachen und Träumen unterscheiden könnte, nicht mehr existiert. Das Ende ist
wieder der Anfang, und mit jedem Anfang versinkt Craig tiefer in seinen
Traumabgrund.
Dead of Night provoziert intellektuelle Unsicherheit: "Not
only are the images in the mirror now questionable but also every character and
object before the mirror and indeed even the mirror itself (and also the
'dreamer', Walter Craig). One does not even know whether this is an actual
dream that one is seeing" [27].
Der Traum ohne Ende, aus dem Craig niemals
entkommt, ist auch ein Film ohne Ende, der den Zuschauer mit dem seltsamen
Gefühl entläßt, daß die Geschichte bis in alle Ewigkeit weiter läuft, als
unaufhaltsame, autonome Endlosschleife. Ontologische Sicherheit ist perdu, wenn
das Ende der Nacht nicht das Ende der
Nacht ist und das gute alte "alles nur ein Traum" durch
klaustrophobische Zirkularität ersetzt wird. Der Film hat kein
"recognisable monster"; Dead of
Night ist "rather a film where the monster turned out to be the film itself" [28]. Der Film macht mehrere
phantastische Drehungen: wenn die Tötung Van Straatens durch Craig bedeutet,
daß alles "Übernatürliche" Produkt eines die Ratio ausschaltenden
Gehirns ist, demonstriert andererseits eine Episode nach der anderen, daß eben
dies nicht der Fall ist. Und: zur
selben Zeit, als Craigs rationales
Bewußtsein über die Abläufe auf dem höchsten Punkt ist, gibt Van Straaten, bis
dahin die reine rationale Skepsis, zu, daß auch er einmal an die Grenze des
Erklärlichen gestoßen ist.
Hutchings betrachtet Dead of Night
als "an intense and obsessive meditation on issues arising from the
transition from a wartime to a post-war society" [29]. Viele der Filme der
Kriegszeit suggerierten die Notwendigkeit für das Individuum, persönliche
Wünsche und Ambitionen zugunsten des Wohls der national community zurückzustellen. Die Protagonisten dieser
Filme wurden "from home and family" in eine "more community-based
social structure" überführt. Dead of Night dagegen verlegt die den
Film strukturierende Handlung nicht nur in die Heimstatt eines seiner
Charaktere, sondern darüberhinaus "inside a particular character's
head" [30].
Die unmittelbare Nachkriegszeit bedeutete: verstörte Männer kamen nach
Hause, "and many women giving up, willingly or otherwise, their wartime
occupations and adopting again the nurturing roles of housewife and mother
within the domestic household" [31]. Nach den Zerrüttungen des
Krieges sollte es darum gehen, das traditionelle Familienleben mit seinen
traditionellen Rollenverteilungen wieder zu installieren. Dead of Night läßt sich vor diesem Hintergrund durchaus als
"return to the home" [32] erkennen - aber nicht nur ist dieses home
der Traum im Kopf eines Mannes; der Film stellt überdies seine weiblichen
Charaktere in das strahlende Licht ihrer neugewonnenen Unabhängigkeit. Joyce
und Joan glänzen als starke Frauen, als Repräsentantinnen der Frau, die gelernt
hat, gut ohne den Mann auszukommen. Neben sie stellt Dead of Night männliche Charaktere, deren Nichtbewältigung der
Entmachtung der traditionellen männlichen Rolle in Paranoia und Horror
eskaliert. Innere Zustimmung zur starken
Frau gelingt dem Mann in Dead of
Night ebensowenig wie der Versuch, latente Skepsis gegenüber der monogamen
heterosexuellen Beziehung ohne Horror in Alternativmodelle zu verwandeln. Wo in
Dead of Night das Heim gesucht wird, wartet das
Unheimliche. Walter Craig ist Architekt. Architekten entwerfen the scheme of things. Und über genau
dieses gebietet der männliche Protagonist von Dead of Night nicht mehr; statt dessen wird er gezeigt als Gefangener seines eigenen scheme of things.
Dead
of Night zeigt
"a return to the home", aber nicht "a reconstituted family" [33]. Im Landhaus sind
Vaterfiguren, Mutterfiguren, Frauen, Männer und ein junges Mädchen präsent,
aber als "curiously unintegrated group, the interrelationships of whom
(...) are never elaborated in any detail". Eher werde die Gruppe als "in
the process of disintegration" gezeigt: "A sense of uncertainty
pervades the film; about the respective values of domesticity and community and
the roles played by men and women within each; about reality itself" [34].
Dead of Night zeigt Unsicherheit über die Realität selbst und über die Rolle, die in
ihr zu spielen ist, bezeugt aber auch die Suche nach einem Übergang von "wartime
collectivity to a more desire-centred, individualistic fictional world" [35], bezeugt die Ambivalenz von Sehnsucht nach dem Heim und dem Unbehagen an ihm.
Das Haus und das Heim könnten sich für das überkommene Männerbild als Falle erweisen. Der Film ist "a
complex imagining of a gender crisis, one which focuses in particular on fears,
anxieties and uncertainties
about the role of the male" [36]. Die Wahnvisionen oder
übernatürlichen Begebenheiten, die Grainger, Peter und Maxwell Frere ereilen,
werden assoziiert mit der Krisensituation männlicher Identität. Horror ist hier eine Erscheinung von masculinity
in trouble. Wie "The Haunted Mirror" handelt "The
Ventriloquist's Dummy" von bedrohter Identität und Verlust des Selbst.
Die
männlichen Gestalten scheinen die Frau eher als pflegende und tröstende Figur
zu wollen; die weiblichen Gestalten übernehmen die Nurse-Funktion auch, reflektieren aber den Männern damit zugleich
deren Pflegefall-Dasein und geben ihnen darüber hinaus zu verstehen, daß sie
ihre Stärke und Unabhängigkeit als Frau - auch erotisch - auszuleben gewillt
sind. Es ist ein Kunststück, Frauenfiguren dieses Films wie Joyce und Joan nicht überaus sympathisch und attraktiv
zu finden. Aber man muß die geeignete Psyche mitbringen: sie lassen sich nicht
in das scheme of things der
männlichen Architekten zwingen. Alles in allem gilt
für Dead of Night: "In fact it's
hard to think of a more respectable looking horror film that still manages to
be so subversive and entertaining" [37].
Und dann
ist da noch die Performance von Michael Redgrave:
"The element that raises 'The Ventriloquist Dummy' to greatness is
the transcendent performance by Michael Redgrave as Max Frere. He captures our
empathy even while disintegrating before our eyes. A moment during their
performance when he snaps, slapping Hugo in the face, is still shocking. The
way he clutches at Hugo as he shoots Kee while Cavalcanti spins the frame is
unnerving. When Von Straaten, playing a hunch, slips Hugo into Frere's jail
cell he unknowingly sets the stage for Frere's final meltdown. Redgrave's use
of his voice during this scene is brilliant. From his gasp of dread when he
first sees Hugo to the tortured sounds he makes as he kicks Hugo's head into a
pile of sawdust he shows us his madness but also his horrible pain." [38]
Anmerkungen:
18 Wobei mittlerweile bestritten wird, daß die Szene bei Shakespeare lediglich als comic relief dient.
19 Die Nachtclub-Besitzerin wird gespielt von Elisabeth Welch: zum ersten Mal in einem englischsprachigen Film wird eine schwarze Frau als erfolgreich und unabhängig dargestellt. Bei ihrem Song wird sie von weißen Musikern begleitet.
20 Hutchings 33
21 Hutchings 33
22 Hutchings 33
23 Hutchings 33
24 Dyson 178
25 Justin Mory, zekefilm.org, Dead of Night Blu-Ray Review, July 22, 2019
26 In dieser Szene sehen wir Foley, ohne daß Craig ihn sieht. Möglicherweise eine Andeutung, daß der nächste Zyklus Wirklichkeit ist.
27 Hutchings 35
28 Hutchings 36
29 Hutchings 26
30 Hutchings 28
31 Hutchings 28
32 Hutchings 28
33 Hutchings 29
34 Hutchings 29
35 Hutchings 29
36 Hutchings 33 ff.
37 Dyson 180
38 Rich Dishman, classic-horror-com, Dead of Night Review, 24.01.2011