Dunkel, mysteriös, sexy, cool: wer sich so durch die Wirrnis bewegt, wer mit dem dritten Song Rock 'n' Roll definiert,
wer mir in "Awake" - so mächtig, samten und
hypnotisch - Zeilen überläßt wie
I've
been awake through the wrong decisions
I've held my ground now I'm gaining some
I've held my tongue through the cold realizations
I've been accused but I've only begun
hat mich für immer auf seiner Seite. "Howl",
das phantastische (umstrittene) dritte Album, ist nach dem Poem von Allen
Ginsberg benannt, und im neuen Video zu "Let The Day Begin" erscheint
als die einzige mir bekannte Person Jack Kerouac. Beat Generation: besiegt / müde / heruntergekommen, zugleich wach /
euphorisch / auf der Suche nach Salvation.
"Specter At The Feast" hat wohl eher verhaltene Reaktionen
ausgelöst. Wer sich wirklich einläßt auf die Platte, findet etwas, das stärker
und tiefer geworden ist nach dem alchemistischen Prozeß, der schmerzhaften
Transformation, dem Umschmelzen des Bleiernen. Introspektiv, zornig, herzzerreißend,
tapfer und bittersüß bis zum Äußersten. Songs wie "Some Kind Of Ghost" und
"Sometimes The Light" suchen Verbindung zur anderen Welt.
Gegen 21 Uhr kommen sie auf die Bühne der Großen
Freiheit, Leah als erstes, Robert mit Kapuze, Peter mit obligatorischer Zigarette
im Mundwinkel, mit "Let The Day Begin", dem Salut für Michael Been - The
Call hatten mit dem Song Ende der 80er einen Hit -, beginnen sie, Herzenssache,
der Empfang für die fast schon Verlorengeglaubten ist überwältigend. München
und Berlin haben sie als Stationen in Deutschland schon hinter sich, am Abend
zuvor in Berlin ist Robert Levon Been nach dem Auftritt in der Columbiahalle
mit einer Akustikgitarre nach draußen gekommen, um mit einer Schar von Fans ein
paar Songs in den Schoß der Nacht zu legen.
Und am Nachmittag in Hamburg spielten BRMC ein
"Schaufensterkonzert" bei Michelle Records, auf den Mitschnitten
wirkt Leah ein bißchen krank, hustet in ihren Pullover, und wenn sie an diesem
Abend in der Großen Freiheit tatsächlich mit bösen Bakterien zu kämpfen hat,
steigt meine Bewunderung ins Unermeßliche. Ich sehe dieser Frau wahnsinnig gern
beim Schlagzeugspielen zu. Soviel Körperspannung in jedem einzelnen Schlag, konzentriert,
präzise, druckvoll, und doch mit einem femininen Rest von "Frauen schlagen
anders zu".
Jacke überm Geländer, wir haben uns auf Peters Seite in
der ersten Reihe installiert, "Rival" vom neuen Album, Leben mit dem
Verlorenen, den Verlorenen, und so leben, als wüßte man, was zur Hölle man
sucht, Orte aufsuchen, die man nicht aufsuchen sollte, carry on, Seele finden und in Flammen setzen. Noch kurz das süße
Gift Suspense mit "Red Eyes And Tears", dann geht der Höllenritt los,
Schlag auf Schlag, und der Saal tobt. Das neue "Hate The Taste" ("Got a tortured soul, I
can't give it away"), dann "Beat The Devil's Tattoo",
"Whatever Happened To My Rock 'n' Roll" und "Ain't No Easy
Way" nacheinander, danach muß man erstmal die Orientierung wiederfinden. BRMC geben einem ja abwechselnd das Gefühl, auf einer Triumph Thunderbird
zu sitzen (nachdem man gerade "Whaddaya got?" genuschelt hat) und den
ganzen Dreck hinter sich zu lassen, oder mit dem Teufel Karten zu spielen um
die aufreizend langsamen Schritte, die den Raum elektrisieren, und einer von euch
beiden sagt "SIE ist die Kugel, auf der mein Name steht", bloß du
weißt nicht wer, der Teufel oder du.
Drittens treibt einen immer spiritual thirst, auch wenn man jede Nacht in den Abyssus fällt, viertens
kann man ja wohl nichts dafür, wenn man bei dieser Musik an drei Dinge denkt,
Sex, Sex und Sex. Das wird man ja wohl
noch sagen dürfen in Zeiten des Neo-Biedermeier.
Nach "Berlin" und "666 Conducer"
folgt mit "Returning" einer der bewegendsten Momente von "Specter At The Feast". Fünftens, das
Hinübergehen auf die andere Seite. Robert Levon Been stürzt sich hinab in tiefste
emotionale Tiefen, auf der Platte ist die Zeile "You found yourself inside
a tomb, screaming to the sun" kaum überstehbar, ohne daß es einem das Herz
anhält. A part of you is ending, a part of you holds on. But you
must leave and not turn back, knowing what you hold. How much time have we got left, it's killing us, but carries us on…
carries us all. I will follow you till we all return, till we know our souls survived.
Till we know you'll carry us on, carry us
on, carry us all.
Plötzlich steht zunächst
Robert Levon Been allein auf der Bühne und spielt "Mercy", dann Peter
Hayes mit Akustikgitarre, ein magisches "Devil's Waitin'". Wäre das
nicht so hypnotisch, würde man sich umdrehen, um der quatschenden
Sippschaft im hinteren Teil des Saales ein "Curse active!"
zuzurufen. Mit "Fire Walker" bricht quasi ein zweites Konzert an,
insgesamt spielen BRMC an die 150 Minuten.
"Fire Walker", der
erste Song auf "Specter At The Feast", beginnt mit Bass-Flageoletts,
die der Textzeile "We pass through the gates" Vorschub zu leisten
scheinen, bis Schlagzeug und knarzender Bass einen Soldier On-Rhythmus aufnehmen, der das anfänglich noch schleppende
Weitermachen beklemmend illustriert, aber auch den Willen zu Selbstbesinnung
statt Selbstmitleid, den Willen, nicht in Depression zu versinken. Die leicht bedrohliche,
leicht unheimliche David Lynch-Stimmung, die der Anfang evoziert, weicht nicht
völlig, die dunkelste Nacht von allen dauert nicht nur eine Nacht, "Fire
Walker" gemahnt nicht zufällig an "Fire Walk With Me", im Text
erscheint die Zeile "And maybe I'm too blind to see, the fire is all that
walks with me". "Specter At The Feast" geht unter die Haut mit
ergreifender Trauer, doch die Seele in dieser Musik und diesen Lyrics hält
Verbindung mit dem, der vorausgegangen ist, "through the gates", und mit
einer elementaren Kraft, die durch alles Verlorensein im dunklen Wald, durch
alle Verletzlichkeit führt. Nie klang Robert Levon Beens Stimme so ernst und so
zerbrechlich, so weit entfernt und so gespenstisch nah.
"Windows" mit Robert
am Piano, und irgendwann im Lauf des Abends, vielleicht jetzt, spricht der
außerhalb der Musik nicht gerade als mitteilsam bekannte Club (böse Zungen
sagen "maulfaul") ein paar Worte für die Ewigkeit. Robert möchte sich
bedanken. Er sagt etwas wie: "We had such a good time in Germany, the last
couple of days. And I mean you guys are like
the best crowd we ever had." Peter Hayes applaudiert dazu. Nach dem Konzert in Köln, einen Tag später,
hieß es auf derwesten.de:
"Es war die letzte
Station auf ihrer einmonatigen Tournee quer durch Europa. Aber das Beste hebt
sich auch der Black Rebel Motorcycle Club offensichtlich immer bis zum Schluss
auf. Denn Auftritte in Deutschland genießen bei der Alternative-Rockband aus
San Francisco einen ganz besonders hohen Stellenwert. Weil ihnen das Publikum
hierzulande eine innige Sympathie und Feierlust entgegenbringt, die
ihresgleichen sucht."
Mit "Conscience
Killer", "Stop" sowie "Love Burns", nacheinander,
explodieren "innige Sympathie und Feierlust" in ein Inferno. Immer wieder, wenn Hayes singt,
kniet Been vor dem Monitor mit seinem roten, abgeschabten Bass, die Augen
schließend, verloren in einem Film, der nur hinter seinen Augenlidern läuft. Dann "Lullaby" von "Specter", Been
singt: "We move through the dark, helpless", und "You are the
hand I can't reach, you are the words I can't speak". Aber auch: "I
will walk till I've no shadow".
Mit "Funny Games" folgt ein weiterer Song
von "Specter" ("You stray in the dark but cut through the light
of day" / "Our normal life won't be the same, there's no one safe
from this" / "You tell yourself, leave the calling moans"), dann
das furiose Finale mit "Six Barrel Shotgun" und "Spread Your
Love". Das Haus brennt ab. Als Robert
Levon Been seinen Bass schließlich abnimmt und an der ersten Reihe entlanggeht,
um ein paar Hände zu berühren, erwischt er Madames und meine, und dreht sich
auf dem Weg ins Dunkel noch einmal kurz um zu uns. Meine von Robert Levon Been
berührte Hand kennt auch Mark Lanegans Hand und verlangt von mir nunmehr, daß
ich sie "Sir" nenne.
Als Zugabe noch zwei der neuen
Songs, "Sell It" - dicker Matsch und so zornig und bösartig wie nur
irgendwas, das BRMC je auf Platte preßten, schließlich "Lose
Yourself", das hymnische, fast neunminütige Finale von "Specter At
The Feast", ein einsamer, melancholischer Gang durch Morgendämmerung, das
Ende eines langen Abschieds, der Wunsch nach Wiederauferstehung.
Breaks in the light only shape what you see
You hold it in a word but never speak
Why won't you lose yourself
At all
Climbed so high, can't escape what you dream
You feel it in your bones but never ease
It's in your touch but you can't feel a thing
You're trying not to look at the face you see
Tiny little lies replace what you need
I see it in your eyes but never reach
You can't keep quiet, you can't even scream
You hold it in your heart but the rest you leave
Why won't you lose yourself
At all
Und am Ende dieses Songs geht
Robert Levon Been mit Tränen in den Augen von der Bühne.
In die Phase des postkathartischen,
noch ungläubigen Sichzurechtfindens in der hellen Welt schaut uns eine junge
Frau unentwegt mit großen Augen an, schließlich spricht sie Madame an, aber wir
sind zu sehr in den Seilen und hängen im Funkloch. Sie hat uns für irgendwen
gehalten, aber wir sind es nicht. Erst draußen kehrt Bewußtsein langsam wieder.
Wir biegen ein in die
Schmuckstraße, wo der Tourbus steht und dahinter der Truck, in den schon Equipment
geladen wird. Wir schauen eine Weile zu. Madame hat das
"Specter"-Booklet in der Tasche und einen Silberstift, also eine
Mission.
Nach vielleicht 20 Minuten
erscheint eine Gestalt mit Kapuze über dem Kopf und obligatorischer Zigarette
im Mundwinkel. Peter Hayes. Er scheint zu erkennen, daß wir ihn erkennen, geht auf
der Straße sehr langsam am Truck vorbei, bleibt stehen, ein Taxi will durch, er
schaut sich um. Madames Minute, also bleibe ich zurück. Als ich zwischen Truck
und Tourbus auf den Bürgersteig komme, sehe ich noch, wie er sagt, "I'll be
right back", und in den Bus steigt. Als sie da stand mit ihm, so erzählt
Madame, hätten zwei, drei andere ihn erkannt und um ein Foto gebeten.
Excuse me, Sir? Would you be so kind to sign this? -
Sure! - Awesome show tonight. - Oh, thank you.
So hat Madame also seinen Schriftzug
auf dem Booklet und wir sitzen da auf einem dieser gemauerten Vorsprünge an der
Halle und versuchen immer noch, uns zu fassen. Nach
fünf Minuten kommt er, Peter Hayes, durch die Lücke zwischen Tourbus und Truck.
Auf uns zu. Er ist auf der anderen
Seite ausgestiegen, auf der Straßenseite. "Have they gone away?",
fragt er uns, und meint die Leute, die ein Foto mit ihm wollten. "Yeah, I
think they're gone, actually", sage ich. Das hätte er auch vom Bus aus
sehen können, daß die weg sind. Es scheint, als hätte er wenig Lust auf ein
Foto gehabt.
Und so sitzen wir da, und vor
uns steht Peter Hayes, und wir plaudern ein Minütchen. "It's so good to have you
back", sage ich. "Please come back
soon." - "Thank you!" - Leicht überraschter Blick von ihm,
etwas, das wie echte Dankbarkeit aussieht. Und als ich sage, daß ich,
schließlich bin ich Untoter, "Robert's dad" mit The Call noch live
gesehen habe, im Vorprogramm von irgendwem, daß ich mich aber for the life of Jehovah nicht mehr
erinnern könne, für wen The Call damals als Support spielten, "maybe Iggy
Pop or The Church", sagt Peter, "Oh yeah? They toured with Chrissie Hynde... and The Pretenders...?" - Nein, nie
gesehen… - "Echo & The Bunnymen?" - "Yeah, possibly!"
"Thank you guys for
coming", sagt Peter Hayes und schleicht auf demselben Weg zurück, den er
gekommen ist.
Alles durchdringt Schmerz.
Aber das Leben ist episch und großartig. Let The Day Begin.
Sometimes the silence is all
we know, in every picture a fallen love
Sometimes the light turns out to right all of these
wrongs
Sometimes the fallen are all we know, in every
picture a silent home
Sometimes the light turns out to shine with
everyone
BRMC, "Sometimes The Light", 2013.
Let
The Day Begin
Rival
Red
Eyes And Tears
Hate
The Taste
Beat
The Devil's Tattoo
Whatever
Happened To My Rock 'n' Roll
Ain't
No Easy Way
Berlin
666
Conducer
Returning
Mercy
(Robert Solo Acoustic)
Devil's
Waitin' (Peter Solo Acoustic)
Fire
Walker
Windows
Conscience
Killer
Stop
Love
Burns
Lullaby
Funny
Games
Six
Barrel Shotgun
Spread
Your Love
Sell
It
Lose
Yourself
Photos courtesy of Björn Wilke, blog des pieux: