Donnerstag, 5. Mai 2011

David Bowie 1975 - 1977










 
 
Transkript (Exzerpte) aus "Der Favorit", Sendereihe von Heinz Rudolf Kunze über David Bowie, die der NDR erstmals 1985 ausstrahlte. 





Im Sommer 1975 beginnt Bowie mit den Dreharbeiten zu seinem ersten abendfüllenden Spielfilm, "The Man Who Fell To Earth", unter der Regie von Nicolas Roeg ...  Als "Mann, der vom Himmel fiel" braucht er jedenfalls nur sich selbst zu spielen. ... Die nächsten beiden Cover zeigen Portraits von Thomas Jerome Newton. Zeitweise scheint Bowie nach Abschluß der Dreharbeiten den Film mit anderen Mitteln fortsetzen zu wollen. 

... die hektischen Zuckungen eines Drogenabhängigen. Eines Mannes, der unbedingt und augenblicklich damit aufhören muß, sich selbst zu zerstören. Bowie weiß es, und es macht seine Größe aus, daß er diese Einsicht in Musik umsetzen kann. Im Herbst 1975 ist innerhalb von 14 Tagen seine neue LP "Station To Station" fertiggestellt worden, flüchtige Notizen eines Gehetzten, der alle Worte auf dem Cover ohne Zwischenraum aneinanderreiht, um ihnen noch mehr Tempo zu geben. Wie er in dieser tiefen persönlichen Krise – auch seine Ehe erreicht allmählich ihr Endstadium – zu einschneidend neuen Schreibmethoden und zu ersten Ansätzen der neuen Musik vorstoßen konnte, die die Arbeit seiner nächsten Jahre kennzeichnen, wird wohl ein Rätsel bleiben. 

Zuggeräusche leiten die neue Platte ein. Aber, um alles in der Welt, das ist nicht die Union Pacific. Das ist der Orient-Express beim Verlassen des Wiener Ostbahnhofs. Auch Earl Slicks Gitarre kehrt heim in die Alte Welt, sie macht deutliche Anleihen bei Robert Fripp. Und dieses Intro – es vergehen nahezu zwei Minuten, bis der Meister auf der Klangfläche erscheint: als Thin White Duke, hohlwangiger, unnahbarer Kokainfürst. Bela Lugosis Sohn. "One magical movement from Kether to Malkuth" – auch die Kabbala wird diesem Verfluchten keine Zuflucht sein. Ein unseliger Engländer sucht nach seinen Wurzeln, nach der Verschmelzung von Amerika und Europa. "Drive like a demon from station to station" – kein Song ist das, mehrere unverbundene Teile ergeben ein Ganzes, das seine Brüche zugibt. Too late ist das Leitwort, aber immerhin verbinden sich europäische Harmonien und die Raffinesse amerikanischer Rhythmik zu einer donnernden Westworld-Disco, in der alle Worte ertrinken...







"Golden Years" entführt uns in den Plüsch der 30er-Jahre. Der Song besteht aus lauter Pleasure-Versicherungen, die der amüsierte Sänger selbst nicht glaubt. Never look back, walk tall, act fine – run for the shadows in these golden years.







Bei Peter Handke heißt es irgendwo: "Plötzlich bemerkte ich, daß ich ein Spiel spiele, das es gar nicht gibt." Solche Einsicht hat zwei mögliche Folgen: entweder die Zeichentrickfigur läuft in der Luft noch weiter, obwohl sie schon über dem Abgrund schwebt, und fängt an zu lachen, wie in "TVC 15", einem Stück, das laut Bowie von einem Fernseher handelt, der seine Freundin ißt. Oder der Held bricht zusammen, so unnachahmlich schön, daß jeder ihn trösten möchte, wie in dem beinahe schon religiösen "Word On A Wing". "In this age of grand illusion you walked into my life out of my dreams". Bowie klingt betrunken, traurig, einsam. Ist dies der Mann nackt? Ja und nein. Selbst nackt ist er nicht nackter als in irgendeiner Verkleidung. Die alte Enthüllungsgier, die Suche des Publikums nach einem Persönlichkeitskern kommt bei diesem Künstler nicht auf ihre Kosten. Bowies Allerheiligstes ist nichts weiter als ein Bildschirm, der DICH zeigt, wie du ungläubig vor ihm stehst.







Auch "Wild Is The Wind", ehemals das Titelstück eines Films mit Anthony Quinn und Anna Magnani, gesungen von Johnny Mathis, wird bei Bowie zum bläulich brennenden Leidenschaftslied, das mit wenigen Instrumenten und seiner Stimme eine ungeheure Räumlichkeit erzeugt. Keine Frage, dieser Mann ist ein großer Rocksänger. Seine Begabung für stimmliches Drama ist geradezu erschreckend. "With your kiss my life begins" – das klingt wie ein müder Vampir kurz vor Sonnenuntergang.

Auf "Station To Station" befinden sich nur 6 Titel. Noch nie waren Bowie-Stücke durchgängig so großflächig angelegt. ... Die Platte (...) bedient sich einer der Haupteigenschaften schwarzer Musik: sie läßt sich Zeit. Sie erzeugt Schwingung durch Wiederholung. Bestes Beispiel: "Stay". Eine mörderische Gitarre liefert das Intro zu einem Krimi, in dem der Täter nie gefaßt wird. Über einem atmenden Rhythmustrack, wie ihn nur Schwarze spielen können, spielt Earl Slick ein sinnliches Solo, das sich auf Sounds und nicht auf Schnelligkeit verläßt. Und Bowie singt einen Mutantenfunk, stilisiert gefühllos Gefühl. Man hat Klaus Kinskis Liebesverzweiflung vor dem Bett der Ausgesaugten vor Augen.








... Im Chateau d'Herouville produziert er Iggy Pops "The Idiot"-Album. Die Presse nimmt das Werk kaum zur Kenntnis, sie ist Ende 1976 vollauf mit der Punk-Explosion beschäftigt. Iggy Pop ... ist ein enger Vertrauter und Günstling Bowies, der alles versucht, um ihm zum Durchbruch zu verhelfen, mit mäßigem Erfolg. Bowie selbst wird von Rechtsstreitigkeiten aufgefressen. In Paris trennt er sich unter deprimierenden Umständen von seinem neuen Manager ... Er kann es nicht verwinden, daß es ihm nicht gestattet wurde, den Soundtrack zu seinem ersten Spielfilm selbst zu bestreiten. Ein einziges Stück davon taucht definitiv auf seiner nächsten Platte auf: "Subterraneans".

Diese Platte wird das Wichtigste und Wegweisendste sein, was David Bowie der Rockmusik zu geben hat. Sie heißt "Low", und so fühlt er sich auch. Rechtzeitig zum Weihnachtsverkauf 1976 liefert er die fertige Produktion bei der RCA ab, aber die Firma ist nach dem ersten Anhören dermaßen erschrocken, daß sie die Veröffentlichung bis Januar 1977 hinausschiebt. Vor kurzem hatte Lou Reed eine experimentelle Platte namens "Metal Machine Music" gemacht, die ihn fast vollständig um seinen kommerziellen Status gebracht hatte. Nun fürchtete die RCA, mit ihrem Goldjungen Bowie das Gleiche zu erleben. Bis zu "Low" waren Bowies Verwandlungen niemals wirklich revolutionär, allenfalls verblüffend. Alle seine Veränderungen fanden innerhalb vorgegebener Rockformen statt, Formen, die er nicht selber erfunden hatte. Er wechselte die Spielregeln, nicht das Spiel. Aber, was war jetzt das?







Polternde Muzak. Brutal verfremdeter Schlagzeugsound. Ein grotesk verzerrtes Mischverhältnis zwischen Electronics und Instrumenten, und vor allem: kein Gesang.

Aber auch bei den fünf Gesangsstücken der Platte bewegt sich Bowie immer am Rande des Verstummens. "You're such a wonderful person / But you've got problems." Die Musik und die Texte wirken wie roboterhafte Intros, ausholende Gesten, denen aber nichts folgt. Klaustrophobische Unglücksfetzen ... "Blue blue Electric blue / That's the colour of my room where I will live / Pale blinds drawn all day / Nothing to read, nothing to say". Der NDR wählte "Speed Of Life" als Erkennungsmelodie für heitere 2minütige Englischkurse im Vormittagsprogramm. Was wäre die Kunst ohne Mißverständnisse.
 


 



Der Wunsch nach Zuneigung, immer wieder wie in "Be My Wife" zum Stampfen einer Death Disco geäußert, das läßt das Wasser in den Augen gefrieren. Wer oder was spricht hier? Von "Low" an hat Bowie nie wieder ein durchgängiges Alter Ego für eine Platte geschaffen. Als die LP erschienen ist, sagt er, niemand solle sie kaufen. ... "Low" ist eine lebensgefährliche Rückbesinnung Bowies auf das, weswegen er angetreten war. Jedenfalls nicht, um in L.A. den reichen Stutzer zu spielen. "Low" verzichtet auf Amerika, den Thin White Duke, Soul, Masken, konventionelle Lyrics – und auf Songs. Dafür präsentiert die Platte Europa, Persönlichkeitsspaltung, Kraftwerk, heruntergelassene Jalousien, vieldeutige verbale Stilleben, und vor allem – Brian Eno. Drei Jahre lang bildeten Bowie und Eno das richtungsweisende Doppelgestirn fortschrittlicher europäischer Rockmusik. "Low" handelt nicht mehr vom gesellschaftlichen Zusammenbruch, sondern vom Zusammenbruch der Binnenstruktur eines Menschen. Das ganze Album könnte von einem mit Beruhigungsmitteln vollgepumpten Thomas Jerome Newton in seinem Luxusgefängnis gesungen und gespielt worden sein. Und das ist auch ungefähr Bowies Zustand. 

"I've been breaking glass in your room again." Es gehört zu Bowies Ruf, das Publikum mit jedem neuen Produkt zu irritieren, aber diesmal löst er regelrechte Bestürzung aus. Der NME druckt zum ersten Mal in seiner Geschichte zwei Kritiken über das Album nebeneinander ab. Charles Shaar Murray flucht das Werk als Depressionsetüde in die tiefste Hölle hinab, Ian McDonald urteilt: die einzige wirklich zeitgemäße Rockplatte. Die Band als Herzrhythmusmaschine führt den Hörer in ungeahnte Tiefen des Rückzugs; in ein Universum, das auf ein Zimmer zusammengeschrumpft ist. "Always Crashing In The Same Car" – was für ein Titel. Zwei Futuristen, die verlernt haben, was Trauer ist, versuchen eine traurige Nummer zu spielen.






"Low" ist reine Methode, reiner Prozeß, ohne Vorplanung und ohne Blick auf die Konsequenzen. Diese Platte ist wirklich nicht "gut" in einem moralischen Sinne, nicht konstruktiv; sie ist teuflisch. Ein Hörspiel über den Todestrieb. Während Seite 1 von Bowie als Seite des Selbstmitleids bezeichnet wird, unternimmt Seite 2 etwas bahnbrechend Neues. Bowie verzichtet gänzlich auf Texte, gibt, wenn überhaupt, nur noch eine erfundene Sprache in Beinahe-Englisch von sich. Die Wirkung ist faszinierend. Während man sich anstrengt, eine vorgegebene Bedeutung zu erfassen, schafft man diese Bedeutung erst. Wichtiger noch als die konkreten Musiken dieser Seite, mit ihren auf Westberlin und den Ostblock bezogenen Stimmungen, ist das Zeichen, das hier gesetzt wird.

Schlafwandelnde Saxophone über Nebelfeldern aus effektbearbeiteten Keyboards und Gitarren, zerstückelte gregorianische Chöre mit Ghettoaufstand-Timbre bezeugen den Willen zur Gestaltung einer absoluten Oberfläche; zur Abschaffung des Begriffs Tiefe. Wie in der abstrakten Malerei die Farben nicht etwas, sondern sich selbst bedeuten. Bowie erläuterte einmal den Herstellungsvorgang von "Warszawa": 

"Ich sagte, Brian, ich möchte ein ziemlich langsames Musikstück komponieren. Es soll eine sehr gefühlsbetonte, fast religiöse Atmosphäre haben. Mehr möchte ich dazu noch nicht sagen. Wie fangen wir es an? Und er sagte: Laß uns erstmal eine Spur mit Fingerschnipsern aufnehmen. Das tat er dann etwa 430mal. Danach schrieben wir sie alle als Punkte auf ein Stück Papier, zählten sie durch, und jeder nahm sich ganz willkürlich bestimmte Sektionen vor. Dann ging Brian wieder ins Studio und spielte Akkorde und veränderte sie entsprechend den Numerierungen, und ich machte in meinen Sektionen das Gleiche. Dann löschten wir die Schnipser, hörten uns an, was wir hatten, und schrieben weitere Stimmen darüber, abgestimmt auf die Taktmengen, die wir uns zugeteilt hatten." 

"Art Decade". Ein Polaroid vom Niemandsland.






"Low" ist für Bowie ein echtes Wagnis. Das Resultat steht erst fest, wenn alles fertig ist. Dabei ergänzen sich seine und Enos Arbeitsweisen ideal. Bowie agiert im Studio impulsiv, liefert in einer kurzen, hochkonzentrierten Phase eine perfekte Leistung ab, und nimmt sich dann für den Rest des Tages frei. Eno dagegen arbeitet langsam und genau, schichtet behutsam viele musikalische Flächen übereinander. ... Zwei Gleichgesinnte haben sich gefunden. Eno scheint eine besondere Begabung für solche intensiven Dialogpartnerschaften zu haben.

In Berlin wird Bowie wieder Mensch. Er lebt allein, sorgt für sich selbst, kann sich relativ frei und unerkannt bewegen, und die Stadt sogar mit dem Fahrrad durchstreifen. Hier erholt er sich von Drogen und Schmeicheleien, von der Fälschung L.A. Und er arbeitet viel und lustvoll. Daß der Mensch hin und wieder schlafen muß, empfindet er als Skandal. Er produziert Iggy Pops neue LP "Lust For Life" und begleitet ihn auf dessen Tournee als prominenter, aber immer im Hintergrund bleibender Pianospieler. ... Nach jahrelanger Unterbrechung beginnt Bowie wieder ernsthaft zu malen, inspiriert durch den Verfall Berlins. Selbstredend hat er Mitte September eine neue Platte fertig. Sie heißt "Heroes" und bildet zusammen mit "Low" das immer noch zentrale Sternbild der zeitgenössischen Popmusik.








SPIEGEL ONLINE Forum

03.11.2009 


ray05:
 
Bin durch mit "Low". "Sound/Vision" kannte ich, ohne zu wissen, dass die Nummer zu dieser Platte gehört. Jetzt macht der Titel auch Sinn, weil er sich in's Ganze fügt. :) Und das Ganze klingt, als sei es zehn Jahre später entstanden, aber keinesfalls 1977. Waren Eno & Bowie somit ihrer Zeit voraus? Nö, die meisten anderen hinkten einfach hoffnungslos hinterher ... :) Frei heraus, Enos "Warszawa" sowie Bowies "Art Decade", "Subterraneans" und "Weeping Wall" sind eine Offenbarung und mich wundert's grad' nicht schlecht, wie ich ohne die Kenntnis dieser vier Kompositionen überhaupt existieren konnte, all die Jahre. :) 

"Weeping Wall" legt nahe, dass die beiden wohl das Werk Steve Reichs sehr gut kannten, mit Sicherheit die epochale ECM-Platte "Music For 18 Musicians" und auch "Electric Counterpoint". Wenn man das kennt, will man's unbedingt selbst mal seriell versuchen. Aber wenn mich nicht alles täuscht, kommt Eno ursprünglich aus dieser Szene. "Warszawa" ist eines dieser frühen Ambientstücke Enos, vielleicht das erstaunlichste, wenn man das Aufnahmejahr bedenkt. Für die beiden übrigen Stücke habe ich derzeit noch keinen Begriff.







Christian Erdmann:

"Warszawa" war auf jedem Tape, das ich aus Zuneigung verschenkte, auf jedem. Und in dem Stück steckt weit mehr als Kunze sieht, für mich. So lobenswert das war, daß HRK uns das alles mal nahegebracht hat, manches würde ich so nicht stehen lassen, eine Formulierung wie "Hörspiel über den Todestrieb" für "Low" z.B. Eben nicht. Katharsis eher; Entfremdung und Depression, aber auch genau der Weg hinaus. Auch eine Wendung wie "Zwei Futuristen, die verlernt haben, was Trauer ist, versuchen eine traurige Nummer zu spielen" trifft es nicht. All das betrachtet Bowie zu sehr als soul-less, während ein wichtiger Aspekt seiner Kunst, wie man auf einem Stück wie "Quicksand" von "Hunky Dory" schon gut vernehmen kann und auf "Station To Station" auch wieder, Sinnsuche ist, spiritual thirst. 

Zu Bowies Ungreifbarkeit trägt bei, daß er zu zwei Arten von Interviews neigt: ein ur-englisches an-die-Nase-Tippen, das sagt, haha, war alles nur Spaß, oder aber eine Art, über seine Kunst zu reden, die klarmacht, daß alles noch viel tiefer ging, als wir dachten. 

"Warszawa" jedenfalls ist von einer so unglaublichen traurigen Schönheit, ich hab wahrscheinlich den Mund, seit ich das Stück zum ersten Mal hörte, nie wieder ganz zugekriegt.






Bei diesem Stück hier, Bonus-Track, steht nur noch "Bowie, Eno: Instruments", ansonsten sind die Angaben darüber, wer was spielt, ja sehr detailliert, aber da wußten sie wohl selber nicht mehr, wer welchen Analogkram angeworfen hatte.






Außerdem finde ich, Bowie ist ein Meister der sozusagen erstmal subliminalen kleinen dramaturgischen Geniestreiche. Nochmal "Heroes": gerade, wenn man die Größe dieses Songs kapiert hat und weiß, es ist "the one damn song that can make me break down and cry", weiß man plötzlich gar nicht mehr, wie einem geschieht in der Euphorie, die sich steigert und steigert, noch eine Schicht, und noch eine Schicht, noch eine Fripp-Linie, und da hinten zischelt noch was mit Echo durch, aber da ist genau ein Moment, wo man einfach in die Knie geht, und es ist der Moment bei 3:55. Was ist es? Bloß ein Tamburin. Aber es ist eben nicht von Anfang an da, erst nach 4 Minuten sagt es: ab jetzt gibt es kein Halten mehr.














"For whatever reason, for whatever confluence of circumstances, Tony, Brian and I created a powerful, anguished, sometimes euphoric language of sounds. In some ways, sadly, they really captured unlike anything else in that time, a sense of yearning for a future that we all knew would never come to pass. It is some of the best work that the three of us have ever done. Nothing else sounded like those albums. Nothing else came close. If I never made another album it really wouldn't matter now, my complete being is within those three. They are my DNA."





Uncut Magazine, 1999

UNCUT: Low is generally perceived as David at his most emotionally honest, but most unhappy. Looking back, is this interpretation accurate?

Bowie: Yes, it was a dangerous period for me. I was at the end of my tether physically and emotionally and had serious doubts about my sanity. But this was in France. Overall, I get a sense of real optimism through the veils of despair from Low. I can hear myself really struggling to get well.








SPIEGEL ONLINE Forum

01.11.2009
 
Christian Erdmann:

Elizabeth Bowen: "Anywhere, at any time, with anyone, one may be seized by the suspicion of being alien - ease is therefore to be found in a place which nominally is foreign: this shifts the weight." An diese places versetzt sich Bowie, räumlich oder psychisch. 

Bowie: "I'm completely open. I'm so eclectic that complete vulnerability is involved. You've got no shields, then. I've never developed them, and I am not too sure that I want to anymore because I'm becoming far more satisfied with life... Eno is the same. Neither of us understand on a linear level what the thing's about, but we get a damn good impression of information coming off those two albums..." (Low / Heroes). Berlin war für Bowie "a refocus about what I'm trying to do."

Ich behaupte, daß jedes Werk für Bowie "a refocus about what I'm trying to do" war. Vitales Interesse für Kunst (all kinds), von japanischem Theater bis zu den Gothenburg Castrationists. Plus: "Bowie wäre immer selbst gern Iggy gewesen, ist aber zu rational." Wenn der Steinbock seine Rationalität aufbricht, geht es in Extreme (vgl. Blixa Bargeld, Scott Walker), an denen nicht mehr viele andere operieren. Space ist da nur eine spezifische Metapher für den unbetretenen Raum. Aber weil er Bowie ist mit seinem unzerstörbaren Glam, wird daraus immer eine elegant derangierte Energie, auch wenn er korrodierte Musik abliefert und Lyrics aus dem Bunker. Der Rockstar als Moving Target. Don't you wonder sometimes? Always.






Sons of the silent age
Make love only once but dream and dream
They don't walk, they just glide in and out of life
They never die, they just go to sleep one day.




























Donnerstag, 28. April 2011

Vorwitz & Verstrickung (2): Gesang aus dem Hafen






Ihre Stimme um zwei Uhr morgens wie aus einem französischen Liebesfilm
Ihr mondhelles Haar wenn Neumond ist
und ihre Augenbrauen des klassischen Altertums?
Verbeult auf 1 Kinderfoto
und gickelnd unter 1 Hunds-Stern
ist sie die Hüterin geheimnisvoller Seufzer
denen kleine Jungs wie seifenblasenfasziniert nachstarren
und wenn sie den Atem anhält
schwöre ich beim allmächtigen Gott
die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit
und rätselhafte Schimmer in ihrer ländlichen Kammer
wenn mein mürber Dez auf ihren Jugendstil-Bauch fällt
und der Tee, den sie mir reicht, schmeckt nach Herbst
und die Ringe unter ihren Augen sind unsichtbar
und Sartre ist ganz okay
und ein Skorpion
der durch das weite Tal ihres Merkurherzens kriecht
und wenn er zusticht
fallen alle kleinen Jungs tot um



























Samstag, 23. April 2011

The Future is yet unwritten



                                 
















Freitag, 22. April 2011

Vorwitz & Verstrickung (1): 39 bedeutungslose chemophysikalische Impulse







. Die Maid die vor 100 Jahren barfüßig
. den weiten Weg nach London wanderte
. um dort auf dem Markt Butter und Brot zu verkaufen
. die könnte ich lieben
. sagte ich
. Der Aktionsanalytiker schüttelte den Kopf
. "Beweisen Sie das."
. Genug der Reden
. Das Caféboulevardcafé ist Schauplatz stiller Hoffnungen
. Ein Mädchen zerstückelt Bierdeckel
. und füllt die leere Kaffeetasse vor ihr
. mit zerstückelten Bierdeckeln
. Nervöses Lächeln
. und ich renne über Bürgersteige
. sehe kleine Nasen überall
. sehe diese Blicke
. sehe diese Bewegungen
. sehe diese Gesten
. Alle Wesen treten hervor im Zeichen des Erregenden
. Holt den Rettungswagen
. Auf der anderen Seite der Stadt
. lebt meine Krankenschwester
. Sie ist so geduldig mit mir
. Sie weiß daß ich sie liebe
. Ich für meinen Teil weiß es nicht
. Ich reiß mich los von ihr
. Ich renne weg, weg, bis es dunkel wird
. weg, bis meine Füße bluten
. bis ich bewußtlos umfalle
. Erwachend
. sehe ich sie
. mit meiner Jagdmütze
. Sie spielt mit meiner Jagdmütze
. und lächelt mir zu
. Bleich der Mond
. Geschwächt meine Sinne
. Die Sphinx ist ein weibliches Ungeheuer
. das jeden tötet
. der ein aufgegebenes Rätsel nicht zu lösen weiß


























Vorwitz und Verstrickung








Aus: Interview mit Christian Erdmann, Literatur-Feder Magazin, Ausgabe 5, Juni 2007

LF: Ihr Roman "Aljoscha der Idiot" ist Ihre erste Roman-Veröffentlichung. Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen und gab es dafür einen bestimmten Auslöser?

CE: Die ersten ernsthaften Schreibversuche waren Gedichte. Es gab auch mal einen Gedichtband, den ich zusammen mit einer Freundin gemacht habe. Wir haben beim Drucker die Seiten selbst geschnitten und geleimt. Das Bändchen hieß "Vorwitz und Verstrickung". Ein paar Hundert Exemplare im Eigenverlag, das war gnadenloser, furchtloser, furchtbarer Idealismus. 




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Ich weiß von 83 verkauften Exemplaren. Wieviele Exemplare über P.B. in die Weltgeschichte kamen - keine Ahnung. Der Preis wurde Pi mal Auge festgelegt, in der Regel waren es 7 DM. Das Bändchen trägt die Widmung "in ehre & furcht - für ulrike k." Ulrike K. war Deutschlehrerin. 






















Donnerstag, 21. April 2011

Cut-up under Prometheus








SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

August 2006






Mixolydian:
 
Ohne Cut-ups hätte es weder das Eno/Byrne-Referenzalbum "My Life In The Bush Of Ghosts" noch die in dessen Nachfolge immer ausgefeilter werdende Sampling-Technik in der Musik gegeben. Die Cut-up-Methode war ein Experiment, das sich als extrem einflußreich erwiesen hat. Hier wurden einfach neue Wege aufgezeigt. Ohne Innovatoren wie Burroughs, Gysin oder auf dem musikalischen Feld Eno, Byrne, Fripp oder Cale wären wir heute um einige Kunstwerke ärmer.








Christian Erdmann:
 
Ich denke, daß der Zufall stets in die künstlerische Arbeit integriert ist (Genie besteht ja auch in der Fähigkeit, sich den Zufall zunutze zu machen), und daß die Cut-up-Methode sozusagen nur die extremere Form des Sichauslieferns an dieses Prinzip ist. Sie legt den Akzent zunächst auf die reine Methode, den reinen Prozeß, ohne Vorplanung und vorgegebene Bedeutung. Indem Dinge zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen, entstehen neue Bedeutungen. Lautréamont sprach von der Schönheit der zufälligen Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf dem Seziertisch. Ich persönlich mag es als Leser sehr, mich zu fragen: wie kommt das denn jetzt da hin, solange all die Türen, die sich da öffnen, noch als einem Korridor zugehörig erkennbar sind. Burroughs oder Lautéamonts "Gesänge des Maldoror" können sehr labyrinthisch (minus Ariadnefaden) werden, zur sehr anstrengenden Reise durch einen Kopf. Hypertroph scheinende Willkür ist natürlich enervierend. Aber durch die offene Kollaboration mit dem Zufall sind Werke von unglaublicher Schönheit entstanden.

Für sein "Low"-Album, das er mit Eno zusammen aufnahm, wollte David Bowie ein langsames Stück mit nahezu religiöser Atmosphäre – das war alles, was er Eno vorgab. Eno schlug vor, erst einmal eine Spur mit Fingerschnipsern aufzunehmen. Das taten sie dann, ca. 430mal Fingerschnipsen. Das notierten sie. Jeder der beiden nahm sich dann willkürlich bestimmte Sektionen vor und spielte auf dem Synthesizer Sequenzen dafür ein. Dann löschten sie die Schnipser und schrieben, abgestimmt auf die zugeteilten Taktmengen, weitere Sequenzen darüber. Keine "Komposition" im eigentlichen Sinne also, aber dieser ungewöhnliche Entstehungsprozeß ist das letzte, woran man bei dem Stück "Warszawa" denkt, das einen noch immer auf die Knie sinken läßt – zeitgenössische Klassik eben.

Bowie hat sich auch in seinen Texten zuweilen der Cut-up-Methode bedient, auch für das "1. Outside"-Album, das so starken Einfluß auf David Lynch hatte ("Lost Highway"). Auf "1. Outside" erzählt Bowie zwar eine Geschichte, die Cut-up-Methode erlaubt es dem Autor einer Geschichte aber auch, der Geschichte dazu zu verhelfen, sich selbst zu erzählen und ihren Autor zu überraschen. Textsegmente arbeiten als Bedeutungsgeneratoren. Ein Titel des Albums lautet "The Hearts Filthy Lesson". Wer würde diese Worte schon zusammendenken? Nach dem ersten Schreck ergeben viele Dinge Sinn. Genau wie bei Träumen, und oft gleicht alles, was Cut-up-Methode gleicht, dem Vokabular von Träumen. Träume sind Cut-ups.

Aber zugegeben, es kommt sehr darauf an, wer sich dieser Techniken befleißigt. Grundsätzlich kann diese Technik natürlich schrecklich unsinniges Getröt produzieren, aber das gelingt auch Autoren, die sich ganz prometheisch sehen. Quod licet Bowie, non licet bovi.








Eliza:
 
Eben. Sich allein auf den Zufall zu verlassen, garantiert zunächst nur, dass was Zufälliges dabei rauskommt. 

Es muss ein gewisses, recht hohes Minimum an Gestaltung dabei sein, bevor mir der Ausdruck Kunst einleuchtet. 








Christian Erdmann:
 
Du kennst doch sicher Shaftesbury, den englischen Philosophen? (Ich meine den 3rd Earl). Der sprach vom Künstler / Schöpfer als "second maker", als "Prometheus under Jove". Der von mir oben angesprochene Typus wäre sozusagen "Cut-up-artist under Prometheus" (in einer Person).

Goethe hat von Shaftesbury den Begriff der "inneren Form" geklaut: die "inward form" des Kunstwerks / des Charakters / der vorbildhaft Teile zu einem Ganzen fügenden Natur. Wobei Shaftesbury für seine Zeit übrigens recht weit darin ging – sein Weg führte schon über das, was später deutlich als Begriff des "Erhabenen" erschien –, auch das "Dissonante" in diese "innere Form" einzugliedern. Die "innere Form" erlaubt vieles, eben auch Nutzbarmachung des Zufalls, Eingliederung sich selbst schaffender Bedeutungen etc., nur darum ging es mir, mein Respekt vor den Beherrschern der inneren Form ist grenzenlos.

Wenn poetische Sprache nicht auch zum Ziel hat, Vorstellungen davon, "was geht", hinter sich zu lassen, wozu dann überhaupt Poesie?


 





Stefan Möhler:
 
Der Künstler ist immer der zweite Schöpfer. Eigentlich eher ein Seher, der vermag, Dinge zu realisieren, die sich anderen eben nicht von alleine erschließen. Ob es ihm nun gelingt, diese Realisation für alle Menschen sichtbar zu machen oder nicht, ist dabei völlig unerheblich.

Immer ist ein Kunstwerk ein Aufruf zur Auseinandersetzung: mit eigenen Gedanken, Urteilen, Sichtweisen, Vorurteilen, eingefahrenen Denkstrukturen, Blindheit - letzten Endes mit sich selbst.

Wer dazu nicht in der Lage ist, und ja, solche Menschen gibt es tatsächlich, dem erschließt sich weder Kunst noch deren vielfältige Möglichkeiten der Rezeption. Daran werden weder Kunstwerke selbst noch Worte über dieses Faktum irgendetwas ändern können. Das kann man bedauern, aber nicht ändern.








Christian Erdmann:

Es spricht etwas aus dem Künstler, den Du "Seher" nennst, das er selbst nicht völlig kontrolliert, aber er muß versuchen, soviel Kontrolle wie möglich darüber zu gewinnen. Er muß das, "was geht", überwinden, und dieses "was geht" war nicht nur im Hinblick auf die Form gemeint, es ist immer auch das, was für die menschliche Realität bislang Gültigkeit besaß. Wäre der Künstler in glücklicher Übereinstimmung mit der Welt, wie sie ist, und den Konditionen, die sie stellt, würde er dann Kunst schaffen wollen? Das soll keine revolutionäre Pose der Kunst an sich beschreiben, aber ist der Künstler nicht immer der Träumer irgendeines "Anderen", selbst wenn der Unterschied zum affirmativ Säuselnden kaum noch spürbar sein sollte, auch die vehementeste Opposition zum Zeitgeist ist da vielleicht letztlich nur ein gradueller Unterschied, wiewohl die Skala derartige Unterschiede bereithält, daß vielen der Größten (Hölderlin, Artaud, Nijinsky etc) der Rückweg aus ihrer Kunst in die "normale Umgebung" nicht mehr gelang.